Stefan Herbst
Begegnung mit der Passantin am Bonner Münster
Von weiten lächelte Sie mich freundlich und zärtlich an. Dieses Lächeln zog mich magisch an. Mit rotem Gesicht, verschwitzt, einer Tüte voll leerer Flaschen, ruhte Sie sich aus, auf einem Mäuerchen unter einem Baum. Die lockigen Haare verstrubelt und wild.
Es begab sich nur zwei Stunden nach der pontifikalen Wiedereröffnung unseres Bonner Münsters.
Ihr seid mutig! , rief Sie mir anerkennend noch wenige Schritte, bevor ich Sie auf dem Nachhauseweg erreichte, zu. Das freundliche, offene Gesicht strahlte mich an, schöner und heller als die heiße Sonne am Himmel. Warum mutig, dachte ich mir? Hatte Sie uns die ganze Zeit zugesehen, als wir mit zwei martialisch gekleideten Polizisten diskutierten, warum wir unsere Plakate und unser „Wir sind Kirche“ Banner einrollen sollten? Hatte uns gar jemand von den bürgerlichen Kirchgängern die Polizei auf den Nacken gehetzt?
„Die Veranstaltung ist beendet“, so die bestimmte, ja barsche Aufforderung. „Legen sie die Plakate weg“ – während wir noch mitten im Gespräch mit einigen Kirchgängern vor dem Tor mit den Engeln gestanden hatten.
Fast entschuldigend sagte Sie zu mir: „Ich kann mit denen da drinnen nichts mehr anfangen. Aber ich glaube an Gott und habe schon viel mit ihm erlebt… Sie zögerte kurz: „ Auch in dieser Kirche.“
Diese Kirche gehört nicht ihnen. Die Eigentümer der Kirche sind sie nicht. Sie wurde aus so viel Geld unserer Vorfahren gebaut und errichtet, sagte ich. „Ja pflichtete Sie mir bei, sie gehört nicht ihnen, nicht uns. Sie gehört Gott, Ihr Blick schweift kurz in den blauen Himmel.“
Als ich weiter ging, fühlte ich ihrer Botschaft nach. War es nicht, als ob Sie mir erschienen wäre, wie ein Engel am leeren Grab, am leeren Münster. Am Rande sitzend, unter einem Baum – am Rand stehend, mit leeren Flaschen im Gepäck. Gott findet sich nicht, nicht mehr im Pontifikalamt, sondern in der Begegnung mit dieser Frau. Eine Passantin in der Passage am Münster. Ein köstliches Augenzwinkern Gottes, das uns gilt.
Bonn, 16.5.2022
Einen Tag nach der Heiligsprechung von Charles de Foucauld
Stefan Herbst, Wir sind Kirche im Erzbistum Köln
Zuletzt geändert am 17.05.2022