Sexualisierte Gewalt
Offener Brief an Bischof Dr. Ackermann und an alle deutschen Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe
München, 30. März 2012
Sehr geehrter Herr Bischof Dr. Ackermann,
sehr geehrte Herren Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe,
die KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche wendet sich wegen der Vorkommnisse im Bistum Trier in einem Offenen Brief an Sie. Wie den Medien zu entnehmen ist und vom Bistum Trier bestätigt wurde, sind derzeit sieben ehemalige Täter sexualisierter Gewalt im Bistum Trier im priesterlichen Dienst und in der Seelsorge eingesetzt. Dies halten wir für kein vorbildhaftes Zeichen für eine Umkehr und einen wirklichen Neuanfang im Umgang mit sexualisierter Gewalt in der Kirche.
Die Erklärung des Bistums, dass Sie, Herr Bischof Dr. Ackermann – der Sie seit Februar 2010 auch „Missbrauchsbeauftragter“ der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) sind – nicht gegen die geltenden Leitlinien der DBK verstoßen hätten, mag formal richtig sein, überzeugend ist sie keinesfalls. Um die Glaubwürdigkeit der Kirchenleitung in Deutschland wiederherzustellen, bedarf es mehr als nur Lippenbekenntnisse.
Wir erneuern deshalb die seit Langem vorgetragene Forderung, ehemalige Täter nicht nur aus der Kinder- und Jugendseelsorge, sondern aus jeglicher sakramentaler und seelsorglicher Tätigkeit abzuziehen, auch aus Krankenhäusern, Alteneinrichtungen und Justizvollzugsanstalten usw. Denn wenn dort jemand in einer Lebensbeichte auf das Thema sexualisierte Gewalt zu sprechen kommt, sind diese Priester, die ihre priesterliche Vertrauensstellung missbraucht haben, die denkbar ungeeignetesten Ansprechpartner.
Der aktuelle Fall wirft erneut die dringende Frage auf, ob die im August 2010 von der DBK überarbeiteten Leitlinien der von Papst Benedikt XVI. geforderten und anderswo auch praktizierten Null-Toleranz-Politik gegenüber straffällig gewordenen Priestern entsprechen. Den deutschen Leitlinien nach sollen straffällig gewordene Personen nicht mehr in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen eingesetzt werden (Punkt 42), dürfen aber ansonsten unter gewissen Voraussetzungen (Punkt 43 bis 47) weiterhin als Priester in der Seelsorge arbeiten. Wie die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, haben sich angesichts der Täterprofile auch „Auflagen“ und Kontrollen der Dienstvorgesetzten oft nicht als wirksam erwiesen, sondern Kinder und Jugendliche großen Gefährdungen ausgesetzt.
Sie, Herr Bischof Dr. Ackermann, der Sie im Januar 2012 bereits eine gravierende Fehlhandlung eingestehen mussten, und alle anderen Bischöfe müssen sich fragen lassen, wie glaubwürdig Sie sich für die von sexualisierter Gewalt Betroffenen einsetzen können, da Sie gleichzeitig Dienstvorgesetzte der klerikalen Täter sind. Auf diesen unvermeidbaren Interessenkonflikt hat die KirchenVolksBewegung von Anfang an hingewiesen und fordert weiterhin unabhängige Ombudsstellen.
Auch sonst sehen wir betrübliche Zeichen, dass die im Jahr 2010 auf dem Höhepunkt der Aufdeckung jahrzehntelanger Vertuschung sexualisierter Gewalt eingeleiteten Maßnahmen von Ihnen schon wieder zurückgefahren werden:
- Zum 1. April 2012 soll die von der DBK im Jahr 2010 eingerichtete bundesweite Telefon-Hotline „Hilfe für Opfer sexuellen Missbrauchs“ wieder eingestellt werden. Zwar gibt es jetzt Beauftragte in den einzelnen Diözesen und bei den Ordensgemeinschaften, doch es ist nicht hinnehmbar, dass in einzelnen Diözesen immer noch Domkapitulare und andere Mitglieder der Bistumsleitung als Ansprechpersonen für Betroffene angegeben werden.
Am 2. April wurde bekanntgegeben, dass die Telefonhotline der katholischen Kirche für Missbrauchsopfer und deren Angehörige bis Jahresende 2012 erreichbar bleiben soll. - Das komplizierte und die Betroffenen belastende Antragsverfahren hat vermutlich dazu geführt, dass bisher nur ein Bruchteil der Betroffenen einen Antrag auf finanzielle Entschädigungen gestellt hat. Wenn dann noch – wie im Bistum Regensburg geschehen – gleichlautende Ablehnungsschreiben versandt werden, lässt dies große Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Gewissenhaftigkeit der bischöflichen Stellen aufkommen, das Leid der Betroffenen anzuerkennen und so weit wie möglich zu lindern.
- Die Freisinger Bischofskonferenz hat kürzlich beschlossen, die vor einem Jahr eingerichtete Fachstelle Prävention sexueller Gewalt wieder zu streichen, die bei der Landesstelle für katholische Jugendarbeit in München angesiedelt war.
- Sie verwenden nach wie vor den verharmlosenden Begriff „sexueller Missbrauch“, der in der Fachwelt seit Langem obsolet ist, denn dann müsste es ja auch einen „sexuellen Gebrauch“ geben. Richtigerweise muss von „sexueller Kindesmisshandlung durch Kleriker“ gesprochen werden.
Mit freundlichem Gruß
Sigrid Grabmeier | Christian Weisner | Annegret Laakmann |
Bundesteam | Bundesteam | Referentin |
ZUM WEITERLESEN:
„Macht, Sexualität und die katholische Kirche. Eine notwendige Konfrontation“ des australischen Weihbischofs Geoffrey Robinson; Oberursel 2010
Michael Albus / Ludwig Brüggemann: Hände weg! Sexuelle Gewalt in der Kirche, Kevelaer 2011
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Zuletzt geändert am 05.04.2012