8.5.2010 - Südwest-Presse
Aufruf zu Widerstand gegen Rom
Im Radio hat Dietmar Mieth jüngst eine Meinungsumfrage unter Kirchgängern gehört. "Wir sind nicht mehr Papst, wir sind Kirche", hat da einer gesagt. Das hat Mieth gefallen, schließlich bringt es den Standpunkt des seit zwei Jahren emeritierten Tübinger Theologieprofessors auf den Punkt. Den trug er jetzt auch in Ulm vor. Die katholische Georgskirche hatte den renommierten katholischen Ethiker, der seit Jahrzehnten als kritischer Geist gilt, eingeladen, aus aktuellem Anlass. Thema: "Die Missbrauchsfälle und welche Konsequenzen daraus in der Kirche zu ziehen sind."
Mieth kam nicht umhin, weiter auszuholen. Selbst in den 50er und 60er Jahren sozialisiert, war er bereits als junger Mann in Kirche und katholischer Jugendbewegung aktiv. "Man konnte schon damals nicht in führender Position tätig sein, ohne von Missbrauch zu hören." Der entscheidende Unterschied zu heute: Leichtere Übergriffe (freilich nicht nur von Kirchenleuten) seien damals toleriert worden. "Das war die allgemeine Mentalität." Ein Opfer und dessen Angehörige wären nicht auf die Idee gekommen, eine Tat anzuzeigen, da dies immer auch das Opfer geschädigt hätte. Zudem habe man über Langzeitschäden durch Missbrauch nichts gewusst. Und schließlich sei das Priestertum in weiten Teilen der Gesellschaft als "geheiligter Zustand" angesehen worden. "Das bedeutete für Priester tägliche Machtanerkennung und tägliche Machtausübung."
Heute ist die Gesellschaft einen Schritt weiter, freier, demokratischer - glücklicherweise. Der Fokus der moralischen Aufmerksamkeit habe sich radikal gewandelt. Machtausübung gegenüber Abhängigen werde viel kritischer gesehen, sei in der Regel sogar tabu. Sogar die Kirche hat diesen Mentalitätswandel mit vollzogen, behauptet Mieth. Er bezieht diese Aussage allerdings nur auf das Gros des Kirchenvolks sowie auf den allgemeinen Klerus bis hin zu manchen Bischöfen. "Die Zellen der katholischen Macht hat dieser Wandel offensichtlich nicht erreicht."
Darin sieht er auch den Hauptgrund für die aktuelle Austrittswelle. "Solange sich an den Grundstrukturen des Katholizismus nichts ändert, haben die Menschen den Eindruck, dass die Kirche überhaupt nicht reagiert." Darauf zu warten, dass sich der Vatikan von selbst reformiere, hält der Theologe indes für sinnlos. Gefordert sei nun vielmehr die Kirche als Ganzes. "Es geht darum, jetzt einzulösen, was in der Kirche längst präsent ist."
Konkret heißt das für Mieth: Der Pflichtzölibat ("theologisch und moralisch nicht begründbar") gehört abgeschafft, Frauen müssen zum Priesteramt zugelassen werden. "Erst dann kann es eine vollwertige Sexualmoral der katholischen Kirche geben." Die Zeit dafür sei reif, zu erreichen sei dies allerdings nur durch Ungehorsam gegenüber dem Vatikan. "Wenn sich morgen fünf Bischöfe zusammentäten, um verheiratete Männer zu Priestern zu weihen, würde überhaupt nichts passieren", glaubt Mieth. "Im Gegenteil: Der Papst würde ihnen sogar nachlaufen."
Im voll besetzten Gemeindesaal der Georgskirche kam Mieths Botschaft gut an. "Ich hoffe, dass die Kirche größer wird als die Kirche, die wir heute haben", schloss der Theologe seinen Vortrag. Der laute Applaus zeigte, dass er damit vielen Zuhören aus dem Herzen sprach.
Zuletzt geändert am 09.05.2010