Pilotprojekt Leitungsmodelle München
„Zaghafter Neuanfang in die richtige Richtung, aber noch viele Fragezeichen“ (+ Aufruf der bundesweiten KirchenVolksKonferenz)
Münchner Reformgruppen zur Ankündigung neuer Leitungsmodelle in der territorialen Seelsorge (+ Aufruf "Es ist höchste Zeit! Eckpunkte für eine neue Kirchenzukunft durch Gemeindeerneuerung")
Die Münchner Reformgruppen Gemeindeinitiative.org, Münchner Kreis und Kirchenvolksbewegung Wir sind Kirche begrüßen es, dass im Erzbistum München und Freising zumindest in Pilotprojekten wieder gemeinsame Leitungsmodelle von Priestern und Hauptamtlichen sowie jetzt auch Ehrenamtlichen erprobt werden sollen.
Angesichts der immer dramatischer werdenden Personalsituation korrigiert Kardinal Reinhard Marx damit die von ihm kurz nach seinem Amtsantritt verfügte Abschaffung der „Pfarrbeauftragten“ (can. 517 § 2 CIC/1983). Nach Ansicht der katholischen Reformgruppen ist dies ein Neuanfang in die richtige Richtung, der aber noch viele Fragen aufwirft und dem noch sehr viel deutlichere Schritte folgen müssen.
Das gemeinsame Bischofswort „Gemeinsam Kirche sein“ vom 1. August 2015, das von dem bereits beim Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) intendierten Kirchenverständnis eines gemeinsamen Priestertums aller Getauften und Gefirmten ausgeht, ist sicher ein guter Ausgangspunkt.
Durchaus zu würdigen ist das Bemühen des Pilotprojektes, mit einer weiter gehenden Interpretation des can. 517 § 2 CIC/1983 neue Wege innerhalb des bestehenden Kirchenrechts zu suchen, welches bis jetzt immer noch auf die Allzuständigkeit und Letztverantwortung des Pfarrers als Leiter einer Pfarrei fixiert ist. Das bisherige Kirchenrecht ist bezüglich der Leitungskompetenzen von Gläubigen, die keine Kleriker sind, defizitär. Es muss dringend weiterentwickelt werden, um den zeitgemäßen Erfordernissen in Kirche und Gesellschaft gerecht zu werden – im Sinn einer Synodalität im Stile des Statuts der Würzburger Synode (1971-75).
Die jetzt in den Pilotversuchen ermöglichte Trennung von Leitungsamt und Weiheamt – beide Ämter sind bis jetzt fast ausschließlich den Priestern vorbehalten – bietet die Chance, die extreme Trennung von Klerikern und Kirchenvolk abzubauen. Alternative kollegiale Leitungsmodelle werden z.B. schon im Bistum St. Gallen erfolgreich praktiziert.
Doch gibt es auch deutliche Anfragen an das Münchner Pilotprojekt:
Kirche ist dort, wo Gemeinde ist, wo Gläubige sind, nicht nur dort, wo ein zölibatärer Priester ist. Papst Franziskus sagt, die Laien sind schlicht die überwiegende Mehrheit des Volkes Gottes. In ihrem Dienst steht eine kleine Minderheit, die geweihten Amtsträger. Nicht erkennbar ist, inwieweit die gewählten Gremien als auch die Ergebnisse des Diözesanforums „Dem Glauben Zukunft geben“ mit ihren konkreten 61 Reformvorschlägen in die Vorbereitung des Pilotprojektes in angemessener Art und Weise einbezogen worden sind. Es ist also wieder eine Strukturreform „von oben“.
Vermisst wird ein wirkliches Vertrauen in den „sensus fidei fidelium“, d. h. ein Einbeziehen des Volkes Gottes bis hinunter zu den engagierten Gemeindemitgliedern von Anfang an. Die jetzt vorliegenden Leitungsmodelle, die in nur drei Pilotprojekten unter der Aufsicht der Bischofsvikare und unter dem Letzturteil des Kardinals erprobt werden sollen, wurden nur von einer Arbeitsgruppe des Priesterrates und einigen Mitgliedern der Diözesanleitung und des Teams „Pastoral planen und gestalten“ erarbeitet. Man spürt förmlich die Angst, es könnte etwas aus dem Ruder laufen. Doch der Geist Gottes wirkt nicht deduktiv, mit angezogener Handbremse, sondern er weht, wo ER will (Joh 3,8), induktiv, mit Kraft und Mut (vgl. 2.Tim 1,7), ganz gemäß einem Wort des großen Theologen Karl Rahners: „Das Sicherste ist das Wagnis“.
Und wenn der Erzbischof von München und Freising betont, es sei notwendig, „neue Wege zu gehen, um deutlich zu machen: Die Kirche muss vor Ort bleiben“, dann ist als erstes die Fähigkeit zur Versammlung und zur Feier des Gottesdienstes einschließlich der Eucharistie sicher zu stellen – und zwar nicht nur in Großpfarreien oder Pfarrverbänden, sondern in allen überschaubaren Gemeinden und Gemeinschaften. Die in den Pilotprojekten vorgesehenen zwei neuen Varianten eines kollegialen Leitungsmodells betreffen nur die Ebene der Pfarrverbände und Dekanate.
Wenn Kirche nicht noch mehr als bisher den Kontakt zu den Menschen verlieren will, so ist weiterhin ein engmaschiges pastorales Netz unterhalb der Großstrukturen von Pfarreien und Pfarrverbänden aufrecht zu erhalten und dort, wo es schon zerrissen ist, wieder aufzubauen. Zu fragen ist auch: Was geschieht mit all den anderen Pfarreien und Pfarrverbänden im Erzbistum, in denen es kein auf mehrere Jahre angelegtes Pilotprojekt geben wird und die vor ebenso schwierigen Herausforderungen stehen?
Angesichts der immer geringer werdenden Priesterzahlen und wohl auch weniger werdenden Hauptamtlichen wird es künftig zu ganz anderen Strukturen kommen müssen und in den Gemeinden wird nur das geschehen, was dort letztverantwortliche und selbstbewusste Gläubige, Frauen und Männer, im besten subsidiären Sinne selber leisten. Dabei sind allerdings auch die Grenzen ehrenamtlichen Engagements zu sehen, die sich aus den heutigen beruflichen und familiären Gegebenheiten ergeben. Ehrenamtliche können nicht die Notnägel sein, auf deren Kosten man sich um ein längst überfälliges grundsätzliches Überdenken kirchlicher Handlungs- und Leitungsstrukturen herumdrückt.
Wenn die pastoralen Strukturen nicht noch weiter zusammenbrechen sollen, braucht es im Vertrauen auf den Heiligen Geist eine ergebnisoffene Klärung von Fragen wie:
• Was macht lebendige Gemeinden und eine lebendige Kirche in einer säkularisierten Welt aus?
• Welche Aufgaben und Funktionen braucht es in einer kirchlichen Gemeinschaft, damit Gottes- und Nächstenliebe nicht nur theologische Leerformel bleiben, sondern im Zusammenleben der Menschen deutlich werden?
• Wie können die verschiedenen Charismen von Frauen und Männern endlich gleichberechtigt in der Kirche zum Einsatz kommen?
• Was können wir aus dem reichen Erfahrungsschatz der frühen Kirche, in der es lange keine Priester und keinen Pflichtzölibat, aber z.B. Diakoninnen gab, wiederentdecken?
• Welche Bedeutung haben künftig die Weiheämter innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft?
• Wann öffnen wir z.B. die Zuständigkeit für Sakramentenspendungen für diejenigen Frauen und Männer, die nahe bei den Menschen sind und sie auch bis in den Tod begleiten?
• Wie können wir Theologie und Sprache so gestalten, dass sie sich vor den heutigen Erkenntnissen und Denkweisen als zeitgemäß und damit für heutige Menschen verständlich und akzeptabel erweisen?
Hintergrund
Mit einer Stellungnahme „Spät, hoffentlich nicht zu spät“ hatten die drei Münchner Reformgruppen sich zu den im Juni 2016 veröffentlichten neuen pastoralen Leitlinien des Erzbistums München und Freising kritisch geäußert. Das daraufhin im Oktober 2016 begonnene Gespräch zwischen Verantwortlichen des Diözesanen Teams für Pastorales Planen und Verantwortlichen der Reformgruppen soll in Kürze fortgesetzt werden.
Alle drei Reformgruppen haben auch an der KirchenVolksKonferenz am 10./11. März 2017 in Würzburg mitgewirkt, auf der der Aufruf „Es ist höchste Zeit! Eckpunkte für eine neue Kirchenzukunft durch Gemeindeerneuerung“ von knapp 100 Teilnehmenden aus dem deutschen Sprachraum einstimmig beschlossen wurde.
Pressekontakte:
Gemeindeinitiative.org
Elisabeth Stanggassinger, Tel. 089/50 03 46-14, E-Mail: EStanggassinger@ebmuc.de
Paul-G. Ulbrich, Tel. 0157 88455612, E-Mail: ulbrich@gemeindeinitiative.org
Willi Genal, Tel. 0151 15004893, E-Mail: genal@gemeindeinitiative.org
Münchner Kreis
Marion Ringler, Tel. 0157 30788323, E-Mail: marionringler@googlemail.com
Stefan Schori, Tel. 089 82920677, E-Mail: stefan.schori@gmx.de
Wir sind Kirche
Franziska Müller-Härlin, Tel. 089 564827, E-Mail: mueller-haerlin@t-online.de
Christian Weisner, Tel. 0172 5184082 , E-Mail: presse@wir-sind-kirche.de
> Pressemitteilung des Ordinariats 20.3.2017 (PDF)
> Pilotprojekt Leitungsmodelle
Zuletzt geändert am 27.03.2017