18.8.2010 - Wiener Zeitung
Katholische Pfarrer sind reformbereit
Zölibat ist nur eines von vielen Themen, die Priester bewegen.
Paul Michael Zulehner zählt zu jenen Theologen, die unermüdlich Auswege aus der gegenwärtigen Krise der römisch-katholischen Kirche suchen. Vor allem aber verschließt er, im Gegensatz zu vielen Angehörigen der Hierarchie, nie die Augen vor den Meinungen und Anliegen Kirchenmitglieder, sondern geht der Lage der Kirche in unserer modernen Gesellschaft auf den Grund.
Sein Buch "Wie geht’s, Herr Pfarrer?" ist lesenswert, auch wenn die brisantesten Umfragedaten daraus – dass 81 Prozent der befragten österreichischen Pfarrer ein Priesteramt ohne Zölibat, ja 51 Prozent sogar Frauen im Priesteramt, bejahen – medial breitgetreten wurden. Auffallend ist, dass die meisten Priester mit ihrem Beruf zufrieden sind, ihn ergreifen und viele auch ohne Zölibatspflicht nicht heiraten würden.
Das Buch zeigt auf, wie sehr die Priester unter dem Missbrauchsskandal, für den nur eine Minderheit verantwortlich ist, leiden. Dem diesbezüglichen Krisenmanagement im eigenen Land stellen sie ein weit besseres Zeugnis aus als dem Umgang der Kirchenzentrale in Rom mit dem Problem: 51 Prozent geben Rom eine der schlechtestmöglichen Bewertungen (4 oder 5), aber nur 12 Prozent der Kirchenleitung in Österreich.
Die meisten Pfarrer wollen vor allem als Seelsorger an der Seite der Menschen leben, spüren aber eine Entwicklung, die sie zu Managern pastoraler Großräume werden lässt. Dabei sagen 51 Prozent, dass sie in vielen wichtigen Fragen anders als die Kirchenleitung denken. Und 74 Prozent stimmen dem Satz zu: "Die Vorstellungen von Kirchenleitungen und Kirchenvolk klaffen in wichtigen Fragen immer mehr auseinander."
Wie sehr das zutrifft, weiß Zulehner aus einer Befragung von Pfarrgemeinderatsmitgliedern. Er verhehlt nicht, dass die Studie gerade bei jüngeren Priestern eine deutlich skeptische Haltung zu innerkirchlichen Reformbestrebungen und zur modernen Welt ortet.
Die Reformwünsche, die sich aus der Studie ergeben, sind nicht neu: mehr Mitsprache bei Bischofsbestellungen, mehr Bereitschaft der Kirchenleitung, ihre Einstellung zur Sexualität und zur Priesterweihe zu überdenken, mehr Orientierung am Evangelium als am Kirchenrecht.
Dass der Rückgang an Eucharistiefeiern, da immer weniger Priester zur Verfügung stehen, eine Gefahr für das Leben katholischer Gemeinden darstellen kann, wird von Zulehner und der Mehrheit der befragten Pfarrer deutlicher erkannt als von der Kirchenspitze. Viele Kirchenmitglieder werden sich wünschen, dass die Vorschläge zum Gegensteuern im Buch auf fruchtbaren Boden fallen.
Buchtipp: Paul M. Zulehner: Wie geht’s, Herr Pfarrer? Styria Verlag, 176 Seiten, 19,95 Euro
Zuletzt geändert am 16.09.2010