6.10.2001: Tod von Jochen Töller
Ein solcher Mensch lebte unter uns
Das Leben geht weiter. Mit diesem Satz, derzeitig ständig wiederholt, wird versucht, über die grausamen Terroranschläge in New York und Washington und deren Folgen für Afghanistan hinwegzukommen und zur Alltäglichkeit der so genannten Spaßgesellschaft zurückzukehren. Der Tod aber ist eine Alltäglichkeit, der sich keiner entziehen kann. »Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen«, so heißt es in einem mit Tragik und Hoffnung erfüllten Lied. Wohl dem, der über diese Alltäglichkeit hinaus dafür sorgt, dass in einem ganz anderen Sinne das Leben weitergeht. Dazu gehören Menschen, die sich bis an die Grenzen ihrer Kraft für das Leben anderer engagieren, indem sie ihre Lebendigkeit anderen schenken.
Ein solcher Mensch lebte noch vor einigen Tagen unter uns: Jochen Töller, jahrelang – von 1980 bis 1996 – Vorsitzender der Leserinitiative Publik, Trägerverein unserer Zeitung – bis zu dem Zeitpunkt, an dem seine Aufgabe als Erwachsenenbildner es unmöglich machte, den Vorsitz weiter auszuüben. Doch er war immer weiterhin dabei, wenn es um größere Weichenstellungen ging, die Publik-Forum betrafen – und das von Anfang an. Als Student der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Jesuiten in Frankfurt Sankt Georgen war der im Emsland Gebürtige bereits kurz nach dem Tod der großen Wochenzeitung Publik Ende 1971 dabei, sich aktiv für ein Nachfolgeprojekt dieser von 1968 bis 1971 existierenden Zeitung, dem späteren Publik-Forum, zu engagieren. Und dies begeistert und begeisternd, umtriebig und einfallsreich, sich voll und ganz einbringend, nicht locker lassend. Immer aktiv auf seiner Fährte der christlich inspirierten Menschenfreundlichkeit. Dabei hat er die Höhen und Tiefen des einst höchst riskanten Unterfangens Publik-Forum nicht nur miterlebt, sondern auch durchgestanden. Angefangen mit der Abwehr des Versuchs des päpstlichen Vertreters in Bonn, Nuntius Bafile, die ehrenamtliche Publik-Forum-Verlagstätigkeit der Studenten im Gebäude der Jesuitenhochschule zu verbieten, bis hin zu dem Problem, einen 1982 drohenden Publik-Forum-Konkurs zu verhindern.
Nach Fehlschlägen gab Jochen Töller nie auf. Gegen das Fehlschlagen eines Planes gab es für ihn keinen besseren »Trost« als den, auf der Stelle einen neuen zu machen. Oft hatte er ihn schon als Rohmaterial in der Schublade. Er war nie so vermessen – nicht einmal in seinen Träumen –, Berge versetzen zu können. Doch tief in seinem Innern war verankert: Der Mann, der den Berg abträgt, ist derselbe, der anfängt kleine Steine wegzutragen. Jochen Töller war immer dabei, die kleinen Steine wegzutragen. Immer hat »unser Jochen« Publik-Forum als ein Instrument gesehen, niemals als einen Selbstzweck. Immer blickte er über den Tellerrand hinaus. Visionen waren für ihn ein Antriebsmotor. Sein Aktionsradius ging weit über Publik-Forum hinaus, immer im Sinne von Publik-Forum. So hatte er einen Anteil an der Sammlung der aufblühenden Basisgruppen, an der Aktion im Zusammenhang mit dem alternativen Nobelpreis für den brasilianischen »roten« Erzbischof Dom Helder ¬Camara und an den Protest- und Reform¬bewegungen Initiative Kirche von unten und Wir sind Kirche.
Immer war er, oft als »Frontmann«, dabei, wenn es darum ging, für eine menschenfreundliche, weltoffene Kirche und eine gerechte Welt zu mobilisieren. Auch in seinem späteren Berufsfeld als Erwachsenenbildner in Bayern engagierte er sich für eine politisch aktive Kirche, die mit ihren Werten in die Gesellschaft und in den Staat hineinwirkt.
Noch im vergangenen Jahr feierten wir gemeinsam mit ihm in Berlin seinen 50. Geburtstag. Mit allem Drum und Dran, mit Kerzenschein und köstlichem Wein. An ehrenden Worten fehlte es nicht. Es kommt uns jetzt so vor, damit schon seinen Abschied gefeiert zu haben. Sein plötz¬licher Tod – erschreckt uns. Er verunglückte tödlich am 6. Oktober bei Gartenarbeiten zu Hause in Bad Aibling: Er fiel vom Baum. – Sein Tod macht uns bewusst: Das Wort, jeder ist ersetzbar, ist ein Unwort.
Auf Wunsch der Familie wird im Sinne des Verstorbenen um Spenden für Kinderdorf Rio e. V., Oberhausen, gebeten. Pax-Bank, Essen, Konto-Nr. 2002920010, BLZ 36060295 (Hilfe für Straßenkinder im Bundesstaat Rio de Janeiro, Brasilien)
Zuletzt geändert am 08.04.2014