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Veröffentlicht am 28­.12.2006

Gesinnungswandel der Wandlungsworte?

Stellungnahme zum Schreiben des Präfekten der Gottesdienstkongregation, Francis Kardinal Arinze, an die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen der Welt über die Übersetzung der Worte „pro multis“ im Einsetzungsbericht der Eucharistiegebete vom 17.11.2006

Das vom Papst angewiesene Schreiben legt fest, dass die Worte „pro multis“ in den Landessprachen fortan nur noch mit „für viele“ wiederzugeben seien. Alle abweichenden Regelungen, die „für alle“ übersetzten, darunter auch die deutsche, müssen in den nächsten ein bis zwei Jahren geändert werden.

Als Begründung werden angeführt
  • der Überlieferungskonsens der lateinischen wie der orientalischen Traditionen,
  • der biblische Befund (Mt 26,28; Mk 14,24)
  • und die von den liturgischen Übersetzungen auf der Linie der Instruktion „Liturgiam authenticam“ (2001) geforderte Textgenauigkeit.
  • Zwar stimme die Aussage „für alle“ mit dem Glaubenssatz überein, dass Christus für alle gestorben sei, doch gehöre die offene Interpretation des „pro multis“ in die Katechese.
  • Nicht zuletzt wirke die eingeschränkte Formulierung einem mechanischen Erlösungsverständnis entgegen.
Generell ist dazu zu sagen, dass die Bestimmung, das „pro multis“ wörtlich zu übersetzen, den schon vor „Liturgiam authenticam“ geltenden Bestimmungen bzgl. der Übersetzung der Konsekrationsworte entspricht (Vgl. EDIL 1198, 3218, 3321). Allerdings hat dieselbe Autorität in den siebziger Jahren die vom Wortlaut abweichenden landessprachlichen Übersetzungen für gültig, d.h. normgerecht, erklärt und approbiert. Offenbar hat sich bei der Kongregation das Verständnis der Bezeichnungen „genau und wörtlich“ (EDIL 3321) inzwischen geändert.

Dass die Wiedergabe des „pro multis“ mit „für alle“ aus der Tradition der römischen Liturgie gerechtfertigt ist, beweist der Einschub in den Einsetzungsbericht der Abendmahlsmesse am Gründonnerstag seit der ältesten Überlieferung römischer Liturgie: „Am Abend, bevor er für unser Heil und das Heil aller Menschen das Leiden auf sich nahm“ (pro nostra omniumque salute: Sacramentarium Gregorianum Hadrianum, Ed. Deshusses 332). Merkwürdigerweise hat man dieses starke Argument m.W. bislang nicht in Betracht gezogen.

Das Schreiben der Kongregation räumt ein, dass die abweichenden Formulierungen mit dem Gemeinten übereinstimmen, also dessen Sinn treffen. Die Begründung der Rückkehr zur engeren Fassung des lateinischen Textes ist eher formaler Natur: Treue zum Wortlaut und Einheit der Gesamtkirche. Diesem Anliegen wird die Verständlichkeit des Textes geopfert (daher der Verweis auf die Katechese). Es wird sich zeigen, wie die Bischofskonferenzen mit dieser Vorgabe umgehen und ob es gelingt, die geforderte Änderung plausibel zu machen.

Prof. Dr. Albert Gerhards
Seminar für Liturgiewissenschaft
Katholisch-Theologische Fakultät
Universität Bonn


Hintergrund:
Heißt es im Einsetzungsbericht „für alle“ oder „für viele“?
von Prof. Dr. Klemens Richter

Bei den Einsetzungsworten heißt es heute: „Mein Blut, das für euch und für alle vergossen wird.“ Dabei steht im lateinischen Missale „pro multis“. Nun hat Jesus sicher nicht lateinisch gesprochen. Doch wie heißt es nun richtig?

Tatsächlich gab es um die Übersetzung der Einsetzungsworte im neuen Messbuch Auseinandersetzungen. Während der lateinische Text und so auch die vorkonziliare deutsche Schott-Übersetzung bei den Kelchworten sagt, dass das Blut des Herrn „für euch und für viele vergossen wird“, hieß es in der ersten Neu-Übersetzung nach dem Konzil „für die vielen“ und jetzt sogar „für alle“. Manche sahen darin einen so schwerwiegenden Eingriff, dass sie die Gültigkeit einer solchen Messfeier in Frage stellten.

Vergleicht man die neutestamentlichen Einsetzungsberichte des Herrenmahls (Mk 14,22-25; Mt 26,26-29; Lk 22,15-20; 1 Kor 11,23-26) mit denen der Hochgebete in der Eucharistiefeier, so wird deutlich, dass hier keiner der Texte des Neuen Testaments wortwörtlich wiedergegeben wird. Wenn es beim Deutewort über den Kelch heute heißt „für euch und für alle“, so ist das ein Versuch, die sich unterscheidenden biblischen Berichte miteinander zu verbinden. Das „für euch“ nimmt die Formulierung des lukanisch-paulinischen Typs des Einsetzungsberichtes auf (hyper hymon); das „für alle“ bezieht sich hingegen auf den markinisch-matthäischen Typ (hyper pollon). Dabei gehen die Exegeten heute davon aus, dass die letztere Formulierung die ursprünglichere ist. Zu beachten ist, dass „hyper pollon“ wörtlich übersetzt zwar tatsächlich „für viele“ heißen kann, aber im Hebräischen „die vielen“, die nicht mehr zu zählenden Vielen, die Masse, also alle bezeichnet.

Entscheidender ist, dass immer wieder der universale Heilswille Gottes im Neuen Testament betont wird, so dass es auch in der Absicht des Herrn lag, sein Blut für alle zu vergießen, wie es sich etwa aus Röm 8,32; 2 Kor 5,14f.; 1 Tim 2,6; 1 Joh 2,2 ergibt. Auch Joh 6,51 bietet einen entsprechenden Hinweis innerhalb der großen Eucharistierede. Zu bedenken ist auch die biblische Theologie von dem stellvertretenden Sühneleiden des Messias (Mk 10,45; 14,14). Zwar heißt es auch hier im Lateinischen „für viele“, muss aber im Hebräischen und damit im ursprünglichen Sinn wieder als „für alle“ verstanden werden. Der Herr ist nicht „für viele“ im Gegensatz zu wenigen gestorben, sondern für alle Menschen.

So übersetzt die heutige deutsche Übertragung das lateinische „pro multis“ des Einsetzungsberichtes durchaus richtig, wenn sie es mit „für alle“ wiedergibt. Übrigens hat auch schon der vorkonziliare Einsetzungsbericht am Gründonnerstag immer gesagt: „Am Abend, bevor er für unser und aller Heil litt...“ So wird der umfassende Heilswille Christi richtig wiedergegeben. Das lateinische für viele“ fasst „mehr die eintretende Wirkung, nicht die Heilsabsicht ins Auge. Denn nach katholischer Glaubenslehre gehen manche Menschen tatsächlich verloren. Insofern haben beide Ausdrücke ihre Daseinsberechtigung“ (Adolf Adam). „Wer den Sinn ‚für alle’ leugnet, steht in der Gefahr jansenistischer, ja kalvinistischer Anschauungen. Wer den Wortlaut ‚für viele’ übersieht, erkennt nicht die Sorge des Herrenwortes um die, die sich abwenden“ (Theodor Schnitzler).

Die römischen Gremien, die seinerzeit (das heutige deutsche Messbuch wurde schon 1975 und dessen 2.Auflage erneut 1984 von Rom konfirmiert, K.Richter 2006) alle Übersetzungen der einzelnen Bischofskonferenzen intensiv geprüft haben, sahen keine Probleme in der Übertragung „für alle“, die ja durch das vorhergehende „für euch“ ergänzt wird. So haben es auch einige andere Sprachgebiete gehalten. Im Italienischen heißt es „per tutti“, im Englischen (bis zur jüngsten römischen Beanstandung, K.Richter 2006) „for you and for all men“ und im Französischen ein wenig anders: „pour vous et pour la multitude“, für eine große Zahl, die Volksmenge etwa.

Zusammenfassend lässt sich also sagen: der lateinische Wortlaut heißt „für viele“, doch der Sinn dieser Stelle ist eindeutig „für alle“, so dass nach unserer theologischen Erkenntnis diese Übertragung völlig korrekt ist.

aus: Was ich von der Messe wissen wollte. Freiburg 4.Aufl. 1989, 102 f.

Prof. Dr. Klemens Richter, Univ.-Prof. em.
Seminar für Liturgiewissenschaft
Katholisch-Theologische Fakultät
Universität Münster


Schreiben von Papst Johannes Paul II. an die Priester zum Gründonnerstag 2005

»Hoc est enim corpus meum quod pro vobis tradetur.« Der Leib und das Blut Christi sind hingegeben für das Heil des Menschen, des ganzen Menschen und aller Menschen. Dieses Heil ist integral und gleichzeitig universal, damit es keinen Menschen gibt, der — wenn nicht durch einen freien Akt der Ablehnung — von der Heilsmacht des Blutes Christi ausgeschlossen bliebe: »qui pro vobis et pro multis effundetur«. Es handelt sich um ein Opfer, das für »viele« hingegeben wird, wie der biblische Text (Mk 14, 24; Mt 26, 28; vgl. Jes 53, 11-12) in einer typisch semitischen Ausdrucksweise sagt. Während diese die große Schar bezeichnet, zu der das Heil gelangt, das der eine Christus gewirkt hat, schließt sie zugleich die Gesamtheit der Menschen ein, der es dargeboten wird: Es ist das Blut, »das für euch und für alle vergossen wird«, wie einige Übersetzungen legitim deutlich machen. Das Fleisch Christi ist in der Tat hingegeben »für das Leben der Welt« (Joh 6, 51; vgl. 1 Joh 2, 2).


Zum Weiterlesen

Prof. Dr. Peter Walter: „Für alle" entspricht dem biblischen Zeugnis
Prof. Dr. Helmut Hoping: „Für viele" ist präziser und offener
Konradsblatt 2/2007

Prof. Dr. Albert Gerhards: Wie viel sind viele? Die Diskussion um das "pro multis". HerderKorrespondenz 02/2007
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Univ.-Prof. em. Dr. Karl Schlemmer: Der sensibelste Bereich der eucharistischen Feier
(Dieser Beitrag erschien in verkürzter Form in Nr. 7-8/06 des „ANZEIGER für die Seelsorge“)
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Eucharistie/Abendmahl „nach Auschwitz“
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Prof. Dr. Thomas Söding: Für euch - für viele - für alle. Für wen feiert die Kirche Eucharistie? Zur Diskussion: aus bibelwissenschaftlicher Sicht
Christ in der Gegenwart 3/2007

Prof. Dr. Magnus Striet: Nur für viele oder doch für alle? Das Problem der Allversöhnung und die Hoffnung der betenden Kirche. Zur Diskussion aus fundamentaltheologischer Sicht
Christ in der Gegenwart 4/2007

> Deutsches Liturgisches Institut Trier zu diesem Thema

> Liturgische Institut der deutschsprachigen Schweiz in Freiburg zu diesem Thema

Zuletzt geändert am 24­.04.2012