Vereinbarung Missbrauchs-Aufarbeitung
„Vage Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Schneckentempo“
Wir sind Kirche zur Vereinbarung bezüglich einheitlicher Aufarbeitungsstandards
Pressemitteilung, München 29. April 2020
Die KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche begrüßt es, dass nach mühsamen Verhandlungen endlich eine Rahmenvereinbarung zwischen der Deutschen Bischofskonferenz und dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, bezüglich einheitlicher Aufarbeitungsstandards in den 27 Diözesen unterzeichnet wurde. Schändlich ist es jedoch, dass dies erst zehn Jahre nach Bekanntwerden des Umfang des Missbrauchsskandals auch in Deutschland und nur auf jahrelangen massiven Druck der Betroffenen, von Wir sind Kirche und der Öffentlichkeit erfolgte.
Die Gemeinsame Erklärung zeigt richtige Wege auf, doch sie wird nur dann zum Erfolg führen, wenn sie wirklich von allen 27 Bischöfen in Deutschland unterzeichnet (gemäß Punkt 8 handelt sich um eine Kann-Bestimmung: "Jeder Diözesanbischof kann diese gemeinsame Erklärung durch Gegenzeichnung als für seine (Erz-)Diözese verbindlich erklären.") und die standardisierte Aufarbeitung gemäß den Kriterien Unabhängigkeit, Transparenz und Partizipation von Betroffenen auch konsequent umgesetzt wird. Ein analoges Vorgehen der Deutschen Ordensobernkonferenz steht noch aus.
Vereinbarung ist nur Kompromiss
Sehr viel effektiver wäre die Einrichtung einer nationalen Aufarbeitungskommission gewesen, wie sie auch Betroffenenorganisationen wie der „Eckige Tisch“ gefordert hat, und wenn es auch ermöglicht würde, die Namen von Tätern wie Personalverantwortlichen zu benennen. Dies hätte auch die Bearbeitung von Systemfragen erleichtert, etwa nach der Priesterausbildung oder dem Umgang mit Sexualität, wie der Sozialpsychologe Heiner Keupp meint, der die jetzige Vereinbarung nur als Kompromiss sieht.
Dass jetzt der Beauftragte der Bischofskonferenz für Fragen des sexuellen Missbrauchs, der Trierer Bischof Dr. Stephan Ackermann, erklärt, er sei „dankbar, dass wir diesen nächsten, sichtbaren Schritt ... gehen konnten.“ ist nicht nur für die Überlebenden sexualisierter Gewalt unerträglich. Angemessen wäre, es zutiefst zu bedauern, dass diese notwendigen Schritte nicht längst gegangen worden sind.
Immer noch Vorrang der Institution Kirche
Wir sind Kirche hält es nach wie vor für überfällig, Verbrechen und Verbrecher endlich als solche zu bezeichnen, statt nur die Reinhaltung der Institution Kirche im Blick zu haben. Die Bischöfe dürfen sich nicht länger damit herausreden, dass sie für die Täter, deren Datenschutz und Lebensunterhalt verantwortlich sind – während sie sich um die Opfer so gut wie nicht kümmerten. Die Fragen einer angemessenen Entschädigung für die Überlebenden sexualisierter Gewalt sind weiterhin ungeklärt (> Wir sind Kirche-Pressemitteilung 5. April 2020).
Für die Priester und Ordensleute, die den kirchlichen Dienst wegen Heirat verlassen mussten, weil sie „dem Ansehen der Kirche geschadet“ hatten, fühlen sich die meisten Bischöfe bis heute nicht in annähernd gleicher Weise verantwortlich – obwohl diese ja kein Verbrechen begangen haben. Dem Schutz und Ansehen der Institution Kirche den Vorrang vor den Menschen zu geben, die durch deren Mitarbeiter massiv zu Schaden gekommen sind und ihr Leben lang daran zu tragen haben, ist unchristlich, ist unmenschlich. Sich zu rühmen, dass eine Vereinbarung getroffen worden sei, die vorbildhaft für andere sein könne und solle, ist ein unangemessenes Selbstlob, das die Kirchenleitung demaskiert: Kirche sollte immer und überall Vorreiter sein, wenn es um Menschlichkeit geht.
Pressekontakt Wir sind Kirche:
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Zuletzt geändert am 22.06.2020