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Veröffentlicht am 26­.01.2012

2 Jahre Canisius-Kolleg

Wir sind Kirche: „Die katholischen Ursachen sexualisierter Gewalt in den Blick nehmen!“

Pressemitteilung München, 26. Januar 2012

Kritische Bilanz zwei Jahre nach dem Schritt des Berliner Canisius-Kollegs an die Öffentlichkeit

„Die Bischöfe müssen endlich die Ursachen sexualisierter Gewalt in den Blick zu nehmen, die durch die Struktur der römisch-katholischen Kirche bedingt sind.“ Dies fordert die KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche zwei Jahre nach dem mutigen Schritt des Jesuiten Pater Klaus Mertes, der damals Leiter des Berliner Canisius-Kollegs war, an die Öffentlichkeit. Am 28. Januar 2010 hatten die Jesuiten den entscheidenden Anstoß gegeben, dass das Ausmaß der jahrzehntelang vertuschten körperlichen und sexualisierten Gewalt innerhalb der römisch-katholischen Kirche auch in Deutschland offenbar wurde. Von einem „Neuanfang“ und einer „lückenlosen und absolut transparenten Aufklärung“, die die deutschen Bischöfen versprochen hatten, ist immer noch zu wenig zu spüren.

Zwar sind in den vergangenen Jahren einige konkrete Maßnahmen seitens der Bischöfe und Ordensgemeinschaften eingeleitet worden, doch die aktuellen Missbrauchsfälle im Bistum Trier und im Bistum Hildesheim zeigen den weiterhin fahrlässigen, fehlerhaften und hilflosen Umgang der Bistumsleitungen.
  • Das Bistum Trier ist im aktuellen Fall erst zehn Monate, nachdem es umfassend über die Vorwürfe gegen den Priester informiert worden war, tätig geworden – und hat damit eindeutig gegen die im August 2010 überarbeiteten bischöflichen Leitlinien verstoßen. Vor Kurzem hat der Trierer Bischof Dr. Stefan Ackermann dies selber als „gravierenden Fehler“ bezeichnet.
  • Im aktuellen Hildesheimer Missbrauchsfall berichten die Medien vor allem über den Täter, aber es wird nicht nach dem eklatanten Fehlverhalten des Hildesheimer Ordinariats gefragt, das seit dem Jahr 2006 Hinweise erhalten hat, diesen aber nicht konsequent nachgegangen ist (vgl. http://skydaddy.wordpress.com/2012/01/15/bistum-hildesheim-bischof-und-missbrauchsbeauftragter-haben-gelogen).
Bischof Dr. Stefan Ackermann, Bischof von Trier und seit Februar 2010 „Missbrauchsbeauftragter“ der Deutschen Bischofskonferenz, aber auch alle anderen Bischöfe müssen sich erneut fragen lassen, wie glaubwürdig sie sich für die von sexualierter Gewalt Betroffenen einsetzen können, da sie gleichzeitig Dienstvorgesetzte der klerikalen Täter sind. Auf diesen unvermeidbaren Interessenkonflikt hatte die KirchenVolksBewegung von Anfang an hingewiesen und fordert weiterhin unabhängige Ombudsstellen. Nicht hinnehmbar ist, dass in einzelnen Diözesen immer noch Domkapitulare und andere Mitglieder der Bistumsleitung als Ansprechpersonen für Betroffene angegeben werden.

„Nicht die Einzeltäter, sondern die Kirchenstrukturen müssen auf den Prüfstand!“

Die vielen Fälle im In- und Ausland zeigen, dass es nicht ausreicht, sich auf die einzelnen Täter zu konzentrieren, die sicher zur Rechenschaft zu ziehen sind. Vor allem müssen die begünstigenden Kirchenstrukturen der römisch-katholischen Kirche (klerikaler Machtmissbrauch, Leugnung der Sexualität, falsche Priesterausbildung und -auswahl sowie das Fehlverhalten der Ordinariate) kritisch überprüft und die Fragen nach Macht und Amt gestellt werden.

Wir sind Kirche hat erhebliche Zweifel, ob die auf die Einzeltäter konzentrierten wissenschaftlichen Fallstudien, die die Deutsche Bischofskonferenz und das Münchner Erzbistum im Sommer 2011 unabhängig voneinander in Auftrag gegeben haben, wirklich zu den entscheidenden strukturellen Ursachen vorstoßen werden. Dagegen hat das von der Erzdiözese München-Freising Ende 2010 vorgestellte Gutachten der Rechtsanwältin Dr. Westpfahl bereits in schockierender Weise aufgedeckt, wie – wohl nicht nur in diesem Bistum – von 1945 bis 2009 in diesen Fällen gehandelt bzw. nicht gehandelt wurde: Vertuschung mittels Verharmlosung, Nichtbeachtung der Opfer, gezielte Aktenvernichtung bis hin zur Erpressung homosexueller höherer Geistlicher.

Die Zölibatsverpflichtung – die allein schon aus pastoralen Gründen dringend diskutiert werden muss – kann nicht monokausal und zwangsläufig für die Missbräuche verantwortlich gemacht werden. Der erzwungene Zölibat und die Beschränkung des Priesteramtes auf Männer sind jedoch Ausdruck der Sexual- und Frauenfeindlichkeit einer männerbündischen Kirche, die sexualisierte Gewalt fördert und ihre Vertuschung ermöglicht.

Seit dem Sommer 2002 hat die KirchenVolksBewegung fast zehn Jahre lang ein unabhängiges niederschwelliges Not-Telefon betrieben, das mehr als 400 Menschen beraten und begleitet hat, die jetzt oder früher von sexueller Gewalt durch Priester und Ordensleute betroffen waren.


Pressekontakt:
Sigrid Grabmeier, Tel. 0991- 297 95 85 oder mobil 0170-862 62 90
Magnus Lux, Tel. 09721-5 88 75 oder mobil 0176-41 26 63 92
Christian Weisner, Tel. 08131-26 02 50 oder mobil 0172-518 40 82
E-Mail: presse@wir-sind-kirche.de
Homepage: www.wir-sind-kirche.de


Weitere Informationen:

Überblick über die Missbrauchsfälle in Diözesen und Orden - soweit sie von der Kirche oder der Presse öffentlich gemacht wurden (Stand: 15.1.2012)
> Überblick

„Macht, Sexualität und die katholische Kirche. Eine notwendige Konfrontation“ von Wir sind Kirche mitherausgegebene deutsche Übersetzung des Buches des australischen Bischofs Geoffrey Robinson (ISBN: 978-3-88095-196-9)

Zuletzt geändert am 26­.01.2012