16.01.2006 - Süddeutsche Zeitung
zum Artikel „Geht nicht fremd! Verletzt keine Lebenspartnerschaft!“
Zum Reformationstag 2006 erschien eine neue Bibelübersetzung. Die „Bibel in gerechter Sprache” unterscheidet von herkömmlichen Übersetzungen ein dreifacher Maßstab: Neben dem Anspruch, Erfahrungen und Geschichten von Frauen sichtbar zu machen, die zuvor meist verschwiegen wurden, sollen antijudaistische Aussagen vermieden und Aspekte sozialer Gerechtigkeit bewusst akzentuiert werden.
Johan Schloemann hat sich in seinem Artikel zur Fraktion derjenigen bekannt, die das Werk radikal ablehnen: Zum einen ziele die Übersetzung darauf ab, die wirkmächtige Schriftübersetzung Martin Luthers zu verdrängen. Zum anderen unterlaufe das Projekt die Kriterien historisch-kritischer Bibelauslegung, indem es die „patriarchalische Ordnung” antiker Gesellschaften unhistorisch verschleiere und eine „anbiedernde Judaisierung des Christentums auf die Spitze” treibe.
Beide Argumente indessen greifen ins Leere. Zu keiner Zeit wurde von der für das Projekt verantwortlichen Seite der Vorsatz geäußert, die im deutschsprachigen Protestantismus fest verankerte Lurtherbibel ersetzen zu wollen.
Die„Bibel in gerechter Sprache” soll die Auswahl vorliegender Übersetzungen vielmehr ergänzen.
Unsinnig ist auch die These vom Ausverkauf der historisch-kritischen Methode. Gerade weil die Übersetzungen durch Einleitungen, Querverweise und Anmerkungen in die Polyphonie biblischer Sprachen und Theologien eingebettet werden, bleibt dem Leser die historische Entstehungsbedingung der Texte präsent. Zudem belegt nicht zuletzt die historische Bibelforschung, dass androzentrische Sprache die Geschichten von Frauen zwar semantisch verbergen, jedoch nicht gänzlich zu eliminieren vermag.
Dr. Martin Vetter, Düsseldorf
Das Wort „Gesinnungsterror”, das den Übersetzerinnen und Übersetzern dieser Bibel untergeschoben wird, ist gehässig, wenn man sieht, wie viele Möglichkeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gegeben haben, um ihre Übersetzungsentscheidungen transparent zu machen. Nun gebe ich gern zu, dass mir an vielen Stellen der „Bibel in gerechter Sprache” die Sprachmelodie fehlt. Oft ist nicht schön formuliert worden. Vielleicht auch mit Absicht. Es ist aber viel deutlicher zu sagen: „Geht nicht fremd! Verletzt keine Lebenspartnerschaft!” als zu hören: „Du sollst nicht ehebrechen!”
Claudia Lempp, Stuttgart
Was sollte daran zu kritisieren sein, wenn sich Theologinnen und Theologen, „Studierte” und „Laien” daran machten, die Bibel in gemeinsamer Auseinandersetzung mit den Quelltexten in eine Sprache zu bringen, die sich um Geschlechtergerechtigkeit, um Gerechtigkeit im christlich-jüdischen Dialog und um soziale Gerechtigkeit bemüht? Dass dabei ein sprachlich sperriges Werk herausgekommen ist, ist nur eine Seite der Medaille – und die Frage bleibt offen, ob gerechte Sprache überhaupt geschmeidig sein kann. Zum Glück wird es Johan Schloemann vermutlich gelungen sein, auf diese „Bibel in gerechter Sprache” neugierig zu machen.
Dr. Helga Blaschke, Fürstenfeldbruck
Hält man uns evangelische Christen (ich sage bewusst nicht „Christinnen und Christen”, weil ich mich mein Leben lang auch immer angesprochen gefühlt habe, wenn der Pfarrer/die Pfarrerin „liebe Christen” gesagt hat!) für geistig so minderbemittelt, dass wir „registrieren” statt „schätzen lassen” lesen müssen, um zu begreifen, was damals eine Volkszählung war? Und glauben die „Neu-Ausleger” tatsächlich, dass es zu der damaligen Zeit auch „Hirtinnen” gab? Hirte war ein ausgesprochen gefährlicher Beruf und war eine rein männliche Domäne! Und muss Gott – der für mich nie „männlich” war, sondern über allem Geschlecht stehend – nun plötzlich rein weiblich werden: „die Lebendige”? Ich habe gar nichts gegen Emanzipation, in vielen Bereichen unseres täglichen Lebens war der Kampf dafür wirklich dringend notwendig. Aber da? Das ist ein ganz armseliger Versuch, Gott zu „erklären”.
Hildburg Hessen, Stephanskirchen
Die „ gerechte Bibel” ist doch ein großer Fortschritt! Ich habe nämlich eine Wette laufen, dass irgendwann nicht mehr Gottvater mit seinem weißen Rauschebart auf einer Wolkenbank thront, sondern eine schwarze, vollbusige Mamma in einer Hängematte liegt, die Wodka trinkt und Havannas raucht.
Manfred Schleyer, München
Da läuft es einem ja – auch wenn man mit Glauben und Kirche nicht viel am Hut hat – kalt den Rücken hinunter. Durch diese „Übersetzung” wird die Bibel, unser höchstes Kulturgut, in schändlicher Weise durch den neogerechten Schmutz gezogen. Pfui, Teufelinnen und Teufel!
Dr. Jürgen Beck, Berg
Man kann es mit der geschlechtergerechten Sprache auch derart übertreiben, dass es sogar mittlerweile auch vielen durchaus engagierten und emanzipierten Frauen lächerlich erscheint. Es ist zwar gut und richtig, in angemessener Weise auf Benachteiligungen der Frauen in historischen Texten und Gesellschaften hinzuweisen; das sollte aber dann in Anmerkungen geschehen, aber darf doch nicht auf eine Geschichtsfälschung hinauslaufen. Außerdem kommt mir die wiederholte Rede von „der Lebendigen” nicht nur wie eine Parallele „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen”, sondern auch wie ein Text aus der Broschüre einer esoterischen Sekte vor. So sollte man nicht mit biblischen Texten und der deutschen Sprache umgehen. Johan Schloemann hat recht: „Es ist erbärmlich.”
Edgar Fahmüller, Puchheim
Gewiss hatten Luise Schottroff, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht im Sinn, Luthers Bibel zu ersetzen. Die Verdienste Luthers und der sächsischen Kanzleisprache um die Entwicklung der deutschen Sprache stehen außer Frage. Fest steht aber auch, dass „gehobene” Sprache immer auch Herrschaftssprache ist und von vielen nicht mehr verstanden wird (wenn sie es denn jemals wurde).
Der Ansatz der „Bibel in gerechter Sprache” scheint mir der Versuch zu sein, diejenigen sichtbar werden zu lassen, die in den herkömmlichen Bibeln unsichtbar sind. Das können Frauen, Unterprivilegierte und alle diejenigen sein, die aus Gründen eines Herrschaftsanspruchs nicht ins Schema passen.
Muss es im Magnifikat der Maria heißen „. . . er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen” (Luther) oder ist auch „die Erniedrigung ihrer Sklavin” („Gerechte Sprache”) möglich? Ich kann mich neu mit dem Text auseinandersetzen, und dafür bin ich dankbar.
Dr. Brigitte Löwe, Hessisch Oldendorf
Als Noch-Kirchgänger muss ich mich meiner Hessischen Landeskirche schämen, die ein solches Machwerk zulässt oder gar in Auftrag gibt und so die letzte Kraft aus unserer Überlieferung presst.
Prof. Dr. Dr. h.c. Fritz Lampert, Gießen
Ärgerlich an Johan Schloemanns Artikel ist die intellektuelle Arroganz, die in einem Satz steckt wie „So dumm sollte heute kein Leser mehr sein.” Als kluge Leserin weiß ich natürlich sofort, dass dieses plumpe Stilmittel mich trotz des generischen Maskulinums mitmeint. Als Befürworterin des Projekts „Bibel in gerechter Sprache” wird mich „das helle Licht der echten Kritik” dann wohl auch nicht streifen.
Dr. Regina Frey, Berlin
Ich habe als Pfarrer viele Bibelübersetzungen für den Gottesdienst zu Rate gezogen. Ich bin dankbar für diesen neuen, aktuellen Beitrag. Dass Johan Schloemann hier von „Gesinnungsterror” und einer „gesinnungsterroristischen Gerechtigkeitsbibel” schreibt und die (gesamte?) „Feuilletonredaktion der SZ” uns Lesern in diesem Zusammenhang „die Vertreibung all dessen, was das helle Licht der echten Kritik zu verdunkeln droht” wünscht, halte ich für eine arrogante postmoderne Entgleisung.
Normann Hepp, Seeg
Dieser Artikel ist exzellent; ich unterstütze Johan Schloemanns Einschätzung ohne Wenn und Aber.
Klaus Gossow, Salzgitter
Der Artikel hat mich sehr bewegt und erfreut. Ich danke als Leser. Bei dem Wort „gerecht”, ob mit oder ohne sozial, ob als sachgerecht oder einfach gerecht, muss ich stets an Nietzsches Warnung denken vor denen, die viel von ihrer Gerechtigkeit reden.
Prof. Dr. Ernst Steindorff, München
In der Christmette hörten meine Frau und ich zu unserer Verblüffung und auch zu unserem Befremden die Weihnachtsgeschichte mit ganz anderen und für uns neuen Formulierungen. Auf dem Nachhauseweg diskutierten wir darüber, was wohl jemanden bewogen haben mag, die markige Übersetzung Martin Luthers derart zu ändern. Am nächsten Tag lasen wir Johan Schloemanns Artikel. Seinen kritischen Worten ist aus unserer Sicht nichts hinzuzufügen. Sicher ist die wohlüberlegte Wortwahl Luthers manchmal nicht leicht verständlich (wie wohl auch der Urtext) oder auch unbequem. Wobei das Nachgeben zu mehr Bequemlichkeit in unseren Augen gleichbedeutend mit Förderung der geistigen Erschlaffung ist.
Und wenn die Verfasser dieser „modernen” Bibelübersetzung versucht haben sollten, etwas verständlicher auszudrücken, dann ist ihnen das mit der Neufassung des Abschnittes „Und siehe, des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie” mit den neuen Worten „Da trat ein Engel der Lebendigen zu ihnen, und der Feuerglanz der Lebendigen umhüllte sie” ganz vortrefflich gelungen.
Aber wer hat den Sinn des Titels dieser „Bibel in gerechter Sprache” sofort verstanden? Wenn mich etwas stutzig macht, ziehe ich gerne erst einmal den Brockhaus zu Rate. Dort steht: gerecht (ahd. gireht; zu recht), 1) streng rechtlich urteilend, 2) dem Rechtsgefühl gemäß, 3) passend, auf etwas geschult, gut ansprechend, 4) U (= umgangssprachlich) gerade. Welche der vier Möglichkeiten nehmen wir denn?
Irmgard und Klaus van Rinsum, München
bisher nicht veröffentlicht:
Die überaus aggressive Kritik („gesinnungsterroristische Gerechtigkeitsbibel“, „gewaltiges Ideologieprojekt“) von Dr. Johan Schloemann an der in Herbst 2006 erschienenen „Bibel in gerechter Sprache” halte ich für weit überzogen. Das vor allem nach den Kriterien der Gerechtigkeit (Geschlechtergerechtigkeit, Gerechtigkeit im Hinblick auf den christlichjüdischen Dialog, soziale Gerechtigkeit) in einem fünfjährigen Diskussionsprozess von 52 evangelischen und katholischen Theologinnen und Theologen erstellte Werk will keineswegs die Luther-Bibel „verdrängen“.
Aber die Bibel ist nicht nur „erhebende Wiederkehr schöner alter Worte“. Für diejenigen, die mit biblischen Texten vertraut sind, bietet die „Bibel in gerechter Sprache“ die Chance, die bekannten Texte neu zu hören, im ungewohnten Wortlaut überraschende Aspekte wahrzunehmen und Denkgewohnheiten zu überprüfen. Das beigefügte Glossar hebräischer und griechischer Begriffe ermöglicht es, verschiedene Bedeutungen eines Wortes wahrzunehmen. Und es hat sich bereits in der Vorarbeit gezeigt, dass diese Übersetzung auch Frauen und Männer zum Lesen der Bibel lockt, die dies bisher nicht getan haben.
Das besondere Potenzial dieser Übersetzung liegt darin, dass sie neugierig macht, Gespräche eröffnet und zur eigenen Position herausfordert. Diese Bibel wird – und das zu Recht – ihren Platz neben der Luther-Bibel finden, wie viele andere gute Übersetzungen und Kommentare auch.
Christian Weisner, Dachau
Zuletzt geändert am 16.01.2007