12.7.2014 - Süddeutsche Zeitung
Es gibt ein Leben nach der Kirche
VON BIANCA BÄR
Anfangs setzte Helmut Bergmann noch auf himmlischen Beistand. „Ich habe gehofft, Gott könnte mir helfen, das Gebot der Ehelosigkeit zu achten. Drei Jahre nach der Weihe wurde mir klar, dass das reiner Selbstbetrug ist“, erinnert er sich an seine Zeit als Priester in den Achtzigerjahren. Mit Anfang dreißig lernte der Kaplan eine junge Frau kennen, mit der ihn mehr als nur die gemeinsame Liebe zur Musik verband. Doch die heimliche Beziehung zerbrach an dem ständigen Versteckspiel. „Trotzdem habe ich danach beschlossen, mein Amt aufzugeben“, sagt Bergmann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. „Ich dachte, dass sich diese leidvolle Erfahrung ja wiederholen könnte. Und ich wollte mir diese Heimlichtuerei nicht noch einmal antun.“
Nicht jeder zweifelnde Priester hängt seinen Talar so konsequent an den Nagel. Die Entscheidung, das Amt aufzugeben, ist ein Schritt ins Ungewisse – auf den weltlichen Arbeitsmarkt. Viele befürchten, als Geistliche dort keine Chance zu haben. Und tatsächlich ist der Weg voller Hürden und unbekannter Herausforderungen.
„Zunächst teilt der Priester dem Bischof mit, dass er ausscheiden möchte. Der suspendiert ihn daraufhin“, sagt Claus Schiffgen, Vorsitzender der Vereinigung katholischer Priester und ihrer Frauen (VkPF), eines Zusammenschlusses verheirateter, ehemaliger Priester. Auf Wunsch folgt daraufhin die Laisierung, also die Rückversetzung in den Laienstand. „Das Ziel dabei ist, klare Verhältnisse zu schaffen“, sagt Schiffgen. „Solange ein Priester nicht laisiert ist, darf er nämlich nicht im kirchlichen Umfeld arbeiten. Der Beruf Religionslehrer bleibt so für viele erst einmal tabu.“ Weil sich eine Laisierung nicht selten über mehrere Jahre hinzieht, müssen die meisten abtrünnigen Priester viel Kreativität an den Tag legen, um auf dem weltlichen Arbeitsmarkt eine Nische zu finden.
„Viele tendieren zu sozialen Berufen wie Kranken- oder Altenpfleger“, sagt Schiffgen. „Auch im Versicherungsbereich finden manche eine Beschäftigung.“ Grundsätzlich seien ehemalige Priester überall dort gut aufgehoben, wo es darum gehe, mit Menschen zusammenzuarbeiten und Beziehungen zu koordinieren. Da sie häufig mit ihren Soft Skills punkten könnten, sei auch das Personalwesen ein interessantes Berufsfeld. Für die fachliche Qualifikation bieten manche Unternehmen Crashkurse für Quereinsteiger ins Personalwesen an. Manchmal sei auch ein neues Studium oder eine Berufsausbildung nötig. „In jedem Fall sind bei der Arbeitssuche Eigeninitiative, Hartnäckigkeit und Flexibilität gefragt. Man darf nicht auf einen Beruf oder einen Ort fixiert sein“, sagt Schiffgen.
Wenn Suspendierte als freie Seelsorger arbeiten, können sie Ärger bekommen
Im Amt erworbene Fortbildungsqualifikationen im Bereich der Gesprächsseelsorge oderder Gruppenführung können den Zugang zum psychologischen und pädagogischen Bereich erleichtern. So hat sich beispielsweise der ehemalige Priester Edgar Büttner nach Fortbildungen in Krisenpädagogik und Lerntraining als Coach und Trainer selbständig gemacht. Seit zwanzig Jahren schult er Führungskräfte der mittleren und unteren Ebene. Dabei komme ihm seine Empathie zugute, sagt Büttner, eine der wichtigsten Eigenschaften vieler Geistlicher.
Außerdem zeichneten sich viele Priester durch breite Allgemeinbildung, Lernbereitschaft, Kritikfähigkeit und einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn aus. „Auch an hierarchische Strukturen sind ehemalige Pfarrer und Kapläne gewöhnt. Was sie allerdings lernen müssen, ist der Umgang mit sozialen Konflikten und Streitkultur. Sonst gehen sie unter“, meint Büttner.
Einfach sei die Vermittlung ehemaliger Priester nicht, sagt Doris Litz von der Bundesagentur für Arbeit. „Im letzten Jahr haben wir einen ehemaligen Geistlichen bezuschusst, der sich als freier Trauerredner selbständig machen wollte.“ Doch das mache die Arbeitsagentur nur in Ausnahmefällen. „Hätten wir eine Stelle für ihn gefunden, hätten wir die Selbständigkeit sicher nicht mitfinanziert“, sagt Litz.
Der VkPF-Vorsitzende Schiffgen rät von der Tätigkeit als freier Redner bei Hochzeiten und Beerdigungen oder als freier Seelsorger ab. „Suspendierte verstoßen dabei gegen das ihnen auferlegte Berufsverbot und können sich Ärger mit der Kirchenleitung einholen. Im Extremfall droht sogar die Exkommunikation.“ Für jemanden, der auf die Laisierung wartet und auf eine spätere Beschäftigung als Religionslehrer hofft, sei das kein guter Schachzug.
Helmut Bergmann ist eine Ausnahme. Obwohl seine Laisierung noch nicht abgeschlossen war, beschäftigte ihn die Diözese Rottenburg-Stuttgart als Religionslehrer. „Aber nach drei Jahren befristeter Tätigkeit hätte mich die Diözese unbefristet übernehmen müssen. Nur leider war ich immer noch nicht laisiert. Dauerhaft wollten sie einen nicht laisierten Priester aber nicht als Religionslehrer anstellen“, sagt er. Erfolglos versuchte er in anderen Diözesen als Religionslehrer unterzukommen. Schließlich blieb ihm nichts anderes übrig, als sich bei der Arbeitsagentur als vorübergehend arbeitssuchend zu melden.
Manche Bistümer unterstützen ausscheidende Priester finanziell bei einer neuen Ausbildung
Schiffgen rät in jedem Fall dazu, gleich nach der Suspendierung die Arbeitsagentur aufzusuchen, auch um im Ernstfall einen Anspruch auf Hartz IV geltend zu machen. „Den Suspendierten drohen oft finanzielle Probleme. Als Priester waren sie weder arbeitslosen- noch rentenversichert“ , sagt Schiffgen. Die Kirche sei zwar verpflichtet, die Rentenversicherung nachzuzahlen, oft aber beschränkten sich die Bistümer dabei auf einen möglichst niedrigen Rentensatz, der dem Status des Priesters nicht angemessen sei.
Ein noch größeres Problem sei die fehlende Arbeitslosenversicherung. „So mancher wird dann zum Sozialfall und muss vom Partner finanziell mitgetragen werden“, sagt Schiffgen. Einige Bistümer bieten auch eine Art Übergangsversorgung an. Pro Dienstjahr erhält der suspendierte Priester dann einen bestimmten Betrag. In Würzburg liegt dieser beispielsweise bei 3000 Euro. In anderen Bistümern werden nach der Suspendierung noch drei bis vier Monatsgehälter gezahlt – das Startkapital in ein neues Leben.
„Wir konnten in den letzten Jahren viele scheidende Priester so unterstützen, dass sie sich teilweise hervorragende Positionen erarbeiten konnten“, sagt Albrecht Siedler, Finanzdirektor der Diözese Würzburg. „In einigen Fällen haben wir eine Aufzahlung zur Ausbildung oder einen Zuschuss zum Aufbaustudium geleistet. Wir wollen schließlich erreichen, dass die ehemaligen Priester auch auf dem säkularen Arbeitsmarkt schnell Fuß fassen können.“ Aus diesem Grund trifft sich der Generalvikar der Diözese Würzburg, Karl Hillenbrand, seit 2008 zweimal im Jahr mit ausgeschiedenen Priestern. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, wie jedem Suspendierten individuell bei seinem beruflichen Neuanfang geholfen werden kann.
Steht der Berufswunsch fest, muss der Priester, meist zum ersten Mal in seinem Leben, ein Bewerbungsprozedere absolvieren. „Viele haben darin null Erfahrung“, sagt Schiffgen. „Sie sollten sich dringend Hilfe von der Arbeitsagentur holen. Bei Bewerbungen geht es schließlich vor allem darum, sich selbst zu verkaufen. Das mussten die Priester vorher nicht, sie wurden durch ihr Amt automatisch respektiert und galten als Vorbild.“
Trotz aller Schwierigkeiten zieht es die wenigsten ehemaligen Geistlichen zurück an den Altar. „Mir ist nur ein einziger Fall bekannt, in dem sich der Priester in sein altes Leben zurücksehnte“, sagt Schiffgen. „99 Prozent der Suspendierten finden ihren Weg außerhalb des Priesterberufs.“
Bildunterschrift: Zwischen Suspendierung und Laisierung liegen oft mehrere Jahre. Das macht es ausscheidenden Geistlichen schwer, eine neue Beschäftigung – etwa als Religionslehrer – zu finden.
Zuletzt geändert am 12.07.2014