3.10.2009 - Salzburger Nachrichten
Bischof Erwin Kräutler: „Wir sind die ersten Mahner“
Herr Bischof Kräutler, Sie sind seit 1965 in Brasilien. Haben Sie nicht oft das Gefühl, gegen Windmühlen zu arbeiten?
Kräutler: Das Gefühl hat man schon. Aber ich habe auch sehr positive Erfahrungen. Zum Beispiel die Basisgemeinden. Wir haben früher Missionsreisen gemacht, flussaufwärts, flussabwärts, aber es gab keine christlichen Gemeinden. Seit Anfang der 1970er-Jahre sind 800 kleine Gemeinden entstanden, die mehrheitlich von Frauen geleitet werden. Da lebt die Kirche. Der Priester hat die Funktion, die Pfarre als Netz von 30 bis 100 solcher Gemeinden zu koordinieren. Als Bischof bin ich nur drei bis vier Monate des Jahres am Bischofssitz in Altamira. Sonst bin ich unterwegs.
Was heißt für Sie Priestermangel?
Kräutler: Ich habe 30 Priester für eine Diözese, die viereinhalb Mal so groß ist wie Österreich (lacht). Ich würde schon gerne noch 20 haben, weil viele Priester allein von Gemeinde zu Gemeinde pilgern müssen. Es wäre besser, wenn zwei beisammen wären. Andererseits haben die Menschen die Arbeit in den Gemeinden selbst übernommen. Die Gemeindeleiterin ist während der Woche zum Beispiel Lehrerin, oder der Gemeindeleiter ist Landwirt. Am Sonntag leiten sie den Wortgottesdienst, sie bereiten die Kinder auf die Erstkommunion vor, die Jugendlichen auf die Firmung.
Ist die Frage, ob diese Gemeindeleiter geweiht werden sollen, virulent?
Kräutler: Da tue ich mich schwer, das zu beantworten. Diese Frauen oder Männer können die Taufe spenden oder den Priester bei Hochzeiten ersetzen. Aber sie können mit den Gemeinden nicht Eucharistie feiern. Sie fordern das vom Bischof. Ich kann nur sagen, ich habe keine Priester.
Welche Bedeutung hat heute die Theologie der Befreiung, um die es in den 1980er-Jahren so heftige Konflikte gegeben hat?
Kräutler: Wir diskutieren kaum darüber, aber diese Theologie ist in den Alltag eingegangen. In Europa hat man sie oft als Marxismus hingestellt. Das ist alles nicht wahr. Sie ist aus der Bibel entstanden. Ich denke auch an die Ode von der Freude: Brüder – über’m Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen. In der Befreiungstheologie glauben wir, dass er nicht über dem Sternenzelt wohnt, sondern hier mit uns geht. Wenn der Priester in Brasilien sagt, „Der Herr sei mit euch“, antworten die Menschen: „Er ist in unserer Mitte.“
Ist die Bewahrung der Schöpfung eine neue Stoßrichtung der Basisgemeinden?
Kräutler: Ja, wir im Norden von Brasilien waren dafür die Pioniere. Wir haben frühzeitig gesehen, dass der tropische Regenwald der Habgier von Großgrundbesitzern zum Opfer fällt und die Flüsse verseucht werden. 1991 hat dann die Bischofskonferenz gesagt, wir als Kirche tragen Verantwortung für die Schöpfung. Seither haben wir auf die staatlichen Behörden starken Einfluss ausgeübt, dass der skrupellosen Ausbeutung des Landes ein Riegel vorgeschoben wird. Wir sind heute als Kirche die Nummer eins unter den Institutionen, die mahnen: So geht es nicht weiter.
Wie stark ist dieses Wort der Kirche politisch wirksam? Derzeit geht es auch um große Staudamm- und Kraftwerkspläne.
Kräutler: Erst dieser Tage hatte ich eine Konferenz mit dem obersten Energiebeirat der brasilianischen Bundesregierung. Die wollten mit mir reden, aber ich habe mehrere Organisationen zu der Sitzung eingeladen. Der Saal war voll. Ich mache das immer so, dass ich nicht im Namen des Volks rede, sondern die Betroffenen selbst sprechen lasse. Die Herren aus Brasilia waren überrascht, wie gut wir informiert sind und wie wir für die Mitwelt auftreten.
Das Staudammprojekt ist jetzt 35 Jahre alt. Wir haben es bis heute verhindert. Wir sagen, man kann nicht ein Drittel einer Stadt überfluten und Bewohner umsiedeln, die am Fluss ihre Existenz haben. Zu Ihrer persönlichen Situation. Wie leben Sie mit der ständigen Bedrohung?
Kräutler: Es gibt immer wieder Äußerungen, dass man mich kaltstellen müsse. Ich werde daher ständig von zwei Polizisten begleitet. Der Polizeichef hat mich angefleht, dass ich diesen Personenschutz akzeptiere. Ich habe nur erreichen können, dass sie nicht in Uniform sind. Aber sie sind bewaffnet. Während ich mit Ihnen telefoniere, sitzen sie hier vor meinem Büro.
Sie haben immer wieder Gewalt erlebt, darunter die Ermordung ihres Mitbruders Hubert. Wie können Sie weitermachen?
Kräutler: Niemand ist unersetzlich, aber solange mir Gott die Gesundheit gibt, werde ich gegen Gewalt und Menschenrechtsverletzungen ankämpfen. Das weiß man hier in Brasilien. Die Indios sind die ersten Bewohner das Landes. Sie wurden bis 1988 den Kindern gleichgesetzt, die einen Vormund brauchen. Wir haben uns für ihre Rechte in der Verfassung starkgemacht. Mit Erfolg. Heute sind sie Vollbürger. Sie haben ein Recht auf ihre Sprache, ihre kulturellen Ausdrucksformen und ihr Land.
Wir fordern, dass die Gebiete der Indios abgegrenzt und deklariert werden. Wir haben erreicht, bis hin zum Obersten Gerichtshof, dass Großgrundbesitzer aus diesen Gebieten rausgehen mussten. Das ist mir eine tiefe Freude, dass wir als katholische Kirche in Brasilien sagen können, wir haben uns für die Indios eingesetzt.
Die Frau eines Kaziken hat Sie adoptiert. Was empfinden Sie beim Wort Heimat?
Kräutler: Mein Leben lebe ich in Brasilien, ich habe die brasilianische Staatsbürgerschaft angenommen. Aber ich habe meine Wurzeln nie verleugnet, ich liebe Koblach, ich habe eine ganz tiefe Beziehung zur Stadt Salzburg, wo ich studiert habe und geweiht worden bin. Ich fühle mich heute noch als Priester, der von seiner Heimat gesandt worden ist, um für die Indios da zu sein. Ich könnte vieles nicht bewirken, ohne Rückendeckung aus meiner Heimat.
Könnte es sein, dass Sie in späten Jahren wieder nach Koblach heimkehren?
Kräutler: Das könnte sein, ja. Aber ich habe das noch nicht überlegt. Ich werde sicher auch in Brasilien leben.
Was ist Ihr größter offener Wunsch als Bischof? Was möchten Sie noch erreichen?
Kräutler: Für die Indios hoffe ich, dass alle ihre Gebiete in Brasilien abgegrenzt werden und sie in ihrem Überleben gestärkt werden. Bisher ist die Hälfte gesichert.
Das zweite ist, dass unsere Hunderten Gemeinden tatsächlich jeden Sonntag Eucharistie feiern können. Das ist mein großer Wunsch, und es ist auch die Sehnsucht der Menschen. Wie das geschieht, ist eine andere Frage, aber wir müssen darüber nachdenken. Jesus hat gesagt: „Tut dies zu meinem Gedächtnis.“ Das ist ein Auftrag, nicht ein guter Rat. Also müssen wir uns als Kirche etwas einfallen lassen, damit diese Leute, wie alle anderen in den Städten auch, Eucharistie feiern können.
Sie haben eine intensive Beziehung zur Musik. Wie pflegen Sie Beethoven, Mozart und Bruckner mitten im Urwald? Kräutler: Ich habe natürlich ein kleines Gerät. Immer wenn ich in Österreich bin, bekomme ich CDs. Manchmal höre ich Musik ganz bewusst. Das möchte ich nicht missen. Ich würde gern mehr unterschiedliche Interpretationen von Dirigenten hören.Wer sind Ihre Lieblingsdirigenten? Und was pflegen Sie in der Freizeit noch?
Kräutler: Für Beethoven eindeutig Bernstein, für Mozart Karajan. Ich lese sehr gern Biografien. Aus Österreich bekomme ich Zeitungen, und ich schau ins Internet, sehr gern auf die Salzburg-Seiten.
Was bedeutet das Ehrendoktorat?
Kräutler: Ich freue mich, dass die Universität mir dadurch den Rücken stärkt.
Quelle: http://search.salzburg.com/articles/6279546?highlight=erwin+kr%C3%A4utler
Zuletzt geändert am 07.10.2009