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Veröffentlicht am 01­.12.2020

Stefan Herbst zur Situation in Köln

Roma locuta, causa finita? Von den gefährlichen Träumereien und falschen Fährten eines Erzbischofs

Am 11.12.2020 hat Kardinal Wölki mitgeteilt, dass er sein Handeln im Missbrauchsfall des mittlerweile verstorbenen Priesters dem Papst – gemeint ist der römischen Kurie - zur Überprüfung vorgelegt habe.

Den Vorgang fasst der WDR folgendermaßen zusammen:

„Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki hat Papst Franziskus gebeten, zu prüfen, ob er eine Pflichtverletzung nach Kirchenrecht begangen hat. Woelki hatte angekündigt, sich dem Vorwurf des Vertuschens einer sexuellen Straftat zu stellen.

Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki will sich dem Vorwurf stellen, einen schweren Fall von sexualisierter Gewalt eines Pfarrers vertuscht zu haben. Das hat das Erzbistum Köln am Donnerstag nachmittag angekündigt. Das Bistum Münster meldete indes, dass der Münsteraner Bischof Felix Genn kirchenrechtliche Schritte gegen Woelki prüfen will.

Kardinal Woelki will März-Gutachten abwarten

In Köln setzt man auf eine eigene juristische Auswertung: Wie sein Umgang mit einem mutmaßlichen Missbrauchstäter strafrechtlich und kirchenrechtlich zu bewerten sei, werde das von ihm beauftragte Gutachten des Kölner Strafrechtlers Björn Gercke im März aufzeigen, erklärte Woelki.“

https://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/erzbistum-koeln-vorwuerfe-gegen-woelki-100.html

Damit gibt Wölki zu verstehen: Ich habe keine Schuld auf mich geladen, ich erkenne keine persönliche Schuld. Ich habe mich stets nach den Normen des Kirchenrechts verhalten. Dem Vatikan obliegt es, dies zu untersuchen und zu entscheiden. Außerdem ist dies ein geschickter Schachzug, um vom eigenen Versagen abzulenken. Kirchenpolitisch gibt er zu verstehen, liege nun der Ball im Feld des Vatikans. Darauf solle man nur warten. Währenddessen bleibt alles so wie gehabt – er kann ruhig weiterregieren. Woelki spielt auf Zeit – er hofft auf das schnelle Vergessen, er hofft, dass dieses kirchentaktische Ablenkungsmanöver aufgeht.

Es ist dies die gleiche Verzögerungsstrategie, die er mit dem wohl unangenehmen Missbrauchsberichten an den Tag gelegt hat. Verzögern, verschleppen, sich einsichtig geben, aber nichts ändern. Andere nutzen, dass sie die Kohlen für ihn aus dem Feuer holen und andere vorausschicken, die seine Scham bedecken. Bis dahin,so sein Kalkül, kann ich weiter Bischof sein, meinem „Amt“ als Bischof von Köln nachgehen, das mir von Papst Franziskus anvertraut wurde. Ich bin ein treuer Kirchendiener, der stets nach Recht und Gesetz gehandelt hat. Du Papst, du Kurie sprich mich frei. Decke auf, dass die Anklagen, die gegen mich erhoben werden, nicht begründet sind. Denn Maßstab meines Handelns war und ist das Kirchenrecht. Bis die anderen das begriffen haben, lass die Anklagen von Dir abprallen, lenke ab, sitze aus. Mach weiter so und bleibe im Hebel der Handlungsmacht.

Es ist dies ein weiteres verheerendes Signal eines Kirchenbeamten, eines Bischofs, der sich versucht selbst zu exkulpieren mit dem Hinweis auf das Kirchenrecht. Er versteht nicht das Drama, das sich hinter seinem Handeln der letzten Jahre verbirgt. Kann er, so verschiebt sich nun die Frage, auch Rom für sich in die Bresche springen lassen?

Wird Rom ihm das durchgehen lassen?

Aber die eigentliche Frage lautet:  kann er, selbst wenn er subjektiv stets nach Recht und Gesetz gehandelt hat, sich nicht dennoch an den Opfern des Missbrauchs versündigt haben? Kann er mit seinem sündhaften Fehlverhalten in Sachen Missbrauchsskandal und Umgang mit den Opfern der Gemeinschaft der Kirche als herausragende Figur dieser Kirche Schaden zugefügt haben? Wie schwer wiegt der Schaden – kann er wirklich, wie er das offensichtlich will, einfach weitermachen?

Die Vorwürfe wiegen schwer: Der an ihn gerichtete Vorwurf, sich nicht regelkonform verhalten zu haben, ist nur derjenige auf den ersten Blick. Ein weiterer Vorwurf liegt viel tiefer, nämlich derjenige, dass er durch sein Verhalten der Verschleierung und Vertuschung des Missbrauchs diesem Vorschub geleistet hat, dass er Missbrauchte, die auf ihn und seine Worte (Transparenz) vertraut haben, erneut instrumentalisiert und manipuliert hat. Es sind diese beiden Vorwürfe, mit denen er sich jetzt konfrontiert sieht: Wurde er also durch sein Verhalten mitschuldig daran, dass die Missbrauchstaten weiter begangen werden konnten – und hat er selbst missbräuchlich im Sinne von manipulativ gehandelt?

Diese Fragen gilt es in Rom zu stellen und nicht die vordergründig von Wölki gestellte Frage, ob er nun das Kirchenrecht befolgt oder nicht befolgt habe.  Denn würde man dieser Sicht von Wölki und seinen Beratern folgen, dann stellte sich die Frage: Ist der christliche Glaube eine Gesetzesreligion – wer nach Recht und Gesetz handelt, ist befreit und geheilt? Das Amt erschöpft sich darin, nach Recht und Gesetz zu handeln. Mehr darf man nicht fordern.

Zur Frage steht auch die Frage nach dem Amt eines Bischofs. Was ist das Amt? Befragt mich Jesus, wie es im Bischofsschwur steht:

Amtseid der Diözesanbischöfe seit 1. Juli 1987

"Ich N.N. zum Bischofssitz von NN befördert, werde der Katholischen Kirche und dem römischen Bischof, ihrem obersten Hirten, dem Stellvertreter Christi und dem Nachfolger des Apostels Petrus im Primat sowie dem Haupt des Bischofskollegiums immer treu bleiben.Der freien Ausübung der primatialen Gewalt des Papstes in der ganzen Kirche werde ich folgen, seine Rechte und Autorität werde ich mich bemühen zu fördern und zu verteidigen. Die Praerogativen und die Amtsführung der Gesandten der Päpste die in Vertretung des Papstes auftreten, werde ich anerkennen und beachten

Die den Bischöfen übertragene apostolische Gewalt, nämlich das Volk Gottes zu lehren, zu heiligen und zu leiten, werde ich in hierarchischer Gemeinschaft mit dem Bischofskollegium, seinem Haupt und den Gliedern, mit größter Sorgfalt wahrnehmen.

Die Einheit der ganzen Kirche werde ich fördern und daher mit Eifer dafür sorgen, daß die Glaubenshinterlage, die von den Aposteln überliefert ist, rein und vollständig bewahrt wird und daß die Wahrheiten beachtet und die Sitten befolgt werden, wie sie vom Lehramt der Kirche vorgelegt wurden, und allen gelehrt und erläutert werden. Die im Glauben Irrenden werde ich mit väterlichem Geist korrigieren und alle Mühe anwenden, daß sie zur Fülle der katholischen Wahrheit zurückkehren...

Zu festgesetzten Zeiten oder bei gegebener Gelegenheit werde ich dem Apostolischen Stuhl Rechenschaft über meinen pastoralen Auftrag geben und dessen Mandate oder Ratschläge werde ich willfährig annehmen und mit Eifer ausführen." (zitiert nach Prof. Dr. Dr. Werner Böckenförde, Domkapitular em., Kirchenrechtliche Anmerkungen zur gegenwärtigen Lage in der katholischen Kirche, in:

https://www.wir-sind kirche.de/files/2099_BOECKENFOERDE%20Kirchenrechtliche%20Anmerkungen.pdf

Orientierung" 62 (1998) Seite 228-234 und ist abgedruckt in: Freiheit und Gerechtigkeit in der Kirche. Gedenkschrift für Werner Böckenförde. Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft Band 37. Hrsg. von Nobert Lüdecke und Georg Bier, Echter Verlag 2006, 203 Seiten

Oder wird man nicht vielmehr nach dem (gelebten) Glauben, also nach der Bereitschaft Jesu zu folgen, befragt. Hier geht es um viel mehr als um die in Rechtsform gegossenen Glaubenssätze. Es geht um ein existenzielles Verhältnis zu Jesus dem Christus wie es sich in den Seligpreisungen zeigt. Es geht um den Glaubensakt, der situativ ist,  sich nicht im Nachbeten von dogmatischen Formeln erschließt oder sich gar darauf beschränkt. Der 1987 unter Kardinal Ratzinger neu erfundene und erlassene „Treueschwur“ bzw. Amtseid des Bischofs ist der untaugliche Versuch, das Evangelium Jesu Christi, die Botschaft des Jesu von Nazareth in ein unbedingtes Gehorsamsverhältnis zum Papst, zu einer Struktur, zu einer einzelnen Person, an die Kirche zu binden, die sich an die Stelle Jesu, bzw Gottes setzt. Es ist der untaugliche Versuch den Glauben in die Vollzüge von Treueeiden zu kleiden. Das war und ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Das Evangelium Jesu Christi steht nicht über dem Recht, aber jenseits menschlichen Rechtes. Es ist der Maßstab von Recht – und nicht das Kirchenrecht der Maßstabdessen, was Jesu und Gottes ist. So steht im Evangelium:

„Vor allen Dingen aber, meine Brüder, schwört nicht, weder bei dem Himmel noch bei der Erde noch mit einem andern Eid. Es sei aber euer Ja ein Ja und das Nein ein Nein, auf dass ihr nicht unter das Gericht fallet. (Jakobusbrief 5, 12)“ ebenso: Matthäus 5,33-37

Wenn Herr Haucke und Herr Bauer, die Opfer des Missbrauchs wurden, und nach jahrelanger und jahrzehntelanger Qual und Pein es endlich schaffen, diesen Missbrauch öffentlich zu machen. Wenn diese beiden, wenn auch nur ein einziger von ihnen sagt: Ich wurde durch die Art und Weise wie Du, Bischof Woelki, mit mir im Betroffenenbeirat umgegangen bist, erneut missbraucht, manipuliert und benutzt, dann sollte das mir zu denken, zur Selbstbesinnung gereichen und mich persönlich ansprechen. Ja, die beiden haben dies öffentlich getan – sie haben ein Vergehen an ihnen öffentlich gemacht. Sitzen sie damit zu Gericht über den Bischof, spielen sie sich zu Richtern auf? Nein, sie spielen sich nicht zu Richtern auf, sie sind vielmehr das Gericht über den Bischof und sein Handeln. Durch sie, und dem was sie uns sagen, ergeht der Appell an uns und jeden Einzelnen, der für die Kirche steht: Was ist schiefgelaufen, was haben wir, was habe ich Einzelner, persönlich falsch getan, was hat ein Erzbischof, ja sogar ein Kardinal, in unser aller Namen derart falsch gemacht, dass so etwas passieren konnte. Es ist die Tragik eines Wölki, der mit Ämtern und Würden überhäuft wurde, dass er nun offensichtlich „kneift“, nicht zu seiner Verantwortung stehen kann und nun die Verantwortung versucht an den Vatikan zu delegieren. Ach ja, scheint es, das ist wohl deutsch, allzu deutsch. Wir sind ein Volk der Befehlsempfänger, es ist in die deutsche DNA wohl der preußische Untertanengeist eingeschrieben. Zur Revolution ungeeignet, zur Revolution des Gewissens, um die es eigentlich ginge, noch viel mehr. Woelki scheint, was den kölschen Karneval angeht, auf der Seite derer zu stehen, bei denen Karneval der kölsche Klüngel ist, und nicht auf der Seite derer, für die der kölsche Karneval das Verspotten der wirklichen und angemaßten Autoritäten, der Waffen der Gewalt, der Waffen der Herrschenden mit all ihrem Recht, ihren Erlassen und ihren Verwaltungsakten und dem dazugehörigen Einschüchterungspotential ist.

Dies umso mehr, als die Verantwortlichkeiten auf unterschiedlicher Ebene liegen: Es ist ein Unterschied, ob ein als Bischof handelnder, der über Informationen, über Kenntnisse, über Macht und Autorität verfügt, sich nicht angemessen verhält oder ob jemand, der dies alles nicht oder nur viel unzureichender hat, vielleicht zu wenig getan hat, weil er stummer Mitwisser wurde, dem die Mittel fehlten, hier etwas zu ändern. Wenn Bischof Woelki sich die Akten der Missbrauchstäter kommen lässt und sich durchliest, was geschieht da in ihm, was passiert mit ihm? Wenn er lesen muss, erfährt, dass einer seiner engsten Wegbegleiter und Förderer, der Priester XX, selbst Unrecht begangen hat, sich an einem unschuldigen Kind versündigt hat. Wird ihm bewusst, dass im Schweigen, im sich Wegducken, im stillen(barmherzigen) „Versetzen“ oder Beschneiden des Amtes des Betroffenen, des Täters, den Opfern nicht Recht und Gerechtigkeit geschieht oder widerfahren ist? Hat ein Bischof erkannt, dass es mit Prävention, mit Verwaltungsakten, mit neuer Rechtsprechung allein nicht getan ist. Ab wann erkennt ein Bischof, dass er  – selbst wenn er den vatikanischen Regeln und Rechtssätzen Genüge tan hat –  dennoch gesündigt hat oder wenigstens seine Vorgänger (mit denen er eng verbunden war) und ab wann bemerkt er eigene Schuld, eigenes Versagen, schuldhaftes Versagen seiner Institution oder seiner „Freunde“ und „Förderer“? Ab wann ist er bereit, ein entsprechendes öffentliches Schuldbekenntnis abzugeben, auch als Repräsentant eines Systems? Ab wann erhärtet sich der Verdacht, dass er, er selbst, nicht angemessen gehandelt hat und deshalb zurücktreten sollte, um damit öffentlich Verantwortung zu übernehmen, indem er das Amt, das ihm anvertraut wurde, zurückgibt, um Schaden vom Amt abzuwenden?

Zu keiner dieser existentiellen Verhaltensweisen hat sich Woelki bisher durchringen können oder wollen. Er verstrickt sich immer mehr, ist vielmehr schon allzu stark in das System aus Lüge und Missbrauch verstrickt, als dass er sich daraus befreien könnte. Eine Lüge, eine Lebenslüge zeugt neue Lügen. Nicht die Unwahrhaftigkeit und Vertuschung, sondern die Wahrheit, das liebende Gottesgericht wird Euch frei machen.
Aber Woelki ist kein „großer Mann“. Viele haben sich in ihm verschätzt. So schreibt die keineswegs unkritische Kirchenvolksbewegung in einer Presseerklärung zur Wahl von Erzbischof Wölki zum Bischof von Köln: „Woelki hat sich in Berlin, auch bei Nicht-Christen, ein hohes Ansehen erworben, so dass ihm zuzutrauen ist, die Kirche von Köln im Sinne von Papst Franziskus zu leiten und sich auch in der Bischofskonferenz dafür einzusetzen.“ https://www.wir-sind-kirche.de/site/index?id=128&id_entry=5404

Doch weit gefehlt: Bald nach der Amtsübernahme von Woelki wurde den Kölnern schnell klar, dass er die Linie seines Amtsvorgängers Meißner fast deckungsgleich fortsetzen würde. Es können hier nicht alle autoritären Entscheidungen bis hin zum Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit dieses Bischofs benannt werden. Aber schnell wurde klar: Woelki hat keine Autorität – er handelt vielmehr autoritär.

Autorität in der jetzigen Situation würde erwachsen aus dem Sündenbekenntnis, aus dem Rücktritt vom Amt bzw. der zur Verfügungsstellung desselben. So frei ist Woelki aber nicht, dass er sein Amt dem Papst zur Verfügung stellt. Vielmehr gibt er nun den Anschein, als klebe er am Amt, als gehe es ihm um die, um seine Macht. Er hat mit seinem Verhalten seine Autorität als Bischof in weiten Teilen des Kirchenvolkes verspielt – siehe dazu die öffentliche Stellungnahme des Diözesanvorstandes des BDKJ sowie den offenen Brief des leitenden Pfarrers Meik Schirpenbach:

„Haben wir überhaupt noch eine missionarische Kraft? Die aktuellen Skandale gehen an die Glaubenssubstanz. Ich höre Vorwürfe wie „Glaubenszerstörer“, oder dass die Kirche vor die Wand gefahren werde und sie nur noch eine Karikatur ihrer selbst sei. Das höre ich von Menschen, die glauben möchten. Ich hätte es nicht gedacht, aber die Person eines Amtsträgers kann da viel aufbauen und zerstören. Glaube ist etwas sehr Sensibles. Der Kern unserer Botschaft ist verstellt, weil wir in der Kirche nicht als Auferstandene leben, sondern Angst um uns selbst, um Formen und hierarchische Strukturen haben. Das heraufziehende Unwetter wird schon zeigen, was stabil ist und was nicht.“ Die ganze Stellungnahme ist hier http://www.jakobus-neukirchen.de/seelsorger_vor_ort/index.html  

Und hier:https://www.domradio.de/themen/erzbistum-koeln/2020-11-27/sorgen-eines-landpfarrers-pfarrer-aus-dem-rheinland-veroeffentlicht-brief 

 

Wölki versteht nicht, was ihm hier entgegenschlägt. Es sind nicht seine Gegner oder gar Feinde, die zu Wort kommen– sie mögen es sein.Es sind hier die authentischen Bezeugungen dessen, was im tiefsten christlichen Sinne in der Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse, in der Unterscheidung der Geister geschieht. Es handelt sich um eine der tiefsten Vertrauenskrisen dieser Diözese, die er zu verantworten hat.

Weil Woelki also die Krise nicht in ihrer wahren Tragweite – auch für ihn selbst - erfasst, sie vielleicht auch gar nicht erfassen will, ist er gerade deshalb nicht für das Amt eines Bischofs geeignet. Er verhält sich nicht wie Jesus, der Christus, der frei macht und befreit – er verhält sich vielmehr wie der enge Herrscher Louis XIV, l‘ état, l’église, c`est moi, der mit Zensur und Unterdrückung, mit Androhung von Zwangsversetzung und Entlassung sein absolutistisches System aufrecht erhält.

Kommen wir nun zum zweiten Teil der Frage, was bedeutet es, wenn die Bischöfe Woelki und Hesse die Entscheidung über ihren Verbleib als Bischöfe nach Rom delegieren und die Frage implizit damit auf eine Frage der „Rechtsbefolgung oder nicht“ verengen. Hinzukommt dass sie damit die Causa Woelki und Hesse zu einer Causa Rom und Franziskus machen. Letzteres ist geschickt, sie spielen die Loyalitätskarte aus, um von Rom Bestätigung zu erhalten. Sie verbleiben im System, das sie absolut verinnerlicht haben.

In diesem Zusammenhang stellt sich zunächst die Frage nach dem Kirchenrecht. Ja, das Kirchenrecht ist durchaus ernstzunehmen. Es stellt, wenn man so sagen will, das Selbstverständnis, die derzeitige Verfasstheit der Kirche dar (siehe der oben schon zitierte Aufsatz von Böckenförde). In diesem Kirchenrecht spiegelt sich die Kirchenverfassung und Kirchenvorstellungsfrage zweier Hauptakteure der jüngeren Kirchengeschichte, nämlich der von Johannes Paul II und seinem Generalinquisitor, Josef Kardinal Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI wieder. Diese beiden haben es vorgenommen, das Zweite Vatikanische Konzil im Sinne der zentralisierten, römischen Macht und hierarchischen Herrschaftsstruktur auszulegen und in Recht zu gießen. Dazu gehört die absolutistische Verfassung – l’église c’est moi, die Kirche weitgehend (entgegen der Intention des 2. Vatikanums) auf die Hierarchie, die bischöfliche Verfasstheit, auf den Primat des Papstes und auf die dreigliedrige, exklusivistische Ordo im tridentinischen Sinne reduziert. Implizit in dieser Art Kirchenrecht und Kirchenauffassung ist das triumphalistische Kirchenbild des „ein Haus voll Glorie schauet“, das die Bedeutung der Heiligen Hierarchie überbetont und die Kirche tendenziell auf die Bischöfe und die Apostelnachfolger reduziert. Die wahre Kirche sind die Bischöfe im Kollegium mit dem Papst. Diese sind gleichzeitig die Träger sämtlicher Macht und Gewalt: Sie sind Legislative, Exekutive und Judikative in Einem. Es ist ein absolutistisch-monarchistisches System – das aber dann kneift, wenn es um die Verantwortung geht. Denn dann müssten sich Bischöfe und Vatikan/Papst sämtliches Unrecht, was in ihrem System geschieht, sich selbst zuschreiben. Dies umso mehr, als sie zwar immer den Missbrauch abgelehnt haben, aber auf der Ebene der Handlungen eine nicht-existente Rechtsprechung bzw. völlig unzureichende Handlungsweisen beinhalteten, wie die stillschweigende Abfindung von Opfern, das Versetzen der Täter, das Bemänteln und Verschweigen der Taten – um Skandale zu vermeiden. Wenn dieses derzeit vorhandene Kirchenrecht sozusagen zum Richter darüber wird, was die Bischöfe getan haben, dann gehört dazu, dass dieses Recht sozusagen über sich selbst Recht sprechen muss. Dazu gehört insbesondere auch der Erlass der Glaubenskongregation von Kardinal Ratzinger, der sämtliche Missbrauchsfälle nach Rom zog und diese Fälle mit dem besonderen vatikanischen Schweigegebot belegte. Die klar zu erkennende Absicht dieses Rechtsaktes bestand genau darin, Öffentlichkeit zu vermeiden, den Skandal intern zu regeln, die Staaten außen vorzuhalten und die Kleriker als Mitglieder des eigenen Befehls- und Gehorsamssystems zu schützen (manchmal sicher auch vor sich selbst – was aber offensichtlich nicht genug war). Erst unter dem Druck der Öffentlichkeit, der weltweiten Öffentlichkeit und informationellen Vernetzung wurde das, was der Vatikan als Kirchenzentrale schon in nuce als Wissen – streng gehütetes Geheimwissen – hatte, nun auch einer interessierten Öffentlichkeit bekannt. Die späteren Änderungen der vatikanischen Gesetzgebung erfolgten nicht freiwillig oder aus eigener Einsicht, sondern im Grunde genommen nur, weil man von außen, von der Öffentlichkeit und den Kirchenmitgliedern, aber auch von staatlichen Eingriffen dazu gedrängt und gezwungen wurde. Besonders schwer ist und war dies in Deutschland wegen der besonderen staatskirchenrechtlichen Verfassung der Bundesrepublik Deutschland und der Kirchen als Körperschaften öffentlichen Rechts. Gerade hier hat der Staat bisher aus falsch verstandener Rücksicht auf die Religionsfreiheit davon abgesehen, das Recht umfassend durchzusetzen. Bis heute wartet man vergebens darauf, dass sich beispielsweise die Staatsanwaltschaften Zugang zu den (geheimgehaltenen) Archiven und Ermittlungen der Kirchen verschafft haben. Es gilt immer noch das Vertrauen, dass diese Körperschaften es aus sich selbst schaffen, die Fehler zu finden und selbst zu korrigieren. Hinzukommt, dass wegen der Verjährungsvorschriften viele Fälle rein rechtlich nicht mehr verfolgt und belangt werden können. Eine „Wahrheitskommission“ wurde von den Kirchen eingesetzt, die aber , wie es sich zeigt, von Anfang an mit der Problematik zu kämpfen hatte, Daten zu erhalten, auf Daten zugreifen zu können und immer am Gängelband ausgerechnet derjenigen Institutionen zu stehen, deren Rechtsauffassung und normativen Verhaltensweisen eben zur Debatte standen. Unabhängig war bisher keine dieser Wahrheitskommissionen – wie es sich beispielsweise nun in besonderer Weise am Verhalten des Erzbistums mit der Missbrauchsstudie der Münchner Rechtsanwaltskanzlei zeigt, die zwar Kirchengelder dafür ausgegeben hat, aber nun einfach die Studie als Auftraggeber unter Verschluss hält – angeblich wegen rechtlicher Mängel und Zweifel. Hinzukommt eine Engführung des angeblichen Ziels der Studie auf die Verhaltenskonformität mit „kirchlichem Recht“, das, wie wir gesehen haben, eine völlig unzureichende Rechtsnorm bereitstellt und grundsätzlich eine Rechtsform sui generis darstellt. Hier wird beispielsweise zwischen göttlichem, unveränderlichem und menschlichem Recht unterschieden, wobei die Tendenz seit dem 19. Jahrhundert dahin geht, die eigene Struktur als sakrosankt und unveränderlich zu sehen. Offensichtlich will man also diskriminierende Gesetze und Regeln beibehalten will, weil diese angeblich zu diesem göttlichem Recht, zu einer göttlich geoffenbarten Struktur gehören. Die Diskrepanz zwischen menschlich-staatlichem Rechtund Rechtsverständnis und Rolle, Funktion und Selbstverständnis des kirchlichen Rechts wird immer augenscheinlicher. Deutlich wird auch, dass diese kirchlichen Rechtsnormen teilweise Inhalt, Wesen und Selbstverständnis christlichen Glaubens entgegenstehen – zumindest so wie es eine überwiegende Mehrheit von Gläubigen und Theologen etwa in Westeuropa verstehen.

Hinzukommt folgender Aspekt: der Glaube ist etwas anderes und weit mehr als das, was (kirchen-)rechtlich erfasst werden kann. Vergehen, Verbrechen, Schuld und Sünde sind unterschiedliche Dimensionen und gerade der Begriff der Sünde entzieht sich einer rein rechtlich formalen Kategorisierung. Hier geht es um das personale Binnenverhältnis zwischen dem Einzelnen und Gott, zwischen der Gemeinschaft und Gott. Und gerade hier wäre ja die eigentliche Verfehlung eines Kardinals oder eines Erzbischofs kirchlich gesehen anzusiedeln. Ein Kardinal kann zwar ein „frommer, unbestechlicher, regelkonformer Kirchenbeamter sein. Dies macht ihn aber noch lange nicht zu einem prophetischen Nachfolger Jesu Christi, der Glauben existentiell lebt und erfahrbar macht.

Wenn Woelki deshalb meint, sich auf den Vatikan als letzte Instanz berufen zu können, so versäumt er geradezu das Proprium christlichen Zeugnisses und christlich-kirchlichen Zusammenlebens, wenn er nicht eigene Schuld und Vergehen einräumt und ähnlich wie andere Bischöfe auch, sein Amt zur Verfügung stellt. Im Übrigen stellt der Rücktritt von Papst Benedikt XVI. deutlich vor Augen, dass das unter ihm als Kardinal begonnene und verfasste Rechtswerk Kirchenrecht völlig unzureichend war, um die internen Strukturen, Kompetenzen und Verfahrensregeln geordnet und angemessen zu regeln.

Man darf deshalb von der rein rechtlichen Klärung der Frage, wie sie Kardinal Woelki anstrebt, nicht allzu viel verlangen. Schon werden wir ja im Kölnischen Informationssystem domradio.de darauf verwiesen (allerdings ohne Nennung von Namen und Quellen), dass unbestimmte Rechtsexperten im Vatikan das geltende Kirchenrecht zugunsten des Kardinals auslegen, dass dieser kirchenrechtlich nicht gezwungen gewesen sei, den Fall des Täterpriesters X, (mit dem ihn eine Freundschaft verbunden hat) an den Vatikan zu melden.https://www.domradio.de/themen/rainer-maria-kardinal-woelki/2020-12-10/woelki-haette-missbrauchsverdacht-melden-koennen-nicht-muessen-wie-die-koelner-wirren-im-vatikan

Dabei steht doch von vorne herein fest: Mit solcherlei Kasuistik und rechtlicher Rabulistik kann man aber die ethische und moralische Dimension des Verhaltens von Wölki eben nicht beurteilen. Es bestätigt vielmehr die Tendenz, dass Kirche sich mehr und mehr als Gesetzes- und Rechtsinstitution und Religion begreift und dadurch in das jüdisch-jesuanische Dilemma zurückfällt. Ein Bischof ist nicht deshalb geeignet und zur Führung seiner Diözese befähigt, wenn er die kirchlichen Normen nicht verletzt. Er verliert Bischofswürde und Amt dann, wenn er seine Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in ihn verspielt hat, wenn er dazu Anlass gegeben hat, zum Ärgernis, zum Verdunkler des Glaubens zu werden anstatt zum befreit befreienden Zeugen dieses Glaubens.

Und genau dies ist die Frage, die hier zur Debatte steht. Und das steht nicht im Ermessen eines Bischofs, schon gar nicht im Ermessen einer Behörde in Rom, die keinerlei Kenntnis von der Situation vor Ort hat – bzw. tendenziell nur auf die von eben jenem Bischof zur Verfügung gestellten Kenntnisse und Einschätzungen verfügt. Vertrauen verspielt man beim Partner, bei institutionellen Trägern ebenso wie bei Menschen selbst. Verlorenes Vertrauen ist auch nicht so einfach zurückzugewinnen. Über lange Jahre andauernder Machtmissbrauch wird nicht vergessen werden, selbst wenn man sich einmal vielleicht anders verhalten würde.

Mit eben jenem Akt hat Kardinal Woelki aber auch sein eigenes Selbstverständnis als Bischof und Hüter seiner Diözese zum Ausdruck gegeben. Es ist dies ein Selbstverständnis ultramontaner Unterwerfung und Gehorsams. Er verfügt offensichtlich nicht über Herz und Kraft, sein eigenes Entscheiden und Handeln selbstkritisch zu betrachten und zu würdigen. Ganz zu schweigen davon, dass er sich als Sachwalter seines Glaubensvolkes sieht, der die Eigenheiten und geschichtlichen Besonderheiten seiner Diözese in Rom vertreten und vermitteln würde. Würde er das sein, dann wäre ihm ein Anliegen beispielsweise die Versöhnung mit den Altkatholiken, deren einziger deutscher Bischofssitz in Bonn ist. Wann, so fragt man sich, hat Wölki eine Initiative in diese Richtung gestartet? Hat er ein Gespräch geführt, indem er die durchaus gewichtigen Argumente der Altkatholiken würdigen würde? Nein, ganz im Gegenteil. Ist ihm bewusst, dass von Deutschland aus eine Reformation losgetreten wurde, die sicherlich ihren Hauptursprung im Fehlverhalten Roms hatte? Könnte es nicht sein, dass Rom erneut mit seinem Verhalten eine schwere Kirchenkrise in Deutschland und nicht da sondern im ganzen deutschsprachigen Raum heraufbeschwört? Was macht er um dies zu verhindern in Rom? Nein, weit davon entfernt. Er betrachtet sich als verlängerter Arm eines neuen römisch-katholischen Absolutismus und Zentralismus. Er sieht sich als Vertreter eines (römischen) Systems, dem er sich verpflichtet weiß, dessen systemischen Charakter (zum Teil Unrechtscharakter) er aber eben diesem System abstreitet. Er kann nicht verstehen, dass er Repräsentant einer systemisch, d.h. strukturell schuldig gewordenen Einrichtung ist. Er möchte von dieser Institution eine Lossprechung, eine Freisprechung erreichen, die ja gerade selbst wegen eben dieser Vorwürfe auf der öffentlichen Anklagebank und auf der Anklage Gottes und der Opfer steht. Ist so jemand wirklich ein Evangelisator, ein Glaubenszeuge? Kann er das, was er immer vollmundig als Wesentliches behauptet, nämlich die Evangelisierung in unserer Kirche, in der Gesellschaft hier und heute leisten? Die vorhandenen Parameter fallen nicht gerade günstig für ihn aus:

Selbst wenn er unbescholten wäre, so bleibt er doch eine mittlerweile deutschland- und diözesanweit „verbrannte Person“. Seine Handlungsweisen gegenüber den Opfern des Missbrauchs sprechen Bände. Davon zeugen  auch seine Äußerungen nach der ersten Sitzung des synodalen Wegs, in denen er sich um Kopf und Kragen geredet hat, etwa wenn er die Synode als evangelische Veranstaltung verunglimpft (welche Achtung hat so jemand vor der Gemeinschaft von Glaubenden und welche ökumenische Grundgesinnung zeigt sich hier) oder wenn er sie kritisiert, weil sie die hierarchische Verfassung der Kirche beim Einzug in den Frankfurter Dom nicht gezeigt hätte oder wenn er davon spricht, dass seine sämtlichen „Bedenken“, man könnte auch Vorurteile sagen, bestätigt worden seien. Woelki ist und handelt eben nicht geschwisterlich. Er handelt vielmehr hierarchisch-diktatorial, mit Befehl und Verbot, mit Sanktionsdrohung und Gewissenszwang. Er fühlt sich nur seinem, einem katholisch vorformatiertem Über-Ich-, Gewissen und der „Lehre der Kirche“ verpflichtet, in deren Besitz er sich wähnt und die sich in (primitiven, rein äußerlich verstandenen) Glaubens- und Lehrsätzen erschöpft. Deswegen gleicht sein Gewissen eher einer verblendeten Kopf durch die Wand-Haltung denn der eines echten, klug sorgenden Hirten. Das Volk Gottes ist für ihn keine Kategorie. Wer nicht bereit ist, mit ihm den Weg in eine Minderheitensekte zu gehen, ist unkatholisch. Die Zeichen der Zeit kann er nicht lesen. Was Aggiornamento bedeutet, hat er nie verstanden und nie gelebt.Die Pfarreien sind für ihn nur Verhandlungsmasse vorhandener Priester. Er ist kein Anwalt seiner Seelsorger  - der Gemeinde- und Pastoralreferenten. Er kennt keine viri probati. Er reißt ein, wo er aufbauen sollte. Er zerstört Traditionen,  beruft sich aber ständig auf solche. Er redet von Transparenz, ist aber ein Meister der Intrige und Falschmünzerei. Er legt Dienst als Herrschaft und Macht aus. Er redet von Gnade und Barmherzigkeit, doch er hat ein System aus Kälte und Angst aufgebaut. Er ist klerikalistisch durch und durch. Kollegialität ist für ihn ein Fremdwort. Andere lässt er nicht anders sein und kann sie nicht integrieren. Ein Team kennt er nur unter seinesgleichen. Er ist ein Meister des double speech – er redet von Zukunftsweg und Pastoral, hat aber keine Zukunft und kein Herz bei den Menschen. Er verkennt, dass Pastoral einen dogmatischen Wert hat. Er verweist auf die Bedeutung von Laien, kann aber Widerspruch und Eigenverantwortung nicht dulden. Er redet von der Bedeutung der Frauen, gibt Ihnen Funktionen im Verwaltungsbetrieb, aber verweigert ihnen die Beauftragung für ihre Ämter und für Ämter überhaupt. Er spaltet statt zu segnen.Er bestimmt von oben, ohne auf die ihm Anvertrauten zu hören. Er möchte evangelisatorisch wirken, bemerkt aber nicht, dass er selbst ein Hindernis dafür ist. Er fordert den Einsatz für die Armen, ist aber dabei zutiefst paternalistisch. Er schädigt so die Kirche, das Volk Gottes auf dem Weg, das richtig - also nicht naturalistisch-materialistisch, hierarchistisch, kirchenrechtspositivistisch verstanden der Leib Jesu Christi ist.

Doch Woelki mag sich und andere täuschen. Er mag die Absolution des Vatikans erhalten. Die Absolution der Wirklichkeit erhält er nicht. Für ihn gilt: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben! Doch es bleibt die Hoffnung, dass aus der Agonie des Alten von uns unbemerkt, und unverhofft schon die neue Schöpfung keimt.

 

Bonn, im Dezember 2020

Stefan Herbst

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Zuletzt geändert am 09­.02.2022