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Veröffentlicht am 14­.04.2023

Kontinentalversammlung Prag

Erste Einschätzung und Lesehilfe von Wir sind Kirche

> Abschlussdokument: Europäische Kontinentalversammlung des weltweiten synodalen Prozesses 2023 in Prag (auf Italienisch und Englisch, veröffentlicht am 13.04.2023)

Das Redaktionsteam war ersichtlich bemüht, die Stimmen aus den einzelnen Ländern bzw. Regionen in ausgewogenem Verhältnis wiederzugeben. In inhaltlicher Hinsicht wurde allerdings durchaus manchmal selektiert. Themen, die im Norden/Westen im Mittelpunkt stehen (Missbrauch/Pflichtzölibat/Weihe von Frauen) wird geringerer Raum eingeräumt als beispielsweise dem Thema Synodalität, Dialog, Berücksichtigung aller Charismen.

Möglicherweise mit Blick auf die Akzeptanz bei den Teilnehmern und den Bischöfen, die in Rom zusammensitzen werden, wurden Aussagen zu kontroversen Themen auch Vertretern aus eher unverdächtigen Ländern zugeschrieben. In Abschnitt 3.5 werden in den Ziffern 75, 76 und 77 beispielsweise positive Aussagen zur Ordination verheirateter Männer und Frauen Vertretern aus Tschechien, Portugal, Luxemburg, Spanien und Holland zugeschrieben, nicht aber Deutschland. Das gibt die Aussagen auf dem Treffen nicht vollständig wieder, ist aber möglicherweise durchaus geschickt.

Der Wunsch des Papstes war, die Stimme der einzelnen Gläubigen zu hören. Um diese Stimme zu ergründen, muss man aber genau hinsehen. Man sieht dem Dokument an, dass es das Ergebnis mehrerer Zusammenfassungen und redaktioneller Bearbeitungen ist. Wenn man dies berücksichtigt, lässt sich aber durchaus noch erkennen, dass konkrete Fragen angesprochen wurden. Verschiedentlich wird auch gesagt, dass während der Versammlung Spannungen zutage getreten sind, die sogar in gegenseitige Vorwürfe mündeten (z.B. bei Nr. 41 oder Nr. 52).

Über weite Strecken sind die Aussagen des finalen Dokuments sehr allgemein, so dass sich jeder darin wiederfinden und jeder das ihm Genehme herauslesen kann. Dies gilt z.B. für die Ausführungen unter Abschnitt 2.1 bis 2.4.

Konkretere Aussagen gibt es in Abschnitt 2.5, 2.7 und 3.5.

In 2.5 unter Ziffer 39 wird die Aussage der deutschen Vertreter zitiert, dass der Missbrauch strukturelle Ursachen hat und deshalb strukturelle Änderungen erfordert.

Unter Abschnitt 2.6 Unterziffer 46 wird die Stärkung der Rolle der Frau thematisiert, allerdings ohne die Frage der Ordination von Frauen anzusprechen. So kann aus dieser Passage wiederum jeder das herauslesen, was ihm genehm ist.

In Abschnitt 2.7 kommt zum Ausdruck, dass auch in den östlichen Ländern die Forderung nach einer Beteiligung von Laien an Entscheidungsprozessen erhoben wurde. Positiv ist auch, dass synodale Strukturen auf allen Ebenen einschließlich der Pfarreiebene verlangt wurden (Ziffer 50).

In Abschnitt 3.2 (Tradition and Aggiornamento) wird der Konflikt zwischen Reformern und Traditionsbewahrern gut zusammengefasst. Dies war ja schon das Thema des zweiten vatikanischen Konzils. Nicht angesprochen wird in diesem Zusammenhang, dass nicht alle Änderungen in allen Ländern in gleichem Maß und zur gleichen Zeit stattfinden müssen (Reform in unterschiedlichen Geschwindigkeiten), obwohl dies in meinen Augen ein sehr wichtiger Gesichtspunkt ist.

In Abschnitt 3.5 wird dann die wichtige Frage der Charismen und Ämter angesprochen. Wie schon erwähnt, werden die Aussagen zur Weihe verheirateter Männer und von Frauen aus verschiedenen Ländern wiedergegeben, darunter auch aus Tschechien und einer „english language working group“ (wer auch immer dazu gehörte).

Mit der in Ziffer 81 zitierten Aussage aus Deutschland dürfte das deutsche Statement vom 8. Februar 2023 angesprochen sein. Allerdings wurde bezeichnenderweise die klare Aussage zum Zugang zu Weiheämtern unabhängig von Geschlecht und Personenstand nicht erwähnt, obwohl dies die vermutlich klarste Forderung nach dem Verzicht auf den Pflichtzölibat und nach der Weihe für Frauen war, die auf dem Treffen ausgesprochen wurde. Aber vielleicht ist es gut so, dass die entsprechenden Aussagen in den Ziffern 75 bis 77 Vertretern aus anderen Ländern zugeschrieben wurden.

In der Zusammenfassung im vierten Abschnitt unter Ziffer 92 stechen in meinen Augen die Forderungen nach konkreten und mutigen Schritten zur Verstärkung der Rolle von Frauen auf allen Ebenen und nach einer zeitgemäßen Sprache einschließlich des Dialogs mit den Gläubigen hervor.

Nun kommt es darauf an, wie die Bischöfe in Rom dieses Papier lesen. Dieses Papier ist ja nur eines von fünf oder sechs kontinentalen finalen Dokumenten. Vertreter aus Asien, aus Lateinamerika oder Ozeanien werden dieses Papier mit anderem hermeneutischen Hintergrund lesen als Europäer. Deshalb sollte man den Treffen in Rom im Herbst 2023 und 2024 nicht mit allzu großen Erwartungen (aber auch nicht ohne Hoffnung) entgegensehen. Für den deutschsprachigen Raum ist es wohl kurz- und mittelfristig realistischer, die Kunst des Möglichen zu praktizieren, nämlich in den Pfarreien das umzusetzen, was die Ortsbischöfe auf der Grundlage der Beschlüsse des Synodalen Wegs (und künftig des Synodalen Rats) einführen bzw. nicht verhindern.

Dr. Martin Schockenhoff, 14. April 2023

 

 

 

Zuletzt geändert am 23­.04.2023