Wir sind Kirche: Erste Einschätzungen nach Weltjugendtag und Papstbesuch
Wenn aber so viele junge Menschen einer einzigen Person zujubeln und in Gruppen einer Fahne folgend durch die Straße ziehen, so ist dies auch eine keineswegs unproblematische Demonstration der Stärke, die mit dem jesuanischen Glauben nur schwer vereinbar ist. Der sonst von der Kirche so häufig kritisierte Zeitgeist wurde bei dieser gigantischen Veranstaltung von der Kirche selbst durch übertriebene Emotionalisierung, Eventisierung und absolute Personalisierung bedient.
Echte und nachhaltige Begegnungen waren angesichts der Menschenmassen in Köln oft nur sehr schwer möglich. Besonders bedauerlich ist, dass an den Tagen der Begegnung zuvor in den Diözesen nur ein gutes Drittel der ursprünglich mehr als 300.000 erwarteten ausländischen Gäste teilnahmen. Denn in Köln blieben die nationalen Gruppen oft unter sich; selbst Gastgeber und ihre ausländischen Gäste wurden dort getrennt.
Der Jubel, der bis vor kurzem Johannes Paul II. galt, scheint auf den neuen Papst übertragen worden zu sein. Doch wenn man genau hinhörte: die Benedetto-Rufe erschallten nur dann, wenn Papst Benedikt die Menschen in ihrer Muttersprache ansprach oder den Namen seines Vorgängers erwähnte. Inhaltlich haben die allermeisten Menschen den professoralen Ansprachen und Predigten Benedikts sicher nicht folgen können. Die Auswirkungen seiner mehr als 23-jährigen Tätigkeit als Präfekt der Glaubenskongregation waren den allermeisten Teilnehmenden und auch vielen JournalistInnen nicht bekannt.
Neue Akzente, von manchen immer noch erwartet, hat Benedikt nicht gesetzt. Die Dialoge waren höchstens symbolischer Art, neue Türen wurden nicht geöffnet. Die Frauen - der überwiegende Teil der Anwesenden - haben kein ermutigendes Wort für ihre Rolle in der Kirche erhalten. Der Besuch des deutschen Papstes in der Kölner Synagoge, für die dortige Gemeinde sicher außerordentlich bedeutsam, wurde als historisches Ereignis ins zentrale Licht gerückt. Dagegen wurde das Treffen am selben Tag mit Vertreterinnen der Ökumene, bei dem die russisch-orthodoxe Kirche überproportional vertreten war, an den abendlichen Rand gedrängt.
Für die Ökumene in Deutschland besonders enttäuschend war bei allen Gottesdiensten die ausdrückliche Ausladung aller NichtkatholikInnen vom Kommunionempfang. Auch die erst vor wenigen Tagen erfolgte Ankündigung der Ablassgewährung beim katholischen Weltjugendtag - und dies im Lande Luthers - ist ein Schlag ins Gesicht für die ökumenischen Bestrebungen mit den Kirchen der Reformation.
Das Treffen des Papstes mit 5.000 Seminaristen fand ausgerechnet in der Kölner Opus Dei-Kirche Sankt Pantaleon statt. Und unter den Teilnehmenden des katholischen Weltjugendtages gab es einen großen Anteil traditionalistischer Gruppen, auch wenn ganz sicher nicht alle völlig papst- und kirchentreu waren.
Die hierarchische Struktur der römisch-katholischen Kirche wurde insbesondere beim Abschlussgottesdienst deutlich sichtbar: Papst und 750 Bischöfe auf dem Hügel, an die 10.000 Priester am Fuße des Hügels und alle übrigen Menschen auf den so genannten Pilgeraufstellflächen des Marienfeldes. Bemerkenswert höchstens, dass bei dieser Messe auch Ministrantinnen dienen durften.
Vor dem Hintergrund einer überwiegend euphorisch-unkritischen Berichterstattung in vielen Medien waren Wir sind Kirche und diesmal insbesondere die Wir sind Kirche-JUGEND fast die einzige, aber sicher notwendige kritische innerkirchliche Stimme zum "Weltjubeltag" (Kölner Express). Das wurde deutlich in der großen Präsenz unserer Gruppe in deutschen und internationalen Medien. Spontane Interviews, längere Statements, Teilnahme an Diskussionsrunden wurden immer wieder angefragt - in der Hauptsache bei den Wir sind Kirche-Jugendlichen aber auch bei den erwachsenen "Helfenden" vor Ort.
Der "Wir sind Kirche-Treffpunkt" mit Gesprächsrunden zu unterschiedlichen Themen, zu Gast in der Alt-katholischen Gemeinde in der Kölner Innenstadt, war ein wichtiger Anlaufpunkt für junge Menschen, die auf der Suche nach einer Alternative zum offiziellen Programm des katholischen Weltjugendtages waren. Er war aber auch ein Ort des Ausruhens und Austauschens zwischen "unseren" Jugendlichen, die aus 15 Nationen angereist waren.
Die von der Wir sind Kirche-JUGEND initiierte internationale Koalition"Weltjugendtag für alle" (www.wyd4all.org) thematisierte durch Gespräche mit den BesucherInnen des katholischen Weltjugendtages auf der Straße und durch Teilnahme an den wenigen angebotenen Diskussionsforen für junge Menschen relevante Fragen und kirchenkritische heiße Eisen unserer Zeit, die von dem auf Papst und Bischöfe fixierten katholischen Weltjugendtag ausgeschlossen waren. Damit nahm der "Weltjugendtag für alle" die von Papst Johannes Paul II. ausgesprochene Einladung ernst: "Die Kirche hat der Jugend viel zu sagen, und die Jugend hat der Kirche viel zu sagen. Dieser gegenseitige Dialog muss offenherzig, klar und mutig sein." Die Verteilung von Postkarten der Kampagne "Condoms4Life", die sich angesichts der weltweiten HIV/AIDS-Problematik für die Aufhebung des vatikanischen Kondomverbots einsetzt, fand viel Zustimmung unter den Jugendlichen, aber natürlich auch Widerspruch traditioneller Kreise. Diese Ablehnung drückte sich gelegentlich leider auch durch verbale und körperliche Attacken auf die VerteilerInnen der Postkarten aus.
Die Thomas-Messe am Freitag Abend - von Wir sind Kirche unterstützt - war sehr gut besucht.
Es bleibt zu fragen, ob solche Massen-Events überhaupt noch sinnvoll und finanzierbar sind und ob die Weltjugendtage nicht vor allem auf die Person von Johannes Paul II. zugeschnitten waren. Die Hoffnungen, dass Papst Benedikt XVI. nach seinem langen Wirken als Präfekt der Glaubenskongregation jetzt als wahrer Pontifex, als Brückenbauer zum Weltjugendtag nach Deutschland kommt, haben sich nicht erfüllt. Die ständig zunehmende Fixierung auf Amt und Person des Papstes sowie auf die kirchliche Hierarchie entspricht nicht der Botschaft Jesu und kann und darf kein Vorbild für die Jugend sein.
Zuletzt geändert am 10.05.2006