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Veröffentlicht am 30­.05.2008

Wir sind Kirche Erzbistum Paderborn

Offener Brief an Erzbischof Becker zum Thema Exorzismus im Bistum Paderborn

Presseinformation 30.5.2008

Nach Recherchen des WDR und des Bayrischer Rundfunk zur Praxis des Exorzismus in den deutschen Bistümern berichtete die Tageszeitung "Neue Westfälische" in Bielefeld am Dienstag, dem 20. Mai 2008, auf der Titelseite über drei Fälle von kirchlich begleitetem Exorzismus im Erzbistum Paderborn. Wir als - ökumenisch orientierte - katholische innerkirchliche Reformgruppe Wir sind Kirche im Erzbistum Paderborn möchten in Form eines "offenen Briefes an Herrn Erzbischof Becker" dagegen protestieren, dass Exorzismus überhaupt noch praktiziert wird.

Diese Aktion wird unterstützt von allen Chefärzten der Bielefelder Kliniken für Neurologie, Psychotherapie / Psychosomatik und Psychiatrie in Bethel und im Johannisstift mit einer "Ärztlichen Stellungnahme zum offenen Brief der Bistumsgruppe Paderborn Wir sind Kirche an den Erzbischof von Paderborn". Auch diese bitten wir abzudrucken oder über diese Initiative zu berichten. Die "Ärztliche Stellungnahme" ist ebenfalls als Anlage angefügt.

Dr. Manfred Dümmer
Sprecher der Bistumsgruppe Paderborn von Wir sind Kirche

05 21 / 32 53 85 pr.
05 21 / 51-65 76 d.
01 70 / 94 02 16 3
manfred.duemmer@onlinehome.de




Offener Brief an Herrn Erzbischof Becker

Bielefeld, den 29. Mai 2008

Sehr geehrter Herr Erzbischof Becker,

in der Tageszeitung „Neue Westfälische“ wurde am 20. Mai 2008 über drei Fälle von kirchlich begleitetem Exorzismus berichtet.

Wir als – ökumenisch orientierte - katholische innerkirchliche Reformgruppe „Wir sind Kirche“ (WsK) im Bistum Paderborn begrüßen es, dass der Pressesprecher des Bistums Paderborn, Herr Ä. Engel, sich überhaupt zum Thema „Exorzismus“ im Erzbistum Paderborn geäußert hat. Die anderen 26 Bistümer in Deutschland scheinen gegenüber den Medien weiterhin zu schweigen.

Für WsK ist es aber nicht akzeptabel, dass Exorzismus überhaupt noch praktiziert wird. Die kath. Kirche spricht lt. „Katholischer Erwachsenen-Katechismus“ (1985) von Exorzismus „wenn die Kirche...im Namen Jesu Christi um den Schutz vor den Anfechtungen des bösen Feindes ...bittet“. Es ist an der Zeit, dass Begriffe wie „der/das Böse und „Teufel“ menschen- und zeitgerecht definiert werden. Ein alter oder neuer Ritus von 1999 für Exorzismus sind dafür absolut nicht erforderlich. Die Geheimniskrämerei zum Thema „Exorzismus“ und „Ritus“ verstärkt bei Christinnen und Christen sowie der Öffentlichkeit noch das Unverständnis für diese Handlung. Die Ortsbischöfe sollten sich endlich dazu bekennen, „dass mit wissenschaftlich fundierten therapeutischen Methoden, wie z.B. neurologisch, psychotherapeutisch, psychiatrisch-pharmakologisch, psychosomatisch, sozialtherapeutisch und sozial-rehabilitativ die beste menschliche (medizinische) Hilfe versucht wird. Andererseits muss die Glaubens- und Gebetsdimension ganz ernst genommen werden“ (weitgehend zitiert nach Niemann, 2006). Nicht vergessen werden sollte, welche entsetzliche Leiden den betroffenen Menschen zugefügt werden. Exorzismuspraktiken verstoßen gegen elementare Menschenrechte. Daher verbietet sich Exorzismus von selbst, wenn Menschen in seelischer Not selbst solche Praktiken wünschen.

Die kath. Kirche (und auch z.T. evang. Freikirchen) sollte/n endgültig einen Schlussstrich unter Vorstellungen und Riten ziehen, die letztlich im Mittelalter verhaftet sind. Klerus und Gläubige sollten gemäß dem Motto des gerade zu Ende gegangenen Katholikentages denken und handeln „Du führst uns hinaus ins Weite“.

Wir möchten Sie bitten, im o.g. Sinne die Öffentlichkeit zu informieren und sich bei der Deutschen Bischofskonferenz für einen offenen Umgang gegenüber den Medien sowie für eine vollständige und unwiderrufliche Abschaffung des Exorzismus mit seinen Riten einzusetzen, um zumindest in diesem Punkt verlorene Glaubwürdigkeit wiederzuerlangen.

Wir halten es für dringend erforderlich, dass sich alle Laienorganisationen im Erzbistum Paderborn und bundesweit nachdrücklich gegen die Praktizierung des Exorzismus aussprechen. Offizielle eindeutige Äußerungen z.B. des Diözesankomitees im Erzbistum Paderborn und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken bleiben – nach unserem Kenntnisstand - aber bisher Fehlanzeige.

Bitte antworten Sie uns auf dieses Schreiben.

Mit geschwisterlichen Grüßen

Dr. Manfred Dümmer im Namen der Bistumsgruppe Paderborn Wir sind Kirche




Exorzismus: Ärztliche Stellungnahme zum Offen Brief der Bistumsgruppe WsK an den Erzbischof von Paderborn

Ärztliche Stellungnahme aller Chefärzte der Bielefelder Kliniken für Neurologie, Psychotherapie / Psychosomatik und Psychiatrie in Bethel und im Johannisstift zum offenen Brief der Bistumsgruppe Paderborn Wir sind Kirche an den Erzbischof von Paderborn

Aus ärztlicher Sicht unterstützen wir mit Nachdruck das Protestschreiben gegen jegliche Ausübung des sog. Exorzismus, das jetzt von der katholischen innerkirchlichen Reformgruppe „Wir sind Kirche“ im Erzbistum Paderborn veröffentlicht wird. Vor allem im Interesse von Patientinnen und Patienten halten wir es für erforderlich, vor dem grundfalschen Konzept einer „Besessenheit“ bei behandlungsbedürftigen psychischen und/oder hirnorganischen Erkrankungen dringend zu warnen. In gemeinsamer Aktion mit katholischen und evangelischen Christen möchten wir Herrn Erzbischof Becker
an den Vertrauensverlust gegenüber der Kirche erinnern, den seinerzeit der Würzburger Exorzismus-Skandal von 1976 in der Öffentlichkeit verursachte. Wir begrüßen es, dass der Protest der WsK gegen eine Verharmlosung oder gar erneute kirchliche Zulassung von exorzistischen „Behandlungen“ aus der katholischen Kirche selbst kommt, und fordern gleichzeitig unsere ärztlichen Kolleginnen und Kollegen und die Allgemeinheit auf, diese katholische (und ökumenische) Reformbewegung in unserem gemeinsamen Anliegen öffentlich zu unterstützen. Inhaltlich stimmen wir mit dem Offenen Brief der WsK voll überein.

Bielefeld, 28.05.2008

Prof. Dr. Dierk Dommasch, Prof. Dr. Peter Clarenbach
Kliniken für Neurologie in Bethel und im Johannesstift

Priv.-Doz. Dr. Ursula Gast
Klinik für psychotherapeutische und psychosomatische Medizin im Johannesstift

Prof. Dr. Martin Driessen
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Bethel

Ansprechpartner für die "Ärztliche Stellungnahme"
Herr Prof. Dr. Dierk Dommasch
Tel. 01 74 / 16 04 00 1
dierk.dommasch@evkb.de

Zuletzt geändert am 02­.06.2008