10.9.2015 - Christ & Welt (37/2015)
Aufstand gegen Franziskus: Jetzt reicht's
Das Maß ist voll. In drei Wochen kommen die katholischen Bischöfe aus aller Welt im Vatikan zusammen, um bei der Synode über den künftigen Kurs ihrer Kirche zu diskutieren. Die Geistlichen werden in Rom auf einen Apparat treffen, der dem Papst endgültig den Kampf angesagt hat. In der Kurie wird Gift und Galle gegen Franziskus gespuckt. In den Heiligen Hallen zirkuliert ein Dossier, das Christ&Welt in der ZEIT vorliegt in der die vermeintlichen Sünden des Papstes systematisch aufgelistet werden. „Franziskus hat seine Maske fallen lassen“, sagt ein hoher Geistlicher. Mancher Prälat verspürt gar physische Aggressionen gegen den Pontifex und teilt das unter dem Schutz der Anonymität auch mit.
Der Auslöser für das, was man getrost als Vorbereitung eines organisierten Widerstandes gegen Franziskus bezeichnen kann, ist der jüngste Gesetzeserlass des 78 Jahre alten Argentiniers. Mit seinem am vergangenen Dienstag veröffentlichten Motu Proprio (aus eigenem Antrieb), das den lateinischen Titel Mitis Iudex Dominus trägt, hat er die Kirche vor vollendete Tatsachen gestellt. Mitis Iudex Dominus, das soll der milde Richter Jesus sein. Aber von der Milde, die Franziskus den Gläubigen entgegen bringen will, die im Konflikt mit den kirchlichen Normen stehen, kann in der Kurie keine Rede mehr sein. Viele Monsignori, die nominell an den Schaltstellen der Weltkirche sitzen, sind außer sich.
Sichtbar ist das in einem schneidend formulierten Dossier, das dieser Tage in den wichtigsten Büros im Vatikan, darunter auch in der Glaubenskongregation und im Staatssekretariat Verbreitung findet. Darin wird das Gesetz zur Erleichterung der Ehenichtigkeits-Prozesse juristisch in seine Einzelteile zerpflückt. Die Hauptvorwürfe lauten, der Papst habe die bei einer für die Kirche derart essentiellen Materie zuständigen Gremien umgangen und de facto die „katholische Scheidung“ eingeführt. Von einer „bedenklichen Entwicklung“ ist in dem mehrseitigen Schreiben die Rede, das geregelte Verfahren der Gesetzgebung in der Universalkirche sei „ausgehebelt“ worden. Die meisten Sicherungen im Eheprozess seien wissentlich „ausgeschaltet“ worden.
Die Bedeutung der Ehe, insbesondere der Umgang mit geschiedenen Eheleuten, die erneut zivil heiraten, ist das Epizentrum der Debatte um den künftigen Kurs der Kirche. Die Unauflöslichkeit der katholischen Ehe ist das Dogma, an das sich konservative Geistliche festklammern. Eine durch den Papst ermöglichte „Scheidung auf Katholisch“ bedeutet den Super-Gau für die Wahrer der Doktrin wie den deutschen Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller. Auch auf seinem Tisch liegt die inoffizielle Anklageschrift gegen Franziskus. Müller und seine in der Kurie weit verbreiteten Gesinnungsgenossen fürchten, dass das ganze Gebäude in sich zusammenbricht, wenn man eines der Fundamente beseitigt. Es geht aus ihrer Sicht um nichts weniger als das Fortbestehen der wahren katholischen Kirche.
Insbesondere die Einführung eines Eilverfahrens unter Aufsicht des Bischofs zur Feststellung der Ehenichtigkeit macht den Kritikern des Papstes zu schaffen. Viele in der Theologie umstrittene Probleme werden im Motu Proprio ignoriert. So finden sich im Gesetz mehrere äußerst schwammige Begründungen, die zur Einleitung eines Eilverfahrens ausreichen, etwa „mangelnder Glaube“ oder auch mit dem Hinweis „etc.“ nicht näher bestimmte Motive. Sollte es nun wie von den Papst-Gegnern befürchtet zu einer Schwemme von Nichtigkeitserklärungen kommen, wäre das Problem der Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten praktisch beseitigt. Sie können fortan problemlos aus ihrer katholischen, eigentlich für die Ewigkeit geschlossenen Ehe, aussteigen. Per päpstlichem Dekret.
Die am 4. Oktober beginnende Synode droht nach dem Motu Proprio zu einem um sich selbst kreisenden Debattierclub zu verkommen. Der Papst, so der Tenor, entscheidet sowieso nach eigenem Gutdünken. Er habe das reguläre Gesetzgebungsverfahren nicht eingehalten, heißt es in dem siebenseitigen Dokument. Die Bischofskonferenzen sowie sämtliche Kurienbehörden inklusive der Hausjuristen des Vatikans wurden umgangen. Eine vom Papst zusammen gesetzte Kommission, die zum Schweigen verpflichtet worden war, schrieb in in aller Stille einen Gesetzesentwurf. Obwohl es bei der vorhergehenden Synode im vergangenen Herbst laute Proteste gegen die Idee gab, ein Blitzverfahren zur Festellung der Nichtigkeit einer Ehe unter Aufsicht des Bischofs einzuführen, ist es jetzt Gesetz. Noch bevor die Synode sich erneut mit dem Thema hätten beschäftigen können.
Will der Papst einen längst auf dem Reißbrett vorgezeichneten Weg mit aller Macht durchsetzen? Die Zweifel sind in den wichtigsten Zimmern der Kurie längst zur Gewissheit geworden.
Julius Müller-Meiningen
mit freundlicher Genehmigung von "Christ&Welt"
www.christundwelt.de
Zuletzt geändert am 11.09.2015