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Veröffentlicht am 01­.06.2012

1.6.2012 - Kipa

Wer gegen wen und mit welchem Ziel?

Die Krise im Vatikan ist noch lange nicht ausgestanden

Von Ludwig Ring-Eifel

Rom, 1.6.12 (Kipa) "Mamma mia, worauf sollen wir noch vertrauen? Die Erde bebt ohne Ende, der Euro macht uns kaputt, sogar im Fussball wird betrogen, und jetzt ist auch noch der Papst in Schwierigkeiten". Claudio B., Restaurantbesitzer in der Nähe des Petersdoms, dem dieser Stossseufzer am Ende einer Woche voller schlechter Nachrichten entfährt, gehört eigentlich zu den Profiteuren der aktuellen Krise im Vatikan. Seit die "Vatileaks"-Dokumente in den Schlagzeilen sind, kommen noch mehr Journalisten und Kleriker in sein Lokal, das Geschäft boomt fast so wie sonst zu kirchlichen Hochfesten.

Wenige hundert Meter entfernt im Pressesaal des Heiligen Stuhls hat Vatikansprecher Federico Lombardi wieder ein tägliches Briefing für die Journalisten aus aller Welt eingeführt. Mit Engelsgeduld beantwortet er die Fragen zum Gang der Ermittlungen und zum Zustand des einzigen und mittlerweile weltberühmten Untersuchungshäftlings hinter den vatikanischen Mauern. Viel können ihm selbst gewiefte amerikanische Reporter und altgediente italienische Vaticanisti nicht entlocken. Doch er nutzt das Forum, um täglich die abwegigsten Pressemeldungen des Vortags zu dementieren oder deren Unsinnigkeit darzulegen.

Die Vatikan-Spezialisten der italienischen Zeitungen, die sich im Ratzinger-Pontifikat oft mit spärlichen Informationen aus der Kurie begnügen mussten, erleben durch Vatileaks eine Renaissance.

Italiener gegen Deutsche?

Seitenweise spekulieren sie mit Lust an kühnen Verschwörungstheorien, und erklären, wer oder was hinter dem Geheimnisverrat aus den Papstgemächern stecken könnte. Wer will wen dumm dastehen lassen? Wer profitiert davon, und wer trägt am Ende bleibenden Schaden davon? Sind es Seilschaften des Ex-Staatssekretärs Angelo Sodano, die gegen den heutigen Amtsinhaber Tarcisio Bertone intrigieren? Geht es um einen Aufstand "der Italiener" gegen "die Deutschen" im Vatikan?

Als einer der prominentesten Journalisten, der Ratzinger-Fan und Ex-Linke Giuliano Ferrara, in einem Berlusconi nahestehenden Blatt schrieb, der Papst würde besser zurücktreten und für den Rest seines Lebens Bücher schreiben, setzte die nächste Umdrehung der Interpretationsspirale ein: Steht am Ende gar der Ex-Premierminister Silvio Berlusconi hinter der ganzen Sache - oder ist er zumindest einer der Krisengewinnler?

Buch ist vergriffen

Andere bemühen historische Vergleiche. Deutsche Vatikankenner erinnern an Papst Hadrian VI. (1522-1523), den vor Ratzingers Wahl letzten Papst aus deutschen Landen. Er ist schon damals mit seinem Versuch, die römische Kurie zu reformieren, kläglich gescheitert. Im nächsten Atemzug erinnern sie mit besorgter Stimme daran, dass wenig später die Kirchenspaltung in Europa einsetzte. Nur wenige Kommentatoren betonen derzeit die Chance, dass der Papst - ähnlich wie aus dem Missbrauchsskandal - letztlich doch gestärkt aus der Krise hervorgehen könnte.

Jenseits der sich überschlagenden Deutungsversuche mahlen die vatikanischen Mühlen erstaunlich gelassen. Nun schlägt die Stunde der Kriminologen und Juristen. Eine Woche nach seiner Festnahme hat der förmliche Prozess gegen den mutmasslichen Dokumente-Dieb aus der päpstlichen Wohnung noch immer nicht begonnen. Die vatikaninterne Untersuchungskommission soll angeblich vier oder fünf weitere Verdächtige befragen. Juristen erklären, der grosse Nutzniesser des Dokumentenschmuggels, der Journalist Gianluigi Nuzzi, könne nicht belangt werden, da er in Italien unter dem Schutz der Pressefreiheit gehandelt habe.

Sein Buch "Sua Santita" (Eure Heiligkeit), in dem hunderte Geheimdokumente aus dem Vatikan im Wortlaut enthalten sind, ist längst vergriffen, die Buchhändler hoffen täglich auf neue Auflagen.

Vergleichbar mit Eurokrise

Nach und nach werden nun die einzelnen brenzligen Fakten in neuen Zeitungsstorys aufbereitet. Manches ist banal, anderes erschreckend etwa der ruppige, bisweilen fast nötigende Umgangston unter Kardinälen. Ein Kommentator im "Corriere della Sera" vergleicht die vatikanischen Turbulenzen mit der Eurokrise: Ähnlich wie diese beruhe sie auf einer Vertrauenskrise, und wie diese lade sie zu immer weiteren Spekulationen gegen das betroffene Land ein, bis die Abwärtsspirale unaufhaltsam scheint. Nur dass die Währung, die dadurch an Wert verliere, kein Geld ist, sondern die Glaubwürdigkeit einer der moralisch anspruchsvollsten Institutionen der Welt.

(kipa/cic/am)

http://www.kipa-apic.ch/index.php?&pw=&na=0,0,0,0,d&ki=232223

Zuletzt geändert am 02­.06.2012