Offener Brief an die Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz
Sehr geehrte Herren Bischöfe!
Im Mittelpunkt Ihrer Beratungen auf der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz im Bonifatius-Jubiläumsjahr stehen die Mission und die Glaubensweitergabe in unserer Gesellschaft.
Voraussetzung für jede Mission ist ein lebendiger Glaube. Angesichts der weitverbreiteten tiefen innerkirchlichen Resignation - gerade auch bei den haupt- und ehrenamtlich Tätigen - erwartet das Kirchenvolk deshalb jetzt von Ihnen eine ehrliche Offenlegung der Lage der Kirche in Deutschland:
· Ungezählten Menschen wird das Glauben in der Kirche durch das Festhalten an überholten kirchlichen Strukturen erschwert oder gar unmöglich gemacht. Hunderttausende haben schon durch ihre Kirchenflucht ein Zeichen gesetzt, Millionen haben sich in die innere Emigration zurückgezogen. Die junge Generation tut sich schwer, das Wort der Kirche im Glauben anzunehmen. Besonders Frauen finden es zunehmend unerträglich, wie sehr sie durch die patriarchal bestimmten kirchlichen Strukturen in ihrem Bemühen gehindert werden, ihre Berufungen und ihren Glauben noch in der Kirche zu leben.
· Durch den dramatisch zunehmenden Priestermangel befindet sich die Pastoral in einem epochalen Umbruch, auf den die Kirche in Deutschland nicht vorbereitet ist. Die kirchenrechtliche Verknüpfung von Amt und Gemeindeleitung führt dazu, dass die Hälfte unserer Pfarreien in naher Zukunft ohne ordinierte Seelsorger und regelmäßige Eucharistiefeier sein wird - oder gar nicht mehr existieren wird. Statt Vertrauen in die Kompetenz des Kirchenvolkes zu zeigen und mehr Verantwortung in seine Hände zu legen, werden immer wieder priesterzentrierte Pastoralkonzepte vorgelegt, die den bevorstehenden Kollaps der Seelsorge und der Gemeindestrukturen verschleiern und sich als Sackgasse erweisen. Die Überbrückung der Notlage durch ausländische Seelsorger ist keine Lösung!
· Die Verlautbarungen des Vatikans - hingewiesen sei nur auf die jüngste Liturgie-Instruktion "Redemptionis Sacramentum" und das von der Glaubenskongregation mit Approbation des Papstes veröffentlichte Schreiben "Über die Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche und in der Welt" - vertiefen die Kluft zwischen Kirchenleitung und Kirchenvolk immer mehr.
· Die Zahl der Menschen und Gemeinden, die innerkirchliche Reformen wie die Frauen-Ordination oder die Aufhebung des Pflichtzölibats fordern, wird immer größer. Zahlreiche Voten von Räten, Kommissionen, Verbänden, Synoden und Pastoralgesprächen und nicht zuletzt der große Zuspruch zu reformorientierten Veranstaltungen des diesjährigen Katholikentags in Ulm zeigen die Notwendigkeit von Reformen immer deutlicher.
Die römisch-katholische Kirche steht vor dramatischen Herausforderungen, die nur von Kirchenvolk und Bischöfen gemeinsam bewältigt werden können. In dieser Situation fordern wir Sie als Bischöfe auf, im Sinne des Apostel Paulus "nicht als Herr über den Glauben, sondern als Diener unserer Freude" zu handeln (2 Kor 1,24):
· Wer die Erneuerung des Glaubens und der Verkündigung des Evangeliums will, kann dies glaubwürdig nur unter Einschluss struktureller Reformen tun. Glaubensfragen und Strukturfragen dürfen dabei nicht gegeneinander ausgespielt werden. Offenheit und Transparenz sind unabdingbare Voraussetzungen, um auf lange Sicht wieder das Vertrauen der Menschen innerhalb und außerhalb der Kirchen zurück zu gewinnen.
· Der jetzt stattfindende "Kirchenumbau" darf nicht veraltete Strukturen stabilisieren, sondern muss an den wirklichen Herausforderungen der Zeit und den Bedürfnissen der Menschen Maß nehmen. Bei allen Sparmaßnahmen ist danach zu fragen, welche pastoralen und spirituellen Auswirkungen sie für die Gläubigen haben. Kirche muss den Menschen nahe bleiben.
· Nur wenn die Kirchenmitglieder an den Entscheidungsprozessen mitwirken können, werden sie die notwendigen Änderungen auch mittragen und mitverantworten. Die gegenwärtige Finanzkrise kann neue christliche Phantasie frei setzen. Eine mehr auf das ganze Volk Gottes begründete Kirche bietet neue prophetische Chancen.
Statt Resignation und Frustration brauchen wir wieder eine offene, den Menschen zugewandte, erfreuliche und erfreuende Kirche. Zeigen Sie deshalb in christlicher Zuversicht den Mut:
· die so genannten Laien in ihrem Engagement für die Weitergabe des Glaubens zu bestärken und den Priestermangel als Chance für ein neues Bewusstsein der Mit- und Selbstverantwortung in den Gemeinden zu verstehen!
· das Drängen der Frauen als Zeichen von Identifizierung mit der Kirche zu sehen. Gerade die Visionen von Frauen für ein erneuertes Amt bieten Chancen für eine zukunftsweisende Pastoral!
· den Jugendlichen - auch bei der Vorbereitung des katholischen Weltjugendtages 2005 - Freiräume für Gestaltungsmöglichkeiten und Eigenverantwortung zu gewähren, da nur so eine Beheimatung in der Kirche gelingen kann!
· das Engagement gerade auch kritischer Katholikinnen und Katholiken als klares Zeichen der Liebe zur Kirche und als Alternative zu tatsächlicher oder innerer Emigration und zu erkennen!
· die besondere Verantwortung für die Ökumene in unserem Land, von dem die Reformation ausgegangen ist, zu ergreifen und ein klares Bekenntnis für das Verbindende im Glauben als Schritt auf dem Weg zur kirchlichen Einheit abzugeben!
Das Kirchenvolk erwartet von Ihnen keine billige Anpassung an den so genannten "Zeitgeist". Notwendig ist jedoch das "Heutigwerden" (aggiornamento) der Kirche, um die "Zeichen der Zeit" zu erkennen und die befreiende Botschaft Jesu glaubwürdig und überzeugend zu verkündigen. Dies kann nur in Gemeinschaft (communio) zwischen Kirchenleitung und Kirchenvolk geschehen, die seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ein unverzichtbares Lebensprinzip von Kirche ist.
Sigrid Grabmeier
Karl Graml
Christian Weisner
für das Bundesteam der KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche
Zuletzt geändert am 20.09.2008