Enzyklika "Deus Caritas Est"
Gilt Gottes Liebe auch in der Kirche?
Zur ersten Enzyklika „Deus Caritas est“ von Papst Benedikt XVI. über die christliche Liebe
Die KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche begrüßt, dass der Papst in seiner ersten Enzyklika „Deus Caritas est“ den untrennbaren Zusammenhang von Gottesliebe und Nächstenliebe betont sowie deren unverzichtbare Bedeutung für den kirchlichen Auftrag.
Wenn dies ein Zeichen sein soll, dass Benedikt XVI. in seinem Pontifikat das menschliche Gesicht des Christentums und der römisch-katholischen Kirche hervor heben will, und wenn aus dem Glaubenswächter Joseph Ratzinger jetzt ein Hirte würde, der statt Ge- und Verboten mehr die Liebe und das Vergeben in den Mittelpunkt rückt, so wären dies hoffnungsvolle Zeichen.
Mit dem vielfältigen Begriff der Liebe hat sich der Papst allerdings auf ein schwieriges Terrain gewagt. Die neue Enzyklika macht die Jahrhunderte lange Leibfeindlichkeit des Christentums nicht ungeschehen. Wenn es mit dieser Enzyklika aber gelingen würde, den Weg zu einer positiveren Einstellung zur menschlichen Sexualität zu öffnen, so wäre dies ein zukunftsweisender Schritt für die römisch-katholische Kirche.
Anzuerkennen ist, dass Benedikt erklärt: Die tätige Nächstenliebe der christlichen Hilfswerke ist für die Kirche genauso wichtig wie Gottesliebe und Gottesdienst. – Zu fragen ist allerdings, ob die Worte des Papstes konkret genug sind, um nachhaltige Auswirkungen auf die Gesellschaft und auch innerhalb der Kirche zu haben. Werden sich Politik und Wirtschaft von Benedikts Worten beeindrucken lassen? Es wäre zu wünschen, dass diese Enzyklika von den reichen Staaten als Appell verstanden würde, für eine gerechte Verteilung der Güter zu sorgen.
Die Enzyklika ist eine religionsphilosophische Darlegung zu den Begriffen „Eros“, „Agape“ und „Caritas“ auf hohem Niveau. – Zu fragen ist jedoch: Welche Relevanz wird dieses päpstliche „Rundschreiben“ (so die griechische Ursprungsbedeutung des Wortes Enzyklika) für die Weltkirche, für die Ortskirchen und für das Leben in den Gemeinden haben? Kann diese Enzyklika den Menschen innerhalb wie außerhalb der katholischen Kirche konkrete Hoffnungen vermitteln angesichts der weltweiten Not? Wird mit dieser Enzyklika das eurozentrierte und in der griechischen Philosophie fußende Denken überwunden?
Die Frage ist auch, wieweit angesichts des fortschreitenden Säkularismus die Kirche den berechtigten Anliegen und Fragen der „bekümmerten Atheisten“ (Karl Rahner 1904-1984) entgegen kommt. Schon als junger Theologe hat Ratzinger das positive Moment des Atheismus darin gesehen, dass er die Religionen dazu drängt, sich einer „falschen Vermenschlichung Gottes“ bewusst zu werden.
Wir sind Kirche hält es für notwendig, dass im Anschluss an die Enzyklika eine institutionalisierte, breit gefächerte Diskussion über konkrete Schritte eingeleitet wird, wie das Anliegen des Papstes in die gesellschaftliche und kirchliche Wirklichkeit umzusetzen ist. Dabei müssten auch manche Strukturen und Haltungen, deren Änderungen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) von vielen und nicht zuletzt von der KirchenVolksBewegung angemahnt werden, im Sinne der Enzyklika auf ihren „Liebesdienst“ ehrlich überprüft und endlich mutig korrigiert werden. Denn die katholische Kirche kann das Subsidiaritätsprinzip für die Gesellschaft nicht glaubwürdig einfordern, solange die römische Kurie selber Zentralismus ohne Gewaltenteilung praktiziert und nicht bereit ist, die „Laien“ als gleichberechtigte Partner anzuerkennen.
von Prof. Dr. Norbert Scholl
In bewegenden Worten beschreibt Papst Benedikt XVI. die Liebe Gottes als „Mitte des christlichen Glaubens“ (1). Dazu holt er weit aus. Er bemüht sich zuerst, die Bedeutungsvielfalt des Wortes „Liebe“ zu durchleuchten, für den es im Griechischen drei Wörter gibt: Eros, Philia, Agape. „Im Letzten ist ‚Liebe’ eine einzige Wirklichkeit, aber sie hat verschiedene Dimensionen – es kann jeweils die eine oder andere Seite stärker hervortreten“ (8). Benedikt wehrt sich gegen den Vorwurf, das Christentum habe den Eros zerstört (4) und spannt den Bogen von jenen Philosophen, die erkannten, dass „Liebe irgendwie mit dem Göttlichen zu tun hat“ (5), über das Alte Testament, in dem Gott erfahren wird als „erwählende Liebe“ (9), bis zu Jesus Christus, der „Fleisch gewordenen Liebe Gottes“ (12). Der Papst fragt dann: „Können wir Gott überhaupt lieben, den wir doch gar nicht sehen? Kann man Liebe gebieten?“ Seine Antwort: „Die Nächstenliebe ist ein Weg, Gott zu begegnen“ (16). „Wen die Berührung mit Gott in meinem Leben ganz fehlt, dann kann ich im anderen immer nur den anderen sehen und kann das göttliche Bild in ihm nicht erkennen. Wenn ich aber die Zuwendung zum Nächsten aus meinem Leben ganz weglasse und nur ‚fromm’ sein möchte, nur meine ‚religiösen Pflichten’ tun, dann verdorrt auch die Gottesbeziehung. Dann ist sie nur noch ‚korrekt’, aber ohne Liebe. Nur meine Bereitschaft, auf den Nächsten zuzugehen, ihm Liebe zu erweisen, macht mich auch fühlsam Gott gegenüber“ (18).
In einem 2. Teil entfaltet der Papst Gedanken zum „Liebestun der Kirche als einer Gemeinschaft der Liebe“. Verkündigung von Gottes Wort, Feier der Sakramente und Dienst der Liebe lassen sich nicht voneinander trennen (25a). Er zitiert den römischen Kaiser Julian Apostata (+363), der gesagt hat, das einzige, was ihn am Christentum beeindrucke, sei die Liebestätigkeit der Kirche (24). Darum sieht Benedikt eine wesentliche Aufgabe der Kirche darin, an einer gerechten Ordnung der Gesellschaft und des Staates mitzuwirken, um damit „jedem seinen Anteil an den Gütern der Gemeinschaft zu gewährleisten“ (26). Er fordert von der Kirche, dass sie der „Gewissensbildung in der Politik“ dient und dass sie hilft, die „Hellsichtigkeit für die wahren Ansprüche der Gerechtigkeit“ wachsen zu lassen und die Bereitschaft fördert, „von ihnen her zu handeln, selbst wenn das den verbreiteten Interessenlagen widerspricht“ (28a). Denn „es gibt keine gerechte Staatsordnung, die den Dienst der Liebe überflüssig machen könnte“ (28b). Die Kirche habe die Aufgabe, „zur Reinigung der Vernunft und zur Weckung der sittlichen Kräfte beizutragen“ (29). Der Papst dankt allen, die sich in den vielfältigen Dienstleistungen der Kirche engagieren (30b). Er betont, dass die „karitative Kraft des Christentums weit über die Grenzen des christlichen Glaubens hinaus“ reicht (31). Die Bischöfe werden an die „Pflicht zu karitativem Tun als Auftrag der Kirche“ erinnert (32). Auch wird eine Abstimmung „mit anderen Organisationen im Dienst an den verschiedenen Formen der Bedürftigkeit“ verlangt (34).
Zum Abschluss ruft der Papst die großen Gestalten christlicher Nächstenliebe ins Gedächtnis – Martin von Tours, Franz von Assisi, Vinzenz von Paul, Theresa von Kalkutta. Mit einem Gebet zu Maria endet die Enzyklika.
> Herdenbrief "Ubi caritas et amor, ibi Deus est" zur Enzyklika
von Prof. Dr. Norbert Scholl und J. Georg Kohl (Wir sind Kirche im Bistum Limburg)
> Wir sind Kirche-Presse-Echo
> Enzyklika im Wortlaut
Zuletzt geändert am 21.01.2008