23.10.2009 - "Die Presse"
Schönborns Konzil: Es gibt kein Zurück
DIETMAR NEUWIRTH (Die Presse)
Es ist fast nur noch mit Übermut zu erklären, wenn in einer Stadt wie Wien ohne erkennbare äußere Not zu einer Diözesanversammlung zusammengerufen wird. Wenn dann auch noch jeder Pfarre und jeder einigermaßen relevanten katholischen Organisation das Recht zugestanden wird, drei Personen dorthin zu delegieren. Wenn bei der Versammlung selbst – zwar in zeitlich sehr engen Grenzen, aber immerhin – auch freie Diskussionen zugelassen sind. Wenn dieser letztlich schwer berechenbare Prozess unter den an Hypertrophie grenzenden Titel „Apostelgeschichte 2010“ gestellt und für das nächste Jahr eine Missionswoche ausgerufen wird.
Kardinal Christoph Schönborn ist (mag sein: entgegen dem ersten Anschein) ein mutiger Mann (mag sein: geworden). Er hat gestern Nachmittag im Stephansdom die Seinen zu einem – um im Jargon der Apostelgeschichte zu bleiben – dreitägigen Konzil um sich geschart. Der Wiener Erzbischof will es offenbar genau wissen. Ganz genau. Denn die Themen, die viele der treuesten Katholiken bewegen, sind seit mittlerweile Jahrzehnten bekannt. Natürlich auch ihm, der längst, bildlich gesprochen, aus seiner Dominikanerklause in der Realität Europas im 21. Jahrhundert angekommen ist. Die Themen also sind den Kirchenführern durchaus geläufig – hier und anderswo, sprich in Rom.
Das Wiener Konzil hat zwar das unbestreitbare Manko, eine Versammlung ohne jede Entscheidungskompetenz zu sein, aber es kann als weiterer kleiner Stein gesehen werden, der das große Ganze irgendwann einmal doch in Bewegung setzen wird. Alles nur eine Frage der Zeit. Denn es gibt kein Zurück. Kein Zurück hinter das Zweite Vatikanische Konzil. Kein Zurück hinter die zuletzt fast verstummten theologischen Debatten und die Schlussfolgerungen daraus. Kein Zurück hinter das Verständnis einer großen Mehrheit der Kirchenbesucher darüber, wie sie das Evangelium in den Jahren 2009ff. buchstabieren.
Die Erkenntnis, dass die offizielle Kirchenlehre von immer weniger verstanden wird, ist wirklich nicht neu. Was aber nichts an ihrer Gültigkeit ändert. Längst hat sich parallel dazu, ohne lange irgendwo nachzufragen, eine inoffizielle Kirchenlehre der kleinen Pfarrer, der Kapläne (doch, ein paar gibt es) und der größer werdenden Zahl von Laien als Pastoralassistenten entwickelt. Diese inoffizielle Kirchenlehre ist vieles, vor allem leichter praktikabel und kommunizierbar, aber teilweise mit dem, was Rom sagt, nicht einmal mehr unter den größten intellektuellen Verrenkungen und selbst bei bestem Willen nicht in Einklang zu bringen. Diese inoffizielle Kirchenlehre wird von Bischöfen durch fortgesetztes angestrengtes Wegschauen mehr oder weniger geduldet und dadurch positiv sanktioniert.
Wie das aktuelle Beispiel eines oberösterreichischen Pfarrers beweist. Genau, Josef Friedl ist gemeint, er hat sich zu einer Partnerschaft mit einer Frau bekannt und dadurch heftige öffentliche Diskussionen ausgelöst. Denn nicht allen ist es gegeben, Verständnis dafür aufzubringen, dass ein Mann vor seiner Weihe zum Priester zwar das Gelübde zum ehelosen, keuschen Leben abgeben muss, ein Bruch dieses Versprechens aber in der Praxis ohne Folgen bleibt. Genau das ist in Oberösterreich passiert. Obwohl das Kirchengesetzbuch Maßnahmen bis zur Rückversetzung in den Laienstand androht.
Und der zuständige Diözesanbischof schweigt. Was soll Ludwig Schwarz denn auch anderes tun? Verstößt er Friedl, bringt er eine gesamte Gemeinde, einen Ort, ein halbes Land gegen sich auf. Reformen sind – auch diese Erkenntnis ist nicht rasend neu, aber gültig – unter diesen Rahmenbedingungen unausweichlich geworden. Mit Sicherheit ahnt das zumindest auch Papst Benedikt XVI. und wissen es viele der Kardinäle. Nur: Noch fehlt ihnen der Mut zum Vorwärtsgehen, auch wenn (oder weil?) sie sich noch so sehr bedrängt und gedrängt sehen. Aber nicht zuletzt auch um der Glaubwürdigkeit der Institution willen muss früher oder später die offizielle Kirchenlehre an die inoffizielle angeglichen werden. Geschichtlich betrachtet war die katholische Kirche nie nur das, als was sie heute wahrgenommen wird: eine der jeweiligen Zeit feindlich gegenüberstehende, völlig unbewegliche Verteidigungsbastion ewig gültiger letzter Wahrheiten.
All diesen Diskussionen setzt sich Kardinal Schönborn bis zum Samstag in seiner Bischofskirche nun (wieder) aus. Ein mutiges Unterfangen. Aber: Gilt Tapferkeit nicht als eine der Kardinaltugenden?
Zuletzt geändert am 23.10.2009