Wittenberger Appell
Die Welt brennt – die Kirchen verzetteln sich im Klein-Klein
Wittenberger Appell der Versammlung christlicher Reformgruppen vom 21. bis 23. Oktober 2016 in Lutherstadt Wittenberg > als PDF auf einer Seite
Reformationsjubiläum
Jubiläen bringen es mit sich, auf die Anfänge zurückzublicken und darauf, wie prächtig sich doch alles entwickelt hat. Sind 500 Jahre Reformation in diesem Sinne ein Jubiläum wert? Kirchenspaltungen und Religionskriege, gegenseitige Vorwürfe, Schuldzuweisungen und Ausgrenzungen bis in die letzten Jahrzehnte, ja bis heute, sind kein Ruhmesblatt für die Kirchen. Nach langem, redlichem Bemühen in der ökumenischen Bewegung scheinen die Gräben zwischen den Konfessionen eher wieder tiefer zu werden. Dem muss Einhalt geboten werden.
Reformationsgedenken
„Gedenken“ geht über das im Jubiläum Erinnerte und Gefeierte hinaus. Das Gedenken ist eine „gefährliche Erinnerung“; denn wir werden uns bewusst, wie weit wir uns von den Ursprüngen und Anfängen entfernt haben: „…dass alle eins seien“. Zu dieser „gefährlichen Erinnerung“ gehört auch, dass wir als Christ_innen ein Menschsein in Würde für alle ermöglichen und in seiner ganzen Fülle wahrnehmen und entwickeln. Diese „gefährliche Erinnerung“ haben wir beim Ratschlag „Mach’s wie Gott – werde Mensch“ in Lutherstadt Wittenberg zur Sprache gebracht.
„Mach’s wie Gott – werde Mensch“
Unsere gemeinsame christliche Überzeugung ist radikale Nachfolge Jesu, der der „Diener aller“ ist. Mensch-Sein bedeutet für uns, unterwegs zu sein auf der Suche nach der Verwirklichung dieser Überzeugung. Wenn wir uns auf die befreiende Botschaft des Mannes aus Nazaret heute auf neue Weise einlassen, sind das Schritte zu einer Befreiung von ungerechtem Wirtschaften, von Ausbeutung und Übervorteilung, von Ressourcenverschwendung und Vernichtung von Lebensgrundlagen, von Diskriminierung, Rücksichtslosigkeit, Gewissenlosigkeit und Menschenverachtung. Aber wie können wir zur Versöhnung der Menschen weltweit aufrufen, wenn es uns nicht einmal gelingt, Versöhnung unter den Christ_innen zu erreichen?
Versöhnte Verschiedenheit als Etappenziel
Die „versöhnte Verschiedenheit“ ist ein wichtiges Etappenziel hin zu einer geschwisterlichen Kirche. In ihr nehmen verschiedene Bekenntnisse mit unterschiedlichen Auffassungen und Traditionen gemeinsam in gegenseitigem Respekt ihre Verantwortung in der und für die Welt wahr. Im Handeln über die Konfessionsgrenzen hinweg wird die Botschaft Jesu wieder in den Mittelpunkt gestellt. Ein gemeinsames christliches Zeugnis ist die gemeinsame Mahlfeier, die diese Verantwortung zum Ausdruck bringt, ein Zeichen des Versöhnungswillens. Den Skandal, dass uns dieses Zeichen letztlich immer noch vorenthalten wird, sind wir als mündige Christ_innen nicht länger bereit hinzunehmen.
Ökumene heute
Wir setzen uns dafür ein, dass interkonfessionelle Ökumene sich nicht mehr auf kleinliche Lehrstreitigkeiten einlässt, die längst nicht mehr die Fragen der Menschen heute berühren. Die Welt brennt, und wir sind aufgerufen, endlich die „Zeichen der Zeit“ zu erkennen. In einer erbarmungslosen Welt der Eigensucht haben wir Christ_innen Gottes Barmherzigkeit zu bezeugen. Die Gier nach Geld, die Freihandelszonen ohne die Berücksichtigung eines fairen Handels für alle, die Flüchtlingsfrage und die wirtschaftliche Kluft zwischen der Nord- und der Südhalbkugel, die Gefährdung der Freiheit und des Friedens weltweit: das sind die Themen, auf die Christ_innen heute eine gemeinsame Antwort finden müssen. Denn nur so können wir glaubwürdig sein.
Der Wittenberger Appell zum Reformationsjahr 2017 wurde verabschiedet auf dem Gemeinsamen Ratschlag vom 21. bis 23. Oktober 2016, zu dem das Institut für Theologie und Politik (ITP) aus Münster, die KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche und die Leserinitiative Publik-Forum (LIP) nach Lutherstadt Wittenberg eingeladen hatten.
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Zuletzt geändert am 26.10.2016