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Veröffentlicht am 18­.09.2024

Ein Diskussionsbeitrag zum Neuaufbau der Diözese, von Erik Händeler.

Was erwarten die Gläubigen von einem Bischof von Eichstätt?


Wie geht es mit der Kirche von Eichstätt weiter? Wo liegt der Tiefpunkt, auf den wir uns zubewegen? Ab wann gelingt ein Neuaufbau, der in Vielfalt dem Leben der Menschen in einer digitalisierten Wissensgesellschaft mit hoher Eigenverantwortung entspricht? Bei diesem Neuaufbau geht es nicht um neue Strukturen – die lassen sich in einer Weltkirche nicht regional verändern. Sondern um einen anderen Geist in den Strukturen, um eine andere Kommunikation als bisher, die erst ein „Gemeinsam Kirche sein“ ermöglicht.

 

Kurz-Zusammenfassung:

- Aus der unzureichenden Kommunikation des Bischofs folgten die bekannten Desaster: zig Millionen-Verlust in den USA, Destabilisierung nach den Kürzungen (Schulen, Kirchenzeitung), Flucht von Mitarbeitern, Ehrenamtlichen und Gläubigen.

- Die bisherigen Gremien vom Diözesanrat über Priester- und dem verdunsteten Pastoralrat bis hin zum Domkapitel arbeiten nebeneinander her und haben weder Entscheidungsbefugnisse noch scheinen sie etwas zu den Entscheidungen der Bistumsleitung beitragen zu können.

- Das Ziel sollte sein ein gemeinsames Gremium, in denen die aktuellen Themen und anstehende Entscheidungen von allen Berufsgruppen, Dekanaten und Fachrichtungen gemeinsam besprochen werden können, um die Entscheidung des Bischofs besser vorzubereiten und auch die Zusammengehörigkeit in der Diözese zu stärken.

- „Gemeinsam Kirche sein“ funktioniert nur, wenn Kritik und Gegenrede möglich ist, ohne dass jemand das Gesicht verliert oder als „der Böse“ sozial isoliert wird. Ein Bischof wird nur dann ein guter Bischof sein, wenn er Kritik zulässt und sich inhaltlich auseinandersetzt, um die anderen zu überzeugen, anstatt ein Machtwort zu sprechen, das er nicht erklärt.  

- Da die Weltkirche sich in ihren Teilen unterschiedlich schnell entwickelt, sollte ein Bischof von Eichstätt nicht auf Rom warten, was er ändern sollte, sondern selber an Vorschlägen und neuen Wegen arbeiten, die für seine Diözese passt.

- Konflikte sollten angegangen werden, weil sich das Evangelium hier am besten verbreiten lässt (und nicht wie bisher ungelöst vermieden werden). Dazu gehört auch Ehrlichkeit und Wahrheitssuche in der eigenen Institution an oberste Stelle zu stellen anstatt wie bisher Kollegenschutz.

- Die Mitarbeitenden sind nach ihren bestmöglichen Talenten einzusetzen, und zu motivieren. Die häufigen „Vertragsauflösungen“ und Versetzungen machen den Eindruck, dass hier ein großer Handlungsbedarf besteht.  

 

Inhalt

Kirche ist Kommunikation                                                              

1. Ein echtes Beratungsgremium mit gemeinsamem Informationsstand    

                                                         

2. Eine andere Kultur der Mitwirkung                                                      

3. Überzeugen im Gespräch statt Einbahnstraßen-Kommunikation                                                 

4. Mitmach-Kirche                                                                            

5. Warum Kirchenstrukturen Ausdruck des Glaubens sind – und eben keine Gegensätze                                                        

(Der Bischof von Eichstätt ist der Bischof von Eichstätt)

6. Warum Strukturen den Missbrauch erzeugen und deshalb verändert werden müssen                                        

7. Verantwortung übernehmen                                                       

8. Schlusswort                                                                                 

 

 

Kirche ist Kommunikation

Die Kommunikation in einer Diözese hängt vor allem von unsichtbaren Machtstrukturen ab, von unausgesprochenen Interessen, vom Verhalten eines Bischofs: Wer wird gefragt? Wer informiert? Wer wird gehört? Das entscheidet darüber, ob die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter innerlich kündigen, Ehrenamtliche sich zurückziehen und Gläubige aus der Kirche austreten - oder bleiben und sich in Zukunft engagieren, um das Evangelium mit dieser Institution in die Welt zu tragen.

Haben diese bisher darüber nachgedacht, welches Verhalten sie von einem Bischof von Eichstätt erwarten? Wollen Sie ihm das überhaupt sagen? Welche Plattformen könnten Sie nutzen, um sich mit anderen breit darüber auszutauschen, was sie ihm mittteilen werden? Weiß der Bischof, wie MitarbeiterInnen / Ehrenamtliche / Gläubige sein Handeln wahrnehmen? Will er es überhaupt wissen? Wir in der Diözese werden dabei oft unterschiedlicher Meinung sein, welche Art von Führung und Verhalten wir von einem Bischof von Eichstätt erwarten. Aber wir sollten einer Meinung sein, dass jetzt die Zeit gekommen ist, darüber zu reden, um den aktuellen, lähmenden Zustand zu überwinden.

Nicht der Blick nach Rom oder auf die Bischofskonferenz und den Synodale Weg entscheidet, wie es mit der Kirche von Eichstätt weitergeht. Sondern das, was der Bischof, das Kirchenvolk und seine Mitarbeitenden hier gestalten. Selbstverständlich kann ein Bischof auch weiterhin hinter verschlossenen Türen im kleinen Kreis entscheiden; er kann Ideen und Initiativen ignorieren, den „anderen“ die Schuld geben, anstatt selber Verantwortung zu übernehmen, und Kritiker auflaufen lassen. Nur steht so ein Bischof irgendwann ganz alleine da. Denn kaum jemand, vor allem in der Breite der nachwachsenden Jahrgänge, glaubt noch, dass eine Gruppenzugehörigkeit in genau dieser Kirche vor Gott über das Seelenheil entscheidet.

Reden tun die Leute sowieso – aber reden sie wegen ihrer Ohnmacht hinter dem Rücken des Bischofs oder reden sie mit ihm? Der Bischof, den wir in 100 Jahren haben werden, der wird vor seinen organisatorischen Entscheidungen die Kirchenmitglieder beteiligen, er wird jeden noch so zunächst abwegig erscheinenden Vorschlag anhören, damit er weiterentwickelt werden kann, und dankbar sein für Kritik. Der Schlüssel zu einem Neuaufbau der Kirche von Eichstätt aus lebendigen Bausteinen ist eine andere Kommunikation als derzeit.

Bessere Kommunikation

Denn Reden hilft. Und zwar nicht erst wenn Gläubige austreten (das Gespräch dazu bietet die Pressestelle neuerdings an), sondern vorher im laufenden Betrieb. Wie viele Ideen und Verbesserungen und wie viel Engagement entgehen uns, weil die Kommunikation nicht gut ist? Was die Diözese Eichstätt im vergangenen Jahr 2023 erlebt hat an nicht zu Ende gedachten Entscheidungen und ihrer Rücknahme oder Relativierung, die verlorenen zig Millionen in den USA, die Informations-Desaster bei der öffentlichen Vermittlung (Schulen, Krankenhausseelsorge, St. Monika,…), die Unsicherheit für die Mitarbeitenden, die vor vollendete Tatsachen gestellt wurden, und Unklarheiten beim Stellenumbau im Ordinariat wie in der Diözese („Pool“) – das alles wäre so nicht geschehen, gäbe es eine besser funktionierende, wechselseitige Kommunikation zwischen allen Bereichen der Kirche und ihrer Leitung. Drei Männer sitzen in einem Raum und entscheiden etwas, oder etwas wird im kleinen Kreis entschieden; würden im Vorfeld das Wissen und Potenzial vieler genutzt, wäre die Analyse näher an der Wirklichkeit, mehr Lösungsmöglichkeiten würden erdacht werden und Entscheidungen der Bistumsleitung würden von einer Breite der Gläubigen mitgetragen werden als oftmals nur kopfschüttelnd und ohnmächtig rezipiert.

Dass die Einnahmen schrumpfen werden, war lange vor den Kürzungen im März 2023 klar. Bischof Gregor Maria Hanke hätte schon vor Jahren die Verhältnisse transparent machen und das Kirchenvolk, also Frauen, Männer und auch Jugendliche fragen können, wo sie Initiative entwickeln und worauf sie verzichten können, wo sie bereit sind, Geld und Ressourcen zu mobilisieren, und wo sie ganz neue Ideen haben. Aber so erwischten die Kürzungen des „Zukunftsplans“ die meisten Gläubigen und MitbürgerInnen völlig überraschend und wirkten überstürzt. Amtschef Thomas Schäfers sagte mir zwar, dass der Diözesanrat nach Vorschlägen gefragt wurde, aber außer vom DJK sei nichts gekommen – das kann ich zunächst nicht glauben; und wenn es stimmt, dann liegt es daran, dass Initiative und Mitsprache bisher abgebogen wurden und erst erlernt werden müssen.

Besser wäre gewesen: „Wir bauen unsere Medienarbeit um: mehr Diskussion und Information im Internet und eine gemeinsame Zeitung mit anderen Diözesen“ statt der wahrgenommenen Botschaft: „Wir schaffen die Kirchenzeitung ab“ – der Bischof trägt die Verantwortung für das Ergebnis seiner Kommunikation, wie sie verstanden wird. Besser: „Wir prüfen, ob nicht ein anderer kirchlicher Träger unsere Schulen eventuell übernehmen könnte“, anstatt: „Wir verkaufen die Schulen“. Das so ausgerechnet in der Woche der Anmeldungen zu verkünden, führte dazu, dass dann eben nur zwei anstatt vier Eingangsklassen in der Realschule gebildet werden konnten. Junge Lehrer und Lehrerinnen flüchten zu staatlichen Schulen. Dieser unnötige Qualitätsverlust hätte mit einer durchdachteren Kommunikation vermieden werden können. Das Verhandlungsergebnis mit Augsburg, dass sie die Schulen nicht übernimmt, weil sie für die maroden Bauten nichts zahlen würde, das zeigt auch, dass die Vorannahmen unrealistisch waren – das deutet auch auf einen Mangel an Kommunikation hin.

Ebenso die Ankündigung, die Franziskanerbasilika zu säkularisieren: Hätte der Bischof sich lange vorher an die Gläubigen und an die Stadtöffentlichkeit gewandt, er hätte Ideen, Engagement und Ressourcen bekommen, um es zu verhindern – so wie es jetzt durch das Engagement der Oratorianer auch geschehen ist. Niemand, der gerade geerbt hat, kann wissen, dass die Kirche dafür Geld braucht, wenn der Bischof nicht öffentlich um Hilfe bittet. Auch der Verlust von 20 Millionen Euro in den USA plus fünf Millionen Anwaltskosten wäre durch mehr Transparenz so nicht geschehen. Hätte der Bischof in einem erweiterten Diözesanrat ergebnisoffen darüber diskutieren lassen, wie die 50 Millionen anzulegen sind, es gäbe weniger Obdachlose in der Region, weil wir bei uns in der Diözese Obdachlosenunterkünfte und Sozialwohnungen gebaut hätten; oder gigantische Solarparks, die sowohl die Substanz des Wertes in die Zukunft gerettet hätten als auch dem Allgemeinwohl dienen würden. Dann wäre auch umgesetzt worden, was sonst nur gepredigt wird. Bei der Schließung von St. Monika wäre es besser gewesen, erst einmal gemeinsam Kriterien aufzustellen, nach denen der Beschluss fällt, welche Kirche abgebrochen wird. Und ob es sinnvoll ist, Stellen von diözesanen Diensten in einem solchen Umfang auf die Gemeinden umzuwidmen, ist meines Wissens auch nicht breit diskutiert worden.

Ändert sich nun etwas bei der Entscheidungsfindung? Wird aus Fehlern gelernt? Wird überhaupt eingestanden, dass es Fehler gab? Die These hier ist, dass mehr Kommunikation Entscheidungen verbessert. Die bisherigen Beratungsgremien – vom Domkapitel bis hin zum Diözesanrat – arbeiten getrennt voneinander, haben nicht denselben Informationsstand. Auf einer Sondersitzung im Juli 2023 und auch auf der Herbstvollversammlung hat der Diözesanrat überlegt, wie er seine Arbeit und die der anderen Gremien gemeinsam gestalten kann. Dabei kommt es aber vor allem auf den Bischof an: denn nur er kann entscheiden, in welcher Form Kirche intern zusammenarbeitet.

Jetzt ist die Zeit, darüber zu reden: Will Bischof Hanke überhaupt eine Plattform schaffen, auf der alle Berufsgruppen, Ehrenamtliche und Gläubige gemeinsam die offenen Fragen der Kirche von Eichstätt besprechen? Er könnte es ja auch so machen wie der damalige Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller, der seinen Diözesanrat einfach auflöste, weil ihm die kritischen Stimmen nicht passten. Und wenn Bischof Hanke eine gemeinsame Plattform möchte: Braucht es dafür nicht eine völlig neue Umgangskultur? Wie wollen wir Kirchenaustritte stoppen sowie Ehrenamtliche und Mitarbeitende motivieren, wenn sie nicht erleben, mitgenommen zu werden und mitgestalten zu können? Die Desaster der jüngsten Zeit zeigen, dass die bisherigen Prozesse nicht funktionieren, auch weil die vielen Gremien zersplittert und nicht miteinander verbunden sind.

Während mir ein Mitglied des Domkapitels auf meinen Textentwurf schreibt, er stimme mir in allen Punkten zu, übernimmt ein anderer Domkapitular die Aufgabe, Bischof Hanke gegen jede Kritik zu verteidigen. Er bestreitet die zentrale Rolle des Bischofs für die Kommunikation und meint, dass das an allen Einzelpersonen und Gremien liege. Jeder Organisationspsychologe weiß, dass das unwahr ist: Bei Kommunikation geht es um Macht. Schon wenn ich ein Unternehmen betrete und die Mitarbeitenden erlebe, ahne ich nach Sekunden, welchen Umgangston der Chef setzt.

Der Domkapitular schreibt auch, die Kürzungen hätten schnell umgesetzt werden müssen, und nur unter dem Druck der Not seien nun mal „Re-strukturierungen“ durchzusetzen. Er ignoriert, wie ich oben schreibe, dass die geringeren Einnahmen schon lange vorher abzusehen waren. Es war ein PR-Erfolg, dass draußen ankam, „der Steuerausschuss ist schuld“, dass jetzt was gemacht werden muss. Der Verteidiger Hankes beschreibt ungewollt die Qualität der Bistumsleitung: In einer funktionierenden Kirche gibt es eine Gesprächskultur, die alle mitnimmt, gemeinsam Beschlüsse vorbereitet und dabei Konflikten nicht aus dem Weg geht, sondern sie löst. Wer die Organisation bewusst gegen die Wand fährt, weil er meint, nur so handeln zu können, der hat weder eine Diskussions- noch eine Konfliktkultur.

In 100 Jahren wird das, was hier an Erwartungen an einen Bischof von Eichstätt formuliert wird, vermutlich selbstverständlich sein: dass es eine gemeinsame Plattform gibt, auf der die Ideen, Entwicklungen und Konflikte der Diözese ergebnisoffen durchgesprochen, gewichtet und empfohlen werden können. Ohne dass Leute, die mit anderen Sichtweisen, Kritik und Verbesserungsvorschlägen daherkommen, als Störer oder Nestbeschmutzer abgetan werden. Denn wir, die wir nicht gegangen sind und uns immer noch für die Kirche einsetzen wollen, glauben an Gott; wir glauben, dass er in Jesus Christus den Menschen begegnet; wir meinen, dass es eine Institution Kirche braucht, um das Evangelium in die Welt zu tragen; und deswegen denken wir darüber nach, wie wir Kirche anders und besser machen können als heute. Nicht die Reformer und Reformerinnen schaden der Kirche, sondern die, die auf dem eingeschlagenen Weg in die Bedeutungslosigkeit nichts ändern wollen.

 

1. Ein echtes Beratungsgremium mit gemeinsamem Informationsstand

Der Ist-Zustand: Ein Priesterrat, ein Domkapitel, ein Diözesanrat, ein undurchsichtiger Lenkungskreis bzw. Perspektivkreis, ein Steuerausschuss – nur letzterer hat mit seinem Vetorecht eine negative Wirkmacht. Bis vor kurzem – so genau weiß das keiner – gab es in der Diözese Eichstätt auch einen Pastoralrat, den das Kirchenrecht (c. 511 CIC) vorschreibt („…ist einzurichten“), der den ganzen Teil des Gottesvolkes abbilden soll, mit der schwammigen Einschränkung, „sofern die seelsorgerischen Verhältnisse es anraten“.

Ich bin 2012 in den Pastoralrat berufen worden: Meine Erwartung an ein Beratungsgremium des Bischofs ist, dass Probleme und neue Fragen auf den Tisch kommen und der Bischof bittet, ergebnisoffen darüber zu debattieren. Stattdessen gab es dort meist einen Vortrag über ein allgemeines Thema, statt eines konkreten Problems gab es unverbindliche Gespräche über dieses oder jenes – aber keine Beratung des Bischofs zu konkreten Fragen und Richtungsentscheidungen. Zuletzt hat dieser Pastoralrat 2015 getagt und dann nicht mehr – ohne dass die Mitglieder über dessen Ende informiert worden wären. Offiziell war ich im Internet noch bis 2022 Mitglied dieses Pastoralrates. Dann erschien im Amtsblatt 2/2022 ein Dekret des Bischofs, dass der „Lenkungskreis“ die Aufgaben des Pastoralrates übernimmt – das wurde im Amtsblatt 5/2023 wieder aufgehoben.

Nachdem schon vorher mündliche Fragen zum Pastoralrat inhaltlich unbeantwortet blieben, habe ich beim Bischof schriftlich nach den Hintergründen der Dekrete gefragt. Von Amtschef Schäfers bekam ich daraufhin die lapidare Antwort, dass es den Pastoralrat nicht mehr gebe und ich wegen der Gremien doch selber auf der Webseite der Diözese nachsehen sollte. Von einem „Lenkungskreis“ – wer das ist und was der macht – ist dort nichts zu lesen. Über ein „Konsultorenkollegium“ heißt es auf der Webseite, es „nimmt die ihm vom universalen Kirchenrecht übertragenen Aufgaben und Befugnisse wahr“ – der Gläubige, der sich informieren will, weiß damit so wenig wie vorher. Wer so formuliert, will weder verstanden werden noch die Leute mitnehmen, sondern signalisiert: Da steigst du eh nicht durch, lass es bleiben, geht dich auch nichts an. Erst in einem weiteren Link versteht der Leser und die Leserin, dass es sich beim Konsultorenkollegium um das Domkapitel handelt.

Hier gab es – das Thema ist jetzt nicht überraschend – „Kommunikationsschwierigkeiten“, deren Substanz natürlich niemand in die Öffentlichkeit trägt. Ob das so war, dass das Domkapitel dann, um dem Bischof entgegenzukommen, seine Statuten änderte mit der Folge, dass der Bischof das Domkapitel entmachtete, oder ob es ganz anders war – Fakt ist, dass die Domkapitulare aus ihren „Ministerien“ verschwanden, die Verantwortung für die Diözese niederlegten und als normale Pfarrer arbeiten. Groll erzeugte wohl auch, dass Bischof Hanke in der Presse dem Domkapitel die Verantwortung für Debakel gab, ohne dass sie sich wehren können. Um formal weiter zu existieren, trifft sich das Domkapitel auch weiterhin zweimal im Jahr mit dem Bischof, um über dieses oder jenes ganz allgemein zu reden. Doch es ist zu einem machtlosen Grüß-Gott-Onkel-Gremium geworden wie die meisten anderen auch. Dafür hat der Bischof leitende Ämter mit Personen auch aus fernen Teilen Deutschlands besetzt, die nicht in die vielfältigen Beziehungen hier eingebettet sind und auch weniger auf allgemeine Interessen achten als hier gewachsene Persönlichkeiten, sondern auf den ausgerichtet sind, der sie eingestellt hat. Domkapitulare sind in einer robusteren Position, Entscheidungen des Bischofs zu hinterfragen. Problematisch daran ist, dass der Staat die Domkapitulare mit den Steuergeldern von nicht-katholischen und nicht-gläubigen Bürgern mit der Begründung bezahlt, dass sie als Ressortminister eine Diözese mit leiten – jetzt sind sie in Eichstätt aber normale Pfarrer geworden. Das läuft dem Sinn der staatlichen Abmachungen zuwider und könnte das bisherige Staats-Kirchen-Verhältnis gefährden. Auch da könnte Bischof Hanke im Rückblick einen bundesweiten Schaden angerichtet haben, und er sollte es sofort korrigieren.

In einem Gespräch im Januar 2024 sagte mir Amtschef Schäfers, dass der Pastoralrat aufgehoben wurde, weil dort nichts passiert sei – als ob das die Schuld der Mitglieder gewesen wäre. Der Bischof hat nichts daraus gemacht, er ist verantwortlich dafür. Statt eines Pastoralrates, in dem die Berufsgruppen und Dekanate vertreten waren, berief er einen „Lenkungskreis“ von unterschiedlichen Persönlichkeiten ein, die ihm ihre Sichtweise darlegen sollten. Das ist Gutsherrenart: Weiß jemand, nach welchen Kriterien dorthin berufen wird? Was die besprochen haben? Welche Konsequenzen das für die Diözese hatte? Ich habe nie davon gehört. Ist da nur vertreten, wer durch den Filter des Bischofs passt? Spiegelt er also die Breite der Wirklichkeit gar nicht wider? Ein Gremium, das „Lenkungskreis“ heißt, lenkt die Diözese; denn was sonst sollte so ein Kreis „lenken“? Nachdem es daran Kritik gab, so Schäfers, taufte der Bischof das Gremium in „Perspektivkreis“ um, wobei mir auch dessen Wirken intransparent bleibt, obwohl ich als berufenes Mitglied im Ingolstädter Dekanatsrat und im Diözesanrat sowie als aufmerksamer Mediennutzer eigentlich etwas davon mitbekommen müsste.

Der Diözesanrat (DR) ist weit davon entfernt, den Bischof zu beraten. Den mehrheitlich beschlossenen Antrag vom September 2023, der Bischof solle den Innovationskreis weiter fördern, kann der ignorieren, Nachfragen enden an einem achselzuckenden Generalvikar, das Votum des DR ist völlig irrelevant. Kein Bischof kommt, um den Diözesanrat zu bitten, ihm bei einer Entscheidung zu helfen, sie mit Vorschlägen und Argumenten zu untermauern. Ergeben dürfen die Mitglieder sich anhören, was das Ordinariat an Umweltkonzepten erstellt hat oder was eine Kaffeekooperative in Mittelamerika so macht. Von den Kürzungen und dem „Zukunftsplan“ waren alle überrascht. Gespannt warteten auf der Vollversammlung im März 2023 alle, was der Bischof dazu sagen würde. Doch stattdessen sprach er darüber, warum seine oft kritisierte Konzentration auf Umweltthemen richtig sei – ich habe nie eine Rede gehört, die weniger Gespür hatte für die Bedürfnisse des Augenblicks.

Auf der Webseite lautet die Überschrift zu einer Meldung: „Diözesanrat informiert sich über Strategieprozess des Bistums“ – das drückt die Einbahnstraßen-Kommunikation gut aus. In einer funktionierenden Kirche würde der Diözesanrat im Vorfeld Ideen entwickeln und die Konzepte mitgestalten, anstatt sich nur zu informieren, was die Bistumsleitung so denkt. Das Mitreden ist bisher auch nicht gelernt worden. Zaghaft geäußerte Kritik, so mein Eindruck von den vier Vollversammlungen, die ich erlebt habe, verpufft ins Leere. Auf Fragen bekommt man zwar vielleicht eine formale, aber keine inhaltlich relevante Antwort vom Bischof, und weitere Nachfragen stellten viele dann nicht mehr, weil das anscheinend als Affront gilt. Wie soll eine Mitmach-Kirche entstehen, wenn jemand, der sich für die Kirche engagieren möchte, keine inhaltliche Antwort auf seine Fragen bekommt?

Genau so habe ich kirchliche Gremienarbeit erlebt, etwa im Pastoralrat: als Feigenblatt, um die dem Geist des II. Vatikanums entstammende Beteiligung der Gläubigen zu simulieren, nach außen hin so zu tun, als ob; während die Leute uninformiert bleiben über die wahren Vorgänge im Bistum, sie nicht über die vielen, drängenden Konflikte beraten und auch keinen Einfluss haben auf das, was demnächst im Bistum geschieht. Was für eine Energieverschwendung, diese Potemkin’schen Dörfer aufrechtzuerhalten – übrigens auch für den Bischof, der die zeitfressenden Grüß-Gott-Onkel-Gremien bedient, während er dann auch noch im Büro mit zwei anderen oder einigen wenigen mehr die eigentlichen Entscheidungen austüftelt. Am Ende stehen Bekenntnisse zum Weltfrieden und Umweltschutz. Rühmliche Ausnahmen sind Initiativen wie die zur Digitalisierung der Diözese – etwas Praktisches, das aber weder inhaltlichen Einfluss ausübt und auch keine Machtfragen berührt. Technisch wäre dieses Vorhaben vor zehn Jahren oder mehr auch schon umsetzbar gewesen.

So wie bisher kann es nicht mehr weitergehen – der Diözesanrat erfüllt unter den heutigen Bedingungen keine relevanten Aufgaben bei der Beratung des Bischofs und er ist auch keine Anlaufstelle für Probleme in der Diözese. Dem Vorstand des Diözesanrates schwebt eine Lösung wie in Stuttgart vor, in der der Diözesanrat mit dem Steuerausschuss ein gemeinsames Diözesangremium bildet und so auf die Verteilung der Haushaltsmittel einen Einfluss hat. Weitergedacht wird auch, die anderen Gremien so einzubeziehen – Priesterrat, Domkapitel usw., dass diese sowohl eigenständig bleiben als auch einen Ausschuss bilden eines größeren Gremiums, an dessen Arbeit und Vollversammlungen sie sich beteiligen. So entsteht ein „gemeinsam Kirche sein“.

Amtschef Schäfers sagte mir im Januar, dass Bischof Hanke offen sei für das Stuttgarter Modell und gerade die rechtlichen Möglichkeiten dafür prüfen lässt. Wenn dem so ist, dann hätte ich mir gewünscht, dass Bischof Hanke beim Neujahrsempfang des Diözesanrates dazu etwas sagt, anstatt die von der Weihnachtspredigt und den Zeiten davor bekannten Aussagen zum Ukrainekrieg und zum Synodalen Weg zu wiederholen und darauf hinzuweisen, dass wir uns doch weniger um Strukturen und mehr um den Glauben kümmern sollten.

Dieser erneuerte, größere Diözesanrat bedeutet mehr als nur ein anderer Name und mehr Leute: Er ist auch ein Kulturwandel. Wenn so ein Gremium wirken und über echte Fragen beraten soll, dann muss es möglich sein, einem Bischof von Eichstätt sitzungsöffentlich zu widersprechen oder ihn zu kritisieren, ohne dass deswegen sein Status beschädigt wäre und man sich als Querulant unbeliebt gemacht hätte – weil es schlicht normal ist. Und von den Mitgliedern wird ganz anders als bisher verlangt, sich zu positionieren, eine Meinung zu bilden und zu vertreten. Das sind keine Forderungen von Randgruppen, sondern langfristiges Ziel des Papstes: Das synodale Prinzip ist die Zukunft der Kirche auf allen Ebenen. Das Arbeitspapier zur Weltsynode schreibt, Bischöfe sollten sich vor den unteren Ebenen rechtfertigen müssen. Zu solchen neuen Strukturen braucht es aber auch ein anderes Verhalten.

 

2. Eine andere Kultur der Mitwirkung

Auf der Vollversammlung des Diözesanrates im März 2023 habe ich einen Antrag gestellt, der Diözesanrat möge ein Forum werden für Rückmeldungen, Ideen und Verbesserungsvorschläge. Wenn jemand meint, dass die Bistumsleitung seine Anfrage nicht oder ausweichend beantwortet hat, dann solle der Diözesanrat der Ort sein, wo jemand sein Anliegen transparent neu stellen kann; wahrgenommene Entwicklungen im Bistum, tagesaktuelle Probleme im Kirchenapparat und im Gemeindeleben könnten offen thematisiert, Entscheidungen des Bistums hinterfragt werden. Das würde Missverständnisse ausräumen, das Engagement der Haupt- und Ehrenamtlichen erhöhen, Schäden von schlechter Führung beheben, die Qualität von Entscheidungen verbessern und insgesamt ein Klima schaffen, in dem die Zusammenarbeit bestimmt ist von Sachgründen und von Interessen der Kirche und weniger abhängt von persönlichen Beziehungen und Status. Das deckt sich auch mit dem, was in der Satzung steht.

Die Wortmeldungen darauf waren kritisch: „Sollen wir jetzt eine Art Betriebsrat werden?“ Jein: Wir sind kein Unternehmen, in dem sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegenüberstehen; aber als Christen und Christinnen sind wir gemeinsam für die gesamte Kirche verantwortlich. Der Vergleich war passend, sorgte aber für ablehnende Haltungen. Eine andere Stimme meinte, da der Diözesanrat sich ja sowieso mit den Problemen der Diözese beschäftigt, sei der Antrag überflüssig. Diese Wahrnehmung teile ich absolut nicht – ich sehe nicht, dass die Gremien die Entscheidungen derzeit mitgestalten.

Da der Antrag der letzte Tagesordnungspunkt wenige Minuten vor Schluss war, blieb keine Zeit, vertieft darüber zu diskutieren. Elf Mitglieder des Diözesanrates stimmten dafür, 19 dagegen, die allermeisten, 35, enthielten sich – der Antrag war krachend gescheitert. Wollen die Laien in dem zentralen Gremium der Diözese Eichstätt also selbst gar keine echte Mitverantwortung übernehmen?

Jemand meinte zu mir, wir könnten doch dem Bischof nicht sagen, was er zu tun habe – genau so verstehe ich aber die Aufgabe eines Diözesanrates, Anregungen, Kritik und Wünsche zu formulieren. Auch wenn der Bischof letztlich selber entscheidet. Anderen ist ihr Arbeitsalltag anstrengend genug, die wollen in ihrem kirchlichen Ehrenamt nicht auch noch Probleme. Wieder andere sind altersmilde geworden, sie wollen Konflikten sowieso aus dem Weg gehen. Eine kirchliche Führungskraft meinte zu meinem Antrag auf Hinweisgeber (siehe weiter unten), wenn ich Probleme mit dem Bischof hätte, dann sollte ich das doch direkt regeln und nicht den Diözesanrat damit behelligen – dabei hatte der aber nicht auf meine Anfragen geantwortet, und deswegen braucht es m.E. ein Gremium, in dem man auf den Tisch bringen kann, was sonst untergeht. Eine weitere Rückmeldung eines langjährigen Mitglieds ließ den Schluss zu, dass er meinen Antrag als Kritik an sich verstanden hat, da dieser Rolle und Befugnisse verändern will, weil der Diözesanrat in seiner bisherigen Form seinem Anspruch nicht gerecht werde. Vielleicht war das ja nicht falsch, wie der DR früher funktionierte, aber er kann so wie bisher nicht weitermachen, soll es in Eichstätt eine lebendige Kirche geben.

Ein anderer gab zu bedenken, ich müsse erst einmal ein durchdachtes Konzept vorlegen – das aber, so meine ich, entsteht erst in einem längeren Lernprozess. Aber es gab auch gerade von Hauptamtlichen dankbare Zustimmung, die sagten, dass sie sich selber so nicht äußern würden, weil sie dann berufliche Nachteile befürchteten. Der Antrag fiel wahrscheinlich deshalb durch, weil es erst einmal ein gemeinsames Nachdenken darüber braucht, wie wir alle besser zusammenwirken können. Auch der Bischof sollte ein Interesse daran haben, dass die Leute erleben, mitgenommen zu werden. Nehmen wir also an, der Bischof von Eichstätt ringt sich zu einem neuen Groß-Gremium durch, das ihn ergebnisoffen, transparent und wirksam berät: Mehr noch als eine neue Struktur braucht es dafür eine neue Umgangskultur.

Eine neue Kultur des Miteinander-Ringens

Eine im Kirchenapparat relevante Person sagte mir, dass sie wegen der Kürzung des sog. „Zukunftsplans“ dem Bischof einen kritischen Brief geschrieben hat – und seitdem nicht mehr gefragt oder bei Entscheidungen hinzugezogen wird. Ähnlich mein Eindruck vom DR im März 2023: Reinhard Brandl MdB sagte bei der Vollversammlung, dass er im Internet mehrere Seiten findet, die dafür werben, aus der Kirche auszutreten, aber keine, in die Kirche einzutreten. Darauf Amtschef Schäfers: „Die zeige ich Ihnen.“ Er investiert seine Energie darin, sich zu rechtfertigen, warum alles so richtig ist, wie es ist. Dass Kirchenleute die eigene Gesichtswahrung an erste Stelle setzen, gehört zu den dringendsten Reformprojekten. Weil es – wie ich es erlebt habe – sehr oft nur um Statuswahrung geht, bügeln sie jede Kritik ab, und dazu gehören für sie auch schon Verbesserungsvorschläge. In einer funktionierenden Kirche, so wie das der Bischof in 100 Jahren macht, hätte Schäfers die Kritik aufgenommen und für Verbesserungen genutzt, wo er und die Mitarbeitenden Texte und Filme einfügen oder optimieren können, die dafür werben, in die Kirche einzutreten.

Wenn es eine gemeinsame Plattforme geben soll, um über die Kirche in Eichstätt zu beraten, werden kritische Rückmeldungen kommen – dafür benötigen wir eine neue Kultur: Wer würde sich heute trauen, den Bischof in einer Vollversammlung offen zu kritisieren? Kritik wird eher in eine zaghafte Frage gepackt, und wenn sie nicht inhaltlich beantwortet wird (was eine Form von Machtmissbrauch ist), dann ist es unmöglich nachzufragen; eine kontroverse, fruchtbare Diskussion ist undenkbar. Und wer es doch wagt, der wird brüsk abgebürstet. Da die meisten in der Kirche arbeiten oder als Gemeinde- oder Verbandsvertreter vielleicht mal wieder was brauchen, würden sie mit offener Kritik in diesem auf persönliche Beziehung gebauten System sich selber schaden.

Auch die Art, wie mir Bischof Hanke bei der Vollversammlung im März 2023 über den Mund gefahren ist, zeigt den Veränderungsbedarf. Er hatte gesagt, es müsste eben wieder einen Aufbruch geben so wie damals bei Franz von Assisi und beim Zweiten Vatikanum. Ich meldete mich, dass damals wirtschaftliche Veränderungen eine Antwort der Kirche erforderten: Die Agrarrevolution um das Jahr 1000 mit Ochsenjoch und Feldfruchtwechsel schuf die Überschüsse, die die mittelalterliche Stadt erst möglich machte, wo es plötzlich Arme und Reich gab; die Franziskaner übernahmen die Aufgabe, diese neue Gesellschaft seelsorgerisch zu betreuen. Ebenso war das Zweite Vatikanum eine Antwort auf die gesellschaftlichen Veränderungen hin zur individuellen Gestaltungsfreiheit, die das Auto brachte. Deswegen sollten wir auch heute darauf schauen, wie die digitale Wissensarbeit Organisationsmuster, Verhaltensweisen und Bedürfnisse verändert, um als Kirche darauf zu antworten. Bischof Hanke sagte in barschem Ton sinngemäß, ich hätte keine Ahnung und sollte mal meine Quellen überprüfen. Die Hälfte der Mitglieder des Diözesanrates lachte. Aber nicht, weil es lustig war. Sondern weil es peinlich war. Ein Abteilungsleiter entschuldigte sich bei mir für seinen Bischof.

Mit so einer Gesprächskultur ist Kirche im 21. Jahrhundert nicht mehr möglich; wer sich so verhält, schafft die Kirche ab. Ein Miteinander gibt es nur, wenn auf Augenhöhe miteinander um Lösungen gerungen wird. Ein Bischof, der in der Diskussion seine monarchische Macht ausspielt, lässt alle anderen verstummen, die ihre Gedanken, Vorschläge und Initiativen dann schön für sich behalten werden – und dann steht so ein Bischof in Zukunft eben alleine da, die Kirche bleibt gelähmt. Auch wenn der Bischof letztlich entscheidet: Für die Gespräche davor braucht es wahrscheinlich einen neutralen Moderator, der für einen fairen Austausch sorgt, der bei gewalttätiger Kommunikation einen Bischof zur Ordnung ruft undnd umgekehrt den Bischof beschützt vor unsachlichen oder emotional überschießenden Engagierten.

Kritik anhören und prüfen

Wer in seinem privaten Umfeld niemanden hat, der einem ungeschminkt den Spiegel vorhält, der wird völlig abseits der allgemein wahrgenommenen Wirklichkeit agieren, wenn er sich auch noch in seinem engen beruflichen Umfeld mit Leuten umgibt, die ihm keine Grenzen setzen. Wenn ich in Unternehmen etwas kritisiere, dann hört sich das der Unternehmer geduldig an, selbst wenn er die Kritik für völlig unberechtigt hält – er könnte ja etwas übersehen haben; und er will etwas über seine Außenwirkung wissen, wie jemand zu so einer Wahrnehmung kommen kann. Unternehmen brauchen die ständige Rückkopplung mit der Wirklichkeit, den Kunden, den Mitarbeitenden – nur so stellen sie schnellstmöglich fest, wenn etwas falsch läuft. Nur so werden sie besser. Nur so arbeiten gute Leute für sie. Nur so bekommen sie neue Ideen zur Lösung der Probleme.

Wenn ich früher als Lokalredakteur beim Donaukurier in Ingolstadt einen Artikel schrieb, las ihn sich ein erfahrener Kollege durch und verbesserte durch seine Kritik Sprache, unlogische Übergänge und offen gebliebene Fragen, danach der Lokalchef oder Blattmacher. Am nächsten Morgen um 9.15 Uhr sagten Kollegen in der Morgenkonferenz, was ihnen aufgefallen ist, und ab Mittag kamen die Redakteure von Wirtschaft und Politik, die mir sagten, wo mir wohl das Hintergrundwissen gefehlt hätte. Das ist in den allermeisten Berufen heute so. Kirche befindet sich bei uns – anders als in den meisten anderen Gegenden der Weltkirche – inzwischen in einem Umfeld, in dem sich in der Berufswelt eine Kultur entwickelt hat, in der es selbstverständlich ist, ständig Rückmeldungen zu geben, zu kritisieren, zu verbessern. Denn wenn eine Firma Kritik und Rückmeldungen ignoriert, wird sie die falschen Produkte anbieten und ineffizient wirtschaften. Wir sind ständiger Kritik ausgesetzt, um effizient zu arbeiten und besser zu werden, also im Sinne des Evangeliums ein guter Haushälter der anvertrauten Ressourcen zu sein.

Die Kultur in der Kirche ist anders als in der Gesellschaft: „Wenn du mich kritisierst, rede ich nicht mehr mit dir.“ Dabei wäre die Auseinandersetzung Kern der christlichen Botschaft: Christus ist nicht gekommen, um den Frieden zu bringen, sondern das Schwert (Mt. 10,34), also die Reibung, Auseinandersetzung, Entscheidung. Bischof Hanke hat bei den Versammlungen des Synodalen Weges dünnhäutig reagiert: Wenn man ihn nicht hierhaben wolle, solle man es ihm sagen. Das ist m.E. eine unangemessene Art, auf Kritik zu reagieren. Grundsätzlich ist auf Kritik zuallererst inhaltlich einzugehen, und erst in einem zweiten Statement kann man die Art von Kritik kritisieren, aber nicht, indem man die Zusammenarbeit oder das Gespräch aufkündigt. Wenn wir die Qualität der Entscheidungen im Bistum Eichstätt verbessern wollen, dann müssen wir darüber reden, wie Kritik geäußert und vom Bischof verarbeitet wird. Dafür gibt es vor allem einen praktischen Grund: Glaubens-Vermittlung ist heute nur mehr im direkten Gespräch möglich, in dem es ganz normal ist, dass es blitzt und kracht.

 

3. Überzeugen im Gespräch statt Einbahnstraßen-Kommunikation

Es ist gut, wenn ein Bischof von Eichstätt auch ein Organisator ist – aber das muss er nicht sein, das kann er abgeben. Er muss nicht unbedingt mit Menschen gut können – wenn er das kommuniziert, sodass sich die anderen darauf einstellen können. Er muss sich nicht mit Geld auskennen, wenn er andere darüber schauen lässt. Aber eines kann er nicht abgeben: Es ist seine ureigenste Aufgabe, den Glauben zusammenzuhalten, Orientierung zu geben, Glaubensfragen zu klären. Wie bringt heute ein Bischof von Eichstätt seine Botschaften in die Öffentlichkeit? Mit einer Predigt samt abgedrucktem Text in der Kirchenzeitung; mit einem Interview als YouTube-Video, in dem eine Stichwortgeberin Fragen stellt; mit einem in den Kirchen verlesenen Hirtenwort – so funktioniert Kommunikation heute aber nicht mehr. Ein Bischof von Eichstätt, der gehört werden möchte, muss in Zukunft völlig anders kommunizieren. Denn entscheidend ist nicht das, was ein Bischof / Pfarrer / Glaubender erzählt, sondern das, was die Leute selber durchdenken, durchkauen, wiedergeben – das ist das, was bei ihnen hängenbleibt. Nur wenn sie widersprechen können und dann erleben, dass der andere darauf eingeht, und am Ende sehen, dass er oder sie vielleicht doch richtig liegt; nur wenn etwas hin- und herbewegt wird; nur wenn das Gesagte auch emotional verankert wird; nur wenn sie Zeit haben, die neuen Gedanken in eigenen Worten zusammenzufassen, nur dann haben wir den Menschen wirklich etwas vom Evangelium erzählt.

Im Innovationskreis der Diözese Eichstätt sind seit 2018 Haupt- und Ehrenamtliche in ihrer Freizeit zusammengekommen, auf Initiative des Pastoralreferenten Thomas Schrollinger, um darüber zu reden, wie man Kirche besser machen kann. Sie haben u.a. ein Fragekarten-Set entworfen und verbreitet, um die Gläubigen in lebendigen Austausch zu bringen: Was ist die wichtigste Zeile im Vaterunser für dich? Macht Gott Fehler? Was genau war nochmal die Frohe Botschaft? Hinter dem Fragenkarten-Set steht die Erkenntnis, dass sich Glaube am besten im Gespräch weitergeben lässt. In einer lebendigen Kirche würde der Bischof so eine Initiative von unten, die kein Geld kostet, in einer Predigt aufgreifen, um sie in seinem Bistum bekannt zu machen und auch andere zu ermutigen, Ideen einzubringen. Hanke hat diese Ressource ungenutzt liegengelassen.

Wenn jemand vor 20 Jahren einen Vortrag hielt bei einem Sparkassen-Neujahrsempfang, gab es anschließend Applaus und dann Buffet. Wenn ein Redner heute dort auftritt, bekommt er kaum die Hälfte der früheren Redezeit. Der Rest steht nun für Statements aus dem Publikum, Verständnisfragen und Kritik zur Verfügung. Erst dann versteht der Redner, was bei den Leuten hängengeblieben ist von dem, was er gesagt hat; wo er missverstanden worden ist oder wo er an der sozioökonomischen Gruppe vorbeigeredet hat; und wo andere ihre Probleme auf das Gesagte projizieren – um dann das Gespräch zu nutzen, seine Botschaft zu setzen. Bei größeren Veranstaltungen sammeln inzwischen Moderatoren die Fragen und Kommentare ein, die die Zuhörer und Zuhörerinnen per Handy auf die Internetplattform tippen. Durch Corona und die seitdem eingeführten Webinare hat sich das noch verschärft: Während ein Referent redet, ploppen auf seinem Schirm die Kommentare der Zuhörer auf, die begeistert, abfällig oder fragend sein können. Dadurch kann sich der Referent in Echtzeit an die Situation anpassen; außerdem lernt er ständig über seine ZuhörerInnen dazu, um sein eigenes Weltbild der Wirklichkeit anzunähern. Das ist die Kommunikationsstruktur, die sich durch den technischen Wandel auch kulturell geändert hat: Ein Bischof – und der in 100 Jahren weiß das – geht in die Konflikte und nutzt diese, andere im Gespräch zu überzeugen, auf Augenhöhe, in Rede und Gegenrede.

Statt der Stichwortgeberin-YouTube-Videos würde sich in einer idealen Welt ein Bischof von Eichstätt mit jemanden unterhalten, der ein Glaubensproblem hat, der von Verwaltungshandeln aufgebracht ist oder ihn persönlich kritisiert, und davon könnte die Pressestelle dann den Link von einem lebendigen Gespräch in einer Presseinfo verbreiten, bei dem der Bischof seine Position erklärt. Auf den großen Management- und Branchenkongressen ist es normal geworden, dass ein Redner eine „Bestellung an das Universum“ abgibt oder vom Karma spricht; unvorstellbar, Gott zu erwähnen, so sehr haben die Kirchenleute in den vergangenen Jahrzehnten die Lebenswirklichkeit des Berufsalltags ignoriert. Solche Redner, die ja ihre Weltsichten und die damit verbundenen Werte verbreiten, haben mit ihren Beiträgen 100.000e, ja Millionen Klicks. Die Video-Beiträge von Bischof Hanke haben so 400 Klicks, wobei den Beitrag über seinen Hund immerhin schon 1800 Leute angeschaut haben. Ist das aussagefähig? Selbstverständlich! Es zeigt, dass er weder die Themen der Leute aufgreift noch deren Sprache spricht noch auf sie zugeht und sich auch keinen öffentlichen Kontroversen stellt.

Bei der Vollversammlung des Diözesanrates im Juli 2023 blieb der Bischof mit Amtschef und GV zusammen, anstatt sich unter die Leute zu mischen und möglichst viele Gespräche zu führen. Als ich im Juni 2022 beim 25jährigen Jubiläum der Dienstgemeinschaft sprach, saß der Bischof anschließend auch nur wieder mit seinem Amtschef zu Mittag. In einer lebendigen Kirche würde er von Tisch zu Tisch gehen, um möglichst vielen die Chance zu geben, ihn anzusprechen und ihm etwas aus dem realen Leben zurück zu spiegeln. Ein Priester erzählte mir, dass er mit dem Bischof in einer Gruppe verreiste, der Bischof ihn aber nie ansprach oder fragte, etwa wie es ihm in seiner neuen Stelle gehe, selbst nicht, wenn sie nebeneinanderstanden.

Vor mehr als zehn Jahren durfte ich mal bei einem Abend-Imbiss Bischof Hanke meine Ideen vorstellen, warum Wissensarbeit eine Chance für das Evangelium sein kann – wort- und regungslos hörte er zu, blieb stumm, begleitete mich zur Tür. In einer funktionierenden Kirche würde der Bischof Verständnisfragen stellen, Rückfragen, er würde zusammenfassen, was er verstanden hat, er würde widersprechen; selbst, wenn er nichts damit anfangen kann, würde er es rückmelden. Aber so war und ist es m.E. ein maximales Kommunikationsdesaster.

Auch bei meinem Dia-Vortrag beim Jubiläum der Mitarbeitervertretung im Juni 2022 sprach ich darüber, wie die Wirtschaft durch Umgang mit Wissen in die gedachte Welt hineinwächst, durch Entwicklung, Beratung, Problemlösung, Forschung, Bildung, Unterhaltung. Den Bedrohungen durch Erderhitzung und Flüchtlingsströme ist ja nur mit Hilfe einer weit höheren Produktivität zu begegnen. Wenige Tage später predigte Bischof Hanke im Münster gegen Wachstum, so wie man sich die Welt damals in den späten 1980er-Jahren gedacht hat, als hätte er meinen Vortrag nicht gehört. In einer funktionierenden Kirche würde der Bischof direkt dem Vortragenden eine Rückmeldung geben. Wenn unterschiedliche Standpunkte nicht abgeglichen werden und man nicht voneinander lernt, dann ist eine lebendige Kirche unmöglich. Die Kommunikation steht im Zentrum der notwendigen Reformen. Das ist die Zukunft der Kirche: Wenn ich am Sonntagabend nach dem Gottesdienst im Ingolstädter Münster zur anschließenden After-Mass gehe, unterhalte ich mich mit Katholiken und Katholikinnen / Christen und Christinnen / Menschen aus aller Welt über Gott und die Welt – Kirche ist Beziehung, das geht über Kommunikation.

Anstatt also über etwas zu predigen, das einem gerade privat interessiert, kann ein Bischof von Eichstätt den Glauben viel besser vermitteln, wenn er auf aktuelle Glaubensfragen und Konflikte reagiert, die in seinen Gemeinden aufbrechen. Ich erinnere mich, dass vor Jahren der emeritierte Theologie-Professor Peter Knauer bei uns in Lenting sprach, weil die damalige Gemeindereferentin ihn so bewunderte. Angekündigt war ein Eineinhalb-Tages-Seminar, endlich mal richtig „über den Glauben nachdenken“ zu können. Doch der ehemalige Ordinarius hielt eine Vorlesung: Während er zunächst noch die Leute bei den üblichen Vorstellungen abholte, bog er ab zu einem Gott, der nicht in der Welt wirkt. Es habe nie Wunder gegeben, außer der Naturwissenschaft und der Freiheit der Menschen sei da nichts; und Gebet sei lediglich eine Einbahnstraße, Gott antworte nicht. Nun könnte so eine deistische Theologie aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert ja Anlass sein zu heißen Diskussionen, die den eigenen Standpunkt finden lassen und den Glauben stärken. Auch aus Mist lässt sich Fruchtbares schaffen. Aber es gab keinen Moderator, der Professor ließ nur kurze Rückfragen zu, aber keine Diskussion, und wer tiefer nachfragte, den setzte er herab. Ein frustrierter Emeritus, der darunter leidet, dass niemand in der Fachwelt seinen verqueren Vorstellungen folgt, hatte eine diebische Freude daran, den normalen Leuten im Dorf ihren richtigen Glauben zu zerstören.

Der Pfarrer, kirchenüblich konfliktunfähig, sagte zu einer verstörten Teilnehmerin, das sei jetzt eben die Theologie, die zu glauben sei. Auf eine andere Teilnehmerin, die in totale Glaubenszweifel gestürzt wurde, reagierte er aggressiv, fertigte sie ab. Er hatte die Wahl, entweder der Teilnehmerin zu helfen und die Verhältnisse geradezurücken oder seine Gemeindereferentin zu kritisieren. Kollegenschutz ist in der aktuellen Kirche noch immer wichtiger als Wahrhaftigkeit, das ist ja auch die Wurzel des Fehlverhaltens beim Umgang mit sexuellem Missbrauch, und führt die Kirche weg vom Evangelium. Die Gemeindereferentin hatte sich nach aufkommender Kritik, anstatt dieser inhaltlich zu begegnen, krankgemeldet. Auf meine Forderung, das alles aufzuarbeiten, verwies der Pfarrer auf ein Glaubensgespräch im folgenden Jahr, nur um dann zu sagen, die Veranstaltung sei jetzt so lange her, darüber würde nicht mehr geredet. So funktioniert Machtmissbrauch in der Kirche, selbstverständlich auch von der untersten Ebene an: auflaufen lassen, verzögern, ausweichen.

Weil ich es dem damaligen Generalvikar Isi Vollnhals erzählt hatte, bekam es Bischof Hanke mit. Aber alles, was er dazu sagte war: Der Professor ist so alt, der werde hier ja keine Jünger mehr um sich scharen. Er ist dem Konflikt aus dem Weg gegangen und hat vor allem die Gesichtswahrung von Gemeindereferentin und Pfarrer an oberste Stelle gesetzt, nicht den beschädigten oder verunsicherten Glauben der Menschen. In einer funktionierenden Kirche hätte ein Bischof von Eichstätt den richtigen Glauben der normalen Leute verteidigt. Aber wer nicht in Konflikte geht, der hat es auch nicht so mit dem Beschützen. In einer funktionierenden Kirche hätte der Bischof die Chancen dieses Konfliktes genutzt, den Glauben zu erklären. Für einen Bischof von Eichstätt sollten solche Konflikte auf Gemeinde-Ebene oberste Priorität haben. Weiß eigentlich jemand, was die Prioritäten beim aktuellen Bischof von Eichstätt sind? Kommuniziert das jemand? Wird darüber in einem Gremium gesprochen, was Priorität haben sollte?

 

4. Mitmach-Kirche

Wenn ich gefragt werden würde, was Priorität für den Bischof haben sollte, würde ich antworten: Die Menschen vor Ort zu unterstützen, sich in der Gemeinde und darüber hinaus zu vernetzen, um zu einer Mitmach-Kirche zu werden. Als ich einmal mit meiner Lentinger PGR-Vorsitzenden zum Pfarrer ging, um vorzuschlagen, Kontakt mit Neu-Zugezogenen aufzunehmen, sagte der, noch bevor ich einen Atemzug tun konnte: „Das bringt nichts.“ In einer funktionierenden Kirche hätte ein Bischof von Eichstätt seinen Pfarrern klar vorgegeben, dass jeder Vorschlag erst einmal zu prüfen und zu testen und jedes Engagement der Gläubigen aufzunehmen ist. Auch das Beispiel Innovationskreis, siehe oben, zeigt ja, dass Bischof Hanke selber keine Ideen aufnimmt. Hier hätte er die Chance gehabt, die Diözese voranzubringen, ohne dass es Geld kostet: Mitarbeitende und Ehrenamtliche tun sich in ihrer Freizeit zusammen, um Ideen für ein besseres Pfarreileben zu entwerfen und zu sammeln.

Bischof Hanke hätte eine offizielle Bistums-Webseite für den Innovationskreis einrichten können, auf der jede Gemeinde Ideen eintragen kann und auch von den Ideen anderer profitiert; er hätte das Fragen-Set thematisieren können, um eine produktive Unruhe im Glauben zu erzeugen; er hätte in einem Hirtenwort darüber predigen und den Gemeinden der Diözesen anbieten können, sich daran zu beteiligen; doch nichts dergleichen hat er getan. So lange ein Bischof von Eichstätt Strukturen retten will, anstatt die Chancen zu nutzen, das Evangelium in die Welt zu tragen, so lange wird es mit der Kirche hier weiter bergab gehen.

Als ich im Mai beim Klerusverein Bayern sprach und das erzählte, sagte ein Priester, er würde sich ganz genau so verhalten und Initiativen der Gläubigen ablehnen. Und zwar weil alle Initiativen am Ende immer an ihm hängenbleiben würden. Diese Anekdote zeigt, warum die Kirche so schwach ist: weil sie mit ihrer hierarchischen Struktur in einer dezentralen, multipolaren Gesellschaft nicht mehr lebendig sein kann. Erst wenn der Pfarrer zwar leitet und der Eucharistie vorsteht, aber Verantwortung abgibt, sodass nicht alles an ihm hängt, werden Ideen fruchtbar werden, kann sich das Denken, Fühlen und Erleben des Evangeliums frei entfalten. Wenn es Krach gibt – und den wird es bei stärker selbstständig agierenden Gemeindemitgliedern geben – dann ist es die Hautaufgabe eines Pfarrers, theologische Fragen zu klären, bei Machtkämpfen einzugreifen, bei Interessenkollisionen zu vermitteln.

Was falsch läuft, kann man daran veranschaulichen, wie die Diözese Eichstätt mit den Wort-Gottes-Feiern umgeht. Dort, wo kein Pfarrer mehr kommen kann, dort können kirchliche Mitarbeitende, aber auch ausgebildete Ehrenamtliche Wort-Gottes-Feiern abhalten – in München ganz normal. So versammeln sie Menschen im Angesicht Gottes in einer Gemeinschaft, die diese beim Fernsehgottesdienst nicht haben; Menschen, die nicht ins übernächste Dorf zum Gottesdienst fahren oder gar nicht mehr kommen würden.

Nun hat die Bistumsleitung in Eichstätt die Ausbildung von „Laien“ für Wort-Gottes-Feiern nicht groß bekannt gemacht und beworben. Und die wenigen, die ausgebildet wurden, dürfen diese nur an Werktagen unter der Woche anbieten – das konterkariert den Sinn dieses Modells. Ich vermute, da steckt die Furcht dahinter, dann würden noch weniger in die Sonntagsmesse gehen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wenn Ehrenamtliche ausgebildet werden, dann ist das ein Mehr, nicht ein Weniger. Anstatt das Evangelium voranzubringen, ist der restriktive Umgang wieder einmal ein aussichtsloser Versuch mehr, Strukturen zu retten. In einer funktionierenden Kirche würde der Bischof bei den Gläubigen dafür werben, sich als Leiter von Wort-Gottes-Feiern ausbilden zu lassen – viel mehr Menschen würden sich aktiv mit ihrem Glauben auseinandersetzen, sich in kleinem Kreis zu ihrem Glauben austauschen, in der Bibel lesen. Ein Bischof, der das Evangelium lebendig halten will, der würde alles tun, damit es möglichst viele gibt, die in ihren Dörfchen Wort-Gottes-Feiern abhalten. Der Bischof von Eichstätt, den wir in 100 Jahren haben, der jedenfalls steht einer lebendigen Mitmach-Kirche vor, weil das Ausdruck des Glaubens ist.

 

5. Warum Kirchenstrukturen Ausdruck des Glaubens sind – und eben keine Gegensätze

Die Art, wie wir Kirche organisieren und leben – das ist Ausdruck unseres Glaubens. Ich halte die Aussagen von Bischof Hanke und vieler anderer daher für grundfalsch, wir sollten uns nicht um Macht- und Strukturfragen kümmern, sondern darum, den Glauben zu verkünden. Er übersieht: Auch Strukturen predigen. Eine Kirche, in der es intransparent zugeht, nach persönlichen Beziehungen anstatt nach Regeln entschieden wird und Täter aus Gründen der Gesichtswahrung geschützt werden, ist das Gegenstück zum Evangelium – und folgt oft selektiv dem Zeitgeist früherer Jahrhunderte. Was hier in Deutschland beim Nachdenken über Reformen der Kirche geschieht, ist, dem Evangelium wieder einen Schritt näherzukommen, wie es im Lauf der Geschichte allmählich offenbar wird.

Gott hat uns eine Frage gestellt. Gott fragt uns, ob wir mit ihm in Ewigkeit leben wollen. Denn er zwingt einen ja nicht dazu. Das Himmelreich ist keine Zwangshochzeit. Wir sind nicht die Haustiere vom lieben Gott, die Männchen machen müssen, um Futter zu bekommen. Es geht um Liebe. Und die ist immer freiwillig – Liebe kann man nicht erzwingen. Wie zeigen wir unsere Liebe? Wie antworten wir auf die Frage Gottes? Nicht mit Worten, nicht mit Gruppenzugehörigkeit, nicht mit äußeren Zeichen, sondern durch unser Tun in materiellem Handeln und in unserer

K o m m u n i k a t i o n.  Das Himmelreich können wir uns damit zwar nicht verdienen, das funktioniert nicht wie ein Buchhaltungskonto. Aber das Evangelium ist voller Gleichnisse und Geschichten, die erzählen, dass vor Gott das Verhalten des Menschen zählt, weil es die innere Haltung offenbart: Die Wahrheit sagen, sich nicht aus egoistischen Interessen verbiegen, Verantwortung für andere und das Ganze übernehmen: als barmherziger Samariter, als jemand, der Gefangene besucht, Bedürftige bekleidet; der am Tag von den Dächern verkündet, was im Dunklen ins Ohr geflüstert wurde. Das ist es, worum es jetzt bei den Reformen in der Kirche geht: Eine synodale Struktur und die dazugehörige Umgangskultur zu finden, das ist die Umsetzung des Evangeliums.

Unsere Antwort auf Gottes Frage: Wie ehrlich Bischof, Mitarbeitende und FunktionsträgerInnen miteinander umgehen, wie fair sie streiten und ob sie mit offenem Visier agieren, wie konstruktiv sie um das Allgemeinwohl ringen – das zeigt, wie sie die Liebe Gottes umsetzen, an welche Werte sie glauben. Das, und nicht ihre Verbalbeteuerungen. Die Kirchenverantwortlichen haben in der jüngeren Vergangenheit dagegen versucht, die Kirche über die Zeit zu retten, indem sie vor allem die Sakramente betont haben: Eucharistie, Beichte; die meiste Energie fließt darin, Kommunion und dann vielleicht noch Firmung bei den Jugendlichen aufrechtzuerhalten, bevor diese verschwinden. Ich kenne die Berichte von Priestern in Predigten über ein christliches Festival, bei denen Jugendliche phantastisch lange Schlangen vor Beichtstühlen bildeten; so als wären das Geschichten von einem fernen Schlaraffenland, zu dem wir wieder kommen müssten. Den Fehler, den ich darin sehe, ist, dass die Sakramente nie einen Selbstzweck erfüllen – Eucharistie gefeiert, Kommunion eingenommen, gebeichtet, und damit ist jemand nah an Gott? Sagte Christus: „Geht hinaus in alle Welt, und macht stille Anbetung“?

Es geht immer um das Tun. Die Sakramente bekommen ihren Sinn und ihre Wirkung durch das, worauf sie ausgerichtet sind. Was ist eine Beichte wert, wenn sich jemand danach nicht ändert? Was nützt eine Eucharistiefeier, wenn sich jemand egoistisch und unehrlich verhält? Nicht der kommt in den Himmel, der „Herr, Herr“ sagt, sondern der, der den Willen des Vaters  t u t.  Und wer den Gefangenen besucht, den Nackten bekleidet, den Kranken versorgt hat, obwohl er oder sie den Herrn doch gar nicht kannte.

Und jetzt geht es in der entwickelten Wissensgesellschaft um das Zusammenwirken der verschiedenen Kompetenzträger. Gott hat die Menschen unterschiedlich geschaffen, damit sie im Zusammenwirken zeigen, welche Haltung sie haben, welche Werte sie leben, was sie glauben. Orientieren sie sich am Eigennutz, dem eigenen Status und der eigenen Wirkmächtigkeit oder respektieren sie die berechtigten Interessen der anderen, wollen sie das Gesamtprojekt voranbringen? Das spiegelt sich auch in den neuen Strukturen, auf die wir uns hin entwickeln.

Der Bischof von Eichstätt ist der Bischof von Eichstätt

Der Bischof von Eichstätt ist der Bischof von Eichstätt. Er ist nicht der Bischof von Ostpolen und er ist kein Bischof aus Westafrika. Wenn er Abgesandte des Vatikans trifft, dann als Vertreter seiner Weltregion. Die Aufgabe eines Bischofs von Eichstätt ist, ihnen zu erklären, wie sich in seinem Gebiet sozioökonomische Strukturen wandeln und wie sich Kirchenstrukturen daran orientieren.

Gesellschaften wie in Osteuropa, die von der Sowjetunion besetzt waren und sich erst jetzt als Nation frei entfalten können, durchleb(t)en eine pubertäre Entwicklung von der kulturellen Unterdrückung, ihren Nationalismus zu entfalten, und übertragen diese Gruppenethik auf ihre Kirche – Einheit von Nation, Kirche und Familie. Aber das ist nicht Kirche, wie sie sein soll, es ist eine historische Momentaufnahme, und es ist nicht die Zukunft der Weltkirche.

Auch wenn die Kirche in Westafrika wächst – taugt sie zum Vorbild für uns? Sie ist umgeben von einer Subsistenz-Landwirtschaft; die Macht und der Status der Priester ist so groß, dass sie missbräuchlich wirken kann, Gewaltanwendung kommt vor; das Geld-Einsammeln in der Kirche nimmt einen großen Raum ein; die Entfaltung des einzelnen ist eher verpönt, noch immer herrscht eine Gruppenethik.

Eine christliche Universalethik, in der sich der einzelne in Freiheit mit seinen von Gott gegebenen Gaben entfalten kann, diese aber nicht für sich, sondern für das Gemeinwohl einsetzt – diese Ethik kann sich erst unter den entwickelten Bedingungen der Wissensgesellschaft entfalten: Transparenz, gemeinschaftliche Verantwortung; Widerspruch und Reflexion, um konstruktiv um Lösungen zu ringen.

Die Überlegungen, wie Kirche neu und synodal gestaltet werden kann, ist also weder ein Rückschritt noch ein deutscher Sonderweg – die Weltsynode zeigt, dass überall in der Weltkirche gleiche Fragen und Themen auftauchen. Um das Verhalten von Bischof Hanke einzuordnen, sei daran erinnert, dass nach all den Missbrauchs-, Vertuschungs- und Machtskandalen die deutschen Bischöfe völlig erschöpft und ratlos waren, so dass sie einen einstimmigen Beschluss fassten, auf die „Laien“ aus den Diözesen und Verbänden zuzugehen – der Synodale Weg war eine Initiative der Bischöfe. Sie haben zusammen mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken das aufgegriffen, was auch schon das KirchenVolksBegehren von Wir sind Kirche 1995 vorgeschlagen hatte. Dass dabei auch Themen aufkommen, die nicht zum Kern des Problems gehören und aufhalten, ist natürlich – aber an der Auseinandersetzung über ein neues Miteinander in der Kirche führt kein Weg mehr vorbei.

Auf der Vollversammlung des Diözesanrates 2023 hat Bischof Hanke dazu ausführlich Stellung genommen. Ich habe mich gemeldet, wir würden jetzt zwar wissen, warum er den Synodalen Weg nicht mitträgt; aber was sei denn dann die Lösung für die Probleme, die er anzubieten hat? Da kam dann überhaupt nichts. Und das geht in einer konstruktiven Kultur nicht mehr so wie früher: Es reicht nicht, dagegen zu sein. Ein Bischof von Eichstätt, so meine Erwartung, muss ohne Phrasen echte Lösungen für ein echtes Problem anbieten.

Bischof Hanke verweist auf Rom. Seine Vorstellung, in der Kirchenzentrale in Rom würden heilige und schlaue Kardinäle sitzen, aus Ostpolen oder Westafrika, sozialisiert vor einem halben Jahrhundert, die wüssten, wie es in Zukunft bei uns in Mitteleuropa mit der Kirche weitergehen soll, halte ich für völlig unrealistisch. Bischof Hanke sollte das Buch „Sodom“ von Frédéric Martel zur Kenntnis nehmen: Kardinäle sind ihm moralisch nicht überlegen. Wieder scheint hier ein Mangel an Verantwortung durch, die er einfach nach oben weiterreicht, anstatt als Bischof von Eichstätt unsere Erfahrungen der Weltkirche zu repräsentieren. Während das Gesprächsklima zwischen Deutscher Bischofskonferenz und der Kurie inzwischen gut ist, haderte der Vorsitzende der Bischofskonferenz noch im Juni 2023 damit, dass sein Brief an Rom, um dort den Synodalen Weg in Deutschland zu erklären, noch nicht einmal mit einer Eingangsbestätigung quittiert wurde. Gleichzeitig haben interessierte Kreise in der Weltkirche Lügen über den Weg in Deutschland verbreitet, etwa, dass hier in Zukunft die Laien über Glaubensfragen abstimmen würden. Die Aufgabe eines Bischofs von Eichstätt ist, dem entgegenzutreten, und zwar unabhängig von seinem Standpunkt, um der Wahrheit willen. Es geht darum, die Kirche weiter hin zum Evangelium zu entwickeln, und nicht, sie in den Strukturen zu belassen, die den Missbraucht erzeugten. Wie hat diese Kirche bisher ausgesehen?

 

6. Warum Strukturen den Missbrauch erzeugen, und deshalb verändert gehören

Wir alle kennen den Fall eines Priesters aus Eichstätt, der in der Vergangenheit Frauen missbrauchte, per Haftbefehl gesucht wurde, vom damaligen Bischof Brems zuerst in Afrika und dann in Südamerika versteckt wurde, wo er seine Untaten weitertrieb, bei vollen Bezügen aus Eichstätt, um dann im Alter hier so weiterzumachen wie zuvor. Auch wenn es in anderen Teilen der Gesellschaft sexuellen Missbrauch gibt: Der eigentliche Skandal in der Kirche war und ist das Wegschauen der Verantwortlichen, eine systemische, flächendeckende Tatsache. Eine Kultur, in der es immer darum geht, das Ansehen zu wahren, sich gegenseitig zu schützen, keine Schuld anzuerkennen, statt zu versuchen, sie wiedergutzumachen. Nur um die eigene Macht aufrechtzuerhalten, unwidersprochen nach eigenem Gutdünken agieren zu können – das ist weitestmöglich entfernt vom Evangelium, das wir in die Welt tragen sollen.

Die Kirchenleitung insgesamt hat erst unter äußerem Druck darauf reagiert, nachdem seit 2010 immer mehr Missbrauchsfälle ans Tageslicht gekommen sind. Und viele Beispiele zeigen, dass Aufklärer resigniert aufgeben, weil sie immer noch auf Widerstand stoßen und behindert werden. Die Kirche hat mit Prävention und Schutz für Kinder vor Missbrauch reagiert, was aber am Thema vorbeigeht: Denn auch bei allen anderen innerkirchlichen Delikten kann die Kultur des Selbstschutzes statt der Wahrheitsfindung zum Tragen kommen. Deswegen hat die Deutsche Bischofskonferenz vor etwa drei Jahren ein Konzept einer innerkirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit entwickelt und nach Rom geschickt, wo es seitdem unbeantwortet ignoriert wird.

Der Fall einer verschwundenen historischen Urkunde in Lenting ist ein weiteres gutes Argument für so eine notwendige Instanz: Die Bischofskongregation in Rom sollte sich das Verhalten von Bischof Hanke sehr genau anschauen, um es als Anlass zu nehmen, den Vorschlag der Deutschen Bischofskonferenz zu einer kontrollierenden Instanz aufzunehmen.

Es geht um eine spezielle Ablassurkunde aus dem Jahr 1500, handschriftlich untergeschrieben von zwölf Kardinälen, die der damalige Pfarrer mit Beziehungen besorgen konnte, weil er im Vatikan gearbeitet hatte. Erst mit diesem Ablassbrief kam das Geld in das arme Dorf, um das Kapellchen zu einer richtigen Kirche auszubauen. Und die Ortsadelige Argula von Grumbach hatte diese Urkunde vor Augen, als sie Luther unterstützte und sich mit dem Ingolstädter Professoren Johannes Eck anlegte. Seit das mit dem Ablass aus der Mode gekommen war, hing die Urkunde weitgehend unbeachtet hinter Glas an der Wand in dem alten Zimmer neben dem Altar, durch das es zum Turm geht und das früher als Sakristei diente, bis in der Nachkriegszeit eine neue Sakristei angebaut wurde.

Stefan Weyergraf-Streit ist in Lenting aufgewachsen und kennt die Urkunde aus seiner Zeit als Oberministrant in den 80er- und 90er- Jahren. Nicht nur als Künstler aus Eichstätt hat er sich weit über die Landesgrenze hinaus einen Namen gemacht, auch als Heimatforscher hat er sehr viel geleistet, etwa die Grundherrschaft im mittelalterlichen Dorf aufgearbeitet oder die Geschichte des Wasserschlosses – er kennt sich aus. Da er die Lentinger Kirche nun gezielt erforschen wollte, kam er 2021 zusammen mit seiner Frau und – wie er sagt – mit der Schwester des Pfarrers in das Turmzimmer, das die ihm aufsperrte. Er wollte die Urkunde fotografieren, was wegen Gegenlichts nicht ging, sagt er heute, und abschrauben ließ sich der schwere Eichenrahmen mit den eingerosteten Schrauben auch nicht. So beließ er es, er habe aber den Pfarrer auf die Bedeutung der Urkunde aufmerksam gemacht. Als er im September 2022 wiederkam, war die Ablassurkunde weg, die Stelle an der Wand war weiß getüncht, berichtet er. Er informierte den Pfarrer, der in der Zeit ein paar Monate wegen Herzproblemen ausgefallen und von einem Nachbarpfarrer vertreten worden war; der versprach, sich darum zu kümmern. Und dann hörte Stefan Weyergraf nichts mehr. Als er nach zwei Monaten nachfragte, sagte der Pfarrer, da sei nie was gewesen. Und er habe für sowas keine Zeit. Er ging Gesprächen aus dem Weg. Der Pfarrgemeinderat wollte es nicht hören. Der Pfarrer und seine Schwester bestritten den Besuch von Weyergraf.

Hier steht also Aussage gegen Aussage. Weil der Ablassbrief auf der Inventarliste von 1938 steht, war klar, dass Weyergraf hier nicht etwas erfunden hat, wie der Pfarrer sagt. Der Künstler erinnerte sich daran, dass der Vertretungspfarrer sinngemäß gesagt hatte, die Lentinger seien so doof, die würden ja noch an Ablass glauben. Die Frage ist, ob man den Vorfall einfach so stehenlässt oder sich dafür einsetzt, dass der im Raum stehende Verdacht ausgeräumt wird. Ich wäre darüber hinweggegangen, hätte ich auf meine zwei Nachfragen bei mit dem Fall Betroffenen nicht aggressive Reaktionen bekommen, die mir als ehemaligem Stadtredakteur zeigten, dass hier nicht „nichts“ ist. Ich habe deshalb alle Informationen auch in Interviewform mit Stefan Weyergraf-Streit zusammengestellt und über die PGR-Vorsitzende ein Treffen mit Pfarrer, Weyergraf, Mesner und Kirchenpfleger in der Kirche erreicht – neun Monate, nachdem Weyergraf den Pfarrer über den Verlust informiert hatte, der aber bislang „für so etwas keine Zeit“ hatte. In der Kirche wurde der Pfarrer laut, so als ob Schreien Tatsachen ersetzen würde. Als Weyergraf-Streit von seinem Besuch in der Kirche berichtete, schüttelte der Pfarrer den Kopf und negierte das – Weyergraf kann aber seinen Besuch in der Kirche mit einem Foto nachweisen, das er mit Datumsangabe von der Monstranz gemacht hat. Daraufhin haben der Pfarrer und seine Schwester ihre Aussage später angepasst, sie hätte dem Künstler zwar die Kirche aufgesperrt, aber nicht die Tür zum Turmzimmer. Als wir nach dem „Austausch“ ins Turmzimmer gingen, war die von Weyergraf benannte Wand, die nach seinen Angaben zuvor frisch getüncht war, nun wie eine unberührte alte Wand – das lässt sich mit Schwamm und Ruß theoretisch manipulieren. Außerdem war an der Stelle ein dickes auffälliges Spinnennetz drapiert, während sonst nirgends eines zu sehen war. Einer der Mesner wies mich extra darauf hin. Das Foto, das der Diözesanarchivar eine Woche zuvor von der Stelle gemacht hat, zeigt aber eine Wand ohne Spinnennetz.

Auch ich kann nicht wissen, welche Aussage stimmt. Doch die Vorgänge legen nahe, dass die Version von Weyergraf-Streit zumindest stimmig genug ist, dass der Fall untersucht werden sollte. Deswegen wollte ich Anzeige erstatten, doch der Kirchenpfleger übernahm das für mich. Drei Monate später schrieb die Staatsanwaltschaft, dass kein Täter ermittelt werden konnte, allerdings ohne Weyergraf-Streit befragt zu haben noch die Wand auf Spuren wie etwa verfüllte Bohrlöcher und Reste der weißen Farbe zu untersuchen. Ob das an einer überlasteten Polizei liegt oder an einem anderen Grund – jedenfalls sollte der Staat nicht darüber hinweggehen, wenn die Kirche eine historische Quelle verliert, die ihr zwar juristisch, aber vom historischen Erbe her der ganzen Gesellschaft gehört.

Auch wenn ich kein Ministrant war, erinnere ich mich, dass Mitschüler in der Grundschule ehrfurchtsvoll von der alten Urkunde im Turmzimmer sprachen. Es gibt ehemalige Ministranten, die Weyergrafs Angaben teilen, und auch der Kirchenpfleger bestätigt, dass an dieser Wand etwas hing, auch wenn er nicht sagen könne, was. Es ist also klar, dass eine Wand, die vorgibt, alt und unberührt zu sein, eine Lüge ist. Gleichwohl hat der Pfarrer eine Unterschriftenliste von sechs ehemaligen oder aktiven Mesnern beschafft, die bezeugen wollen, dass da nie was war. Während man bei den etwa 80jährigen konstatieren kann, dass zu ihrer Zeit das Turmzimmer möbliert und die Urkunde daher unauffällig und kaum sichtbar war, könnte ich mir bei den anderen die Möglichkeit vorstellen, dass sie wegen ihrer Nähe zum Pfarrer aus Gefälligkeit unterschrieben haben und es bei dem einen oder anderen sogar um mögliche Mitwisser oder gar eventuelle Mittäter handelt. Darüber hinaus ist es kein Beweis, wenn sich jemand an etwas nicht erinnern kann, und numerisch stimmen wir schon mal gar nicht über Wahrheit ab.

Während der Pfarrer verbreitete, die Staatsanwaltschaft hätte ermittelt, der Fall sei erledigt, schrieb ich ihm, solange weder der Zeuge gehört noch die Wand auf Spuren untersucht wurde, sei er nicht von dem Verdacht befreit, einen schweren Diebstahl zu vertuschen. Würde seine Version stimmen, Stefan Weyergraf-Streit würde sich nur was einbilden: Warum ist er der Klärung aus dem Weg gegangen? Und wenn die Urkunde nicht jetzt, sondern vor seiner Zeit verschwunden sei – warum macht er es nicht öffentlich und ruft die Alt-Lentinger auf, mal auf dem Dachboden nachzusehen, was der Opa da gelagert hat? Oder ob sonst jemand etwas weiß? Und ob er den Sachverhalt dem Bischof gemeldet habe? Nein. Ich habe dann dem Bischof geschrieben. In einer funktionierenden Kirche würde ein Bischof die Beteiligten an einen Tisch holen, er würde ihre Aussagen aufnehmen und vergleichen lassen, besonders die Widersprüche; er würde die Polizei bitten, die Anzeige weiterzuverfolgen, um den im Raum stehenden Vorwurf auszuräumen. Er würde in der Öffentlichkeit nachfragen, ob es Zeugen gibt. Er würde sich bei Herrn Weyergraf bedanken, dass er sich nicht hat abwimmeln lassen und auf den Verlust hingewiesen hat. Und ja, er würde Leute, die einem Missstand nachgehen und Wahrheitssuche an erste Stelle stellen, als Vorbild hinstellen, damit sich auch in anderen Gemeinden Mitglieder trauen werden, mögliche Missstände zu benennen. Aber Bischof Hanke hat meine Briefe ignoriert und sich so verhalten, wie es der bisherigen Kultur entspricht, die wir doch alle endlich überwinden wollen.

Das liegt zu einem Teil am Diözesanarchivar, der, von Weyergraf im Juli 2023 informiert, die Kirche in Lenting besuchte. Im Telefonat versuchte er, mir die Aufklärung auszureden – mit haarsträubenden Argumenten: Die Urkunde sie nicht viel wert gewesen (was nicht stimmt, weil es eben kein Massenerzeugnis war, sondern eine Sonderanfertigung, von zwölf Kardinälen unterschrieben); das komme doch öfters vor, dass eine Urkunde verschwinde, und sei nichts Besonderes; der Lentinger Pfarrer sei doch herzkrank, und mit einer Untersuchung könne man sein Leben riskieren, wer wolle das verantworten; es sei unwahrscheinlich, dass die Angaben von Weyergraf-Streit stimmten, weil Ablassurkunden meist aus Pergament und nicht aus Papier gewesen seien (das unterstreicht eher die Bedeutung der Urkunde), und an der Wand kann nie was gehangen haben (da er kein Spurensicherer ist, ist das zu beurteilen wohl außerhalb seiner Kompetenz). Die Wand zu untersuchen sei doch viel zu teuer (das erledigt die Spurensicherung der Polizei). Skurril auch seine Einlassung, dass das Inventarverzeichnis ja nicht beweise, dass die Urkunde damals noch vorhanden war.  

Warum tut der Diözesanarchivar alles, um eine Untersuchung zu verhindern? Warum hat sich der Lentinger Pfarrer nicht einfach nach seinem Krankenhausaufenthalt zurückgelehnt und es Eichstätt und der Polizei überlassen, den Fall zu klären? Hier geht es um ein viel grundlegenderes Problem: Offensichtlich gehört es in der Kirche von Eichstätt zu den unausgesprochenen Regeln, dass von einem Kirchenmitarbeiter erwartet wird, die Taten eines Kollegen zu decken. Deswegen schrieb ich dem Bischof, er solle es in seiner Diözese klarstellen, dass Wahrheitssuche an oberster Stelle stehe, nicht Gesichtswahrung wie bisher – keine Antwort. Ich fragte ihn, ob er sich nicht bei dem Zeugen Weyergraf-Streit bedanken will, dass dieser auf den Verlust hingewiesen hat, auch um in der Diözese die Leute zu ermutigen, sich nicht einschüchtern zu lassen – keine Antwort. Ich fragte ihn, ob ich als Aufklärer ein Vorbild bin oder ein Störer – keine Antwort. Da mir vor Weihnachten der PGR schrieb, er habe jetzt schon so viele Mails geschrieben und Telefonate geführt wegen des Ablassbriefs, er habe jetzt keine Lust mehr, sich damit zu beschäftigen, bat ich wegen des bevorstehenden Helferkreisessens den Bischof um Vermittlung – keine Antwort. Das gehört zu den dringendsten Reformbedürfnissen der Kirche: Dass es nicht der Stimmung, Befindlichkeit und Willkür „Ihro allerheiligste Gnaden“ überlassen bleibt, ob sie einem „untertänigst formulierenden“ Briefschreiber antwortet oder nicht. Wir brauchen Transparenz, Richtlinien und eine Instanz, die sie überwacht und durchsetzt.

Da Bischof Hanke den Zeugen auch weiterhin ignorierte, habe ich den Fall über die gesetzlich vorgeschriebene, neu eingerichtete Whistleblower-Hotline der Diözese vorgetragen. Die hat zwar tatsächlich Weyergraf-Streit vernommen. Doch der Fall landet wieder auf dem Schreibtisch des Amtschefs, also des Bischofs – der deswegen ja nicht anders entscheidet als zuvor, nämlich bewusst wegzuschauen. Die Whistleblower-Hotline erfüllt also ihre Aufgabe nicht ganz. Ich habe den Vorstand des Diözesanrates informiert, der den Bischof ansprach. Hanke verwies auf die Ausführungen des Diözesanarchivars. Doch ich hatte in einem langen Brief an ihn dargelegt, dass dessen Angaben nicht stichhaltig sind – er ignoriert es. Wieder verschiebt er seine Verantwortung auf einen anderen.

Wegen meiner Nachfragen zu den Gremien bekam ich im Januar einen Termin bei Amtschef Schäfers. Dabei konnte ich auch direkt meinen Eindruck schildern, wie die Beteiligten vor Ort reagierten und warum ich glaube, dass die Angaben von Weyergraf-Streit glaubwürdig genug sind, überprüft zu werden. Es war aber kein Gespräch, bei dem Schäfers auf meine Argumente einging oder gar etwas bewegt wurde. Seine abschließende Bemerkung, in seiner Herkunftsdiözese würde so ein Fall untersucht werden, zeigt, dass die Verantwortung für das Wegsehen allein bei Bischof Hanke liegt. Schäfers behauptete, was ich schon zuvor gehört hatte, nämlich dass den Bischof das gar nichts anginge, der Fall sei allein eine Sache der Kirchenstiftung. Doch der im Kultusministerium zuständige Ministerialrat sagte mir, dass der Bischof selbstverständlich sowohl die Aufsicht als auch ein Durchgriffsrecht auf die Lentinger Kirchenstiftung hat. Die Haltung der Bistumsleitung berührt wieder die Themen Verantwortung und Wahrhaftigkeit. Später bekam ich den Eindruck, es sei bei dem Termin mit Schäfers gar nicht darum gegangen, sich auszutauschen, weil es dann gegenüber Dritten hieß, sie hätten mit Händeler gesprochen – so als ob sie sich ernsthaft um das Problem gekümmert oder mit mir inhaltlich gesprochen hätten. Weil all das nicht funktionierte, informierte ich die Süddeutsche Zeitung, über den ungelösten Fall zu schreiben. Bischof Hanke ließ sich zitieren, die Pfarrei habe alles richtig gemacht: also der Pfarrer, der sich monatelang nicht den Fragen stellte; der PGR, der den Zeugen nicht anhören will, und auch dass sie nicht nach dem ersten Ermittlungs-Aus der Staatsanwaltschaft nochmal nachgefasst haben.

Also habe ich im Diözesanrat im März 2024 den Antrag gestellt, Hinweisgeber seien anzuhören – mit Bezug auf diesen Fall. Bischof Hanke rief den DR-Vorstand zu sich und forderte, dass ich meinen Antrag zurückziehen müsse, mit der Begründung, er müsse seine Mitarbeiter schützen. Aber genau das ist ja die Definition von Vertuschen. Nicht Wahrheitssuche, sondern persönliche Loyalität zählen in einer verweltlichten Kirche, die wieder auf das Evangelium zurückgeführt werden muss. Wenn die Angaben von Weyergraf-Streit stimmen, dann ist das wie beim sexuellen Missbrauch, jetzt nur ohne Sex, dafür mit Ablassurkunde. Hanke setzte sich durch. Von Schäfers wird die Aussage sinngemäß überliefert, der Händeler müsse aufpassen, dass er nicht juristisch belangt werde. Daraufhin schrieb ich Schäfers, was genau ich denn falsch machen würde, dass er eine solche Drohung ausspricht. In einer gesunden Organisation würde er dann entweder bestreiten, so etwas gesagt zu haben, oder zurückziehen, oder er würde es sachlich begründen, damit es nachvollziehbar wird. Aber warum sollte jemand verklagt werden, nur weil er die Arbeit des Bischofs macht, auf Aufklärung zu bestehen? Stattdessen schrieb Schäfers zurück, er wolle wissen, wer das gesagt habe. Ich nannte Namen, aber auch, dass er ablenke. Dann schrieb er zurück, er habe nur vor Grenzüberschreitungen gewarnt. Was bitte schön ist an meinem Tun eine „Grenzüberschreitung“?

Erst im Frühsommer 24 vernimmt die Polizei die Beteiligten, wohl nachdem die Internetplattform katholisch.de bei der Staatsanwaltschaft nachgefragt hat. Doch wieder stellt sie die Ermittlungen ein – zum heutigen Zeitpunkt (17.09.24) habe ich keine Informationen, warum. Als ich dem ermittelnden Kommissar sagte, die Wand müsse untersucht werden, ob sie mit den verfüllten Bohrlöchern manipuliert wurde oder nicht, lehnte er das ab mit der Begründung, das würde ja nicht beweisen, was da hing. Ich entgegnete, sie stünden im Zusammenhang mit Aussagen von Weyergraf-Streit, und die Spuren, wenn sie da wären, würden den Täterkreis auf drei Personen eingrenzen. Die Staatsanwältin schreibt mir (20.9.), dass ich keinen Anspruch auf Auskunft habe. Ich gehe also davon aus, dass die Wand nicht untersucht wurde.

Es bleibt also der Vorwurf im Raum, dass Kirchenmitarbeiter eine Urkunde gestohlen oder vernichtet haben, und es ein anderer Pfarrer vertuscht. Solange die Spuren an der Wand nicht untersucht werden, kann die Frage nicht beantwortet werden, ob die Aussagen von Stefan Weyergraf-Streit stimmen oder dort tatsächlich nie etwas war. Um den Vorwurf auszuräumen, sollte Bischof Hanke die Staatsanwaltschaft bitten, die Spuren an der Wand zu untersuchen. Oder selber ein Gutachten in Auftrag geben, das sich auch durch Spenden finanzieren lässt. Denn wenn er es nicht tut, bleibt er jeden Tag mit dem Vorwurf konfrontiert, den Verdacht nicht auszuräumen. Die eigentliche Dramatik dahinter ist aber eine andere: Was erwarten wir von einem Bischof von Eichstätt, wie er sich in so einem Fall verhalten sollte? Das zentrale Thema ist m.E. das Thema Verantwortung.

 

7. Verantwortung übernehmen

Der Verlust von 25 Millionen Euro Anlagekapital in den USA ist keine plötzliche kriminelle Tat, die zufällig über die Kirche von Eichstätt hereingebrochen ist, sondern auch die Folge von intransparenten Strukturen und einer Reihe von Fehlentscheidungen, die Bischof Hanke zuvor getroffen hat. Würden Wort und Tat nicht so weit auseinanderliegen, das Geld wäre in wertbeständige Anlagen in der Diözese investiert worden, die auch sozial Gutes stiften. Und spätestens seit der Finanzkrise von 2008 war auch über Predigten hinaus klar, dass Investmentbanker in einer Kirche nichts zu suchen haben.

Noch 2018 gab es einen kaufmännischen Mitarbeiter, der für die Diözese und unter der formalen Hierarchie eines weitgehend kenntnislosen Domkapitulars die Arbeit als Finanzverantwortlicher machte. (Dass er hier seinen Namen nicht lesen möchte, dazu schreibe ich weiter unten.) Er wurde 2018 unter Druck dazu gebracht, den Arbeitsvertrag „einvernehmlich“ aufzuheben, ohne dass für ihn und andere Umstehende ein nachvollziehbarer Grund vorlag. Der Investmentbanker, der später den Schaden verursachte, schwirrte damals schon in Eichstätt umher. Da unsere Frauen befreundet sind, habe ich hautnah miterlebt, wie die plötzliche Wegnahme des Arbeitsplatzes den Familienvater mit schulpflichtigen Kindern zwang, sich beruflich neu aufzustellen – sie mussten schließlich nach Berlin ziehen. Verbittert hat ihn, dass es – so seine damalige Aussage – nicht wirklich eine Begründung dafür gab, ihn abzusetzen. Ob es einen Zusammenhang gibt, hat der frühere Generalvikar Isi Vollnhals mir gegenüber bestritten, ich halte es aber für möglich und für naheliegend: Kurz darauf kam der Investmentbanker.

Laut Bischof Hankes Erzählung habe ihn eine unabhängige Findungskommission eingestellt. Doch ich gehe davon aus, dass die Mitglieder der Kommission sehr wohl wussten, dass der Banker vor Jahrzehnten einige Zeit im Noviziat mit Bischof Hanke verbracht hatte, und dass sie sich so nahestehen, dass Hanke sogar Taufpate seines Kindes ist. Wer würde es wagen – man denke an die engen Abhängigkeiten im Kirchenapparat – den Kandidaten nicht einzustellen? Und stimmt die Behauptung, Hanke habe seinem Investmentbanker ein Renditeziel vorgegeben? In einer Zeit der Nullzinsen? Und dafür soll dann das Domkapitel verantwortlich sein? Anstatt sich als Opfer darzustellen, hätte Bischof Hanke Verantwortung übernehmen sollen für seinen Part an der Geschichte. Niemand hat den Banker kontrolliert, Entscheidungen fielen im Hinterzimmer. Bis heute wird der Diözesanrat oder das Domkapitel nicht gefragt, wie Kapital einzusetzen ist. Wenn ein anderer Bischof von Eichstätt gewesen wäre, der Investmentbanker wäre wohl nicht eingestellt worden. Und er wäre kontrolliert worden, was man bei einem Freund vom Bischof eher nicht so offensiv tut. Ob Bischof Hankes Angabe stimmt, dass er nicht wusste, wohin das Geld geflossen ist, oder doch, wie auch im Bistum gemurmelt wird, kann ich nicht beurteilen. Doch ich finde beide Versionen schlimm und kann kaum sagen, welche der beiden Versionen bestürzender ist.

 

Schlusswort

So landen wir bei fast jedem Vorkommnis bei den Themen Wahrhaftigkeit, Gesichtswahrung, Verantwortung, Transparenz, Beteiligung, Kommunikation. Ich arbeite weder für die Diözese noch habe ich irgendein Amt inne. Wenn ich allein aus dem Wenigen, das ich mitbekomme, über 30 Seiten an Veränderungsbedarf schreiben kann, wie sieht es dann erst bei denen aus, die in dieser Umgangskultur und in diesen Strukturen tagtäglich arbeiten?

Die Bistumsleitung schreibt im „Zukunftsplan“, sie wolle wachsen, allerdings ohne zu sagen, wie. Demgegenüber steht die Wirklichkeit einer Liste langer Namen kompetenter, engagierter und erfahrener Leute, die die Diözese mehr oder weniger freiwillig verlassen mussten oder flüchteten. Eine Organisation, die Jesus Christus nachfolgt, in der kommen Probleme auf den Tisch und werden gelöst. Nach einigen Gesprächen mit den Mitarbeitenden der Kirche von Eichstätt habe ich den Eindruck, dass es jenen, die mitdenken, sich einsetzen und deswegen auch mal widersprechen, passieren kann, unter Druck gesetzt werden, zu gehen. Oder sie werden versetzt.

Wie viele gute Köpfe haben wir verloren! Wieso wird eine äußert wirksame Frauenseelsorgerin Martha Gottschalk zu den Büchereien abgeschoben? Wie will die Bistumsleitung – nach eigener Aussage – wachsen, wenn sie eine Gemeindereferentin/Sozialpädagogin absägt, die für Ihre Aufgabe brannte? Und was ist mit Thomas Schrollinger, der auf Bitte des Bischofs von seinem Leitungsamt zurücktrat und nun wieder als Ständiger Diakon arbeitet?

Der frühere kaufmännische Mitarbeiter weigert sich, diesen Text zu lesen, weil er nicht möchte, dass die Erinnerungen von damals wieder in ihm hochkommen. Seine Frau schreibt mir, sein Name solle im Text nicht auftauchen, weil das riskant sei. „Wir haben ein gutes und ruhiges Leben und hoffen, dass es so weiter bleibt.“ So äußert sich sonst nur jemand, der früher mit der Mafia zu tun hatte. So sollte es nicht sein, wenn jemand für die Kirche von Eichstätt gearbeitet hat. Und das ist kein Einzelfall, sondern nach Gesprächen mit Mitarbeitenden habe ich den Eindruck, das kommt häufiger vor. Von der langen Liste an Namen, die gegen ihren Willen versetzt, geflüchtet oder in die Auflösung ihres Arbeitsvertrages gedrängt wurden, ist kaum jemand bereit, darüber zu reden. Ein Mitarbeiter begründet mir das in der Rückmeldung mit Situationen, „wenn Gegendarstellungen erwirkt werden, wenn Namen nicht genannt werden dürfen, um deren Persönlichkeitsrechte zu schützen, wenn sich niemand frei fühlt, zu sagen, was ist, wenn unterbunden werden muss, was rufschädigend sein soll“. Wenn Amtschef Schäfers jetzt versuchen sollte, mich mit der Drohung juristischer Konsequenzen einzuschüchtern, und verlangt, die Klarnamen herauszugeben: sicher. Aber nicht ihm, weil Mitarbeitende und Ehemalige Konsequenzen fürchten. Sondern dem Metropoliten in Bamberg, dem Papstbotschafter oder einem Visitator aus Rom, für den sich die Anreise nach Eichstätt zu Bischof Hanke allein wegen des Umgangs mit manchen Mitarbeitern lohnen würde.

Wenn ich Hauptamtliche frage, was sie von einem Bischof von Eichstätt erwarten, kommt meist an erster Stelle: dass er uns motiviert. Doch wenn der sich einbunkert, auf das absehbare Ende seiner Amtszeit wartet und anderen die Schuld gibt, dann motiviert das nicht. An den Früchten werdet Ihr sie erkennen. Über die Ressourcen, die wir von Gott anvertraut bekommen haben, werden wir einst Rechenschaft ablegen müssen. Das gilt für jeden von uns. Auch für einen Bischof von Eichstätt. Im Gleichnis von den Gold-Talenten habe ich hier das Bild desjenigen vor Augen, der nur eine Münze bekam, aber sie ängstlich in der Erde vergrub, wo sie keine Frucht brachte.

„In den Pastoralkonferenzen und Zukunftsworkshops ging es immer nur darum, das Vorhandene aufrechtzuerhalten. Echte Ideen wurden ignoriert, Eingaben nicht bearbeitet“, schreibt mir ein Mitarbeiter als Rückmeldung zu diesem Text, und fährt fort: „Kirchenentwicklung war für Euch das Erstellen von theoretischen Konzepten, aber nicht der Kontakt und die Kommunikation, nicht das Miteinander einen Weg gehen, nicht das Suchen nach dem Leben von Synodalität und auch nicht die Erfahrbarkeit von Partizipation. Wenn grundsätzliche Fragen gestellt wurden, haben sie Euch gestört, wenn Arbeitskreise und Bewegungen Ergebnisse hervorbrachten, wurden sie bis heute in der Schublade gehalten. Und unbequeme Menschen wolltet ihr irgendwann loswerden.“

Natürlich werden sehr viele anderer Meinung sein als ich, aber wahrscheinlich jeweils in unterschiedlichen Punkten. Denn darum geht es hier: dass wir endlich überhaupt mal ins Gespräch kommen, wie wir als Kirche zusammenleben wollen und was wir von einem Bischof von Eichstätt erwarten, damit wir die Kirche für die nächsten 500 Jahre neu aufbauen können. Was dabei genannt wird, wird für den Bischof von Eichstätt in 100 Jahren selbstverständlich sein. Aber müssen wir in der Kirche immer erst 100 Jahre warten, bis sich etwas positiv verändert? Am besten wäre es, Bischof Hanke würde offensiv nach vorne gehen und Vorschläge machen, wie er sich die von Papst Franziskus gewünschte Synodalität vor Ort, in dem ihm seit 18 Jahren anvertrauten Bistum vorstellt. Und alles, was wir heute diskutieren, hilft dem nächsten Bischof, die Dinge besser zu machen. Natürlich lässt sich so eine Debatte auch wie bisher mit den üblichen Methoden unterbinden: mit Nebelkerzen, Verzögerung, ausweichen, juristischen Drohungen, Themenablenkung, teilen und herrschen, Diffamierung von Kritikern. Aber das löst das Problem nicht, sondern könnte zum schlimmstmöglichen Katastrophenszenario führen: dass nämlich von einem Bischof von Eichstätt niemand mehr etwas erwartet. Weil ihnen damit auch Kirche völlig gleichgültig geworden ist.

 

 

Erik Händeler (*1969) ist berufenes Mitglied im Diözesanrat Eichstätt sowie in mehreren kirchlichen Gremien und Verbänden engagiert. Er arbeitet als freier Wirtschaftsjournalist, Autor und Vortragsredner.

 

Der Entwurf dieses Textes wurde am 20. Juli 2024 an Amtschef Schäfers verschickt, damit Bischof Hanke sich vor Veröffentlichung dazu äußern und eventuelle faktischen Fehler korrigieren kann. Er hat die Chance ungenutzt gelassen, in den Dialog einzutreten.

 

Der Text wird fortlaufend geändert, wenn sich neue Entwicklungen oder Korrekturen ergeben. Fassung vom 18.09.2024.

 

Zuletzt geändert am 20­.09.2024