| |
Veröffentlicht am 30­.09.2010

3.10.2010 - Christ in der Gegenwart

Unsere Hoffnung im Gespräch

Von Johannes Röser

Was folgt aus der tiefen Vertrauenskrise der katholischen Kirche? Thomas Assheuer befürchtet in der „Zeit" (16. September) eine römische Verfestigung des Antimodernismus. Zwar hat Papst Benedikt XVI. betont, dass die jüngsten Skandale - insbesondere der sexuelle Missbrauch von Kindern durch Priester - aus der Kirche selbst kommen. Dennoch sehe er die geistesgeschichtlichen Ursachen in einer zu starken Anpassung an den Zeitgeist, an die säkulare Gesellschaft, ihren Liberalismus und moralischen Verfall, ihre gottlose Verkommenheit. „Die Zeichen stehen erneut auf Rückzug vom ‚Geschwätz' der heillosen Welt", vermutet Assheuer und nennt als Beleg viele Entscheidungen des Vatikans, die ausschließlich den beharrenden, traditionalistischen Kräften entgegenkommen, während die seit Jahrzehnten vom Kirchenvolk angemahnten Reformbestrebungen anhaltend ignoriert und blockiert werden. „All dies spricht für eine Strategie der machtgeschützten Weltverneinung, für den Exodus aus dem ‚Ägypten' der Moderne, der Epoche von ‚Verirrung und Verwirrung'."

Ganz andere - überraschende, ja außerordentlich positive - Signale kommen dagegen von der jüngsten Vollversammlung der deutschen Bischofskonferenz. Die Katholische Nachrichten-Agentur meldet: „Der Ruf nach Reformen in der katholischen Kirche wird auch im Kreis der deutschen Bischöfe lauter … Intern und auch in Interviews werden ‚heiße Eisen' angesprochen." Der gastgebende Fuldaer Bischof Heinz Josef Algermissen sprach von einer „Stau-Situation". Es gebe viele Fragen, die schon lange reif seien, diskutiert zu werden - von der Sexualmoral über die nur im lateinischen Teil der katholischen Kirche geltende Verpflichtung von Gemeindepriestern zur Ehelosigkeit bis hin zum Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen. Diese Probleme kämen jetzt geradezu eruptiv zur Sprache.

Kardinal Karl Lehmann von Mainz nannte in einem Interview ebenfalls diese Themenblöcke. Sie seien zwar auseinanderzuhalten, aber zugleich müsse man schauen, „dass man sie mutig und offen angeht". Die Antworten wisse man nicht von vornherein. „Aber es muss eine verlässliche und überzeugende Antwort sein." Lehmann gab zu erkennen, dass man dafür das Gespräch mit Rom braucht und offenbar suchen will.

Robert Zollitschs Fuldaer Rede

Die Initialzündung für die plötzliche Bewegung innerhalb der Bischofskonferenz ging von dem sehr beachtenswerten Eröffnungsreferat des Vorsitzenden Robert Zollitsch aus. Seltsamerweise hat diese richtungsweisende, geradezu wie ein Befreiungsschlag wirkende Rede des Freiburger Erzbischofs in den Medien bisher noch kein größeres Echo gefunden. Sie verdient es aber, in der Breite des Gottesvolkes aufgenommen zu werden, auch wenn sie sich zunächst einmal als eine Art Gewissenserforschung an die bischöflichen Kollegen wendet. Der Titel lautet: „Zukunft der Kirche - Kirche für die Zukunft. Plädoyer für eine pilgernde, hörende, dienende Kirche".

Gleich zu Beginn erklärt Zollitsch, dass das Evangelium Jesu Christi in den Dingen dieser Welt zwar nicht aufgeht und dass die Kirche in unserer Gesellschaft manchmal wie fremd erscheint. Doch sei den Glaubenden aufgetragen, „in dieser Welt zu wirken und so in ihr auch ein Stück weit heimisch zu werden". Entschieden betont der Erzbischof die Geschichtlichkeit: „Christlicher Glaube ist Pilgerschaft. Dazu gehört Aufbruch. Pilgerschaft und Aufbruch vertragen sich nicht mit Sesshaftigkeit … Dem Leben der Kirche sollen wir ein neues Gesicht geben. Stagnation wäre Verrat. Nicht wir dürfen auf die Welt warten, als müsse diese zu uns kommen. Vielmehr müssen wir zur Welt gehen: zum Menschen von heute." Zollitsch verweist auf das bahnbrechende Zweite Vatikanische Konzil, an dessen Eröffnung vor einem halben Jahrhundert 2012 erinnert wird: „Das Reich Gottes gewinnt Realität im Gang durch die Geschichte und beim Zug in die immer neue Fremde." Die Glaubensgemeinschaft dürfe stolz sein auf ihre Tradition, auf gefestigte Überzeugungen und Orientierungen. „Und doch dürfen wir uns nicht einrichten in ihnen."

Energisch ruft Zollitsch die Kollegen im Bischofsamt auf, alles zu tun, um wieder Vertrauen zu gewinnen. „Wir haben Zweifel aufkommen lassen an der Ernsthaftigkeit und Lauterkeit unseres Redens und Tuns." Man habe „noch mehr zu lernen, eine Kirche des Hörens zu sein". Die bohrenden Zweifel an verschiedenen Lehren der Kirche seien aufrichtig zu bedenken, etwa im Bereich der menschlichen Sexualität. Viele Katholiken stellten die Ehelosigkeit der Priester in der lateinischen Kirche massiv in Frage, sie nähmen Anstoß an manchen Positionen in der Ökumene. Über all das könne und dürfe die Kirchenleitung nicht hinweggehen, auch nicht über manchen Vorwurf, dass „unsere eigene Lebenswelt" zu weit entfernt sei „von der Lebenswelt der Menschen". Verschlossenheit und Realitätsferne führten zu Hartherzigkeit. Dann leidet darunter auch der Kern des Religiösen, das Geheimnis des Glaubens, der Bezug zu Gott. „Vielleicht vergessen wir die transzendenten Quellen, aus denen die Kirche lebt. Es wäre eine Selbstsäkularisierung, würden wir in der Kirche vor allem ihren Einsatz für die Gerechtigkeit und die effiziente Organisation der Pastoral hervorheben und dabei das göttliche Licht unter den Scheffel stellen, das darin leuchtet. Denn Gebet und Liturgie, Verkündigung des Glaubens und Zuwendung zu den Menschen in Not offenbaren nicht nur Menschliches, sondern Göttliches."

Nicht Rückzug aus der Moderne, sondern Hinwendung zu den Zeichen der Zeit sei notwendig. Zollitsch ermuntert: „Die Wahrheit des anderen aufnehmen und sie vom anderen hören: Vielleicht müssen wir die Chance und Herausforderung des Dialogs noch stärker wahrnehmen und schätzen. Um so weit und weltoffen zu werden…"

Gewissenserforschung

Die Fuldaer Rede schlägt der Kirchenleitung wie der Kirche insgesamt einen „Reflexionsprozess", einen „neuen, gemeinsamen und zielgerichteten Gesprächsprozess" vor. Er werde gelingen, wenn man offen und angstfrei miteinander spricht. Den Amtsbrüdern redete Zollitsch freimütig ins Gewissen: „Der neue Aufbruch, den wir suchen, beginnt bei uns selbst! Wir brauchen eine vertiefte Selbstvergewisserung über uns selbst, besonders darüber, was wir als Bischöfe zu tun haben: im eigenen Bistum, in der Bischofskonferenz und in der Weltkirche, auch in Bezug auf die Einheit mit unserem Heiligen Vater. Wir haben diese Reflexion über uns selbst bislang eher selten angestellt. Auch nicht über unser Kommunikationsverhalten. Unsere öffentliche wie auch die interne Kommunikation war nach meinem Eindruck im ersten Halbjahr nicht gerade vom Gedanken der Communio geleitet."

Mehr als nur Reparaturen

In den Gesprächsprozess sollen die Laien intensiv eingebunden werden, insbesondere über das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, über die Diözesanräte und Verbände. Zollitsch bejaht damit den schon seit längerem vorgetragenen Wunsch der Laiengremien, dass es ein kirchliches wie religiöses Zukunftsgespräch geben muss. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz bestätigt ebenfalls, dass sich im Lauf der Jahre enorme Unruhe, Unmut, ja Zorn in Kirchenvolk wie Klerus aufgestaut haben. „Wir spüren in vielen Zuschriften, Leserbriefen, Artikeln und noch mehr in den persönlichen Gesprächen, dass viele Priester, Diakone, Ordensleute und Laien unsicher geworden sind. Wir machen aber auch die Erfahrung, dass viele von ihnen mit großem Ernst und - um es mit diesem etwas aus der Mode gekommenen Wort zu sagen - in Liebe zur Kirche nach Wegen suchen, wie die Kirche ihrer Sendung auch in gewandelter Zeit gerecht werden kann … Warum sollten wir nicht dazu einladen, dass sich viele in Wahrhaftigkeit, Mut und Klugheit an diesem Nachdenken beteiligen - und zwar die Priester, Diakone, Ordensleute und die ‚Laien', die oft Experten sind."

Wie genau der Gesprächsprozess, der der Entscheidungsfindung dienen soll, auf der Ebene der Bistümer und der Bischofskonferenz ausgestaltet wird, darüber müssen sich die leitend Beteiligten noch verständigen. Es gibt allerdings schon Vorüberlegungen. Die Vollversammlung der Bischofskonferenz jedenfalls hat trotz unterschiedlicher Auffassungen Zollitschs Vorschlag zugestimmt. Bei dem bundesweiten Dialog sollen strukturiert Glaubensfragen wie gesellschaftliche Themen behandelt werden. Die Ergebnisse sind mit Blick auf das Konzilsgedächtnis in den nächsten zwei Jahren bei der Bischofskonferenz zusammenzutragen. Dass das darüber hinaus in einen synodalen Prozess wie in den siebziger Jahren mündet, erscheint momentan eher unwahrscheinlich, weil - so Zollitsch - ein solches Unternehmen sehr aufwendig wäre. Doch sollen die Ergebnisse nicht nur unverbindliche Meinungsäußerungen bleiben, sondern für Vorschläge, Initiativen und Beschlüsse die Grundlage bilden. Die Initiative soll in die Tiefe, ins Substanzielle führen: „Es geht um mehr als bloß Reparaturen. Es geht um die Verlebendigung des kirchlichen Lebens." Der Bischofskonferenz-Vorsitzende sagt klar, dass die Bischöfe „für Form und Gestalt und Konsequenzen dieses Prozesses" die Verantwortung übernehmen müssen. Das bedeutet letztlich auch, dass die Ergebnisse in einen weltkirchlichen Prozess eingebracht und gegenüber Rom und vor dem Papst vertreten werden müssen.

„Agenda 2012"

Robert Zollitsch ermutigt mit seinem offenen, aufrechten Wort, eine neue Balance zwischen Tradition und Zukunftsorientierung zu suchen. Sein Aufruf richtet sich einladend unter anderem an jene, die meinen, „Gottes Geist wirke immer nur in den altbekannten Formen und Formeln. Als ob nicht die ganze Geschichte des Christentums eine Geschichte voller Dynamik, eine Geschichte immer wieder neuer Übersetzungsleistungen gewesen wäre." Tradition sei als ein Prozess der Weitergabe des Glaubens keineswegs etwas Statisches, das an einem bestimmten Punkt der Geschichte aufhört - weder beim Ersten noch beim Zweiten Vatikanischen Konzil. Zollitsch spricht aber auch die an, die meinen, ohne die Reichtümer der Tradition vorangehen zu müssen. Jetzt sei es an der Zeit, dass im Sinne der Communio, der Gemeinschaft der Glaubenden, die „verschiedenen Vorlieben und Herzensanliegen" in der Kirche zusammenwirken. Zollitschs aufrüttelnder Text endet mit einem Appell an Realitätssinn und Zuversicht: „Nicht Angst und Verzagtheit, nicht eine Flucht nach vorn und nicht der Traum von gestern sollen uns bestimmen und beseelen, sondern das Heil der Welt: fremde Heimat, aber eben Heimat in der Gefährtenschaft dessen, der alle Tage bei uns bleibt, bis zum Ende der Welt. Der christliche Glaube ist mitnichten ein Überbleibsel aus längst vergangener Zeit. Er ist eine prägende Kraft für die Gegenwart. Er wirkt für eine menschenfreundliche Gesellschaft - auch in Zukunft."

Die Fuldaer Bischofsvollversammlung des Herbstes 2010 könnte mit ihrer „Agenda 2012" tatsächlich eine bedeutende Wende hin zu religiöser Erneuerung einleiten und beflügeln, zunächst für dieses Land. Doch kann dies helfen, dann ebenso auf europäischer sowie transkontinentaler Ebene neue Fäden bischöflicher und universalkirchlicher Verständigung zu knüpfen, um aus dem bleiernen Reformstau herauszufinden. In vielen Bischofskonferenzen weltweit erheben sich zunehmend in diesem Sinne Stimmen. Nun kommt es darauf an, in der Not miteinander über Notwendigkeiten zu beraten. Es ist ein froh machendes Zeichen, wenn sich das kirchliche Lehramt die Unruhe der Glaubenden über die Zukunft des geliebten christlichen Glaubens im Horizont unserer modernen Welterfahrung zu eigen macht und zu Herzen nimmt. Denn die großen Entscheidungen kann und muss das Lehramt in möglichst weitem konziliarem Konsens, unterstützt von bester Gegenwartstheologie, fällen. Der Weg vom Gespräch zu Reformbeschlüssen mag weit sein, aber die ersten Schritte sind getan. Unsere Hoffnung lernt wieder atmen.

CIG 40/2010

http://www.christ-in-der-gegenwart.de/aktuell/artikel_angebote_detail?k_beitrag=2559306

Zuletzt geändert am 15­.11.2010