Kölner Missbrauchsgutachten
„Der Lernprozess der Aufarbeitung hat erst begonnen. Und wo bleibt die Verantwortung Woelkis?“
Erste Stellungnahme von Wir sind Kirche zur Vorstellung des Kölner Missbrauchsgutachtens
Pressemitteilung Köln / München, 18. März 2021
Das heute vorgestellte Gutachten der Kanzler Gercke Wollschläger liefert erschütternde Ergebnisse mangelnden Rechtswissens und verstörenden Unrechtsbewusstseins bei den Leitungsverantwortlichen des größten deutschen Bistums. Aufgrund der lückenhaften Aktenführung kann es nur die Spitze des Eisbergs darstellen, macht aber das systembedingte Versagen besonders in der langen Ära Meisner deutlich.
Die Fokussierung auf die rein juristischen Aspekte und dass die Frage nach dem „kirchlichen Selbstverständnis“ außen vor bleibt, wird der grundlegenden Problematik nicht gerecht. Die jetzt dokumentierten „Pflichtverletzungen“ beschreiben eine neue Variante des „Einzeltäters“. Dass aber ein komplettes System, das ja eigentlich eine Botschaft behauptet verkünden zu dürfen, gegen die eigene „Botschaft“ gehandelt hat, und zwar in Gänze, lässt sich eben nicht mit „Verfahrensmängeln“ begründen oder gar darauf reduzieren.
Unzureichendes Agieren von Kardinal Woelki
Wenn Kardinal Woelki, der angab, das Gutachten bislang nicht zu kennen, sofort Weihbischof Dr. Dominikus Schwaderlapp und Offizial Dr. Günter Assenmacher von deren Aufgaben entbunden hat, so ist er doch zu fragen, wie er als Erzbischof bislang seiner Aufsicht innerhalb des Erzbistums gerecht geworden ist und ob das nicht ein „Bauernopfer“ darstellt, um von seiner Letztverantwortlichkeit abzulenken. Kardinal Woelki ist unter Kardinal Meisner (u.a. 1990-1997 als Erzbischöflicher Kaplan und Geheimsekretär) selbst Teil des Systems der Vertuschung gewesen > Wikipedia. Weit über die rein juristische Aufklärung hinaus muss er endlich auch persönlich Verantwortung übernehmen und seinen Rücktritt anbieten. Dies gilt auch für den jetzigen Hamburger Erzbischof Dr. Stefan Heße (seit 2006 stellvertretender Generalvikar, seit 2012 Generalvikar und 2014 Diözesanadministrator) > Wikipedia, neu > Rücktrittserklärung von Erzbischof Heße
Anstatt des Alleingangs von Kardinal Woelki, der eine große Belastung für alle Betroffenen und die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche insgesamt bewirkt hat, ist die Einigung aller deutschen Bischöfe auf ein einheitliches Vorgehen bei der Aufarbeitung notwendig und überfällig. Denn solange keine ehrliche, offene und vollständige Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in allen deutschen Bistümern auf wissenschaftlich hohem Niveau mit gleichem Standard erfolgt, werden alle Reformbemühungen des Synodalen Weges ins Leere laufen.
Wie vermeldet, hat Woelki erst am Montag dieser Woche (15. März 2021) seine Unterschrift unter die "Gemeinsame Erklärung" der Deutschen Bischofskonferenz und des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung gesetzt > Domradio. Dies ist viel zu spät geschehen. Er und alle deutschen Bischöfe hätten dies bereits im April 2020 tun können und müssen.
Ungeklärt bleibt nach wie vor die Rolle von Woelki z.B. im Fall des Pfarrers O. Denn dass für Woelki kein Verschulden bei der Meldepflicht bestanden habe, widerspricht den vatikanischen Gesetzestexten und ist für Kirchenrechtler in Deutschland nicht nachvollziehbar.
Aufarbeitung ohne externe Hilfe und Kontrolle nicht möglich
Immer deutlicher stellt sich die Frage, inwieweit die Kirche selber eine sachgerechte und vor allem den Betroffenen gerecht werdende Aufarbeitung leisten kann. Und immer deutlicher wird, dass schon lange ein Eingreifen des Staates erforderlich gewesen wäre, um der Aufgabe gerecht zu werden, Kinder und Jugendliche vor Gewalt zu schützen.
Der Lernprozess, wie mit Vorwürfen geistlicher und sexualisierter Gewalt in Zukunft umgegangen werden muss, hat erst begonnen. Trotz einiger Bemühungen auf den verschiedenen Ebenen, die römisch-katholische Weltkirche steht immer noch am Anfang von wirklicher Aufarbeitung. Wann endlich bekennen sich diejenigen, die in der Kirchenleitung an Vertuschungen beteiligt waren, auch von sich aus zu ihrer Verantwortung und ziehen entsprechende Konsequenzen?
Pressekontakt Wir sind Kirche:
Sigrid Grabmeier: Tel: 0170-86 26 290, grabmeier@wir-sind-kirche.de
Magnus Lux: Tel: 0176-41707725, lux@wir-sind-kirche.de
Christian Weisner: Tel: 0172-518 40 82, presse@wir-sind-kirche.de
> Wir sind Kirche zum Amtsverzicht des Hamburger Erzbischofs Dr. Stefan Heße (18.3.2021)
Bisherige Stellungnahmen von Wir sind Kirche
Aufarbeitung und Einsatz für den Reformprozess Synodaler Weg gehören zusammen
> Wir sind Kirche zur Online-Konferenz des Synodalen Weges am 4./5. Februar 2021
„Warum hält sich der Vatikan nicht an römische Rechtsnormen?“
> Wir sind Kirche zur Entscheidung des Vatikans in der Causa Woelki 8. Februar 2021
„Bischöfe: übernehmt Verantwortung, entscheidet Euch und handelt!“
> Wir sind Kirche zum Abschluss der Online-Frühjahrsvollversammlung der DBK 25. Februar 2021
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Digitale Pressemappe des Erzbistums Köln zur Pressekonferenz am 18.3.2021
> Link
"Unabhängige Untersuchung" – Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt
Umfangreiche Webseite des Kölner Erzbistums
www.erzbistum-koeln.de/gutachten-aufarbeitung
Gemeinsame Erklärung über verbindliche Kriterien und Standards für eine unabhängige Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland vom 28. April 2020
> PDF (8 Seiten)
Zuletzt geändert am 19.03.2021