8.4.2011 - Publik-Forum
Kirche geht auch anders / Das Signal von Poitiers
Von Hartmut Meesmann
Im Bistum Hildesheim sollen gewählte »Ortsbeiräte« ganz offiziell die Leitung von kleineren Gemeinden übernehmen. Am 27. März wurden in einem Gottesdienst 21 Frauen und Männer mit der Leitung dreier ehemals selbstständiger »Kirchorte« beauftragt. Damit wolle man das Profil der Kirche vor Ort schärfen, teilte das Bistum mit. Den Frauen und Männern wird auch die finanzielle Verantwortung übertragen. Das Projekt »delegierte Verantwortung in größeren Räumen« läuft zunächst bis zu den Neuwahlen im Jahr 2014. Wenn es sich bewährt, soll es auf das gesamte Bistum ausgedehnt werden.
Endlich! Seit Jahren fragt man sich verwundert, warum die katholische Kirche Deutschlands in all den heftigen Debatten über ihren zukünftigen Weg die vorwärtsweisenden Signale aus dem französischen Bistum Poitiers nicht beachtet. Jetzt aber geschieht dies – im Norden Deutschlands.
Im Bistum Poitiers gibt es innerhalb der Großpfarreien viele kleine Gemeinden ohne Hauptamtliche am Ort – wie in vielen Gegenden Deutschlands auch. Sie sind weitgehend auf sich selbst gestellt, trotz priesterlicher Gesamtleitung. Auch in Poitiers geht es – wie hierzulande – um die Frage, ob und wie die Kirche am Ort noch überleben kann – angesichts des Priestermangels und schwindender Mitgliederzahlen. Im Bistum Poitiers werden Laienteams ganz offiziell mit der Leitung der kleinen Gemeinden beauftragt, das heißt: Laien wird die Verantwortung für die Gestaltung des kirchlichen Lebens vor Ort anvertraut.
Jetzt haben sich die Verantwortlichen im Bistum Hildesheim von dem Modell Poitiers’ inspirieren lassen. Im Norden Deutschlands, vor allem auf dem Land, werden gewählte »Ortsbeiräte« mit der Leitung kleinerer Gemeinden beauftragt. Die Frauen und Männer sollen entscheiden, welche seelsorglich-pastoralen Projekte am Ort ihnen sinnvoll und machbar erscheinen, und sich dann um deren Umsetzung kümmern – hoffentlich im Sinne einer weltoffenen Kirche. Die Räte erhalten ein Budget, für das sie ebenfalls selbst verantwortlich sind. In den Bistümern Osnabrück und Hamburg gibt es ähnliche Pläne.
Christen werden wieder präsent Das ist ein Weg in die richtige Richtung. Denn man kann nicht in Sonntagsreden die große Bedeutung der Ehrenamtlichen für die Zukunft der Kirche betonen, wenn man ihnen nicht zugleich den Freiraum gibt, Verantwortung wirklich auch zu übernehmen. Wie viele gestandene Frauen und Männer, die in ihren beruflichen Arbeitsfeldern verantwortlich-leitend tätig sind und viel Erfahrung mitbringen, haben verärgert die Brocken hingeschmissen, weil sie nicht wirklich ernst genommen wurden. Wer Verantwortung für die Leitung der Christengemeinschaft vor Ort übernimmt, wird sich und muss sich intensiver mit seiner Aufgabe auseinandersetzen – und auch mit dem eigenen Glauben. Er oder sie muss ja begründen, was er/sie macht und warum er/sie es macht. So werden Christen sprachfähig. Auch das wird ja immer wieder – und zu Recht – eingefordert angesichts einer Gesellschaft, die sich ihrer christlichen Wurzeln immer weniger bewusst ist oder diese sogar ablehnt.
Allerdings muss man realistisch sehen: In vielen Gemeinden macht sich die mittlere Generation eher rar – oft aus nachvollziehbaren Gründen. Die 30- bis 55-Jährigen sind vielfach mit Beruf, Familie und Partnerschaft ausgelastet, mitunter auch mit dem finanziellen Überleben; da bleibt wenig Zeit, sich in der Kirche zu engagieren. Es bleiben die Jüngeren, die weniger werden, die Älteren, die mehr werden – und Mütter, die (noch) Zeit haben.
Gemeinsam neu lernen
Viele Menschen aber trauen sich nicht, Verantwortung zu übernehmen. Sie meinen, zu wenig vom Glauben zu wissen. Da rächt sich, dass die Menschen in der Vergangenheit zu wenig ermutigt wurden, sich mit ihrer Religiosität, mit ihren Erfahrungen, aber auch mit ihren kritischen Anfragen an den Glauben einzubringen. In Sachen Religion sind alle Fachleute, da geht es nicht allein und in erster Linie um Wissen. Die Kirchen müssten viel mehr Orte des offenen Austauschs sein, wo es nicht um richtig oder falsch gehen darf, sondern um das gemeinsame Suchen und Ringen – und Antwortgeben.
Die katholische Kirche ist auf dem Weg von der Priester- zur Laienkirche, von der Hauptamtlichen- zur Ehrenamtskirche – mehr getrieben, denn freiwillig. Anders aber hat sie keine tragfähige Zukunft. So ist dem Pastoraltheologen Richard Hartmann zuzustimmen, wenn er sagt: Der Priestermangel könne auch ein »neues, von freiwillig engagierten Christen inspiriertes, selbst ermächtigtes Aufblühen« ermöglichen. Man muss nur den Mut zur Selbstermächtigung aufbringen.
Zuletzt geändert am 07.04.2011