Susanne Ludewig / Christian Weisner
"Dienst an der Weltkirche"
in: Michaela Labudda / Marcus Leitschuh (Hg.): Synodaler Weg – Letzte Chance?
Standpunkte zur Zukunft der katholischen Kirche
> Bonifatius-Verlag 15. Januar 2021, ISBN 978-3-89710-873-8, ca. 216 Seiten, 18,90 Euro
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Übersetzungen dieses Artikels ins Englische, Italienische und Portugiesische vorhanden:
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„Man kann die Lehre nicht bewahren, ohne ihre Entwicklung zuzulassen. Man kann sie auch nicht an eine enge oder unveränderte Auslegung binden, ohne den Heiligen Geist und sein Handeln zu demütigen.“ So sagte es Papst Franziskus im Oktober 2017 anlässlich der Gedenkfeier zum 25. Jahrestag der Veröffentlichung des Katechismus.
Langer Weg zum Synodalen Weg
Nach der Aufdeckung des Missbrauchs am Berliner Canisius-Kolleg im Januar 2010 hatten die Bischöfe es noch alleine mit einem von ihnen kontrollierten „Dialogprozess“ versucht, der aber sehr schnell zu einem unverbindlichen „Gesprächsprozess“ herabgestuft wurde und im Sande verlief. Erst die erschütternden Ergebnisse der MHG-Studie im Herbst 2018 und die Proteste vor allem der Frauen bei der Bischofskonferenz im Frühjahr 2019 in Lingen führten zur Einsicht, dass die Bischöfe auf die Zusammenarbeit mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und mit Expert*innen „von außen" angewiesen sind.
Der Vatikan hat sich in dieser kirchenpolitischen Gemengelage nicht als hilfreich erwiesen. Der unerwartete Brief von Papst Franziskus „An das pilgernde Volk Gottes in Deutschland“ und andere Stimmen aus dem Vatikan lösten 2019 ein sehr unterschiedliches Echo aus. Aber Franziskus spricht von einer „Zeitenwende“, „die neue und alte Fragen aufwirft, angesichts derer eine Auseinandersetzung berechtigt und notwendig ist“. Er ermuntert zu einer
„freimütigen Antwort auf die gegenwärtige Situation“ und lobt, dass die Kirche in Deutschland „der Weltkirche große heilige Männer und Frauen, große Theologen und Theologinnen sowie geistliche Hirten und Laien geschenkt“ habe. Franziskus spricht von einer „Synodalität von unten nach oben“, erst danach komme die „Synodalität von oben nach unten“.
Einüben in Geschwisterlichkeit
Papst Franziskus, der sich unter Bezug auf Paul VI. und das Zweite Vatikanische Konzil vehement für eine synodale Kirche auf allen Ebenen ausspricht, müsste daran seine Freude haben: Auf der ersten Vollversammlung des Synodalen Weges wurde so freimütig debattiert, so respektvoll zugehört wie lange nicht in einem offiziellen katholischen Gremium. Der Verzicht auf alle Machtsymbolik prägte die erste Syno- dalversammlung, schien aber einige doch zu irritieren.
Dieser Synodale Weg setzt einen grundlegenden Mentalitäts-, wenn nicht gar Paradigmenwechsel voraus, ganz im Sinne des bischöflichen Wortes „Gemeinsam Kirche sein“ (2015). Denn auch formale Strukturen, gerade in einer so auf Tradition und Symbolik ausgerichteten Kirche, sind Teil der kirchlichen Botschaft. Und alle Versuche, den Glauben und die Evangelisierung neu in den Mittelpunkt zu stellen, können nur vor der Kulisse veränderter Strukturen Früchte tragen. Am Rande der ersten Synodalversammlung und der fünf Regionenkonferenzen waren Reformgruppen, Frauenverbände und Maria 2.0 sehr präsent als Hoffnungsträgerinnen einer gewandelten Kirche. Zumindest einige Bischöfe brachten zum Ausdruck, dass die Kirchenleitung den Kontakt zu den Frauen nicht ganz verlieren will. Aber nur freundlich miteinander zu reden wird nicht mehr ausreichen.
Dynamik der Widerstände
Die Corona-Krise hat bestehende Entfremdungsprozesse zwischen Kirchenleitung und Kirchenvolk verschärft und beschleunigt. Nach der völlig unerwarteten und äußerst irritierenden Instruktion der Klerus-Kongregation im Juli 2020 äußerten manche gar, nun habe sich der Synodale Weg ganz erledigt. Der ohne jede Konsultation mit den Kirchen vor Ort in Rom erstellte lebens- und glaubensfremde Text tut so, als hätten wir in Deutschland noch nie über missionarische Pfarreien nachgedacht. Hat die Klerus-Kongregation die wissenschaftlichen und pastoralen Debatten der letzten 50 Jahre nicht zur Kenntnis genommen? Doch weder die Corona-Krise noch die jüngste Instruktion der Klerus-Kongregation darf den mühsam begonnenen, dringend notwendigen Reformprozess abbremsen oder gar zum Stillstand bringen, appellierte ein Offener Brief der KirchenVolksBewegung, der auf viel Zustimmung stieß. Es brauche ein breites Bündnis der Reformkräfte, auch in der Bischofskonferenz.
Dienst an der Weltkirche
International findet der Synodale Weg schon jetzt große Beachtung. Weltweit werden Hoffnungen darauf gesetzt, dass auf die Krisen der Gegenwart pastoral verantwortliche und theologisch fundierte Antworten gefunden werden. Wir brauchen eine Weiterentwicklung der kirchlichen Lehre. Die Vorschläge für zeitgemäße Dienste und Strukturen sollten von der großen Mehrheit aller Teilnehmenden, auch der Bischöfe, mitgetragen werden. Nach dem aktuellen Kirchenrecht muss die Umsetzung ohnehin durch jeden einzelnen Bischof für sein Bistum erfolgen. Und viele der grundsätzli- chen Fragen wie der Pflichtzölibat für Priester oder die Weihe von Frauen sind und bleiben dem Papst oder gar einem Konzil vorbehalten.
Der Synodale Weg in Deutschland will und kann auch mit noch so guten Beratungen und Beschlüssen die Weltkirche nicht direkt verändern. Doch die durch die Missbrauchsskandale offenbar gewordene Kirchenleitungskrise und die Verweigerung von zeitgemäßen Reformen gibt es nicht nur in Deutschland. Weltweit, das zeigen die Missbrauchsskandale, befindet sich die römisch-katholische Kirche in einer existenziellen Krise. Wenn es aber hier in Deutschland gelingen sollte, eine theologische Auseinandersetzung auf der Höhe der Zeit zu führen und tragfähige Lösungsvorschläge für die aufgestauten Reformen zu finden, dann werden diese auch vom Vatikan nicht mehr ignoriert werden können. Dies wäre dann kein deutscher Sonderweg, sondern ein Dienst an der Weltkirche. Ohne vorzeigbare Ergebnisse und ohne deren Anerkennung durch Rom jedoch wird die katholische Kirche weiter an Glaubwürdigkeit verlieren und es werden selbst die gehen, die sich jetzt noch engagieren.
Gretchenfrage Frauenfrage
Das katholische Amtssystem ist in einer tiefen Krise und die Geschlechtergerechtigkeit ist ein Schlüsselproblem. Nicht die Weihe von Frauen muss begründet werden, sondern deren Ausschluss! Die offene, auch kontroverse Diskussion in der Arbeitsgruppe „Frauen“ lässt zumindest hoffen. Viele Reformen wurden dort aufgelistet, die auch ohne Änderungen im Kirchenrecht schon jetzt umgesetzt werden könnten. Am Ende könnte als erster Schritt in der Weihefrage die möglichst einstimmige Empfehlung des Ständigen Diakonats der Frau in einer synodal-diakonischen Kirche mit neu gestalteten Ämtern stehen – ähnlich dem Votum der Würzburger Synode vor 45 Jahren.
Die Zeit drängt
Viele Chancen wurden verpasst, manche sehen den Synodalen Weg als „letzte Chance“. Das Papier „Dialog statt Dialogverweigerung“ (1992) des ZdK, in dem bereits der Abschied vom Klerikalismus, Patriarchat und Zentralismus angemahnt wurde, das KirchenVolksBegehren Wir sind Kirche 1995 mit 1,8 Millionen Unterschriften, der unverbindliche
„Dialog-/Gesprächsprozess“ (2011–2015) der deutschen Bischöfe sowie viele andere Reformprozesse und -initiativen der vergangenen Jahrzehnte – sie alle blieben ohne kirchenamtliche Folgen. Dem Vorschlag der „Gemeinsamen Konferenz“ für ein „Zukunftsforum“ erteilten die Bischöfe noch 2008 eine Absage. Reformgruppen wie „Wir sind Kirche“ wurden weder beim Gesprächsprozess 2011–2015 noch beim Synodalen Weg mit einbezogen.
Der Synodale Weg ist ein steiniger Weg und muss es sein. Erst wenn nach einer fundierten Debatte wirkliche Reue, Umkehr und Neuorientierung erkennbar und auch konkrete Veränderungen umgesetzt werden, verdient es die verfasste Kirche, dass die Menschen ihr wieder Glaubwürdigkeit zuerkennen. Dazu gibt es keine Alternative. Ein grundlegender Wandel in Lehre und Struktur, in Theologie und Pastoral ist dringend notwendig, wenn das Christentum auch zukünftig noch relevant für die Menschen sein will.
Die Zeit drängt. Das Zeitfenster, in dem die Kirche ihre Glaubwürdigkeit wiedererlangen kann, schließt sich. Nur gemeinsam als Kirchenvolk und Kirchenleitung können wir die Zukunft der Kirche so gestalten, dass sie vielen wieder Heimat werden kann: eine Kirche der Glaubenden, der Hoffenden und der Liebenden, die die Themen der Menschen heute aufgreift, nämlich weltweite Solidarität und Bewahrung der Schöpfung. Suchen wir gemeinsam nach neuen Wegen, die wir im Vertrauen auf die Heilige Geistkraft gehen können;
nach Wegen, die viele mitgehen können, die an der realen Kirche verzweifelt sind, aber den Glauben an die frohe Botschaft vom Reich Gottes nicht aufgegeben haben; nach Wegen, die zu gehen auch Jugendliche und junge Erwachsene begeistern kann. Denken wir das Unmögliche: Wer keine Utopie hat, ist kein Realist. Helfen wir hier in Deutschland Papst Franziskus, der eine synodale Kirche auf allen Ebenen will!
All diejenigen, die immer noch grundsätzlich an der Notwendigkeit des Synodalen Weges zweifeln, sollten sich die tiefe Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise bewusstmachen, die die jahrzehntelang praktizierte und vertuschte sexualisierte Gewalt an Kindern, Jugendlichen, Seminaristen, Frauen und sogar Ordensfrauen verursacht hat. Prof. Thomas Söding ist zuzustimmen, der bei der ersten Synodalversammlung sagte: „Wir werden in der Synodalversamm- lung nicht alle Probleme der katholischen Kirche lösen. Aber wir müssen dort anpacken, wo man sich die Finger verbrennen kann.“
Susanne Ludewig, *1965, Romanistin, Pflegedienstleiterin in der Altenpflege, Wir sind Kirche-Bundesteam, Kassel
Christian Weisner, *1951, Stadtplaner i.R., Mitinitiator des KirchenVolksBegehrens 1995 in Deutschland, Wir sind Kirche-Bundesteam, Dachau
Zuletzt geändert am 15.03.2021