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Veröffentlicht am 06­.06.2013

6. Juni 2013

Papst Franziskus rehabilitiert die Ordensleute Lateinamerikas

Papst Franziskus kritisiert vorkonziliare Glaubenspraktiken und pantheistische Vorstellungen

> jetzt in deutscher Übersetzung von Norbert Arntz

> das spanische Original





Gegen das mediale Verwirrspiel will auch Wir sind Kirche dafür sorgen, dass dieser Text möglichst weite Verbreitung erfährt - nicht nur wegen seines Inhalts, sondern auch wegen der symbol-politischen Bedeutung für die CLAR (Verband aller Frauen- und Männerorden in Lateinamerika und der Karibik) - nach den Jahren der Verfolgung in den vergangenen 35 Jahren. Es bleibt zu hoffen, dass es bald auch ein Gespräch mit der Leadership Conference Women Religious (LCWR) in den USA gibt.

> Radio Vatikan

> Die Presse

> Der Spiegel

> Daniel Deckers Frankfurter Allgemeine Zeitung

> Jürgen Erbacher

> T. Dorfer

> David Berger im NDR






Papst Franziskus rehabilitiert die Ordensleute Lateinamerikas

Eine solche Geste hatte es in den vergangenen 35 Jahren nicht mehr gegeben: Papst Franziskus empfing die Leitung des Verbandes aller Frauen- und Männerorden in Lateinamerika und der Karibik (CLAR) zu einem einstündigen Dialog. Sie sprachen von gleich zu gleich, ohne Machtsymbole, im Kreis sitzend.

35 Jahre lang war die CLAR von Rom aus gezielt denunziert, kontrolliert und verfolgt worden. Führungskräfte wurden diffamiert, Projekte wie "Wort und Leben" verboten etc. Viele Ordensleute wurden Märtyrerinnen und Märtyrer - auch wegen der aus Rom gesteuerten üblen Nachrede, die sie für die Militärdiktaturen zum Abschuss freigab.

Insofern ist der folgende Text ein Aufsehen erregendes Dokument. Die chilenische Zeitschrift "Reflexion y Liberación" hat ihn veröffentlicht. Der Text ist als Gedächtnisprotokoll von Teilnehmenden verfasst worden und stellt - wie die CLAR nach der betont -kein Wortprotokoll des Gespräches dar. Aber weder die CLAR noch Pater Lombardi, der Pressesprecher des Papstes, haben den Inhalt des Textes dementiert.

Auch wir wollen unsererseits dafür sorgen, dass dieser Text als Symbol einer - wie wir hoffen - beginnenden Rehabilitierung von der Öffentlichkeit in Kirche und Gesellschaft zur Kenntnis genommen wird. Die Übersetzung aus dem Spanischen besorgte Norbert Arntz.


Die Zeitschrift "Reflexión y Liberación" leitete den Text u.a. mit folgenden Bemerkungen ein: "In einem Klima von schlichtem Vertrauen drängte Franziskus die Führungskräfte der CLAR, ihre Sendung zu den Rändern und Grenzen furchtlos fortzusetzen… „Habt Mut! Schlagt neue Richtungen ein! Fürchtet Euch nicht vor den Risiken, wenn ihr auf die Armen und die Menschen zugeht, die gerade beginnen, im Kontinent ihre Stimme zu erheben“, wies Papst Bergoglio sie an. Am Schluss des Treffens dankte er nachdrücklich allen Orden, weil sie Zeichen und Zeugnis des Evangeliums an vielen Orten in Lateinamerika und der Karibik sind.

Exklusiv bieten wir unseren Leserinnen und Lesern die folgende kurze Zusammenfassung dieses historischen Treffens beim Heiligen Stuhl.

www.reflexionyliberación.cl





AUDIENZ mit Papst Franziskus
CLAR, 06. Juni 2013

Reißt die Türen auf…. Reißt die Türen auf!

Ihr werdet Fehler machen, ihr werdet anderen auf die Füße treten. Das passiert. Vielleicht wird sogar ein Brief der Glaubenskongregation bei euch eintreffen, in dem es heißt, dass Ihr dies oder jenes gesagt hättet…. Macht Euch darüber keine Sorgen. Erklärt, wo Ihr meint erklären zu müssen, aber macht weiter…. Macht die Türen auf. Tut dort etwas, wo der Schrei des Lebens zu hören ist. Mir ist eine Kirche lieber, die etwas falsch macht, weil sie überhaupt etwas tut, als eine Kirche, die krank wird, weil sie sich nur um sich selbst dreht ...

(zu seiner Wahl) In keinem Augenblick habe ich den inneren Frieden verloren, wisst ihr? Das aber ist eigentlich nicht meine Art. Ich bin eher jemand, der sich Sorgen macht und der nervös wird…. Aber meine innere Ruhe habe ich keinen Augenblick lang verloren. Das ist für mich eine Bestätigung, dass das von Gott kommt….

(als wir ihm signalisieren, welche Hoffnung seine Gesten in dieser Zeit in uns geweckt haben, bezieht er sich darauf, in Santa Marta geblieben zu sein) … diese Gesten stammen nicht von mir. Sie sind mir nicht eingefallen. Ich bin weder mit einem Plan nach Rom gekommen, noch habe ich einen entworfen, als sie mich wählten. Ich habe mich so verhalten, weil ich spürte, dass der Herr genau dies wollte. Aber diese Gesten stammen nicht von mir – da gibt es einen Anderen … und das stärkt mein Vertrauen.

Ich bin nur mit der nötigsten Kleidung hergekommen, habe sie abends gewaschen. Und dann plötzlich dieses Ergebnis… Wo ich doch gar keine Chance hatte. Im Londoner Wettbüro wurde ich auf Platz 44 gehandelt, stellt euch das vor! Derjenige, der auf mich gewettet hat, hat natürlich einen Riesengewinn gemacht …! – Das ist nicht von meinem Tun abhängig.

Man muss den Spieß umdrehen, alternativ denken. Wenn im Ort Ottaviano ein alter Mann in der Nacht an Kälte stirbt, oder wenn so viele Kinder keine Schulbildung erhalten bzw. Hunger leiden, ich denke an Argentinien – dann ist das keine Nachricht wert. Wenn dagegen die Hauptbörsen der Welt um drei Punkte steigen oder fallen, dann ist es ein Weltereignis. Das muss man umdrehen. Das darf nicht sein. Die Computer sind nicht als Bild und Gleichnis Gottes erschaffen. Sie sind Instrumente, jawohl, aber nicht mehr. Das Geld ist nicht Bild und Gleichnis Gottes. Nur der Mensch ist Bild und Gleichnis Gottes. Das muss man umdrehen. Das macht das Evangelium aus!

Man muss an die Ursachen ran, zu den Wurzeln kommen. Dass Abtreibung ein Übel ist, das ist allen klar. Aber was steckt dahinter, wenn ein solches Gesetz Zustimmung erfährt? Welche Interessen sind dahinter im Spiel? …. Manchmal setzen mächtige Gruppen solche Konditionen, bevor sie Geld geben. Wisst Ihr das? Man muss zu den Gründen vorstoßen. Wir können nicht bei den Symptomen stehen bleiben. Habt keine Angst davor, das aufzudecken… Dabei werdet ihr es schwer haben, ihr werdet Probleme kriegen, aber habt keine Angst davor, die Ursachen aufzudecken, darin besteht die Prophetie des Ordenslebens…..

Zwei Sorgen will ich Euch nennen. Eine ist, dass es in der Kirche gegenwärtig eine pelagianische Strömung gibt. Es gibt bestimmte restaurative Gruppen. Ich kenne einige, in Buenos Aires hatte ich mit ihnen umzugehen. Man fühlt sich 60 Jahre zurückversetzt. In die Zeit vor dem Konzil… Man fühlt sich wie im Jahr 1940… Eine Anekdote, nur zur Illustration, nicht zum Lachen. Ich greife sie mit Respekt auf, aber sie macht mir Sorgen: Als ich gewählt war, erhielt ich einen Brief von einer dieser Gruppen. Man sagte mir: „Heiligkeit, wir bieten Ihnen diesen geistlichen Fundus an: 3525 Rosenkränze“. Warum sagen sie nicht: Wir beten für Sie, wir bitten dafür…. Also dieses Aufrechnen… Diese Gruppen kehren zu Praktiken und disziplinarischen Formen zurück, die ich kennengelernt habe – Ihr nicht, weil niemand von Euch so alt ist – zu disziplinarischen Formen, zu Dingen, die man damals anwendete, aber doch nicht heute, heute doch nicht mehr….

Die zweite Sorge betrifft die gnostische Strömung, diese pantheistischen Vorstellungen. Beide Strömungen sind unter den Eliten zu finden, aber diese zweite eher in der gebildeten Elite… Ich habe von einer Generaloberin gehört, die die Schwestern ihrer Ordensgemeinschaft dazu aufforderte, am Morgen nicht zu beten, sondern ein spirituelles Bad im Kosmos zu nehmen. Solche Dinge…. Die machen mir Sorgen, weil sie die Inkarnation überspringen! Dabei wurde doch der Sohn Gottes Fleisch von unserem Fleisch, das Wort ist Fleisch geworden. Und in Lateinamerika zählt es nicht! Was geschieht mit den Armen, mit ihren Leiden, das ist Fleisch von unserm Fleisch.

Das Evangelium ist weder veraltete Regel, noch eine Art Pantheismus. Wenn du auf die Peripherien schaust, auf die Bedürftigen...auf die Drogenabhängigen, auf den Menschenhandel... Das ist das Evangelium... Die Armen sind das Evangelium....

(Als wir ihm signalisieren, wie schwierig es sei, sich mit der römischen Kurie auseinanderzusetzen, und von der Kardinalskommission sprechen, die ihn unterstützen soll etc.) Ja... das ist schwierig. In der Kurie gibt es wirklich heiligmäßige Leute. Aber es gibt wirklich auch so etwas wie Korruption... Man redet von einer "Schwulen-Lobby", und wirklich, es gibt sie... man muss schauen, was man machen kann.

Die Reform der römischen Kurie haben fast alle Kardinäle in den Versammlungen des Vor-Konklave gefordert. Auch ich. Aber die Reform kann ich nicht durchführen, solche Verwaltungsmaßnahmen.... Ich bin nicht gut in Organisationsfragen; darin war ich nie gut. Aber die Kardinäle der Kommission werden sie voran bringen. Da ist Rodríguez Maradiaga, der ist Lateinamerikaner, der übernimmt die Leitung; da ist Errazuriz.. beide sind sehr ordnungsliebend. Auch der von München ist gut organisiert. Sie werden die Reform voranbringen.

Betet für mich, dass ich möglichst wenige Fehler mache....

Aparecida ist nicht zu Ende. Aparecida ist nicht nur ein Dokument. Aparecida war ein Ereignis. Aparecida war etwas anderes. Am Beginn gab es nicht einmal ein Arbeitsdokument. Es gab Beiträge, aber kein Dokument. Und sogar am Ende gab es nicht einmal ein Dokument, wenn man bedenkt, dass wir am vorletzten Tag noch 2.300 "Eingaben" zu bearbeiten hatten... Aparecida ruft auf zur kontinentalen Mission. Damit endet Aparecida, mit dem Anstoß zur Mission.

Das Besondere an Aparecida: Die Versammlung fand weder in einem Hotel statt, noch in einem Exerzitienhaus, sondern in der Kirche des Marienwallfahrtsortes. Wochentags feierten wir Eucharistie und immer waren 250 Menschen dabei, weil es ein normaler Arbeitstag war. Aber am Wochenende war die Kirche voll! Das Volk Gottes begleitete die Bischöfe und betete zum Heiligen Geist....

Die Versammlungsräume lagen im Untergeschoss der Kathedrale. Daher waren die Gottesdienste und Gesänge in der Kathedrale die Hintergrundmusik... Das waren ganz besondere Bedingungen....

Es gibt etwas, was mir Kummer macht und ich weiß noch nicht, wie ich das verstehen soll. Es gibt Ordensgemeinschaften, sehr sehr kleine Gruppen, einige wenige Mitglieder und sehr alt.... Sie haben anscheinend keine Berufungen mehr, vielleicht will der Heilige Geist nicht mehr, dass sie weiter machen, vielleicht haben sie ihre Aufgabe für die Kirche erfüllt, ich weiß es nicht.... Aber sie sind weiterhin da, kleben an ihren Gebäuden, kleben an ihrem Geld....Ich weiß nicht, warum das so ist und ich kann es nicht verstehen. Aber ich bitte euch, dass ihr euch um diese Gruppen kümmert.... Der Umgang mit dem Geld ... das ist etwas, worüber wir nachdenken müssen....

Nutzt den Moment aus, den wir jetzt gerade in der Kongregation fürs Ordensleben haben... das ist ein lichter Augenblick.... Nutzt ihn aus. Der Präfekt ist gut! Und der Sekretär, den habt ihr "als Lobby" selber lanciert! Nein wirklich, weil er doch Vorsitzender der Ordensoberen war. Also war es logisch, dass er es wurde! Wer wäre besser gewesen als er....

Müht euch besonders um den Dialog mit den Bischöfen, mit dem CELAM, mit den nationalen Bischofskonferenzen.... Ich weiß, einige haben andere Vorstellungen von der kirchlichen Gemeinschaft, aber .... Sprecht, unterhaltet euch mit ihnen, sagt ihnen....

www.reflexionyliberación.cl

Zuletzt geändert am 19­.06.2013