| |
Veröffentlicht am 16­.10.2010

16.10.2010 - Die Welt

Klaus Mertes: Ungeliebter Mahner mit heiligem Zorn

Jesuitenpater fordert Grundsatzdiskussion

Von Gernot Facius

Bonn - Für die einen, und das ist wohl die Mehrheit, ist er der mutige Aufklärer, ein Vorbild. Die anderen sehen in ihm einen Nestbeschmutzer. Der Jesuitenpater Klaus Mertes (56), der die Fälle sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche publik gemacht hat, tourt durch Pfarrgemeinden, Akademien und Gremien: Berlin, München, Münster, Bonn und jetzt auch Wien. Die Botschaft des Rektors des Berliner Canisiuskollegs ist überall die gleiche: Es reicht nicht aus, dass die Kirche nur "Entschuldigung" sagt, die Skandale müssen auch materiell und spirituell "aufgearbeitet" werden. Der Ordensmann befeuert damit die Diskussion über ein kirchliches Zeichen der Sühne und eine finanzielle Entschädigung, er plädiert für einen einheitlichen Betrag, nicht für eine Staffelung, denn man könne die Betroffenen nicht in Opfer erster und zweiter Klasse einteilen.

Ein "Aufklärungsguru" will der Priester und Pädagoge Mertes nicht sein; dieses Etikett haben ihm Kritiker seines auf Transparenz ausgerichteten Kurses verpasst. Aber er fühlt sich von "heiligem Zorn" angetrieben. Dieser Zorn verführt ihn, wie in Bonn, zu drastischen Formulierungen, wenn es um die Verantwortung der Kirche als Institution geht: "Wir hängen mit drin, weil wir als Hirten das Blöken der Schafe nicht hören wollten." Dem Pater ist anzumerken, dass ihm ein Argumentationsmuster zuwider ist: die sexuellen Übergriffe ausschließlich auf das Sündenkonto einzelner Kleriker zu buchen. Die Kirche, lautet sein Vorwurf, habe bewusst weggehört, wenn kindliche Opfer ihr Entsetzen in Wort zu fassen versuchten, und deshalb sitze sie zu Recht auf der Anklagebank: "Wir müssen öffentlich sagen können: Die Kirche ist eine Sünderin."

Zugleich definiert der Pater den Begriff Missbrauch neu: Darunter sei nicht allein die verwerfliche Tat, sondern auch das Weghören zu verstehen. Damit stehe die Kirche auf der Seite der Täter. Vielen Katholiken, auch Bischöfen und Priestern, falle diese Einsicht schwer, da sie in ihr eine Verletzung des Selbstbildes Kirche sähen. Mertes beklagt den "klerikalen Corpsgeist mit hochmütigem Charakter". Wenn die Kirche nicht bereit sei, aus der Erfahrung der Opfer zu lernen, versündige sie sich aufs Neue.

Mit solchen Warnungen macht sich der Jesuit nicht nur Freunde. Als er im Januar mit einem Brief an Eltern seines Canisiuskollegs die Missbrauchsdebatte in Gang setzte, wurde Mertes sogar vom Apostolischen Nuntius, Erzbischof Jean-Claude Périsset, dem Botschafter des Papstes in Deutschland, gelobt. Inzwischen wird in traditionalistischen katholischen "Initiativkreisen" und in diversen Internetforen gegen ihn Stimmung gemacht. Mertes wird als "schillernde Persönlichkeit" geschmäht. Die Gründe: Er hat zum Nachdenken über die katholische Sexualmoral aufgefordert, er plädiert für die "Überwindung der Sprachlosigkeit im Bezug auf alles, was mit dem Thema Sexualität zu tun hat", er beruft sich auf einen wissenschaftlichen Konsens, dass Homosexualität "zur Natur gehört", er hat einen ökumenischen Gottesdienst für gleichgeschlechtlich Veranlagte mitgestaltet, er hat die Rolle des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und seines Präsidenten Alois Glück in der Krisensituation als "herausragend" gewürdigt. Die Kurie des Papstes verglich er hingegen mit einem Raumschiff, das den Bodenkontakt zu verlieren droht. Das kam selbst bei deutschen Bischöfen nicht gut an. Einschüchtern lässt sich Mertes freilich nicht. Den Zaghaften in seiner Kirche, die vor einer Instrumentalisierung des Missbrauchsskandals für eine tiefer gehende Reformdiskussion warnen, hält er entgegen: Das müsse man aushalten! Jetzt sei es angebracht, grundsätzliche Fragen zu erörtern. Das tat er am Freitag auch im Wiener Stephansdom - mit einem Vortrag über "Krise - Zeit der Unterscheidung, der Erkenntnis und des Wandels". Mertes sprach bei der 3. Diözesanversammlung "Apostelgeschichte 2010" der Erzdiözese Wien. Eingeladen hatte Kardinal Christoph Schönborn. Er strebt nach einem "geistlichen Kick-off" für einen Struktur-, man kann auch sagen Erneuerungsprozess. Den hat die Deutsche Bischofskonferenz noch vor sich.

http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article10328987/Klaus-Mertes-Ungeliebter-Mahner-mit-heiligem-Zorn.html

Zuletzt geändert am 18­.10.2010