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Veröffentlicht am 31­.05.2025

Prof. Dr. Norbert Scholl

1700 Jahre alt – dringend revisionsbedürftig: Das Glaubensbekenntnis des Konzils von Nizäa

Das Glaubensbekenntnis des Konzils von Nizäa

Norbert Scholl, Mai 2025

 

Das Glaubensbekenntnis des Konzils von Nizäa                       1

Norbert Scholl, Mai 2025                                                          1

1 Vorbemerkung: die Entleerung der Kirchen                           2

1.1 Ursachensuche                                                                     2

1.2 Was glauben die Menschen in Deutschland?                       2

1.3 Ohne Gott leben                                                                   3

1.4 Erklärungsnot und Revisionsbedarf                                     4

2 Das Glaubensbekenntnis des Konzils von Nizäa und seine Vorgeschichte                                                                            5

2.1 Eine neue Staatsreligion für das Römische Reich               5

2.2 Das „Nizänische Glaubensbekenntnis“                     5

2.3 Politischer Hintergrund - Design eines Gottesbildes           6

2.3 Spuren von Judenfeindschaft?                                             7

3 Das Gottesbild                                                                        8

3.1 Das Gottesbild der Bibel                                                      8

3.2 Das Gottesbild der Nizänums                                              9

3.3 Jesus als „der Sohn“ in den synoptischen Evangelien       10

3.4 Jesus als „Sohn Gottes“  bei Paulus und in der Apostelgeschichte                                                                    10

3.5 Jüdisches Verständnis von „Sohn Gottes“              11

3.6 Übertragung des „Sohn-Gottes“-Titels in hellenistische Denkvorstellungen                                                                   11

4 Für eine grundlegende Revision des Glaubensbekenntnisses von Nizäa                                                                                 13

4.1 Wertvolle Hülsen                                                               13

4.2 Schwierige Voraussetzungen                                             14

4.3 Versuche einer Neuformulierung                                       15

 

1 Vorbemerkung: die Entleerung der Kirchen

Seit Jahren erreichen die Kirchenaustrittszahlen Höchststände in beiden großen Kirchen. Im Jahr 2024 haben die katholische Kirche 321.611 und die evangelische Kirche 345.000 Mitglieder verloren. In den beiden vorangegangenen Jahren waren die Zahlen noch höher: Katholiken 2023: 402.694, 2022: 520.000: Protestanten 2023: 380.000 . 2022: Protestanten. Ende 2024 hatte die evangelische Kirche in Deutschland laut EKD rund 17.980.000 Mitglieder, Ende 2023 waren es noch 18.566.035. Der katholischen Kirche gehörten Ende 2024 laut Bischofskonferenz 19.769.237 Menschen an, Ende 2023 waren es 20.345.872. Einen deutlichen Ausschlag nach oben weist die Statistik um die Jahre 2010, 2014, 2019 und 2022 aus. Forscher vermuten dahinter die Negativschlagzeilen, die die Katholische Kirche in diesen Jahren machte: 2010 wurden viele Fälle sexualisierter Gewalt bekannt, 2014 erreichte der Finanz- und Macht-Skandal um den damaligen Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst seinen Höhepunkt; 2019 wirkte sich die Veröffentlichung der MHG-Missbrauchsstudie mit erneut erschreckend hohen Fall-Zahlen aus, die seitdem einen stetigen Anstieg der Kirchenaustrittszahlen – auch in der evangelischen Kirche – erkennen ließ. Die Glaubwürdigkeitskrise der Kirchen im Zuge der Missbrauchsskandale nimmt zu. Dieser Trend werde sich weiter fortsetzen Schätzungen des Forschungszentrums Generationenverträge an der Albert-Ludwig-Universität Freiburg aus dem Jahr 2019 gehen davon aus, dass spätestens bis 2060 die Zahl der Kirchenmitglieder zu diesem Stand halbiert sein könnte. (https://www.katholisch.de/artikel/56374-kirchenaustritt-viele-ursachen-keine-loesung)

 

1.1 Ursachensuche

Bei der Suche nach den Ursachen und den Lösungen haben Kirchenverantwortliche und Soziologen unterschiedliche Ansätze. Da gibt es

  • die schon seit dem 19. Jahrhundert erkennbare rückläufige Bindung an die Kirche. Die Modernisierungsprozesse der Gesellschaft seit der Industrialisierung haben dazu geführt, dass Religion immer mehr zur Privatsache und zur persönlichen freien Entscheidung und nicht mehr zum gesellschaftlich allein verbindenden Maßstab geworden ist. In der mittelalterlichen Gesellschaft gab es keine Möglichkeit, ein isoliertes Leben außerhalb der Kirche zu führen. Seit den 1870er Jahren ist ein Kirchenaustritt überhaupt erst rechtlich möglich.
  • einen so genannten „Periodeneffekt“, also die unmittelbaren Auswirkungen etwa von negativen Schlagzeilen und Ereignissen auf die Austrittszahlen (MHG-Studie).
  • einen „Kohorteneffekt“. Dieser besagt, dass dort, wo Eltern nicht mehr kirchlich sozialisiert sind, den Glauben auch nicht mehr selbstverständlich an ihre Kinder weitergeben, wie das in früheren Jahren vielleicht der Fall war. Durch eine fehlende kirchliche Bindung fällt es den Kindern dann später leichter, der Kirche ganz den Rücken zu kehren.
  • die Tatsache, dass Kirche für immer weniger Menschen noch eine Rolle spielt.
  • eine zunehmende Entfremdung gegenüber der Liturgie (sterile Eucharistiefeiern) und der Darstellung nach außen (Mitra).

 

1.2 Was glauben die Menschen in Deutschland?

Eine nicht unwesentliche Rolle dürfte auch das wachsende Unverständnis im Hinblick auf die Dogmen und die kirchliche Lehre insgesamt spielen. Schon vor gut 20 Jahren sprach Kardinal Lehmann von einer „Gotteskrise“. Mehr als jede vierte Person hält die Existenz eines Gottes für ausgeschlossen bzw. für nicht bewiesen. Auffällig ist dabei der große Anteil an nicht gläubigen Menschen in Ostdeutschland. Der Glaube an einen „persönlichen Gott“ ist nur noch bei weniger als einem Fünftel vorhanden.

Es gehört zu den ‚Binsenwahrheiten‘ der Religionssoziologie in Deutschland, dass auf die unspezifische Frage „Glauben Sie an Gott“, rund 60 Prozent der Befragten mit „Ja“ antworten.

2011 erbrachte eine MDR-Umfrage, dass 58 Prozent der Deutschen an Gott glauben (67 Prozent im Westen und 25 Prozent im Osten). Das war 2011 so und ebenfalls 2018. Ende Dezember 2021 berichtet CNA jedoch über eine IfD-Allensbach/FAZ-Umfrage: „Nur noch 46% der Deutschen glauben an Gott““. Auch der „Glaube an einen persönlichen Gott“ hat sich von 25 auf 19 Prozent verringert. Bei jungen Katholiken hat der Glaube an Gott kontinuierlich an Bedeutung verloren: 2002 war er 51 Prozent wichtig, 2024 nur noch 38 Prozent (www.herder.de/hk/hefte/archiv/2024/12-2024/glaube-an-gott-verliert-bei-jungen).

Der Trend sinkender Mitgliederzahlen in den christlichen Kirchen in Deutschland hält laut dem "Religionsmonitor 2023" an. Jedes vierte Kirchenmitglied habe im vergangenen Jahr über einen Austritt aus der Kirche nachgedacht, erklärte die Bertelsmann Stiftung bei der Vorstellung des "Religionsmonitors 2023" am Donnerstag in Gütersloh. Jedes fünfte habe eine feste Austrittsabsicht geäußert. Der Religionssoziologe Detlef Pollack sieht wenig Spielraum für die Kirchen, den Negativtrend zu stoppen.

Vor allem jüngere Menschen tragen sich mit dem Gedanken, aus der Kirche auszutreten. Unter den 16- bis 24-Jährigen sind es mehr als 40 Prozent. Bei Kirchenmitgliedern ab 70 Jahren sind es hingegen lediglich 5 Prozent.

Vor zehn Jahren habe noch fast die Hälfte der Deutschen angegeben, sehr oder ziemlich stark an Gott zu glauben. Aktuell beträgt dieser Anteil nur noch 38 Prozent. Jeder vierte Mensch glaubt nicht an Gott. Mehr als 90 Prozent der Menschen mit Austrittsabsichten stimmten der Aussage zu, dass man auch ohne Kirche Christ sein könne.

Neben Kirchenaustritten fällt auch die deutlich höhere Zahl an Sterbefällen gegenüber Taufen ins Gewicht. Zudem wachsen mit jeder Generation weniger Menschen religiös auf. So sank der Anteil, der nach eigenen Angaben religiös erzogenen Befragten in den letzten zehn Jahren von 45 Prozent auf 38 Prozent. Lediglich 17 Prozent der Kirchenmitglieder gehen mindestens einmal im Monat zum Gottesdienst. Ein ebenso hoher Anteil der Kirchenmitglieder geht gar nicht in die Kirche.

Ein Grund für die nachlassende Bedeutung der Kirchen in der Gesellschaft ist eine zunehmende Individualisierung, durch die traditionelle kirchliche Formen der Religiosität durch privatere Formen der Spiritualität ersetzt werden. Zudem nimmt die Vielfältigkeit in der Gesellschaft durch Einwanderung zu. Auch gibt es eine zunehmend kritische Sicht vieler Mitglieder auf die Kirche. Mehr als 80 Prozent der „Austrittsgeneigten" machen die kirchlichen Skandale für ihr gesunkenes Vertrauen verantwortlich. Besonders große Skepsis gegenüber der Kirche gibt es unter Katholiken. Hier schlagen sich vermutlich die Missbrauchsskandale und die geringe Reformbereitschaft der römischen Kurie nieder.

Der Religionssoziologe Detlef Pollack sieht kaum Chancen für die Kirchen, den Abwärtstrend zu stoppen. Die Kirchen hätten sich seit Jahrzehnten verändert, seien gesellschaftsoffener, politischer und liberaler geworden, sagte Pollack in Münster dem Evangelischen Pressedienst (epd). Den Abwärtstrend hätten die Kirchen dennoch nicht stoppen können.

 

1.3 Ohne Gott leben

Die Erzdiözese Köln hat vor einiger Zeit ein Projekt gestartet mit dem Titel „Ohne Gott leben. Wie geht das?“.  Unter der Rubrik „Ich bedaure Menschen, die an Gott glauben…" können Menschen jeden Alters sagen oder schreiben, ob sie dieser Aussage zustimmen oder ob sie anderer Meinung sind (https://thema.erzbistum-koeln.de/ohnegott/beitraege_lesen/ich_bedaure_menschenx_die_an_gott_glauben/).

Einige wenige Beispiele der über 300 Aussagen:

  • Anonym, männlich
    Weil er für mich mit der christlichen Lehre untrennbar verknüpft ist und christliche Theologen Mythen deuten.
  • Bright, männlich, 48
    weil der Glaube an Gott nicht wahrscheinlicher, plausibler, besser begründet, vernünftiger ist als irgendeine Wahnvorstellung
  • Bernd Nowotny, 68
    weil das, was man über ihn sagt, nicht zu unserer Welt passt.
  • Glaube als Systemreflex, männlich, 39
    Die Funktion der Religion besteht darin eine sinnlich nicht wahrnehmbare Systemumwelt zu beschreiben, um daraus Aussagen über die eigene Systemgrenze ableiten zu können (sehr frei nach Luhmann). Diese Funktion der Religion und des damit verbundenen Gottesbildes setzt zweierlei voraus. Erstens kann es keinen empirisch nachweisbaren Wahrheitsbezug geben, sonst wäre die jeweilige Religion überflüssig. Zweitens muss die Annahme der Religion kontrafaktisch als gewiss betrachtet werden.
  • Anonym, weiblich, 30
    Das, woran ich glauben kann, ist mit dem Wort "Gott" nicht beschreibbar. Stattdessen stelle ich mir eher vor, dass alles Leben "beseelt" ist und auf einer nichtmateriellen Ebene miteinander zusammenhängt, dass zwar alles Materielle vergänglich ist, alles Geistige aber ewig.

 

1.4 Erklärungsnot und Revisionsbedarf

Ähnlich sieht es bei der Frage nach Jesus als dem Sohn Gottes aus. Weniger als ein Drittel der in Deutschland lebenden Menschen (29% Protestanten, 32% Katholiken) glaubt noch, „dass Jesus Christus der Sohn Gottes ist“. Das ergab eine 2024 durchgeführte Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach (https://www.sonntagsblatt.de/artikel/kirche/sozial-studie-gruende-kirchenaustritte).

Verantwortliche in der Kirche sollten beim Thema Kirchenaustritt aber „nicht bei Bedauernsbekundungen stehen bleiben". Mit Blick auf die aktuellen Daten forderte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, die Augen vor den Zahlen nicht zu verschließen. „Die frohe Botschaft ist nicht kleiner geworden - aber sie muss anders und glaubwürdig unter die Menschen gebracht werden. Deshalb braucht es neue Wege, mutige Schritte und vor allem den festen Willen, sich an der Wirklichkeit zu orientieren."

Darum erscheint die Lehre, wie sie auf dem Konzil von Nizäa fixiert wurde und in dem dort formulierten Glaubensbekenntnis ihren Ausdruck fand, dringend revisionsbedürftig.

Wir geraten schnell in Erklärungsnot, wenn wir im interkulturellen Dialog oder gegenüber Nicht-Christen Rede und Antwort stehen sollen. Doch wenn wir diese Herausforderung annehmen, werden wir ziemlich bald merken, dass unsere Dogmen nicht das letzte Wort sein können. Sie sind und bleiben Produkte ihrer Zeit. Und die liegt 1700 Jahre zurück.

 

2 Das Glaubensbekenntnis des Konzils von Nizäa und seine Vorgeschichte

2.1 Eine neue Staatsreligion für das Römische Reich

Vor 1700 Jahren, im Frühsommer 325, berief der damals noch ungetaufte Kaiser Konstantin (*zwischen 270 und 288; † 337) die Bischöfe des Römischen Imperiums und einige andere Kleriker zu einem Konzil nach Nizäa. Die Stadt, das heutige Isnik, (Türkei), liegt am Marmara-Meer und war zu Land und zu See gut erreichbar und lag etwa 30 km vom damaligen Kaisersitz Nikomedia (heute Ismit) entfernt. Als Versammlungsort diente eine Lokalität, die vermutlich zum kaiserlichen Palast gehörte. Konstantin stellte den anreisenden Bischöfen seine Post zur Verfügung und übernahm die Reisekosten. Das Konzil gilt als das erste ökumenische Konzil der Christenheit. „Ökumenisch“ deswegen, weil Bischöfe aus der ganze damals bekannten und bewohnten Welt zusammenkamen (griech.: oikoumene = „[ganze] bewohnte [sc. Erde]“, „Erdkreis“). Konstantin handelte vorwiegend aus politischen Gründen, weil er die Einheit des römischen Imperiums bedroht sah. 312 hatte er seinen weströmischen Rivalen Maxentius aus dem Weg geräumt. Seinen Sieg schrieb er einer Erscheinung zu, in der sich ein Kreuz und (auf griechisch) die Worte „Durch dieses siege“ gezeigt hätten. Voller Zuversicht zog Konstantin einige Jahre später auch gegen den oströmischen Kaiser Licinius zu Felde und besiegte ihn 324 bei Adrianopel, dem heutigen Edirne. Damit erreichte Konstatin die Alleinherrschaft über das gesamte Imperium Romanum.

Der Einladung des Kaisers folgten etwa 200 Bischöfe aus dem Osten des Reiches, aus heute vielfach gar nicht mehr existierenden Orten im Vorderen Orient und Nordafrika. Diese Bischöfe waren damals etwas anderes als unsere heutigen Bischöfe. Vielleicht könnte man sie mit einer heutigen Seelsorgeeinheit vergleichen. Nur eine Handvoll kam aus dem Westen. Der Bischof von Rom war nicht dabei, wohl aber der Presbyter Arius aus Alexandria. Etwa 318 war es zu einem Streit zwischen dem Bischof Alexander von Alexandria (313–328) und Arius über die Trinität gekommen. Arius vertrat die Ansicht, dass Jesus nicht wahrer Gott sei, sondern nur ein Geschöpf Gottes. Widerstand gegen diese Auffassung regte sich vor allem bei den Theologen des Westens, die die Wesenseinheit von Vater und Sohn betonten. Von einer Synode, die Alexander einberief, um den Streit beizulegen, wurde Arius verurteilt und verbannt. Der Streit verbreitete sich dennoch von Alexandria über den gesamten Osten des Römischen Reiches. Arius fand Zuflucht bei Bischof Eusebius von Nikomedia, der Residenz des Kaisers. Die theologischen Diskussionen kamen erst mit dem Konzil von Chalcedon (451) einigermaßen zur Ruhe.

Kaiser Konstantin war davon überzeugt, dass die beste Grundlage und Stütze für eine möglichst reibungslose Regentschaft die religiöse Einheit der Bewohner des Reiches sein könnte. Seit seinem Sieg über Maxentius glaubte er, dass das Christentum am besten geeignet sei, eine Art von staatlich anerkannter und geförderter Reichskirche zu werden. In einem Brief schrieb er: „Mein Ziel war es, die unterschiedlichen Urteile unter allen Nationen, die die Gottheit verehren, zu einem Zustand der beschlossenen Einheit zu bringen, und zweitens, den gesunden Ton im Weltsystem wieder herzustellen.“

2.2 Das „Nizänische Glaubensbekenntnis“

Als wichtigster Beschluss des Konzils darf die Formulierung des Glaubensbekenntnisses gelten.

Ich glaube an den einen Gott,
den Vater, den Allmächtigen,
den Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren.

Und an den einen Herrn Jesus Christus,
den Sohn Gottes,
der als Einziggeborener aus dem Vater gezeugt ist, das heißt: aus dem Wesen des Vaters,
Gott aus Gott, Licht aus Licht, wahrer Gott aus wahrem Gott,
gezeugt, nicht geschaffen,
eines Wesens mit dem Vater (homoousion to patri);
durch den alles geworden ist, was im Himmel und was auf Erden ist;
der für uns Menschen und wegen unseres Heils herabgestiegen und Fleisch geworden ist,
Mensch geworden ist, gelitten hat und am dritten Tage auferstanden ist, aufgestiegen ist zum Himmel,
kommen wird, um die Lebenden und die Toten zu richten;

Und an den Heiligen Geist.

Diejenigen aber, die da sagen „es gab eine Zeit, da er nicht war“ und „er war nicht, bevor er gezeugt wurde“, und er sei aus dem Nichtseienden geworden,
oder die sagen, der Sohn Gottes stamme aus einer anderen … Wesenheit,
oder er sei geschaffen oder wandelbar oder veränderbar,
die belegt die katholische Kirche mit dem Anathema

Das Bekenntnis von Nicäa ist nicht zu verwechseln mit dem bekannteren und nahe verwandten, auf dem ersten Konzils von Konstantinopel (381) umformulierten und erweiterten Nicäno-Konstantinopolitanischen Bekenntnis. Im Gegensatz zu diesem wird das hier beschriebene Bekenntnis auch von allen altorientalischen Kirchen anerkannt, die sich aus dogmatischen oder politischen Gründen nach dem Konzil von Ephesos (431) oder nach dem Konzil von Chalcedon (451) von der römischen Reichskirche getrennt hatten. Die älteste uns erhaltene Abschrift des Bekenntnisses stammt aus dem 6. Jahrhundert. Bemerkenswert sind hier vor allem die ausschweifenden Aussagen über Jesus Christus.

Das Bekenntnis weist auch Ähnlichkeiten auf mit dem sogenannten „Apostolischen Glaubensbekenntnis“, das in der vorliegenden Form wahrscheinlich in Gallien im fünften Jahrhundert entstanden ist. Es wird als „Apostolischen Bekenntnis“ bezeichnet, weil man bereits um 390 behauptet hatte, die Apostel selbst hätten das Bekenntnis, inspiriert vom Heiligen Geist, in Gemeinschaftsarbeit formuliert. Allerdings konnte im 15. Jahrhundert nachgewiesen werden, dass diese Überlieferung historisch nicht haltbar sei. Im 20. Jahrhundert wuchs seine Bedeutung sowohl infolge der ökumenischen Bewegung als auch der Liturgiereform. Hierzu wurde 1971 eine dem heutigen Sprachgebrauch angepasste Form erstellt, die neben der lateinischen Fassung zitiert wird. Aus historischen Gründen und um eine Verwechslung mit der römisch-katholischen Kirche zu vermeiden, übertragen Kirchen reformatorischer Tradition „katholische Kirche“ mit „christliche Kirche“ oder „allgemeine Kirche“.

2.3 Politischer Hintergrund - Design eines Gottesbildes

Kaiser Konstantin, der auf die Konzilsbeschlüsse durchaus aktiv einwirkte, hatte höchst vermutlich aufgrund seiner vorangegangenen Siege ein Gottesbild vor Augen, das vor allem die alles überragende Macht und seine Überweltlichkeit betont. Gott ist ein „Allmächtig“. Das wird als einzige „Eigenschaft“ Gottes“ genannt. Und das gleich zweimal, obwohl sich nirgendwo im Neuen Testament ein Hinweis darauf findet, dass Jesus von einem „allmächtigen“ Vater gesprochen hat. Das Hervorheben der Allmacht Gottes dürfte wohl vor allem im Interesse des Kaisers eingefügt worden sein. Als „Allmächtiger“ ist Gott auch der „Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren“. Zwar wird er auch als „Vater“ bezeichnet, aber das wohl vor allem im Hinblick auf den „Sohn“, von dem unmittelbar danach die Rede ist.

Der Verdacht liegt nahe, dass die Konzilsteilnehmer das Gottesbild der Bibel und das, was Jesus von Gott gesagt hat, bewusst außer Acht lassen und stattdessen ein besonderes Interesse zeigen an den Eigenschaft Gottes, die auch für den häufig an den Sitzungen teilnehmende Kaiser von besonderem Interesse sind. Denn wer sich auf einen allmächtigen Gott berufen kann, besitzt selber (All-)Macht. Und etwas davon fällt auch auf die Bischöfe ab, die im Dienst dieses Allmächtigen stehen.

In ähnliche Richtung weist auch die Aussage „Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren“. Wer diesen starken und energiegeladenen Gott an seiner Seite weiß, kann die (damals bekannte) relativ kleine Welt verändern, kann West- und Ostrom zu einem weltumspannenden Imperium zusammenschweißen.

Auch das, was im Bekenntnis über Jesus – oder richtiger: über den „einen Herrn Jesus Christus“ – gesagt wird, erscheint in merkwürdiger Weise eingeschränkt. Geradezu überschwänglich wird von seinem Gott-Sein und von seiner überirdischen Daseinsweise geredet: Er ist „als Einziggeborener aus dem Vater gezeugt ist, das heißt: aus dem Wesen des Vaters, Gott aus Gott, Licht aus Licht, wahrer Gott aus wahrem Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater (homoousion to patri);
durch den alles geworden ist, was im Himmel und was auf Erden ist.“ Fast beiläufig wird dann auf sein irdisches Intermezzo hingewiesen: „…für uns Menschen und wegen unseres Heils herabgestiegen und Fleisch geworden, …Mensch geworden, gelitten (die Kreuzigung bleibt unerwähnt!), … auferstanden,… aufgestiegen zum Himmel“. Kein einziges Wort über sein Leben als Mensch unter Menschen, über sein prophetisches und menschenfreundliches Handeln, seine zukunftsweisende Botschaft, seine Heils- und Heilungstaten. Es scheint fast, als sei den Konzils-Bischöfen der irdische Jesus von Nazaret uninteressant. Umso mehr aber der himmlische „eine Herr Jesus Christus“. Der „erhöhte“ Christus ist für den Kaiser und die teilnehmenden Bischöfe offenbar wichtiger als der „erniedrigte“ Jesus. So bezeichnet sich der Bischof von Rom auffälligerweise als „Stellvertreter Christi“ auf Erden, nicht als „Stellvertreter Jesu“. Das hätte möglicherweise gravierende Konsequenzen für den gesamten Lebensstil des Papstes und der gesamten römischen Kirche.

2.3 Spuren von Judenfeindschaft?

Es könnte auch sein, dass nicht nur die Macht-Frage zu dieser Tendenz der „Allmacht“ Gottes und zur Entrückung des galiläischen Wanderpredigers geführt hat, sondern auch eine schon damals weit verbreitete Abneigung oder gar Feindschaft gegenüber den Juden. Und damit zu einer relativ geringen Beachtung der hebräischen Bibel und der (synoptischen) Evangelien. Auffällig am Nizänischen Credo ist, dass alles ausgeklammert wird, was Jesus als Juden erscheinen lässt. „Er ist Mensch geworden“ - Maria, die Mutter Jesu, wird nicht erwähnt. Von einem Auftreten Jesu unter den Juden ist keine Rede. Er ist „… Mensch geworden“ und hat „gelitten“ – natürlich unter den Juden, denn die Kreuzigung, die nur von den Römern durchgeführt werden konnte, wird ebenfalls verschwiegen. Vielleicht, um die Römer und ihren Kaiser Konstantin nicht zu verärgern.

Ernsthafte Rivalitäten zeichneten sich bereits zu Beginn der Jesusbewegung ab. Nach der Bekehrung des Apostels Paulus zum Christentum wurde er von Juden verfolgt: „Fünfmal erhielt ich von Juden die vierzig Hiebe weniger einen“ (2 Kor 11,24). Kein Wunder, dass Paulus nicht gut auf die Juden zu sprechen ist: „Sie haben Jesus, den Herrn, getötet und auch die Propheten. Jetzt haben sie uns verfolgt und vertrieben. Sie leben nicht, wie Gott es will“ (1 Thess 2,5). Das Johannesevangelium (verfasst um 100) legt Jesus die Worte in den Mund: „Ihr habt den Teufel zum Vater“ (Joh 8,44). Andererseits finden sich im gleichen Evangelium auch judenfreundliche Passagen, erkennbar etwa in Joh 4,22: „Ihr betet an, was ihr nicht kennt, wir beten an, was wir kennen; denn das Heil kommt von den Juden.“

Kaiser Konstantin betrachtete die Juden als eine „gottlose“ und „verrückte Sekte“. Für Christen galten Juden gemeinhin als „Gottesmörder“. Diese Bezeichnung stammt vermutlich von Bischof Melito von Sardes (+ um 180). Melito schob „den“ Juden eine Kollektivschuld am Tod Jesu zu und identifiziert Jesus dabei gleichzeitig mit Gott selbst. Dieser Schuldvorwurf wurde zu einem Stereotyp des christlichen Antijudaismus. Auch der „Vater der Kirchengeschichte“, Eusebius von Caesarea (260/64-339 oder 340), der am Konzil von Nizäa teilnahm, rechtfertigte die Unterdrückung der Juden. Für Eusebius waren sie das negative Gegenbild zu den Christen. In seinem Kommentar zu Ps 109,9 bezog er die Stelle „seine Kinder sollen Waisen werden und seine Frau eine Witwe“ auf Judas Iskariot. Da Judas laut biblischer Überlieferung keine Kinder hatte, folgerte Eusebius, die Söhne des Judas seien die Juden. Diese trügen, „nämlich ihren Namen nicht nach Juda [dem Sohn des Erzvaters Jakob], der ein heiliger Mann war, sondern nach dem Verräter Judas. In der Linie von Juda sind wir [Christen] Juden im Geiste – in der Linie des Verräters Judas aber stehen die Juden nach dem Fleisch“ (Chr. Staffa: Von der gesellschaftlichen Notwendigkeit christlicher Antisemitismuskritik. In: Zentralrat der Juden in Deutschland [Hg.]: „Du Jude“ – Antisemitismus-Studien und ihre pädagogischen Konsequenzen [= Bundeszentrale für Politische Bildung. Bd.10608], Bonn 2020)

 Es ist nicht auszuschließen, dass Konstantin und die Konzilsbischöfe auf Kosten ihrer jüdischen Wurzeln ein Zeichen für die Einheit der Kirche setzen wollten. Denn sowohl das Alte Testament als auch die Evangelien des Neuen Testaments finden im nizänischen Credo nur wenig Berücksichtigung. Das zeigt sich am Gottesbild und vor allem an der Christologie.

Erst das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) führte mit der Erklärung über die nichtchristlichen Religionen (Nostra aetate) zu einem Wendepunkte im christlich-jüdischen Verhältnis, zu einer neuen Hinwendung zum Judentum und einer Auseinandersetzung mit dem christlichen Schuldanteil an der Shoa. Die Juden sind die „älteren Brüder“ (Johannes Paul II.), die „Väter im Glauben“ (Benedikt XVI.). Jesus war Jude, in der jüdischen Tradition seiner Zeit beheimatet und entscheidend geprägt von diesem religiösen Umfeld.

 

3 Das Gottesbild

3.1 Das Gottesbild der Bibel

Man sollte erwarten, dass die Rede von Gott sich an den Ursprungserfahrungen und –erzählungen der Bibel orientiert. Sie ist schließlich das Ur- und Grunddokument des christlichen Glaubens. Schon auf den ersten Seiten der hebräischen Bibel wird von einem Gott erzählt, der den Menschen wie ein Handwerker formt und ihm den Odem des Lebens in die Nase bläst (Gen 2,4b–25; verfasst ca. 900 v. Chr.).

Diese Nähe Gottes findet auch ihren Widerhall in dem ca. 400 Jahre später verfassten und von dem Bibelwissenschaftler Gerhard v. Rad) so bezeichnen „kleinen geschichtlichen Credo”:         

So sollst du vor dem Herrn, deinem Gott, sprechen: Ein umherirrender Aramäer war mein Vater; der zog hinab mit wenigen Leuten nach Ägypten und blieb daselbst als Fremdling und ward daselbst zu einem großen, starken und zahlreichen Volke. Aber die Ägypter misshandelten uns und bedrückten uns und legten uns harte Arbeit auf. Da schrien wir zu dem Herrn, dem Gott unserer Väter, und der Herr erhörte uns und sah unser Elend, unsere Mühsal und Bedrückung; und der Herr führte uns heraus aus Ägypten mit starker Hand und ausgestrecktem Arm, unter großen Schrecknissen, unter Zeichen und Wundern, und brachte uns an diesen Ort und gab uns dieses Land, ein Land, das von Milch und Honig fließt. Und nun bringe ich dir die Erstlinge von den Früchten des Landes, das du mir gegeben hast, o Herr (Dtn 26,5-11).    

Dieses „Credo” berichtet von Ereignissen, die Menschen in der Vergangenheit widerfahren sind und die sie als Gotteserfahrungen deuteten. Es erzählt von einem Gott, der sich um Menschen kümmert, die in Not geraten sind. Bemerkenswert ist, dass diese zeitlich weit zurückliegenden Geschehnisse von den gegenwärtig Lebenden auf sich selbst bezogen werden („die Ägypter misshandelten uns, wir schrien...”). Doch es bleibt nicht beim bloßen Erinnern und Erzählen. Die Erinnerung ist performativ. Sie bleibt nicht bei den Worten hängen, sondern gibt den Anstoß zum Handeln hier und jetzt. Es werden praktische Konsequenzen genannt, die jeder einzelne gleichsam als handlungsorientierte Antwort auf das göttliche Heilshandeln zu ziehen hat. Wer sich zu einem menschenfreundlichen, freiheitsliebenden Gott bekennt, muss selbst menschenfreundlich und freiheitsliebend sein.

Das diesem „Credo“ zugrundeliegende Gottesbild basiert auf der Erzählung von der Gottesbegegnung des Mose im brennenden, aber nicht verbrennenden Dornbusch. Mose habe ihn nach dem Namen gefragt. Die Antwort lautete: „ICH-BIN-DA…  Das ist mein Name für alle Zeit“ (vgl. Ex 3,1-15). Der „Name“ lautet im hebräischen Urtext „Jahwe“. Oder genauer JHWH, denn das Hebräische kennt keine Vokale. Eine genaue Übersetzung dieses Gottes-„Namens“ erweist sich als schwierig. Der jüdische Theologe und Philosoph Martin Buber schreibt dazu: „JHWH sagt hier nicht, dass er unbedingt oder dass er ewig sei, sondern dass er [...] bei seinem Volke bleiben, mit ihm gehen, es führen wolle“.

Bei aller Bedeutung, die das Motiv des mitgehenden Gottes Jahwe in vielen alttestamentlichen Schriften hat, darf allerdings nicht unerwähnt bleiben, dass es dort auch andere, unterschiedliche, ja geradezu gegensätzliche Gottesbilder gibt. Das muss nicht verwundern, wenn wir uns klar machen, dass auch das biblische Gottesverständnis sich geschichtlich entwickelt hat. Ein Beispiel dafür bietet das Siegeslied von Mose und Mirjam: „Der HERR ist ein Krieger, JAHWE ist sein Name. Pharaos Wagen und seine Streitmacht warf er ins Meer. … Deine Rechte, HERR, zerschmettert den Feind. In deiner erhabenen Größe wirfst du die Gegner zu Boden. Du sendest deinen Zorn; er frisst sie wie Stoppeln“ (Ex 15,3-6). Die erschreckende Wirkungsgeschichte eines derartigen Gottesbildes reicht bis in die Gegenwart.

Der Jude Jesus scheint das Bild eines gewalttätigen Gottes nicht zu kennen. Zumindest ist in seinen Reden und in seinem Gottesverhältnis nichts davon zu spüren. Er sieht in Gott den „Abba“  (aramäisch: [lieber] Vater). Er vergleicht ihn mit einem guten Hirten (Lk 15,4-7), mit einer Hausfrau (Lk 15,8-10), mit einem guten Freund (Lk 11 , 5-8), mit einem Gutsbesitzer (Mt 21,33-41), mit einem König (Mt 18,23-35) und mit einem gerechten Richter (Lk 18,2-8). Paulus verkündet Jesus als „Bild Gottes“ (2 Kor 4,4), „Gott war in Christus“ (2 Kor 5,19). Der Kolosserbrief führt diesen Gedanken fort und bezeichnet Jesus als das „Bild des unsichtbaren Gottes“ (Kol 1,15). Der Mensch Jesus offenbart in Worten und Tat das Gott-Sein Gottes. Er ist für die Menschen da, besonders für die Kranken, Armen und Außenseiter und Kranken. Er ist ein Gott, der sich den Menschen zuwendet in Fürsorge, Barmherzigkeit und Liebe.

3.2 Das Gottesbild der Nizänums

Dieses Gottesbild der Bibel findet im Nizänischen Glaubensbekenntnis wenig Beachtung. Der Gott des Konzils ist ein abgehobener „Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren“. Er thront weit weg im Himmel, denn von dort wird der „Sohn Gottes“ „herabsteigen“. Er ist der „Allmächtige“. Kein Wort von der Nähe Gottes zu den Menschen, von seiner Liebe und Güte, von seiner Erfahrbarkeit im Hier und Heute. Diese Ferne und Abgehobenheit zeigt sich auch, sogar noch in verstärktem Maße, im Bekenntnis zu Jesus von Nazaret.

Jesus von Nazaret als „Einziggeborener aus dem Vater“

Im engen Zusammenhang mit dem Gottesbild des Nizänums steht die Frage nach dem galiläischen Wanderprediger Jesus von Nazaret, den das nizänische Glaubensbekenntnis mit Hoheitstiteln und Würdenamen geradezu überhäuft. Bedeutsam ist vor allem die Aussage, dass er der „eine Herr“ ist, der „Sohn Gottes, der als Einziggeborener aus dem Vater gezeugt ist“.

Bemerkenswert erscheint, dass heutige Übersetzungen und die lateinische Version des Nizänums vom „eingeboren“ oder „einziggeboren“ (unigenitum) Sohn Gottes sprechen. Sie gehen dabei davon aus, dass das Griechische „genä“ (γενή) von „gennao“ (γενναω = gebären) kommt. Ältere lateinische Manuskripte übersetzen „monogenä“ (μονογενή) mit unicus, einzigartig (Peter Hünermann [Hrsg.], Heinrich Denzinger: Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, Freiburg 402005, Nr. 125 f.). „Einzigartig“ war der Mensch Jesus von Nazaret ganz gewiss. Dem können sogar (Nicht-) Christen zustimmen, die mit „einziggeboren“ Probleme haben.

Den nicht enden wollenden Diskussionen der Bischöfe setzte Kaiser Konstantin oder dessen Hofbischof und Berater Ossius von Córdoba ein Ende mit der Einführung des Begriffs „homo-ousios“ (dt. wesensgleich), der in der Bibel nicht vorkommt. Christus sei mit dem Vater nicht „wesensähnlich“ („homoi-ousios“), sondern „wesensgleich“. „Wesensähnlich“ war die Ansicht des Presbyters Arius, der Jesus dem Vater „unterordnete“. Der Unterschied zwischen beiden Formeln ist in der griechischen Sprache weit geringer als im Deutschen und besteht einzig im sprichwörtlichen I-Tüpfelchen: Wesensgleich heißt homo-ousios, wesensähnlich homoi-ousios.  Da gerade dieser Ausdruck – wesensgleich mit Gott – für die Anhänger der Lehre des Arius in einem Glaubensbekenntnis inakzeptabel war und es die erklärte Absicht einer größeren Anzahl von Bischöfen war, die Lehre des Arius zu verurteilen, entschied sich das Konzil trotz schwerwiegender Bedenken für „homo-ousios“ – vielleicht auch auf Druck des Kaisers, der damit seine Position gewaltig steigern konnte.

3.3 Jesus als „der Sohn“ in den synoptischen Evangelien

Nach dem Zeugnis der synoptischen Evangelien nach Markus, Matthäus und Lukas hat Jesus sich nirgends als „Sohn Gottes“ bezeichnet. Nur an zwei Stellen spricht er in Bezug auf Gott von sich in exklusiver Weise als „dem“ Sohn.

  • Im Markusevangelium sagt Jesus: „Jenen Tag und jene Stunde [der Wiederkunft Christi] kennt niemand, … nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater“ (Mk 13,32). Das Wort könnte deswegen von Jesus selbst stammen, weil die Bezeichnung „der Sohn“ zwar eine Sonderstellung im Vergleich zu anderen Menschen andeutet. Gleichzeitig hebt sich „der Sohn“ aber auch deutlich von Gott ab, denn auch „der Sohn“ kennt nicht „jenen Tag und jene Stunde“. Die Begrenzung des Wissens Jesu, die in diesem Wort zum Ausdruck kommt, hat die frühe Christengemeinde später in einige Verlegenheit gebracht, weil sie mit einem Glauben an Jesus als den „eingeborenen Sohn Gottes“ kaum vereinbar ist. Der Lehre des Arius kam er freilich entgegen.
  • Bei Matthäus und Lukas spricht Jesus: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast. Ja, Vater, so hat es dir gefallen. Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden; niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will“ (Mt 11,25-27; Lk 10,21-22). Da sich hier eine für die synoptischen Evangelien ungewöhnlich steile und entwickelte Christologie spiegelt, könnte es sich bei diesem Wort allerdings um eine Formulierung handeln, die erst in den christlichen Urgemeinden entstanden ist und Jesus in den Mund gelegt wurde in der selbstverständlichen Annahme, dass er heute, zu ihrer Zeit, so sprechen würde. Die Evangelien nach Matthäus und Lukas stammen aus der Zeit um 80/90 n. Chr..

3.4 Jesus als „Sohn Gottes“  bei Paulus und in der Apostelgeschichte

Die Bezeichnung „Sohn Gottes“ in Bezug auf Jesus findet sich bei Paulus und in der Apostelgeschichte. Paulus überträgt die Inthronisationsformel von König David auf Jesus, „der dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt ist als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten“ (Röm 1,4; 2 Sam 5,3). Ähnlich lässt Lukas, der Verfasser der Apostelgeschichte, den Apostel Petrus in seiner Pfingstpredigt sprechen: „Gott hat ihn zum Herrn und Messias gemacht“ (vgl. Apg 2,36). Dabei konnten die Verfasser anknüpfen an die alttestamentlichen Vorstellungen vom König, der als „Sohn Gottes“ eingesetzt ist. So lässt der Psalmist den König David sprechen: „Den Beschluss des Herrn will ich kundtun. Er sprach zu mir: ‚Mein Sohn bist du. Heute habe ich dich gezeugt“ (Ps 2,7f.; vgl. Ps 89,27 f.). Sowohl Paulus als auch Lukas in der Apostelgeschichte sprechen aber von einem „Sohn Gottes“, der „eingesetzt“ oder „gemacht“ ist, nicht von einem „eingeborenen“ Sohn.

3.5 Jüdisches Verständnis von „Sohn Gottes“

Solange das Evangelium im Raum jüdischer Denkvorstellungen propagiert wurde, dürfte es mit der Bezeichnung „Sohn Gottes“ für Jesus keine ernsthaften Probleme gegeben haben. Denn sie verwies auf die überragende Bedeutung, welche die Anhänger Jesu dem Wanderprediger aus Galiläa zuschrieben. Als „König der Juden“ (vgl. Mk 15,15–20) wurde er dem König Israels gleichgestellt. Und der galt als Gottes „erstgeborenem Sohn“ (Ps 89,28).

Darüber hinaus wurde schon in der israelitischen Königszeit der Titel „Gottes erstgeborener Sohn“ auf das ganze Volk Israel übertragen: „Der Herr sprach zu Mose: Sag zum Pharao: So spricht Jahwe: Israel ist mein erstgeborener Sohn“ (Ex 4,22). Damit nicht genug. Das Buch Ijob spricht im Zusammenhang mit der Schöpfung der Welt und der Erschaffung des Menschen vom „Jubel aller Gottessöhne“, zu denen sogar der „Satan“ gehört (Ijob 38,7; 1,6.). Im Buch der Weisheit schließlich wird jeder Gerechte als „Sohn Gottes“ tituliert (Weish 2,8; 5,5).

Wenn Jesus im Neuen Testament als „Sohn Gottes“ bezeichnet wird, soll damit (nur) gesagt werden: Er ist „der von Gott Gesandte, der letzte Bote, der aber auf eine andere Weise gesandt ist und einer anderen Ordnung angehört, als diejenigen, die ihm vorangingen. Er gleicht Gott mehr und ist auch mehr mit ihm verbunden als jeder andere, obwohl er dennoch oder vielleicht gerade deswegen nicht verschont wird und man ihm das Leben nimmt“ (Bas v. Jersel, „Sohn Gottes“ im Neuen Testament, in: Concilium 1982, 192 f.).

Die kirchengeschichtliche Forschung hat aufgezeigt, dass diese jüdisch orientierten Deutungen der Gestalt Jesu bis „weit über die Zeit des Urchristentums hinausreichen und nicht oder nur wenig hellenistisch beeinflusst waren. […] Das Christentum stand in etlichen geographischen Gegenden und Traditionen langfristiger, nachhaltiger und unterscheidend anders unter dem Einfluss seiner Herkunft aus dem Judentum, als es für die übrige Kirche der Spätantike zutrifft. Man kann von einer alternativen Dogmengeschichte des Christentums sprechen“ (Norbert Brox, Jüdische Wege des altkirchlichen Dogmas, in: Kairos NF 26 [1984], 1-16; hier: 1-3; 14).

3.6 Übertragung des „Sohn-Gottes-Titels in hellenistische Denkvorstellungen

Eine gänzlich veränderte Situation trat ein, als die christliche Verkündigung in den zentralen hellenistischen Kulturraum vorstieß. Ging es im Bereich des Vorderen Orients darum, bekennend zu erzählen und anschaulich-bildhaft zu zeigen, was Jesus getan und gelehrt hat, so steht jetzt im Mittelpunkt die Frage, wer dieser Mensch eigentlich war, wer er wirklich „ist“. Das Interesse an Jesus galt weniger seinen Taten und seiner Botschaft, sondern mehr seinem Wesen, seiner Natur, seiner Stellung zu Gott. Die Fragestellung verlagerte sich vom Tun auf das Sein.

Götter in Menschengestalt kamen in der griechischen Mythologie häufig vor. Die griechischen Götter – Zeus, Apollo, Hermes u.a. – treten durchweg in Menschengestalt auf. Zeus als Göttervater, Herkules als kraftvoller Held, Apollo als Heiler, Hermes als Götterbote, der die Beschlüsse des Zeus verkündet und die Seelen der Verstorbenen in den Hades führt – sie alle waren den Griechen vertraut. Für die Glaubensverkündigung im griechisch-römischen Raum wird paradoxerweise eher der historische Mensch Jesus zum Problem als ein göttliches Wesen namens Jesus, das in Menschengestalt erschienen ist. Ob die christlichen Glaubensprediger es wollten oder nicht, mit einem Jesus als „Sohn Gottes“, der (wie Hermes) die Botschaften Gottes verkündet oder (wie Herkules) machtvolle Taten wirkt, konnten die Adressaten der christlichen Botschaft mehr anfangen als mit einem als Unruhestifter zum Tod verurteilten und schmählich am Kreuz hingerichteten Wanderprediger aus der hintersten römischen Provinz. Hinzu kam, dass den „heidnischen“ Griechen und Römern die hebräische Bibel und wohl auch deren griechische Übersetzung, die Septuaginta, weitgehend unbekannt war und ihnen damit der Verständnishintergrund für die jüdische Vorstellung von „eingeborener Sohn Gottes“ fehlte. So kam es geradezu zwangsläufig dazu, dass der jüdische Titel „Sohn Gottes“ eine gänzlich andere Bedeutung erhielt. Das physische Ereignis „Jesus von Nazaret“ wurde hochstilisiert zur metaphysischen Ikone „Jesus Christus Gottessohn“ (Vgl. Bernhard Welte,  zit. nach: P. Hünermann, Sobrinos Schriften verurteilt; in: imprimatur 2007, 122-129; hier 128).

Diese Hochstilisierung wird deutlich an dem, was Jesus im nizänischen Credo alles zugeschrieben wird: „…als Einziggeborener aus dem Vater gezeugt, das heißt: aus dem Wesen des Vaters, Gott aus Gott, Licht aus Licht, wahrer Gott aus wahrem Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater; durch den alles geworden ist, was im Himmel und was auf Erden ist.“

Da tun sich Fragen auf: Von Gott wird ausgesagt, er sei der „Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren“. Vom Sohn heißt es wenig später: „…durch den alles geworden ist, was im Himmel und was auf Erden ist.“ Ist neben Gott oder zusammen mit ihm auch der Sohn Schöpfer? Klingt hier die verbreitete Annahme der griechischen Philosophie von einem „Demiurg“ (Handwerker, Werkmeister) an? Der transzendente, immaterielle Gott hat mit der materiellen Schöpfung nichts zu tun. Da würde er sich die Finger schmutzig machen. Also braucht er einen „Handwerker“, der eine mangelhafte, von vielfältigen Übeln geprägte Welt erschaffen kann.

Auch manche Vertreter religiöser, auch christlicher Strömungen während der römischen Kaiserzeit haben diese Vorstellung aufgegriffen, aber positiv gedeutet. Sie sahen den Demiurg als ein erhabenes Wesen, das nur das Bestmögliche will und hervorbringt. Er habe nach einem von Gott vorbestimmten Plan aus vorhandenem Material etwas Geformtes erzeugt. Im 3. Jahrhundert meinte der Kirchenschriftsteller Origenes, Gottvater habe seinem Sohn aufgetragen, die Welt zu schaffen; die Bezeichnung „Demiurg“ sei auf beide anzuwenden (Zur Position des Origenes siehe Charlotte Köckert: Christliche Kosmologie und kaiserzeitliche Philosophie. Tübingen 2009, 244–247).  Der Kirchenvater Eusebius von Caesarea bezeichnet sowohl Gottvater als auch Christus als Demiurgen, verwendet diesen Begriff aber vorwiegend für den Sohn. Er hält den Sohn für den kosmischen Mittler zwischen dem fernen, absolut transzendenten, unerkennbaren Gottvater und dem materiellen Weltall. Der Sohn schaut auf die Ideenwelt des Vaters, um sie in den Dingen abzubilden und die Materie zu formen und zu ordnen (Friedo Ricken: Die Logoslehre des Eusebios von Caesarea und der Mittelplatonismus. In: Theologie und Philosophie 42, 1967, 341–358).

Es darf als gesichert gelten, dass die Gestalt des „Demiurg“ den meisten Teilnehmern des Konzils bekannt war. Und darum ist es nicht auszuschließen, dass viele von ihnen in Jesus, den Sohn Gottes, eine Art „Demiurg“ sahen und darum „…durch den alles geworden ist…“ in das Glaubensbekenntnis eingefügt wurde.

Die im Text des nizänischen Glaubensbekenntnisses zutage tretende Tendenz der Hochstilisierung des Menschen Jesus von Nazaret zum „Gott aus Gott, Licht aus Licht, wahrer Gott aus wahrem Gott“ und der mangelnden Berücksichtigung der biblischen Grundlagen und des irdischen Wirkens Jesu hatte für die gesamte Christologie der Folgezeit gravierende Auswirkungen.

„Die Vergöttlichung Jesu ist eine theologisch vornehme, scheinbar von tiefer Religiosität getragene Möglichkeit, einen historisch lästigen Menschen und Spielverderber und eine gefährliche Erinnerung an eine provozierende, lebendige Prophetie aus unserer Geschichte zu beseitigen – eine Art, Jesus als Propheten Schweigen aufzuerlegen“ (Edward Schillebeeckx, Jesus. Die Geschichte von einem Lebenden, Freiburg/Basel/Wien 31975, 596). Oder fast schon sarkastisch formuliert: „Jesus ist nicht nur am Kreuz, er ist auch – zum zweiten Mal – im christologischen Dogma gestorben“ (Fridolin Stier, An der Wurzel der Berge, Freiburg/Basel/Wien 1984, 207).

 

4 Für eine grundlegende Revision des Glaubensbekenntnisses von Nizäa

Das Fundament des christlichen Glaubens liegt seit 2000 Jahren. Der Boden dazu wurde in der Geschichte des Volkes Israel und im Jesusereignis bereitet. Daran hat sich nichts geändert. „Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus „Christus” (1 Kor 3,11). Und daran soll sich nichts ändern. Doch die wissenschaftliche Exegese der biblischen Texte hat zu neuen Einsichten und vertieften Erkenntnissen geführt. Das sprachliche Gewand, in das die Botschaft von diesem Fundament gehüllt wurde, ist längst altmodisch geworden. Das gilt weniger für die Erzählungen der Bibel: die Gleichnisse Jesu und seine Bergpredigt sind so aktuell wie eh und je. Schwieriger ist es schon mit den Wundererzählungen, mit den Ostergeschichten und mit den Kindheitsevangelien.

Nicht weniger Schwierigkeiten bereiten jene Bilder und Begriffe, mit denen die frühe Christenheit versuchte, ihre Glaubenserfahrungen sprachlich-begrifflich exakt zu fassen, um sie für Außenstehende zugänglich zu machen. Seit dem Aufkommen der ersten Bekenntnisformeln wurde stets heftig um diese Formulierungen gestritten. Alle sind geschichtlich gewachsen und in einem Verständnishorizont entstanden, der heute längst vergangen ist. Alle spiegeln das Ringen um eine zeitgemäße, situationsgerechte Form des Glaubens an Jesus, den Christus, wider. Und manche lassen auch einen keineswegs immer religiös motivierten politischen Hintergrund durchschimmern – wie das Nizänum. „Ein Überblick über die Vielzahl und Vielgestalt ... zeigt, dass diese ein Spiegel der Unterschiedlichkeit ihrer Entstehungssituationen und Intentionen sind” (D. Sattler, LThK 4, Freiburg u.a. 31995, 703).

4.1 Wertvolle Hülsen

Daraus resultiert, dass „die Mehrzahl von Glaubensbekenntnissen ... der Interpretation bedürfen” (E. Feifel, in: LThK 4, Freiburg u.a., 31995, 707). Denn was zur Zeit der Entstehung von jedem einigermaßen Gebildeten und mit der Sprache des Glaubens Vertrauten zu verstehen war, wurde schon nach wenigen Jahrzehnten oder zumindest Jahrhunderten aufgrund eines veränderten Verständnisrahmens und der fehlenden Kenntnisse von der ursprünglichen Bedeutung der Bilder und Begriffe gänzlich anders interpretiert (vgl. „eingeboren”, Jungfrauengeburt, u.a.). Heute haben die meisten Gläubigen mit den alten Bekenntnisformeln massive Verständnisprobleme, auch wenn sie das nicht zugeben (wollen). Ohne umfangreiche Kommentierung erscheinen die tradierten Glaubensbekenntnisse wie leere Worthülsen, wie geheimnisvolle, unverständliche Satzgebilde. Oder aber sie verleiten zu Missverständnissen und Fehlinterpretationen, die den Zugang zum Glauben versperren oder gar Anlass geben, sich von ihm abzuwenden.

Andererseits lässt sich nicht bestreiten, dass diese Bekenntnisse samt der in ihnen verwendeten Formeln und Begriffe ihre je eigene Würde besitzen. In ihrer Bilder- und Begriffssprache ruhen die Glaubenskraft und die Glaubensfreude unzähliger Generationen. Sie haben sich mit diesen Worten zu ihrem Glauben bekannt, auch wenn sie deren Bedeutung im Einzelnen nicht immer verstanden haben. Solche Dokumente kann man nicht einfach von heute auf morgen abschaffen oder durch andere ersetzen. Jede Übersetzung birgt immer auch neue Probleme.

Dennoch: Eine wie bisher praktizierte, unreflektierte und unterschiedslose Verwendung der alten Bekenntnisformeln in der Liturgie und in der Katechese steht in deutlicher Spannung zur Forderung des Zweiten Vatikanischen Konzils, die „Riten mögen den Glanz edler Einfachheit an sich tragen und knapp, durchschaubar und frei von unnötigen Wiederholungen sein. Sie seien der Fassungskraft der Gläubigen angepasst und sollen im Allgemeinen nicht vieler Erklärungen bedürfen” (II. Vaticanum, SC Art. 34).

 

4.2 Schwierige Voraussetzungen

Schon vor gut fünfzig Jahren hat Karl Rahner, einer der bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts, in Bezug auf das aus dem 5. Jahrhundert stammende „Apostolische Glaubensbekenntnis“ sehr eindringlich die Notwendigkeit neuer „Kurzformeln des Glaubens“ angemahnt. Man gehe in den Kirchenleitung „von der Voraussetzung aus, dass das ‚Apostolische Glaubensbekenntnis‘ so alt und ehrwürdig es ist, so wichtig der Umstand seines Gebrauchs in allen christlichen Kirchen ist, so sehr es immer eine bleibend verpflichtende Glaubensnorm sein wird, dennoch heute nicht einfach die Funktion einer solchen Grundformel in genügender Weise ausüben kann, weil es eben doch zu wenig unmittelbar die heutige geistige Situation anruft“ (Grundkurs des Glaubens, Freiburg 1976, 430-435).

Was nach Karl Rahner für das „Apostolische Glaubensbekenntnis“ gilt, trifft erst recht für das Nizänische Glaubensbekenntnis zu. Im Hinblick auf die „heutige geistige Situation“ erscheint es dringend geboten, Versuche einer Neuformulierung zu wagen. Denn, so Rahner weiter, „eine wirksame Mission der Kirche gegenüber dem modernen Unglauben erfordert ebenfalls eine Bezeugung christlicher Botschaft, in der diese wirklich verständlich wird für den Menschen von heute.[…] Eine solche Grundformel soll trotz ihrer Kürze nach Möglichkeit unmittelbar beim Hörer ohne viel Kommentar verständlich sein und ‚ankommen‘ können. Der Inhalt [...] sollte vor allem in dem bestehen, was für den betreffenden Hörer einen ersten, aber Erfolg bietenden Ausgangspunkt bedeutet für das Verständnis des ganzen christlichen Glaubens.“

Eine vor allem im Hinblick auf das Gottesbild und die Christologie erforderliche Revision dürfte allerdings sehr schwer zu erreichen sein. Zum einen, weil sie schon innerhalb der katholischen Kirche von traditionalistischen Kreisen auf massiven Widerstand stoßen würde. Ihrer Ansicht nach darf das durch eine so lange Tradition gleichsam geheiligte Bekenntnis nicht ohne zwingende Gründe „modernisiert“ werden. Erschwerend kommt hinzu, dass eine Überarbeitung und Umformulierung in ökumenischer Zusammenarbeit geschehen müsste. Schließlich gilt dieses Bekenntnis in beiden christlichen Kirchen noch immer als allgemein anerkannte Kurzformel des christlichen Glaubens. Immerhin dürfte sich auch in den Chefetagen der christlichen Kirchen längst die Erkenntnis durchgesetzt haben, dass manche Formulierungen zu Leerformeln geworden sind, die von vielen Christinnen und Christen nicht mehr verstanden werden. Aber kaum jemand wagt es, diese geheiligte Tradition einem „Aggiornamento“ zu unterziehen. Lieber lassen Papst und Bischöfe, Kirchenpräsidenten und Ratsvorsitzende die ihnen anvertrauten Gläubigen Sätze aufsagen, die für sie unverständlich sind, als zu versuchen, den Glauben in allgemein verständlicher und dem heutigen Stand der theologischen Wissenschaft angemessener Form zum Ausdruck zu bringen. Den „schlichten Gläubigen“ könnte eine zeitgemäße Neu- und Umformulierung Anregungen zum besseren Verstehen, zum Nachdenken und zum Gespräch über den Glauben bieten. Sie könnte unnötige Hindernisse (wie z.B. „eingeborener“ Sohn, „geboren von der Jungfrau Maria“) gar nicht erst aufbauen und so neue Zugänge zum Glauben eröffnen. Für manche könnte sie das Bleiben im Glauben erleichtern.

 

4.3 Versuche einer Neuformulierung

Im Folgenden möchte ich zwei Versuche für eine Neuformulierung vorlegen, eine längere und eine kürzere Fassung.

Die längere  Fassung habe ich bereits vor 7 Jahren an anderer Stelle vorgelegt (Norbert Scholl, Anders in die Zukunft gehen. Warum Christsein sinnvoll ist, Paderborn 2018, 178 f.). Der Text stieß auf viel Zuspruch und Akzeptanz:

 

Ich glaube an das heilige Geheimnis des Universums, das wir Gott nennen.

Gott ist weder weiblich noch männlich.Er ist keines von beiden. Und auch beides in Einem.

Er ist verborgen in der Energie und Materie des Universums,

in Raum, Zeit und Kausalität, in den Naturgesetzen,

die alles Geschehen auf geheimnisvolle Weise bestimmen

und im Ursprung des Lebens

Vor allem aber im Menschen, in seinem Leib und seinem Geist.

Tastend und suchend glauben Menschen, Gott umrisshaft zu erkennen.

Sie glauben, dass er sich „offenbart“. Sie stellen sich Gott vor

wie einen machtvollen und befreienden Vater, wie eine gütige und fürsorgliche Mutter,

wie einen inspirierenden und vorwärts treibenden Geist.

So habe ich Gott auch in meinem Leben immer wieder auf vielfache Weise erfahren dürfen.

 

Ich glaube an Jesus von Nazaret.

Er ist das Kind jüdischer Eltern, ein Geschenk für die ganze Welt.

Er sprach von Gott wie von einem lieben Vater und fühlte sich wie ein Sohn dieses Vaters.

Jesus forderte ein neues Denken und Handeln.

Er verkündete Gott nicht als einen Gott der Mächtigen und der Sieger,

sondern der Schwachen und Unterlegenen, der Kranken und Leidenden.

Was für Menschen „oben“ ist, ist für Gott „unten“.

Die provokanten Thesen der Bergpredigt sind eine einzige Herausforderung,

eine das normale menschliche Maß übersteigende Zu-Mutung:

Versöhnung statt Morden, Selbstüberwindung statt Ehebrechen,

einfaches Ja oder Nein statt Schwören, Gewaltverzicht statt Vergeltung,

Feindesliebe statt Feindeshass.

Letztlich aber siegten Hass und Gewalt.

Jesus wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Doch seine Freunde bezeugten einhellig, dass er lebt:

Gott hat ihn vom Tode erweckt.

Menschen, die von der Sache Jesu begeistert waren, trugen seine Botschaft hinaus

in die ganze damals bekannte Welt.

Aus dem winzigen Samenkorn ist eine weltumspannende Gemeinschaft geworden.

 

Ich glaube an Göttlichen Geist, der Leben schafft.

Er bewegt die Menschen zu Ungewöhnlichem und Außerordentlichem

- zu selbstlosem Dienst für Bedürftige und Kranke, zu mutigem Einsatz in Politik und Gesellschaft,

zu bewundernswerten Leistungen in Kunst und Wissenschaft, zum Widerstand gegen Unrecht   und Gewalt.

Er wirkt im Kleinen und im Großen, offen und im Verborgenen.

Ich bekenne mich zu der einen christlichen Kirche, geeint in Wort und heiligen Zeichen.

 

Ich erwarte die Auferweckung der Toten zum Eins-Werden mit dem Ursprung des Kosmos,

mit dem heiligen göttlichen Geheimnis.

Die kürzere Fassung:

Ich glaube an Gott. Er ist der Ursprung, der letzte und tiefste Grund von Allem. Er ist das heilige Geheimnis des gesamten Universums. 

Ich glaube an Jesus Christus und bekenne mich zu seiner Nachfolge. Er ist das Kind jüdischer Eltern, ein Geschenk für die ganze Welt. In Wort und Tat hat er Zeugnis gegeben von der Liebe Gottes zu seinem Volk und zu allen Menschen. Pontius Pilatus hat ihn als Unruhestifter zum Tode verurteilt und kreuzigen lassen. Doch Gott hat ihn vom Tode erweckt. Das bezeugen seine Freunde.

 

Ich glaube an Gottes Heiligen Geist, der Leben schafft und Menschen für die Sache Jesu begeistert.

Ich bekenne mich zu der christlichen Kirche, geeint in Wort und Sakrament. Ihr Auftrag ist es, die Botschaft Jesu in Wort und Tat zu bezeugen und weiterzutragen.

Ich erwarte die Auferweckung der Toten zu einer versöhnten Gemeinschaft aller in Gott.

Amen

Es obliegt einer verantwortungsbewussten zeitgemäßen christlichen Theologie, die für einen reifen Glauben erforderlichen Verständniszugänge neu zu erschließen. Nur so können die alten Glaubenszeugnisse wieder jene Aussagekraft gewinnen, die sie einmal besaßen, und neue Erfahrungen mit dem Glauben in der Welt von heute ermöglichen.

 

Norbert Scholl

 

 

Zuletzt geändert am 06­.06.2025