11.10.2009 - KirchenZeitung – Diözese Linz
Kirchenrecht sichert Freiräume
Das Kirchenrecht steht bei vielen Katholiken nicht hoch im Kurs. Zu Unrecht, wie Sabine Demel meint. Die Professorin für Kirchenrecht macht auf eine unver-zichtbare Funktion von Normen aufmerksam: Gesetze grenzen nicht nur ein, sondern sichern Freiräume und schützen vor Beliebigkeit.
Das Gespräch führte Josef Wallner.
Dass eine Gemeinschaft Regeln braucht und auch bestimmen kann, wer zu ihr gehört, ist selbstverständlich. Das gilt für den Schrebergartenverein genauso wie für eine Partei und die Kirche auch. In der katholischen Kirche zeichnet sich aber nun wieder stark der Gehorsam als Kriterium der Mitgliedschaft aus: dem Katechismus, dem Kirchenrecht und dem Papst gehorchen. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Demel: Seit es die Kirche gibt, gibt es in ihr immer wieder Kreise, die das Christsein auf einen solchen Gehorsam reduzieren wollen. Diese Kreise und diese Tendenz werden wohl zu allen Zeiten in der katholischen Kirche vertreten sein. Das wird sich nicht ändern lassen. Entscheidend ist aber, dafür zu sorgen, dass sie sich nicht flächendeckend ausbreiten. Um das zu vermeiden, möchte ich mit Karl Rahner an alle KatholikInnen appellieren: Die Gläubigen dürfen nicht meinen, sie hätten bestimmt nichts zu tun, bevor von oben ein Befehl heruntergereicht wird. Es gibt Taten, die Gott will, auch bevor das Startzeichen von der kirchlichen Autorität gegeben ist, und in Richtungen, die nicht schon vom Papst und den Bischöfen positiv gebilligt und festgelegt worden sind. Und die Kirchenleitung möchte ich – ebenfalls mit Karl Rahner – daran erinnern: Papst und Bischöfe dürfen sich nicht wundern oder darüber unwillig sein, wenn sich ein Leben des Geistes regt, bevor es in den Ministerien der Kirche geplant worden ist. Denn jeder und jede in der Kirche muss seinem/ihrem Geist folgen dürfen, solange es nicht feststeht, dass er/sie einem Ungeist nachgibt. Das folgt aus dem Wesen der Kirche als einer Gemeinschaft, in der alle kraft der Taufe mit dem Heiligen Geist begabt sind. In diesem Sinn wird auch im kirchlichen Gesetzbuch von 1983 nicht nur einfach ein christlicher Gehorsam gefordert, sondern ein christlicher Gehorsam „im Bewusstsein der eigenen Verantwortung“ (c.212 §1 CIC/1983).
Wie kommt es dazu, dass immer wieder versucht wird, das Katholischsein einseitig auf diesen Gehorsam reduzieren zu wollen?
Demel: Ich denke, weil viele KatholikInnen – ob Laien oder Kleriker – an den Heiligen Geist und sein Wirken nur in der Theorie glauben, aber nicht wirklich daraus leben. Warum sonst neigen sie dazu, das, was katholische Kirche ausmacht und lebendig erhält, nämlich die Spannung von Gehorsam und Freiheit, von Bindung und Selbstbestimmung, von Einheit und Vielfalt nicht auszuhalten, sondern einseitig auflösen zu wollen zu Ordnung, Bindung und Einheitlichkeit?
Welche Wege gibt es aus dieser Engführung?
Demel: Sich selbst immer wieder von Neuem zu fragen und bewusst zu machen, was das Wesentliche ist, das mich zur ChristIn macht. Nach Paulus ist es der Geist der Taufe, aus dem heraus ich leben kann und leben soll. Paulus charakterisiert daher ChristInnen als Menschen, die sich vom Heiligen Geist umtreiben lassen (Röm 8,14). Christsein heißt demnach wesentlich, ein geistlicher Mensch zu sein. Und zumindest ein markantes Erkennungszeichen von geistlichen Menschen ist es, sich nicht nur mit dem zufrieden zu geben, was sie vorfinden, was sie machen, planen und berechnen können, sondern geistliche Menschen sind offen für Neues und haben die Kraft und den Mut, sich auch auf Nicht-Vorhersehbares, auf Nicht-Planbares, ja sogar auf Verrücktes einzulassen. Speziell im Blick auf die (Rechts-)Vorschriften in der Kirche folgt für mich daraus, diese nicht einfach nur hinzunehmen und zu befolgen, sondern sie kontinuierlich und immer wieder von Neuem unter dem Aspekt der Gerechtigkeit Gottes und seines Geistes zu prüfen und dementsprechend auszulegen und mich dementsprechend zu verhalten. Anders kann ich mir nicht vorstellen, legitime Freiheitsräume in der Kirche, also Freiheitsräume der christlichen Freiheit im Geist, auf Dauer zu sichern und auszubauen. Nicht auszudenken, was passiert, wenn sich viel mehr ChristInnen als bisher in der Kraft des Taufgeistes für diese Freiheit umtreiben lassen!
Das 2. Vatikanische Konzil hat für die Kirche die Bezeichnung „Communio“, Gemeinschaft, wieder entdeckt. Das steht theologisch außer Streit. Aber viele Katholiken fragen sich, wo sich das zeigt, auch in den Strukturen der Kirche?
Demel: Eindeutige Indizien dafür sind, dass es im geltenden kirchlichen Gesetzbuch von 1983 erstmals in der Geschichte der katholischen Kirche einen Katalog von grundlegenden Pflichten und Rechten für alle Gläubigen (cc.208 – 223 CIC) und zusätzlich dazu speziell für Laien (cc.224 – 231) gibt. Darin wird allen Gliedern der Kirche, egal ob Kleriker oder Laie, klar und deutlich ein Mitwirkungsrecht an der Sendung der Kirche garantiert, ja sogar eine Mitwirkungspflicht auferlegt. Weitere Indizien sind die Tatsachen, dass nicht mehr nur die Kleriker, sondern auch die Laien kirchliche Ämter innehaben können, und dass es in den Pfarreien und Diözesen Mitwirkungsgremien des Volkes Gottes gibt, wenngleich deren Rechte im Sinne der Communio-Theologie stark ausbaufähig sind.
Im Staat klagen wir über eine Gesetzesflut, in der Kirche – ist die Situation da nicht anders? Bräuchte es nicht mehr Gesetze, die den Gemeinschaftsaspekt der Kirche auf die Erde herunter holen?
Demel: Prinzipiell möchte ich vor einem Ruf nach zu vielen gesetzlichen Regelungen warnen. Soll die katholische Kirche eine lebendige und einladende Wirklichkeit im Dienst des Heils der Menschen sein, braucht sie rechtliche Normen, darf diese aber nicht zum Allheilmittel oder alleingültigen Maßstab erheben. Die rechtlichen Strukturen müssen vielmehr so gestaltet sein und werden, dass sie eine Ordnung garantieren, die für das Wirken des Heiligen Geistes und die Antwort des Menschen offen ist und bleibt. Im Blick auf eine adäquate Umsetzung des Communiomodells sind daher meines Erachtens nicht zuerst mehr, sondern andere Gesetze zu fordern, also vor allem etliche Veränderungen an den bestehenden Gesetzen vorzunehmen bis hin zur Abschaffung von einigen Vorschriften. Das betrifft vor allem die Regelungen, nach denen fast alle kirchlichen Dienste und Ämter zuerst den Klerikern und nur in Ausnahmefällen – vor allem in Zeiten des Priestermangels – den anderen Gläubigen offen stehen, wie z.B. die Predigt in der Eucharistiefeier, der Beerdigungsdienst, das Amt einer Caritasdirektorin. Darüber hinaus sind die oben genannten Mitwirkungsgremien des ganzen Gottesvolkes wie z.B. Pfarrpastoralrat und Diözesanpastoralrat rechtlich unzureichend konzipiert, da ihnen nur ein Beratungs-, aber kein Entscheidungsrecht zukommt. Und auch bei der Besetzung wichtiger Ämter in der Kirche (wie z.B. Pfarr-, Bischofs-, Papstamt) wird Laien – wenn überhaupt – höchstens eine Mitwirkung in der Form der Beratung zugestanden. Das ist eindeutig zu wenig. Ganz zu schweigen davon, dass es bis heute in der katholischen Kirche keine kirchlichen Gerichte vor Ort gibt, an die sich die Gläubigen bei einer Verletzung ihrer Rechte durch die jeweilige kirchliche Autorität wenden könnten. Denn die kirchlichen Gerichte, die es bisher in den Diözesen der katholischen Kirche gibt, sind eigenartigerweise nicht für die Beurteilung einer sog. Verwaltungsmaßnahme, also einer Maßnahme der ausführenden Vollmacht der kirchlichen Autorität, zuständig. Das ist eine bizarre Situation angesichts der Tatsache, dass gerade in diesem Bereich am häufigsten von Gläubigen ein rechtliches Fehlverhalten von kirchlichen Amtsträgern geltend gemacht wird.
Jetzt entsteht die kuriose Situation: Vor dem Konzil wurde die Ablösung der Gesetzeskirche durch die Liebeskirche gefordert, jetzt gibt es wieder den Ruf nach mehr Gesetzen.
Demel: Da fällt mir Thomas von Aquin ein, der vor den beiden Extremen gewarnt hat, dass eine Gemeinschaft zu viele Gesetze oder zu wenig bzw. gar keine Gesetze hat. Denn nach Thomas führt Recht und Gerechtigkeit ohne Barmherzigkeit zu Grausamkeit, aber auch umgekehrt gilt: Barmherzigkeit ohne Recht führt zu Anarchie und Willkür. Das gilt auch und gerade für die Kirche: das Abschaffen von Recht in der Kirche führt nicht von der sog. Rechtskirche zur Liebes-, sondern zur Unrechtskirche, und das Abschaffen von kirchlichen Gesetzen keineswegs zur Freiheit, sondern zur Willkür. Aber umgekehrt dürfen die Anzahl und der Inhalt der Gesetze auch in der Kirche nicht so sein, dass sie die Menschen wie in einem Gefängnis einschließen.
Sabine Demel
Sabine Demel ist Professorin für Kirchenrecht an der Universität Regensburg. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören unter anderem die Fragen des kirchlichen Amtes sowie die Rechtsstellung von Laien und Frauen in der Kirche.
Zuletzt geändert am 09.11.2009