18.5.2017 - Christ und Welt
Christiane Florin: Wo ein Wille ist, ist auch eine Weihe
Der Männergesang galt ihnen trotz der hässlichen Begleitumstände als schön und wahr. Die Stellvertreter Christi liebten das Glissando über die Geschlechtergrenzen hinweg, sie wollten Frauenstimmen aus Männerkörpern. Nach dem Maßstab heutiger, ordnungsbewusster Katholiken müssten sie als »Genderisten« verdammt werden.
Erst Pius X. machte Anfang des 20. Jahrhunderts dem Leid der Kastraten ein Ende. Er verbot im Motuproprio »Tra le sollecitudini« die Messerchen-Musik in der Kirche. Das päpstliche Erbarmen mit den Männern eröffnete noch keine Chance für die Frauen. Sie seien »zu einem solchen Amt nicht fähig, zu keiner Partie des Chores«, glaubte Pius X. Knaben vor dem Stimmbruch übernahmen die hohen Töne. Später, als Singen nicht mehr als liturgisches Amt galt, kamen Frauen endlich zum Einsatz. Pius XII. mahnte Ende der 1950er-Jahre nur an, dass Männer von den Frauen und Mädchen »ganz getrennt« zu sein hätten. Separat stehen, gemeinsam singen, immerhin. Meine Oma war begeisterte Chorsängerin, zuerst im Mädchenchor, dann im Kirchenchor. Mittlerweile fehlen den meisten Kirchenchören Männerstimmen, sodass Frauen mit Zarah-Leander-Timbre als Tenoretten zum Einsatz kommen.
Führte eine gestiegene Wertschätzung für Sängerinnen zum Sinneswandel? Oder das Downgrade des vokalen Musizierens vom liturgischen Amt zum Dienst? Das Beispiel zeigt: Die Kirche kann sehr wohl erlauben, was sie hartnäckig mit biblischen Begründungen verboten hat. Mancher Felsen ist bloß eine Wanderdüne. Im Chorwesen haben sich die Hierarchen von Einwänden und Bedenken verabschiedet, ohne neue Frauenverbotsgründe nachzuschieben. Vielleicht hat Jesus beim Abendmahl den Jüngern zugerufen: »Und jetzt alle...« Dann wären bis heute nur Männerchöre erlaubt. Doch die Glaubenskongregation suchte nicht nach derartigen Ausschlussgründen.
Abgesehen von der angeblichen Auswahl im Abendmahlssaal ähneln die Argumente wider weiblichen Gesang denen wider den weiblichen Altardienst. Frauen sind lange minderwertig, unrein, irgendwie verdächtig, deshalb werden sie vom Allerheiligsten ferngehalten. Im 20. Jahrhundert wächst sich die offenkundige Abwertung langsam raus, Frauen dürfen mitsingen,, die Messe dienen, die Kommunion austeilen, Lesung und Fürbitten sprechen. Wiederholte sich die Kastraten- Geschichte, dann hieße das: Nur noch 32 Päpste abwarten, dann könnte es römisch-katholische Priesterinnen geben. Also bitte einen Augenblick Geduld, meine Damen.
Ich verzichte an dieser Stelle darauf, Frauen als Opfer zu bezeichnen, obwohl ihnen so viel Unrecht widerfahren ist, dass eine offizielle Bitte um Vergebung angebracht wäre. Einen »Sacrificium«- Gesang stimme ich nicht an, weil das Wort »Opfer« nach dem Wort »Täter« schreit. Auch das möchte ich vermeiden. Kirchenmänner tun Frauen Zwar verbal noch immer einiges an, ich kritisiere sie aber lieber, als sie pauschal zu kriminalisieren.
In lehramtlichen Dokumenten wird vor dem »Geschlechterkampf« gewarnt. Viele Debattenpositionen scheiden sich tatsächlich entlang der Trennlinie männlich-weiblich. Nur wenige Männer streiten für die volle Gleichstellung; das Thema läuft in diversen Reformgruppen mit, es steht auf Wunschlisten, ohne ein Herzenswunsch zu sein. »Schon doof, dass es keine Priesterinnen gibt«, lautet die maximale maskuline Solidaritätsbekundung. Ein Titel wie »Weiberaufstand« verführt Männer nicht dazu, sich unterzuhaken.
Es wäre unredlich, so zu tun, als ginge es in diesem Buch nicht auch gegen Männer - allerdings nicht gegen »die Männer«. Kritisiert werden jene, die auf die Frage »Warum dürfen Frauen nicht Priesterin werden?« mit Standardsprüchen reagieren. Die sie abschmettern. Die sich nicht einmal verunsichern lassen. Dieser Streifzug will vor allem eines: mit diesem permanenten „Warum?“ irritieren. Die Gegen-Irritation begegnet mir ständig: Muss es denn unbedingt die Weihe sein?
Wenige Tage, bevor ich das Manuskript abschließe, moderiere ich eine Podiumsdiskussion mit einem Bischof. Er wirbt vor weiblichem Publikum für die geweihte Diakonin. Das sei das „Zeichen der Zeit“, sagt er. Und Priesterinnen? Unmöglich, meint er, und spricht ergriffen vom Abendmahl und der Männlichkeit Jesu. Nach der Diskussion fragt er: „Soll ich Ihnen den Frauenförderplan meines Bistums zeigen? Ich habe ihn in der Tasche?« Was dem Verführer von früher die Briefmarkensammlung war, ist dem aufgeschlossenen Bischof von heute der Frauenförderplan. Welches weibliche Wesen kann dazu schon Nein sagen? Wer mag da noch von Diskriminierung sprechen? Mit den griffbereiten Zahlenwerken verbindet sich der Vorwurf: Es gibt weltweit rund 400000 Priester, gemessen an 1,2 Milliarden Katholikinnen und Katholiken eine Mini-Gruppe. Weiberaufstand bedeutet gemäß dieser Lesart: Viel Lärm um wenige Stellen. Doch diese Rechnung fällt zu schlicht aus. Wer beharrlich wissen will, warum Frauen nicht Priesterinnen sein dürfen, bemerkt schnell den weiträumigen Konflikt dahinter: In der Kirche sind Frauen Platzanweisungsobjekte. Dokumente, die vorgeben, von Männern und Frauen zu handeln, setzen vor allem Katholikinnen Grenzen. Diese Haltung spüren alle, und nicht nur die wenigen, die sich zur Priesterin berufen fühlen.
Frauen haben einen gleichberechtigten Zugang zu allen Ämtern. Dieser Satz scheint in der katholischen Kirche im Jahre 2017 noch genauso unmöglich zu sein wie anno 1917, als das Kirchenrecht in Canon 813 §2 ein Altar-Abstandsgebot formulierte: »Wer die Messe dient, kann nicht eine Frau sein, es sei denn, es ist kein Mann vorhanden und es gibt einen guten Grund, dies zu tun, in diesem Fall darf sich die Frau unter keinen Umständen dem Altar nähern, sie darf dem Priester bei der Messe antworten.«
Ich habe dargestellt, welche Gründe wann von wem genannt werden. Ich habe spekuliert, welche Beweggründe darüber hinaus eine Rolle spielen könnten. Ich habe gezeigt, wann das »Mysterium des Glaubens« zum Zug kommt und wann an die Einsicht der Gläubigen appelliert wird. Ich kann keinen weihwasserfesten Beweis dafür anführen, dass Jesus die Frauen in seiner Nähe zu Priesterinnen machen wollte. Nur: Diejenigen, die mit bruchsicherer Stimme behaupten, Jesus habe nur Jünger erwählt und Jünger seien gleich Priester, haben ftir ihre Behauptung keine besseren Belege. Ein Raymond Burke wird sich davon nicht erschüttern oder wenigstens verunsichern lassen. Kardinäle seines Zuschnitts zeigen lieber die Instrumente, als sich auf Argumente einzulassen. Und wie sind die anderen?
Ich habe keine Entscheidungsvollmacht in der Kirche, strebe sie nicht an und würde sie als Frau ohnehin nicht bekommen. Vielleicht lachen ein paar geweihte Männer mit Leitungsgewalt mit, wenn sie sich einige Formulierungen aus »Inter insigniores« und »Mulieris dignitatem« auf der Zunge zergehen lassen. Humor verunsichert, er macht Strammstehen unmöglich. Schon das wäre ein Fortschritt, eine produktive Erschütterung. Ich wünsche mir eine Lockerungsübung, die zu einer grundsätzlich neuen Haltung führt: Im K Zweifel für die Ausgeschlossenen. Einer Kirche, die das »Ja« der Maria feiert, stünde diese Offenheit gut zu Gesicht.
Stattdessen zelebriert ein Kreis von Entscheidern das Nein zur Frauenordination wie einen postmodernen Antimodenisteneid, als sei die Abwehr der Weiber das zentrale katholische Unterscheidungsmerkmal zur verkommenen Welt. Draußen angeblich alles gleich gültig; drinnen, in der katholischen Kirche, wird das »Gleich« fein differenziert: »gleichwertig, aber nicht gleichartig« möge die weibliche Halite der Weltbevölkerung sein. Franziskus, ganz Jesuit, preist ständig den Geist der Unterscheidung. Was ihm in der F-Frage fehlt, ist der Geist der Entscheidung: Schlägt sich die Kirche auf die Seite derer, denen Frauenrechte nichts oder wenig wert sind, oder auf die Seite der anderen? Will der Vatikan in einem Atemzug mit Saudi-Arabien genannt werden?
Die fein ziselierte Formulierung mit »wertig« und »artig« relativiert, wo es nichts zu relativieren gibt. Chauvinisten dieser Welt hören diese Signale: Wer ein Interesse daran hat, dass Frauen nicht alles dürfen sollen, was Männer dürfen, kann sich auf die weltumspannende Groß-Institution mit Zentrale in Rom berufen. Die Zentrale wiederum beruft sich auf die Weltkirche, was nichts anderes bedeutet als Rücksicht auf die Patriarchen dieses Planeten. Priesterinnen werden auf diesem Umweg über Rom und den Erdkreis nicht nur für unzulässig erklärt, sie werden unzumutbar. In diesem Zirkelschluss hält sich die Kirche selbst gefangen.
Freiheit wirkt anders - und Wahrhaftigkeit auch. Wenn Frauen wirklich gleichwertig sind, warum sind sie dann so vieler Extra-Worte wert, so viel Extra- Lobes und Extra-Mahnung? Die Formulierungskunst kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich am Ende alle Gewalten im Geweihten vereinen, in der Gemeinde im Pfarrer, in der Diözese im Bischof, in der Weltkirche im Papst. Leitung ist klerikal und männlich. Entscheidung ist klerikal und männlich. Klerikal kann niemals weiblich sein. Wollen Frauen einen Zugang zu dieser Extra-Klasse, müssen sie sich, unter anderem von Franziskus, den Vorwurf anhören, sie redeten der Klerikalisierung der Kirche das Wort ab. Das nächste Zirkelschlussgefängnis.
Der Lobgesang auf Marias Geschlechtsgenossinnen übertönt den Cantus firmus, der seit Jahrhunderten unverändert geblieben ist: Der Mann ist das Normalmaß, die Frau die Abweichung. Er sagt, wie sie zu sein hat. Das Weib wird ab- oder aufgewertet. Es zieht nie gleich, es zieht nicht in Entscheidungszirkel ein. Frauen dürfen beraten, prüfen, ihre weibliche Perspektive einbringen. Der heimliche Einfluss von Müttern, Schwestern oder Referentinnen auf Kleriker wird lobend erwähnt, vom institutionalisierten Einfluss werden sie ferngehalten. Auch liturgisch setzen Männer die Benchmark. Die Eucharistie mag angesichts der Besucherzahlen ein Ladenhüter sein, ekklesiologisch, sakramental- und ämtertheologisch ist sie das Premiumprodukt, der Unique Selling Point der katholischen Kirche. Keine andere Feier reicht an die Messe heran; jede Laienliturgie kann im Vergleich dazu nur von minderer Qualität sein. Mag das Lehramt Frauen in der Herzmitte der Kirche ansiedeln, oben am Altar waltet der Mann, der Zelebrant. Wie Päpste, Präfekten und Theologen angesichts dieser eindeutigen Normierung »gleichwertig« schreiben können, ohne über der weißen Spitze rot zu werden, bleibt ihr Geheimnis des Glaubens.
Weiberaufstand heißt, sich nicht von solchen Floskeln sedieren zu lassen. Weiberaufstand heißt, nicht nur zu bitten, sondern zu fordern. Weiberaufstand heißt, über Macht zu streiten. Frauen schweigen dazu gern. Männer auch. Kleriker erinnern an Jesus, den Ohnmächtigen. In dessen Person verbinden sich die drei Gewalten, die man zum hierarchischen Aufbau der Kirche braucht: heiligen, lehren und leiten. Im institutionellen Alltag schrumpft die Gewalten-Dreifaltigkeit oft genug auf die Kategorien Sein und Haben. Kleriker haben nicht unbedingt Macht, aber sie haben etwas zu verlieren. Zur wahrheitsgemäßen Antwort auf die Warum-Frage gehört das Eingeständnis: Wir befürchten, dass Klerikerinnen das Amt verändern, dass sie die Kirche verändern, dass wir die Kontrolle verlieren. Die Worte »Macht« und »Kontrolle« stehen in keinem lehramtlichen Schreiben zum Thema; gerade deshalb stehen sie im Raum, sobald über Amt, Sakrament und Institution diskutiert wird.
Ich habe herauszufinden versucht, warum Amtsträger diese Lehrmeinung für wahr halten. Spuren eines ernsthaften Ringens ließen sich in ihren Reaktionen kaum erkennen. Sie antworteten machttaktisch: weil es entschieden ist, weil der Kirche eine Spaltung droht, weil das Thema nervt, weil es Wichtigeres gibt, weil Frauen genug bekommen haben. Was Priesterinnen, Bischöfinnen, Kardinälinnen Fürchterliches anrichten könnten, wenn die Weihe-Wahrheit eine andere als die offizielle wäre, habe ich nicht erfahren. Auf Fragen nach der Zukunft kommt die Antwort aus der Vergangenheit.
Während ich diese Zeile schreibe, betritt meine Tochter das Arbeitszimmer. Sie probt den Aufstand mit Ignoranz. »Das Buch werde ich bestimmt nicht lesen«, sagt sie. »Kirche ist so was von old school und du bist so was von old school.« Sie verlässt noch schneller den Raum als vor einem Jahr, beim TV-Pontifikalamt von Mainz. Aus dem Treppenhaus ruft sie mir zu: »Und was wird dein letzter Satz?«
Wo ein Wille ist, ist auch eine Weihe.
Zuletzt geändert am 20.05.2017