zur Rasssismus-Debatte Juni 2020
Gott schuf Menschen - nicht Rassen
Todesfall George Floyd als Fanal - BLACK LIVES MATTER
Am 25. Mai 2020 wurde der unbewaffnete 46-jährige Afroamerikaner George Floyd bei einer Festnahme in Minneapolis/Minnesota durch Polzeigewalt getötet. Der Polizist Derek Chauvin kniete fast neun Minuten lang auf dem Hals des Verhafteten. Chauvins drei Kollegen schritten nicht ein. Videos gingen um die Welt. Der Mord löste eine Welle von Protesten und Anteilnahme in USA und in aller Welt aus. Präsident Trump zeichnete sich (wieder einmal) nicht als Versöhner aus.
Der Polizistenmord am Amerikaner George Floyd ist ein Fanal. Schwarze geraten um ein Vielfaches öfter ins Fadenkreuz der Justiz. Der weltweit aufgeflammte Protest drückt auch das Entsetzen über die Straflosigkeit der weißen Täter aus. Dies führte zu dem Slogan: Black Lives Matter – schwarze Leben zählen! Der Vorsitzender der US-Bischöfe, Erzbischof José Gomez/Los sagt: „Rassismus wird in unserer Lebensweise schon viel zu lange toleriert“. Der Bostoner Erzbischof O‘Malley mahnt zu gesellschaftlicher Auseinandersetzung mit Diskriminierung, Ungleichheit und Gewalt als „andauerndem Erbe“ der Sklaverei.
Rassismus als Herrschaftsideologie
Bei Rassismus geht es wie bei Sexismus um eines der großen Ungleichheitsverhältnisse der Gegenwart.
Die Debatte muss die Kolonialgeschichte ebenso betreffen wie Diskriminierungserfahrungen von Migranten überhaupt. Europäer waren es, die durch Raubzüge und Plünderungen, durch gewinnträchtigen Menschen-Handel, durch die willkürliche Ausbeutung der reichen Bodenschätze Afrikas, durch die systematische Unterwerfung und Ausrottung ganzer Stämme, durch die Zerstörung blühender Reiche und Städte verantwortlich sind für einen Zustand der Unterentwicklung in Afrika, in dem noch heute die meisten der allerärmsten Staaten liegen. Die Welt wurde aufgeteilt in gebende und nehmende „Rassen“. Eine regelrechte „Rechtfertigungslehre“ wurde entwickelt, um nur ja den Verrat aller hehren Ideale Europas zu verbergen. Die Rolle der Kirche bei der Missionierung mit Bibel und Schwert ist dabei längst nicht aufgearbeitet. Kultureller und religiöser Vorherrschaftswahn.
Wir könnten lernen von Forschungen über die Ursprünge totaler Herrschaft. Hannah Arendt (1906-1975) beschreibt, wie der überseeische Imperialismus die politischen Räume der Gesellschaft zersetzt. Sowohl in der Außenpolitik als auch in der Innenpolitik werden Hindernisse beseitigt, die die Expansion des Kapitals stören. Der Drang nach unbegrenzter Herrschaft zeigt sich am stärksten im Imperialismus, der unersättlich nach Annexion greift. Durch die Sprengung nationaler Grenzen vergrößern und vergröbern sich die Konflikte. In die Abgrenzung der „Meisterrasse“ von den nicht zur Welt-Herrschaft Berufenen dringt Rassismus, zumindest Abwertung.
Womit wir mitten in der durch die Pandemie verdrängten Flüchtlingspolitik, besser Abschottungspolitik Europas sind. In der Flüchtlingsfrage ergeben sich Rückschlüsse aus der Imperialismus-Geschichte Europas. Gesprengte Grenzen machen Angst. Man registriert den globalen Gegenverkehr skeptisch bis allergisch. Abwehrreaktionen sind: Flucht in Rassismus oder Integrationsstress. Heimatverlust instrumentalisieren Heimatversprecher und Angstprediger für politische Zwecke. Man denkt alles zum Ärgsten. Die politische Kardinaltugend, die Angst um persönliche Sicherheit zu überwinden, heißt: intellektuelle Courage, Mut, sich um die gemeinsame Welt zu kümmern.
Am Beispiel der „Rassengesellschaft“ (Südafrika) verdeutlicht H. Arendt das Zusammenwirken von Rassismus und Kapitalismus im überseeischen Imperialismus. Carl Peters etwa, ein deutscher Afrika-Forscher mit rassistischer Einstellung gilt als Begründer der Kolonie Deutsch-Ost-Afrika (Tansania). (Von Namibia, Kamerun, Togo nicht zu reden) Das sozialdemokratische Zentralorgan „Vorwärts“ nannte Peters einen „grimmigen Arier, der alle Juden vertilgen will und in Ermangelung von Juden drüben in Afrika Neger totschießt wie Spatzen und zum Vergnügen Negermädchen aufhängt, nachdem sie seinen Lüsten gedient.“
Hannah Arendt verbat sich Mitleid, wo Menschenrecht am Platz sei. Universales Mitleid, das in radikaler Liebe gründet, sprengt die Grenzen des Gemeinschaftlichen zugunsten einer Orientierung am Weltbürgertum. Zwischen Moral und Politik ist zu unterscheiden. Gerechtigkeit muss Unterdrückten, Verfolgten widerfahren, nicht weil sie moralisch gute Menschen sind, sondern weil sie Menschen sind.
Wir könnten lernen von den Protestschriften eines Jean Ziegler, der den Hass auf den Westen durch dessen imperiale Expansion erklärt. „Rassismus ist das Wesen des Kolonialismus.“ (Jean Ziegler) Oder von Achille Mbembe, (*1957), einem Historiker aus Kamerun. Er bekommt 2015 für sein Buch „Kritik der schwarzen Vernunft“ den Geschwister-Scholl-Preis. Der scharfsinnige Analytiker postkolonialer Macht argumentiert, der Zorn sei ein Erbe der Kolonialzeit. Gesellschaften, die einmal rassistisch ausgebeutet wurden, litten noch mehrere Generationen lang an den Folgen dieser Unterdrückung. Heute ist es der Fortbestand kolonialer Verhältnisse im eigenen Denken, der die Menschen empört. Sein Ideal sei „eine Welt, die befreit ist von der Last der Rasse und des Ressentiments und des Wunsches nach Rache, die jeder Rassismus auslöst.“ „Dem Rassismus von heute genügt beispielsweise die Forderung, die Grenzen zu schließen, Jagd auf Ausländer zu machen oder Flüchtlinge in ihre Heimat zurück-zuschicken.“ Rassismus trug Europas Kolonialismus, vor allem in Afrika. Afrika ist das dunkle Geheimnis Europas. Das Wissen darüber ist schwach ausgeprägt.
(Rassen-) Diskriminierung im Alltag
In Hanau wurden Leute ermordet, weil sie in Shisha-Bars waren. Beim NSU-Fall gab es unglaubliche Geschichten von Verharmlosung rassistischer Taten, falschen Ermittlungen, unsensibler Behandlung von Opfern. Über den alltäglichen Rassismus in der Schule schreibt NEWS4TEACHERS am 18.6.2020: „Böse Blicke, blöde Bemerkungen – Ausgrenzung beginnt im Alltäglichen.“ „Rassismus hat immer etwas mit Machtstrukturen zu tun. Und das äußert sich dann ganz unterschiedlich. Die zugeschriebene Herkunft, die Erstsprache oder die Religionszugehörigkeit wird abgewertet.“ Es sind die kleinen, alltäglichen Demütigungen, die zeigen: „Du bist anders, du gehörst nicht hierher.“
Den alltäglichen Rassismus erleben wir auf der Straße. „Sind wir denn hier im Busch?“, ruft eine Frau einer anderen hinterer, die in afrikanischer Kleidung zum Bahnhof geht. Welche Bilder werden uns von Afrika vermittelt: Busch oder Großstadt? „Wenn Sie keinen anständigen Badeanzug anziehen, dann haben Sie im Schwimmbad nichts verloren“, wird eine Muslima geschmäht. Eine afghanische Familie hat endlich eine gute Wohnung bekommen – gemietet wurde sie von einer Deutschen, weil man ja den Ausländern nicht trauen kann, obwohl der Mann im Ort eine feste Arbeitsstelle hat. Hand aufs Herz: Gestehen wir uns unseren alltäglichen Rassismus ein? Und was tun wir, wenn er uns in unserem Alltag begegnet?
Solidarität aus urchristlicher Überzeugung
Der Kniefall ist zu einer Demutsgeste geworden, die den Respekt vor Opfern des Rassismus ausdrückt.
Politiker, Polizisten, Sportler machen einen Kniefall als Zeichen gegen Rassismus und Polizeiwillkür. In England etwa werden Denkmäler von Sklavenhändlern gestürzt, die sich als Wohltäter eine reine Weste machen wollten. Wir können als Kirche nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, als ob uns das nichts anginge, als sei das nur Sache der Politik. Wir könnten meinen, das Ganze sei sehr weit weg, Deutschland leide doch nicht unter Nachwirkungen von Sklaverei wie die USA. Das ist aber zu kurz gegriffen; denn den historischen Rassismus gab es im Kolonialismus, im Nationalsozialismus in Extremform. Und den alltäglichen Rassismus, den gibt es auch bei uns. Wie steht es um den Rassismus in unserer eigenen Kirche?
„Gebt einander ein Zeichen des Friedens und der Versöhnung!“, werden wir in jeder Eucharistiefeier aufgerufen. Dass man ihm nicht die Hand geben will, ist für D. „gottesdienstlicher Alltag“. „Es wird auch nach Möglichkeit vermieden, neben Dunkelhäutigen zu sitzen“, ergänzt D., der seinen vollen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Das mit dem Sitzplatz, der neben Menschen mit dunklerer Hautfarbe frei bleibt, erlebt der 36-Jährige auch im Bus, in der Tram, in der U-Bahn. (SZ 11.3.2019). „Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes schuf er ihn.“ Aus dem Respekt vor der Gott-Ebenbildlichkeit aller Menschen, ob Schwarz, ob Weiß, ob Mann, ob Frau, ob divers, ob religiös, ob atheistisch – egal - wir setzen uns für die Achtung voreinander ein.
Günther Doliwa/Magnus Lux, Bundesteam von Wir sind Kirche 19. Juni 2020
Video: Rassismus in Deutschland, ZDF / Frontal21 19. Juni 2020 (12 Minuten)
Seit dem Tod des Afroamerikaners George Floyd protestieren Menschen weltweit gegen Rassismus, auch hierzulande. Denn viele Schwarze Deutsche erfahren ihr Leben lang immer wieder Diskriminierung, Ausgrenzung und manchmal auch Gewalt - im Job, bei der Wohnungssuche oder auf der Straße. #Frontal21 lässt Betroffene zu Wort kommen und fragt nach den Ursachen und Strukturen in der Gesellschaft, die Rassismus begünstigen.
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Zuletzt geändert am 24.06.2020