Wir sind Kirche-München
Offener Brief an Kardinal Wetter
Sehr geehrter Herr Kardinal,
am 1. Juli 2006 werden sechs Männer – fünf unverheiratete und ein verheirateter, der früher evangelischer Pfarrer war – in München im Liebfrauen-Dom zu Priestern geweiht. Den zukünftigen Priestern wünschen wir Gottes Segen für ihre schwierige Arbeit und vor allem Zeit, seelsorgerisch tätig zu werden.
Dass in diesem Jahr, das von Ihnen als Jahr der Berufungen deklariert worden ist, nur sechs Männer im großen Erzbistum München und Freising die Priesterweihe empfangen, macht das Problem des Priesternachwuchses mehr als deutlich. Längst schon haben viele Gemeinden keinen eigenen Priester mehr und die pastoralen Umstrukturierungen verdecken den Priestermangel nur vorübergehend.
Dies macht die Notwendigkeit der Änderung der Zugangsbedingungen und der Schaffung neuer Zugangswege zum Priestertum mehr als deutlich. Auch in unserem Bistum ist die Einsicht in die Notwendigkeit von Reformen in der katholischen Kirche bei einer Vielzahl von Laien und Klerikern gewachsen, wie Untersuchungen zeigen und wie wir in vielen Gesprächen in unserem Erzbistum immer wieder erfahren.
Viele Katholikinnen und Katholiken sind tief enttäuscht darüber, dass die vom Zweiten Vatikanischen Konzil und der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland angestoßenen und seitdem theologisch und pastoral weiter entwickelten Reformschritte von der Kirchenleitung nicht getan oder dort, wo sie gegangen werden, durch Verbote und Strafen sanktioniert werden.
Auch wenn Jesus ein Mann war: die theologisch entscheidende Botschaft ist die „Mensch“werdung Gottes. Es gibt keine exegetischen Gründe, die aufzeigen, dass Jesus nur unverheiratete Männer als Priester gewollt hätte. Auch der Verweis auf die Tradition ist nicht überzeugend, ist doch – was uns freut – in diesem Jahr ein verheirateter Mann unter den Weihekandidaten und gibt es in der römisch-katholischen Kirche eine mehr als tausendjährige Tradition ohne den Pflichtzölibat.
In den frühen Christengemeinden gab es noch keine geweihten Priester. Paulus schreibt in seinem Brief an die Römer „Ich empfehle euch meine Schwester Phöbe, die Diakonin der Gemeinde von Kenchreä". Er grüßt Priska und Aquila, seine „Mitarbeiter in Christus Jesus“. Ferner lässt er Andronikus und Junia grüßen, sie sind angesehene Apostel. Auch in der heutigen Zeit könnte man Frauen und verheirateten Männern entsprechende Aufgaben in der Kirche übertragen.
Die römisch-katholische Kirche steht in Deutschland, in Europa und weltweit vor dramatischen Veränderungen und Herausforderungen, die nur von Kirchenvolk und Bischöfen gemeinsam bewältigt werden können. Deshalb appellieren wir an Sie:
- Verstehen Sie den Priestermangel als Chance für ein neues Bewusstsein der Mitverantwortung aller Getauften.
- Bestärken Sie die so genannten Laien in ihrem Engagement für die Weitergabe des Glaubens.
- Lassen Sie die Gemeinden als „Kirche vor Ort“ nicht in unpersönlichen Strukturen untergehen, sondern sichern Sie ihren Erhalt durch die Beauftragung von Laien zur verantwortlichen Leitung und Gestaltung der Gemeinden.
- Setzen Sie sich dafür ein, dass der Zugang zum Priesteramt für verheiratete Männer und auch für Frauen geöffnet wird, damit die Visionen vieler für ein erneuertes Priesteramt Wirklichkeit werden.
- Erkennen Sie das Engagement gerade auch kritischer Katholikinnen und Katholiken als klares Zeichen ihrer Liebe zur Kirche und als Alternative zu tatsächlicher oder innerer Emigration.
Seien Sie zum ernsthaften Dialog bereit! Gerade in der jetzigen Umbruchszeit ist eine intensive Mitwirkung des gesamten Kirchenvolkes bei allen strukturellen Entscheidungen theologisch und pastoral dringend geboten.
Mit geschwisterlichen Grüßen
Bernadette Raschke
bernadette_raschke(at)web.de
Tel. 089-67 07 164
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Zuletzt geändert am 29.06.2006