27.9.2010 - Süddeutsche Zeitung
Der Preis der Glaubwürdigkeit
Das Ettal von heute ist nicht mehr vergleichbar mit Kloster und Internat bis in die achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Seit 20 Jahren werden in Schule und Internat Evaluierungen zur Qualitätssicherung von Unterricht und Erziehung mit externen Partnern durchgeführt. Sie ergaben durchweg überdurchschnittlich positive Bewertungen. Als sich im Jahr 2005 Internatsschüler beschwerten, ein Pater habe einen Mitschüler „an Armen, Körper und Beinen gestreichelt“, reagierte das Kloster sofort, zog ihn aus dem Verkehr und schaltete unabhängige Psychiater ein, die keinen Missbrauch sahen. Der Fall liegt bei der Staatsanwaltschaft. Die Aufklärungsarbeit und das konsequente Handeln sind nicht zuletzt das Verdienst von Abt Barnabas Bögle und Internatsleiter Pater Maurus Kraß.
Jetzt endlich rücken die Beschädigten in den Mittelpunkt. In den letzten Monaten haben viele von ihnen das vertrauensvolle Gespräch mit den heute Verantwortlichen gesucht. Die Gespräche sind zum weitaus überwiegenden Teil in einer versöhnlichen Atmosphäre verlaufen. Das Kloster hat eine externe Vertrauensperson beauftragt, um künftig eine unabhängige Aufarbeitung zu gewährleisten. Im März wurde ein kleiner „Runder Tisch Ettal“ mit Vertretern von Kinderschutzbund, Weißem Ring Caritas und einer Therapeutin eingerichtet. Er arbeitet an einem Schutzkonzept.
Die Normen der Kirche zur Sexualität vor der Ehe, Empfängnisverhütung, Homosexualität müssten überprüft, zeitgemäß formuliert und im Licht heutiger Erkenntnisse verkündet werden. Junge Ordensleute sollten in ihrer Ausbildung über Sexualität reden und mit Opfern sexualisierter Gewalt ins Gespräch kommen, um so mehr Empathie und Sensibilität für diese zu entwickeln. Die Kooperation mit den heute verantwortlichen Benediktinern im Kloster Ettal ist zielführend. Der Vorwurf, es passiere zu wenig, ist zu pauschal. Auch der Weiße Ring lobt die Hilfeleistungen.
Das Kloster muss Geld in die Hand nehmen – nicht um sich freizukaufen, sondern um zu entschädigen und wiedergutzumachen, was mit Geld allein nicht wiedergutzumachen ist. Das darf ruhig weh tun. Die Medien haben in Sachen Missbrauch den nötigen Handlungsdruck erzeugt. Dafür gebührt ihnen Dank und Anerkennung nicht nur seitens der unmittelbaren Opfer und deren Angehörigen. Ohne die „säkularen Medien“ wären viele Fälle nicht ins Rollen gekommen, und die Kirche hätte wohl nicht nach und nach das ganze Ausmaß des Missbrauchs öffentlich eingeräumt.
Dr. Edgar Büttner, aktiv in der Initiative „Wir sind Kirche“, Bad Aibling
Zuletzt geändert am 28.09.2010