17.1.2012 - Süddeutsche Zeitung
„Wann gehen die Katholiken endlich auf die Straße?“
Zu wenig Dialog mit den Laien, zu schleppende Reformen im Bistum, zu viele Versprechungen und zu wenig konkrete Ergebnisse für den kirchlichen Alltag – Kardinal Reinhard Marx und die Leitung der Erzdiözese sehen sich derzeit heftiger Kritik von engagierten Gläubigen, aber auch Pfarrern ausgesetzt. Die Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung in der vergangenen Woche („Alles beim Alten“, SZ vom 10. Januar) stieß entsprechend auf großes Echo bei den Lesern. Einige der Zuschriften dokumentieren wir im Folgenden.
Hätte man es nicht vorher wissen können, dass die Eingeladenen zum Projekt „Dem Glauben Zukunft geben“ nur genau so denken dürfen wie der Herr Kardinal? Dass sie das nicht taten, sich vielmehr drei Jahre mühten, dem Glauben wirklich Zukunft zu geben, ehrt sie zwar sehr, musste aber eine starke Frustration erzeugen, als die tapferen Leute erkannten, dass der Herr Kardinal wichtige Vorschläge einfach vom Tisch wischte.
Werner Berberich, München
Der hoffnungsvoll begonnene Prozess „Dem Glauben Zukunft geben“ droht allmählich und fast unmerklich unter Ausschaltung der Laiengremien zur „Chefsache“ zu werden. Für mich ist klar: Kirche wird nur Zukunft haben, wenn wir als Glieder ihres Leibes sie mitgestalten – und auf Augenhöhe am Dialog beteiligt bleiben. „Kirche“ kann es sich auf Dauer nicht leisten, Ressourcen zu verschenken.
Helga Blaschke, Fürstenfeldbruck
Natürlich dauert es im Münchner Bistum lange, bis eine Bewertung der Arbeit des Zukunftsforums vorliegt – neben vielen anderen Dingen, die lange dauern und am Schluss nicht oder nur unzureichend gelöst werden. Das kann nicht verwundern bei einem Kardinal, der seine vornehmste Aufgabe darin sieht, als einer der häufigsten Talkshow-Gäste in die Mediengeschichte einzugehen und mehr damit beschäftigt ist, persönlichen öffentlichen Ruhm zu mehren. Da bleibt keine Zeit, sich mit dem Klein-Klein der bischöflichen Seelsorgearbeit zu befassen. Wenn dann noch fehlendes Interesse am Dialog mit den Gläubigen und vermeintliches Besserwissen dazukommt, bleibt uns Gläubigen nur Frust und die Erkenntnis, dass das Wort Gottes und seine Verkündigung oft zweierlei Paar Schuhe sind.
Manuel Sauer, München
Da kommt einer vor vier Jahren nach München, sich jovial gebend, und bringt ex auctoritate sogenannte notwendige Reformen auf den Weg, brachial und unsensibel, ohne Betroffene anzuhören. Zur ersten Beruhigung werden Arbeitsgruppen gebildet, deren Ergebnisse nur selektiv (wenn überhaupt) zur Kenntnis genommen werden. Ein ernstzunehmender Dialog, der schon zu Beginn Ergebnisse kanalisiert und Unangenehmes ausklammert, verdient diesen Namen nicht. Zuhören können passt nicht in das Schema klerikaler „Gutsherrenart“.
Burkhard Samson, München
Was könnte schlimmstenfalls passieren, wenn der Plichtzölibat abgeschafft würde, wenn Frauen Diakoninnen werden, wenn wiederverheiratete Geschiedene die Eucharistie empfangen, wenn katholische und evangelische Christen gemeinsam das Mahl feiern, wenn Sie, Herr Kardinal, zum eigenverantwortlichen partnerschaftlichen Umgang mit Sexualität ermuntern? Haben Sie Angst vor Macht- und Autoritätsverlust? Sehen Sie nicht, dass dieser durch „Mauern“ und Beharren auf veralteten Positionen nur noch verschärft wird?
Maria-Anna Berg, München
Dem Zeitgeist hinterherlaufen – dies ist angeblich nicht die Aufgabe unserer Kirche. Dennoch läuft sie seit Beginn diesem Zeitgeist hinterher, indem sie die zur Zeit Jesu geltende gesellschaftliche Position, dass die Frau minderwertiger als ein Mann sei, verteidigt und ihr die gleichen Rechte in Kirche und Amt verweigert.
Hanns Peters, München
Tatsache ist, dass die notwendigen und erfolgversprechenden Reformen nicht durchgeführt werden und sich die Kirche immer mehr sich selbst ins Abseits befördert. Reine organisatorischen Maßnahmen, wie sie unser Oberhirte ohne Rücksicht auf Verluste durchführt, bringen die Kirche nicht weiter. Da die geweihten Seelsorger immer weniger werden, können wir es an einer Hand abzählen, wann unsere Diözese aus nur mehr einigen Pfarrverbänden bestehen wird.
Karlheinz Brem, Germering
Wie wenig Marx die Gläubigen ernst nimmt, erkennt man nicht nur an der Ausgrenzung der Reformgruppe „Wir sind Kirche“, sondern vor allem an seinen Erklärungen, dass die Kirche kein Verein sei und die Reformforderungen an der Oberfläche bleiben. Es werde zu wenig sichtbar, was die Mitte des Glaubens sei. Für den Kardinal ist absoluter Gehorsam gegenüber dem Papst wichtiger als das Wohl „seiner“ Gläubigen im Sinne Christi. Rhetorische Fähigkeiten und Papsthörigkeit reichen nicht aus, um die Botschaft Christi zu lehren und zu leben.
Walter Hürter, Ingolstadt
Was soll noch ein Dialog, wenn klar geworden ist, dass Bischof Marx durchdrungen ist von der römischen Theologie und deren Konsequenzen? Die lang ersehnte Antwort von Marx auf die 61 Empfehlungen werden also nichts Neues bringen. Wann tun sich endlich die Pfarrer und Dekane zusammen und machen klar, dass unsere katholische Kirche in unserer Diözese, in Deutschland so gegen die Wand gefahren wird? Wann gehen die Gläubigen auf die Straße und verlassen ihren stummen Protest?
Tillo Weinmann, Puchheim
Wenn Kardinal Marx ein klares Ja zur katholischen Sexuallehre formuliert, dann scheint dieser doch so kluge und lebenserfahrene Mann nicht zur Kenntnis zu nehmen, dass die Sexuallehre der Kirche heute keinen Menschen außer den katholischen Hardlinern und Betonköpfen mehr interessiert und wahrscheinlich auch in stockkatholischen Gegenden nicht mehr praktiziert wird. Es ist ein bedenkliches Zeichen, wenn ein Kardinal und Hirte einer Diözese nicht mehr wahrnimmt und sieht, dass die ihm anvertraute Herde sich nicht mehr von ihm weiden lässt und sich ihre Futterplätze selbst sucht.
Franz Heinrich Kreitz, Tübingen
So war das schon zu Marx’schen Zeiten in Trier. Als Mitglied des Dekanatsrates war ich bei einer Auftaktveranstaltung zur Vorbereitung der Strukturreformen in unserem Dekanat geladen. Wir haben uns mehrere Stunden die Köpfe heiß geredet. Zur Sprache kamen all die Themen: Gemeindeleitung durch Laien, Wortgottesdienste, viri probati, etc. Dies alles wurde auf großen Tafeln gesammelt. Im Protokoll, das später versandt wurde, fand sich davon nichts mehr, sondern nur noch die Vorstellungen des damaligen Bischof Marx. Die Marx’schen Zeiten sind nun in München angekommen. Es hat lange gedauert, bis man das bemerkt hat oder wahrnehmen wollte.
Hanspeter Schladt, Neuwied
Bildunterschrift: Rhetorisch zwar hervorragend, theologisch aber konservativ und seelsorgerisch umstritten: Kardinal Reinhard Marx sieht sich derzeit heftiger Kritik von katholischen Laien ausgesetzt.
Zuletzt geändert am 17.01.2012