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Veröffentlicht am 24­.04.2013

24.4.2013 - Main-Post

Missbrauch: Bistum Würzburg in der Kritik / Die Perspektive der Opfer

Missbrauch in der katholischen Kirche: Drei Jahre nach dem Skandal kritisieren Betroffene die Diözese Würzburg für die fehlende Aufklärung des Falls Damian Mai. Sie fordern Transparenz statt weitere Vertuschung. Bislang schweigt das Ordinariat.

Für Bischof Friedhelm Hofmann sind die 2010 auch in seiner Diözese ans Licht gekommenen Missbrauchsfälle durch katholische Geistliche erfolgreich bewältigt worden. In dieser Zeitung lobte er jüngst die „transparente Aufarbeitung“ und „rückhaltlose Aufklärung“ der Vorwürfe. „Ich kenne keine Einrichtung in Deutschland, die Opfern sexuellen Missbrauchs in ähnlicher Weise entgegenkäme“, lobte der Bischof die finanzielle Entschädigung, die die katholische Kirche leistet. Auf der Frühjahrskonferenz der deutschen Bischöfe war die durch den Missbrauchsskandal ausgelöste Vertrauenskrise gar kein Thema mehr.

„Ich bin maßlos enttäuscht von der Kirche“, sagt dagegen einer, der mit seiner Aussage den Skandal vor gut drei Jahren öffentlich gemacht hatte. Mit vier Männern, die sich vor drei Jahren an Bistum und Justiz gewandt haben, hat diese Zeitung in den vergangenen Wochen gesprochen. Sie berichten, dass die Kirche ihnen in den vergangenen drei Jahren freiwillig keine Informationen über ihre Fälle gegeben hat. Eine finanzielle Entschädigung sei ihnen nicht angeboten worden. Weder Anteilnahme hätten sie erfahren noch Gerechtigkeit.

„Wie mit uns umgegangen wird, ist ein moralischer Offenbarungseid“, sagt ein Opfer. Anstelle von „Transparenz“ sprechen Geschädigte von „Vertuschung“, statt von „Aufklärung“ von „Totschweigen“. Ihre Namen sind der Redaktion bekannt, werden aber nicht genannt, da die Befragten in ihrem Umfeld nicht als Missbrauchsopfer wahrgenommen werden. „Ich kann darüber reden, aber ich möchte selbst bestimmen, mit wem“, erklärt zum Beispiel Jürgen K. seinen Wunsch nach Anonymität. K. hatte 2010 bei der Würzburger Staatsanwaltschaft ausgesagt, als Jugendlicher in den 80er Jahren in Würzburg vom damaligen Diözesankaplan Damian Mai misshandelt, gedemütigt und sexuell missbraucht worden zu sein. Ihm wie auch anderen ehemaligen Schützlingen des Paters geht es nicht um Rache.

„Ich will ihm nicht schaden oder so“, sagt Peter W. „An dem, was passiert ist, ändert sich ohnehin nichts. Da ist nichts wiedergutzumachen.“ Der heute 53-Jährige hatte 2010 bei Kirche und Staatsanwaltschaft zu Protokoll gegeben, was ihm Damian Mai in den 70er Jahren in einem Internat angetan habe und wie dies von der Kirche vertuscht worden sei. „Ich bereue das nicht“, sagt er heute zu seinem „Outing“, zu dem er sich damals lange durchringen musste. „Obwohl es natürlich nicht angenehm war, das Ganze wieder hochkommen zu lassen.“

Juristische Folgen hatten die Aussagen von W. und sieben weiteren Opfern nicht. Nach Informationen dieser Zeitung hielten die Ermittler den Beschuldigten zwar für pädophil und sein Verhalten für strafbar, doch da die Taten verjährt waren, wurden die Ermittlungen im August 2010 eingestellt, was der Pater als Freispruch wertete. Ordinariat und Ordensleitung erklärten dagegen den Pater moralisch für schuldig. Der Diözesankaplan wurde suspendiert und musste Würzburg verlassen. Er lebt außerhalb eines Klosters und darf die Messe lediglich in einem Altenheim feiern. Weitere seelsorgerliche Tätigkeiten sind ihm untersagt.

Gegenüber dieser Zeitung will sich der heute 79-Jährige nicht äußern. 2010 war er selbst mit seinem Namen in die Öffentlichkeit gegangen, um sich gegen die Vorwürfe zu verteidigen. Auch heute streitet er nach Informationen dieser Zeitung alles ab.

Weil die Kirche aber nicht ihm, sondern den Opfern glaubt, wurde vor drei Jahren ein kirchenrechtliches Verfahren gegen den Pater eröffnet, in dem jenseits staatlichen Straf- und Zivilrechts Schuld und Bestrafung des Paters verhandelt werden. Ihm drohen Disziplinarmaßnahmen bis zur Entlassung aus dem Klerikerstand. Warum ist das Verfahren nach drei Jahren immer noch nicht beendet?

„Da müssen Sie Rom fragen“, sagt der Pressesprecher der Diözese Würzburg, Bernhard Schweßinger, auf die Frage, weshalb das kirchenrechtliche Verfahren von der Glaubenskongregation im Vatikan zurück an die Diözese verwiesen wurde. Zunächst hieß es, dass die Ordensleitung der Franziskaner-Minoriten für die kircheninterne Bewertung des Falls zuständig ist. Dann hörte man, Rom habe ihn übernommen. Jetzt erklärt die Diözese, seit 2012 ist der Fall in Würzburg in den Händen eines vom Bischof bevollmächtigten Diözesanrichters und zwei Beisitzern. Wann ein Urteil erfolgt, sagt der Pressesprecher nicht, „da wir uns zu einem laufenden Verfahren nicht äußern dürfen“.

Auch der Missbrauchsbeauftragte der Diözese, Klaus Laubenthal, weiß nicht, warum sich die kirchenrechtliche Beurteilung so lange hinzieht. „Wenn es so weit ist, wird nach meiner Einschätzung eine nachhaltige Reaktion erfolgen.“ Eingebunden ist der Jurist in dieses oder ähnliche Verfahren nicht. Als Ansprechpartner der Opfer prüft er nur die erste Plausibilität ihrer Vorwürfe.

Die Nachfrage beim Provinzialminister der Franziskaner-Minoriten ergibt immerhin, dass sich das Verfahren in der „abschließenden Phase“ befindet. Zu gegebener Zeit werde man gemeinsam mit der Diözese eine Stellungnahme abgeben.

Aber auch andere Fragen bleiben offen: Wie viele kirchenrechtliche Verfahren wurden aufgrund ihrer Aussagen eingeleitet? Wie viele davon abgeschlossen? Wie vielen Kirchenmännern wurde Schuld nachgewiesen? Auf alle diese Fragen gibt die Pressestelle der Diözese Würzburg momentan keine Antwort – und befindet sich damit in guter Gesellschaft.

Auch die Deutsche Bischofskonferenz nennt nicht die Zahlen von Opfern, eingeleiteter kirchenrechtlicher Verfahren oder überführter Täter. „Wir können keine Auskunft über einzelne Bistümer geben, weshalb ich Sie bitte, sich an die 27 deutschen Bistümer zu wenden“, beantwortet Sprecher Matthias Kopp die Anfrage.

Im Vatikan hat das Politmagazin „Report Mainz“ vor einem Jahr nach dem Stand der eingeleiteten kirchenrechtlichen Verfahren gefragt. Eine Antwort bekam der Sender nach Auskunft der Redaktion bis heute nicht.

Die Opfer interpretieren das Schweigen auf ihre Weise. „Der Kirche ist immer noch nicht klar, dass die Missbrauchsfälle keine individuellen Fehltritte waren, sondern von ihrer Institution ermöglicht wurden“, meint Jürgen K.

Auch für Peter W. steht fest: „Täuschen und Vertuschen gehören ja doch leider zum Alltagsgeschäft der Kirche. Verschweigen und Manipulieren statt Aufarbeiten scheint die Devise zu sein.“ Der Würzburger Bischof setze wohl darauf, dass das öffentliche Interesse nachlasse und sich der Fall Damian irgendwann von selbst erledige.

Der ehemalige Schüler des Franziskaner-Paters, Karl M., hatte sich Ehrlichkeit erhofft. „Ich würde mir wünschen, dass so viel wie möglich offengelegt wird, damit ich es verstehen kann.“ Er möchte wissen: „Warum hat uns damals niemand geholfen? Warum haben alle weggeschaut? Warum hat man zugelassen, dass es immer wieder passiert?“

Die Aussagen der vier Männer ähneln sich in diesem Punkt. Ihre Wunden scheinen nicht heilen zu können, solange nicht das Ausmaß des Verbrechens erkannt ist, solange nicht auch dessen strukturelle Gründe offen ausgesprochen und untersucht werden.

„Das ist der Kirche zu wenig klar“, meint Christian Weisner von der Kirchenvolksbewegung „Wir sind die Kirche“. Aufklärung werde nicht als Pflicht gegenüber den Opfern gesehen, sondern aus Imagegründen betrieben. Christian Weisner glaubt: „Vielen Verantwortlichen der Amtskirche fehlt es an Einfühlungsvermögen in die Perspektive der Opfer.“

Folgen des Missbrauchskandals

56 plausible Missbrauchsvorwürfe gegen katholische Geistliche sind laut dem Missbrauchsbeauftragten der Diözese, Klaus Laubenthal, 2010 in Würzburg eingegangen. Daraus sind neun Strafverfahren entstanden, die die Staatsanwaltschaft wegen Verjährung der Taten eingestellt hat. Wie viele kirchenrechtliche Verfahren eingeleitet wurden, ist nicht bekannt. Teilweise wurden Täter in den Ruhestand versetzt, aus der Seelsorge entfernt und Bezüge gekürzt. Nach Auskunft Lauben-thals hat das Bistum bis Anfang 2013 37 000 Euro Entschädigung an neun Opfer gezahlt. Laut Recherche der Bewegung „Wir sind Kirche“ haben sich in Deutschland bislang circa 2500 Opfer sexueller Gewalt durch Geistliche gemeldet, rund 1200 Täter wurden genannt. Ende 2012 erklärte die Bischofskonferenz, dass 1200 Opfer Anträge auf Entschädigung gestellt hätten, Zahlen über Täter und kirchenrechtliche Verfahren fehlen. Laut einer Umfrage von „Report Mainz“ wurde Ende 2011 in 20 Bistümern gegen 51 Geistliche kirchenrechtlich ermittelt, bei 28 lief das Verfahren noch, 18 Priester waren suspendiert, zwei aus dem Klerikerstand entlassen worden.

TEXT: MANU

> http://www.mainpost.de/regional/franken/Die-Perspektive-der-Opfer;art1727,7432255

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Zuletzt geändert am 07­.06.2013