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Veröffentlicht am 10­.12.2012

Abt Martin Werlen, Einsiedeln:

Miteinander die Glut unter der Asche entdecken

Die Broschüre "Miteinander die Glut unter der Asche entdecken" des Einsiedelner Abtes Martin Werlen erregt in der Schweiz Aufsehen. Abt Werlen ist Mitglied der Bischofskonferenz der Schweiz. Statt einer „klassischen Buchbesprechung" bringt IMPRIMATUR Auszüge aus der Broschüre, die Roland Hinnen zusammengestellt hat, mit Angabe der Seitenzahl in Klammern. Die 40-seitige Broschüre ist bis jetzt nur im Klosterladen direkt zu bestellen:klosterladen@kloster-einsiedeln.ch


Viele Christinnen und Christen nehmen heute in der Kirche vor allem Asche wahr. (12)

Wer systematisch dafür sorgt, dass Kritiker verstummen - nicht etwa, weil die Probleme gelöst sind -, zerstört Kirche. Es ist fatal, wenn besorgte Getaufte kaltgestellt werden, weil sie Asche schlicht und einfach Asche nennen. (13) Das Referat wird wohl Staub aufwirbeln. Aber: Staub aufwirbeln kann man nur dort, wo es Staub hat. (14)

Gemeinsam die Glut suchen, gemeinsam ein Feuer entfachen, das Wärme schenkt. (14)

Und heute, fünfzig Jahre danach (nach dem Konzil)? Die Situation der Kirche ist dramatisch. ... Das wirkliche Problem ist: Es fehlt das Feuer. ... Wir müssen uns der Situation stellen und dahinter schauen. (17)

Die konservative Gefahr ist es, sich gläubig außerhalb des Wandels zu bewegen, und sich damit von Gott zu entfernen, der bei den Menschen sein will. (18)

Wenn wir auf den eingefahrenen Gleisen bleiben, tragen wir zum Aschenhaufen bei. (19) Es geht darum, heute Kirche zu sein, heute unseren Auftrag wahrzunehmen. ... Es geht nicht darum, uns dem Zeitgeist anzupassen. Es geht darum, den Zeitgeist wahrzunehmen, die Menschen in unserer Zeit zu heben und das Evangelium zu ihnen zu tragen. ... den Menschen dort abzuholen, wo er ist. (19)

Das Ohr am Herzen Gottes und die Hand am Puls der Zeit! (21)

Es gibt Kirchenmänner, die heute darüber klagen, dass seit 40 Jahren immer die gleichen Probleme thematisiert werden. ... Die gleichen Probleme werden immer wieder thematisiert, weil sie noch nicht gelöst sind. Andere Kirchenmänner wagen es immer noch zu sagen, dass es nur Probleme der deutschsprachigen Länder seien. Erstens stimmt das meistens nicht und zweitens muss man sich fragen, mit welcher Begründung Probleme im deutschsprachigen Gebiet nicht gelöst werden sollten, weil es diese Probleme in anderen Sprachgebieten nicht gibt. Probleme muss man dort lösen, wo sie auftreten. (21/22)

Das Nichternstnehmen einer Situation und eines Menschen ist ein Akt des Ungehorsams. Weil Verantwortungsträger ihre Aufgaben nicht wahrnehmen werden als Nothilfe und Hilfeschrei Initiativen gestartet. ... Der von Amtsträgern beklagte Ungehorsam ist sehr oft eine Folge des Ungehorsams der Amtsträger. ... Selbst möchte ich aber ... einen andern Weg weiterzugehen versuchen: Miteinander die Glut in der Asche entdecken. Das zeigt sich auch in der Bereitschaft, Probleme vor Ort anzugehen und zu lösen. (22)

Wir vergessen, dass das Entstehen des Mönchtums damals gerade eine Protestbewegung gegen diese Privilegien (der Kirche) war. Es war eine prophetische Bewegung in der Kirche! ... Wenn doch das Ordensleben im Jahr des Glaubens 2012/2013 wieder eine Provokation sein würde, ein prophetisches Zeichen in der Kirche! (28) Verhängnisvoll für die Wahrnehmung von Kirche und darum auch für ihre Verkündigung ist der Eindruck vieler Menschen: „In der Kirche bleibt alles beim Alten." Dieser Eindruck ist genau das Gegenteil von dem, wie Menschen im Evangelium auf Jesus reagieren. ... Miteinander - alle Getauften! - um den richtigen Weg ringen. (24) Traditionalismus ist nicht ein Zuviel an Tradition, sondern im Gegenteil ein Mangel an Tradition. (24)

Es muss zumindest nachdenklich stimmen, wenn Priester heute wieder ... auf eine solche Weise Liturgie feiern können, als ob es das Zweite Vatikanische Konzil nie gegeben hätte. (25) Die Kirche hat in den vergangenen Jahren sehr viel an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Eines wurde klar: Wichtiger als alle Worte und Texte der Kirche ist das konkrete Zeugnis im Leben. ... Alle Getauften gehören zur Kirche. Wenn sexuelle Übergriffe in Familien von Getauften geschehen, so sind das genauso Übergriffe in der Kirche (wie die sexuellen Übergriffe von Amtsträgern). ... Das Zeugnis ist gefordert. Dazu gehört auch das gemeinsame Suchen. Gesucht sind nicht Menschen, die Gott besitzen, sondern Menschen, die Gott suchen. (26)

Die katholische Kirche besitzt die Wahrheit nicht. (27)

Am 16. September 2012 hat ein Kardinal (Walter Brandmüller) in einer Predigt beim Kongress „Freude am Glauben" in Aschaffenburg im Ernst behauptet: „Im Evangelium steht nichts von Dialog." Der Kirchenmann wurde vor zwei Jahren im hohen Alter von Papst Benedikt XVI. zum Kardinal ernannt und damit zu seinem engen Berater. ... In der kirchlichen Tradition lesen wir das Evangelium anders - in Gemeinschaft mit vielen Heili¬gen. Für den heiligen Benedikt ist klar: Wenn wichtige Fragen anstehen, sollen alle zusammengerufen werden, weil Gott oft durch den Jüngsten offenbart, was das Bessere ist. ... Wie beurteilt wohl Papst Be¬nedikt die Fragen, vor denen die Kirche steht: wichtig oder weniger wichtig? (27)

Verheerend sind sogenannte Double-Messages: Mit Worten eines behaupten, mit den Taten aber das Gegenteil sagen … Solche Double-Message wird von Seiten der Kirche gerade im Zusammenhang mit den Menschenrechten wahrgenommen. Immer wieder sagen Menschen: Die Kirche steht für die Menschenrechte ein, interessiert sich dafür aber in den eigenen Reihen nicht. ... Kirchliche Kreise, die nicht sehen große Unterstützung von Kirchenführern genießen, haben große Mühe damit, wenn sich die Kirche zu (28) menschenrechtli¬chen Themen äußert, die ihnen nicht pas¬sen. ... Viele Menschen unserer Zeit neh¬men die Kirche nicht als hörende Kirche wahr - auf Gott hörend und auf die Men¬schen, die er hebt. (29)

Die Weltkirche fährt zurzeit mit angezoge¬ner Handbremse. Und das macht ein Enga¬gement in ihr nicht gerade attraktiv. Der Handlungsspielraum wäre groß, ohne dabei der Botschaft Jesu gegenüber untreu zu werden. Im Gegenteil: gerade die Treue zur Botschaft Jesu fordert mutiges Handeln. ... Dann treten wir aus der defensiven Hal¬tung in eine befreite und befreiende Offen¬sive. (29)

Die Probleme sind bekannt. Auch Papst Be¬nedikt XVI. spricht sie verschiedentlich an. Aber es geschieht wenig Konkretes in Rich¬tung Problemlösung. Es hegen viele aus tie¬fem Glauben, aus Liebe zum Menschen und aus Liebe zur Kirche erarbeitete Lösungs¬ansätze vor. ... Aber die Vorschläge werden von den heute Verantwortlichen nicht auf¬genommen. ... Es fehlen mutige Schritte in die Zukunft. Von höchsten Stellen der Kir¬che wurden in den letzten Jahren vor al¬lem kirchliche Gruppen gefördert, die vor mutigen Schritten in die Zukunft Angst ha¬ben. Ist das Ausdruck von Glaubensstärke? Der heilige Benedikt sagt an die Adresse des Abtes, dass er mehr vorsehen als vor¬stehen soll. (30)

... die Wiederentdeckung synodaler Prozes¬se. Wenn Einrichtungen wie die Bischofs¬synoden derart stark von der Kurie vorbe¬reitet und begleitet werden, dass ja nichts Neues entstehen kann, zeugt das von Glau¬ben? (31)

In den letzten Jahrzehnten wurde mit Bi¬schofsernennungen sehr viel an Glaubwür¬digkeit zerstört. Eigentlich müsste es für Kirche im 21. Jahrhundert eine Selbst¬verständlichkeit sein, dass die Getauften und Gefirmten der betroffenen Diözesen in diesen Ernennungsprozess in angemesse¬ner Weise einbezogen würden. (31)

Selbstverständlich kann die Mitbestim¬mung der Wahl eines Bischofs durch die Diözese auch einmal daneben gehen - aber kaum mehr als das mit der heutigen Vorgehensweise bei der Bestellung fast aller Bischöfe der Fall ist. (32)

Entscheidungen im richtigen Moment ver¬passen, schadet der Sache. Es ist beschä¬mend. Aber die Sache wird nicht besser, wenn man sie einfach unter den Teppich wischt. Sie muss angegangen werden. Wie gesehen, gehören die Kardinäle nicht zum Glaubensgut. Auch hier wäre noch viel Spielraum für neue Wege. Das Beratungs¬gremium des Papstes könnte auch anders aussehen. ... Keiner der Anwesenden wür¬den wegen der Sorge um die eigene Karrie¬re etwas sagen oder verschweigen. Diese Treffen könnten eine andere Dynamik in die Leitung der Kirche bringen. Wichtige und weniger wichtige Fragen könnten an¬gegangen werden. (34)

Eine österreichische Journalistin gibt den Eindruck wieder, den viele vom Vatikan haben: „ein kleinlicher Intrigantenstadel". (34) ... Verantwortung dafür hat, wer die Macht hat, ein solches System zu verän¬dern. (35)

Im Schreiben „Ordinatio Sacerdotalis" über die nur Männern vorbehaltene Priester¬weihe schreibt Papst Johannes Paul II. 1994, dass diese Frage nicht mehr disku¬tierbar ist. Eine Frage bleibt trotzdem: Ist das Geschlecht der Person je eine Glau¬bensfrage? Gehört das zum unveränderba¬ren Glaubensgut? ... Die Kirche hat neue Ämter eingeführt, wo das nötig war, um ih¬rem Auftrag treu zu bleiben. ... Im Evange¬lium ist ausdrücklich von der geistlichen Mutterschaft die Rede. (35) ... Bei diesem christozentrischen Ansatz verfällt man nicht einfach den kulturell bedingten pat¬riarchalischen Strukturen und versucht, sie theologisch zu verteidigen. Eine Rück¬besinnung auf die Bibel und die ganze Tra¬dition kann uns helfen, aus kulturbeding¬ten Verengungen herauszukommen. (36)

„Die Kirche wird von vielen Menschen als Institution wahrgenommen, die nicht dem Leben dient, sondern das Leben ein¬schränkt. Für viele - auch Getaufte - ist sie belanglos geworden. Ob dieser Eindruck berechtigt ist oder nicht - er ist offensicht¬lich weit verbreitet. Auf jeden Fall haben solche Menschen die berechtigte Erwar¬tung, dass die Kirche hilft, den zu entde¬cken, der das Leben in Fülle verheißt (Joh 10,10). (36)


aus: Imprimatur 8/2012, 386-388

Zuletzt geändert am 10­.12.2012