10.4.2011 - Kipa
Die unerhörte Prophetie
Zürich, 10.4.11 (Kipa) Propheten hört man nicht gern. Das gilt auch von der prophetischen Botschaft der tschechoslowakischen Untergrundkirche. Der kürzlich verliehene Herbert-Haag-Preis für Freiheit in der Kirche hat auf diese aufmerksam gemacht. Und das den Preis begleitende Buch zeigt: die Botschaft dieser Kirche ist aktueller denn je.
"Die verratene Prophetie" heisst der Titel des Buches, das die tschechoslowakische Untergrundkirche dokumentiert, die sich unter der kommunistischen Herrschaft gebildet hatte und von 1964 bis zur Wende 1989 im Geheimen wirkte. Ein Titel, der auf das Schicksal aller Prophetie hinweist, unerhört in einem doppelten Sinn zu sein: ihre Botschaft wird als unbequem, unangebracht, skandalös empfunden und darum wird sie auch nicht angehört, geschweige denn befolgt.
Prophetisch wirkte diese Kirche in der Zeit kommunistischer Bedrängnis; verraten wurde sie vom Vatikan. Denn der Vatikan hatte sich mit den kommunistischen Machthabern arrangiert, hielt es mit den "offiziellen" Priestern, die sich dem Regime gebeugt hatten. Da war nach der Wende das Auftauchen der kompromisslosen, mutigen Priester und Bischöfe aus dem Untergrund höchst unbequem.
Kreativ im Untergrund
Das von Erwin Koller, Hans Küng und Peter Krizan herausgegebene Buch hält in Texten von zwanzig Autorinnen und Autoren fest, wie es zur Bildung dieser Untergrundkirche kam, wie sie ihre Gemeinschaft lebte und welche Enttäuschung das Verhalten des Vatikans für sie bedeutete.
Das Buch vereinigt Aufsätze von tschechischen, slowakischen, deutschen, österreichischen und schweizerischen Autoren, ergänzt so die Innensicht mit der Wahrnehmung von aussen, vereinigt erzählende Passagen mit reflexiven Texten. Damit entsteht das Bild einer nicht nur facettenreichen, sondern auch höchst kreativen Kirche. Im Untergrund wurde ein Modell kirchlichen Lebens entwickelt, wie es aktueller nicht sein könnte.
Modell für heute
Modellhaft sind vor allem das Kirchenbild, die Offenheit, der Lokalbezug sowie die Weihe von verheirateten Männern und von Frauen.
Das Kirchenbild dieser Untergrundgemeinde basiert auf dem "Communio"-Gedanken, wie ihn auch das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) entwickelt hat. Die Kirche gründet demnach nicht auf dem hierarchischen Gefälle, sondern auf der Gemeinschaft, zu der der Priester mit dem Amt und die Laien mit ihren Charismen geschwisterlich beitragen.
Vorbildlich auch, als zweites Merkmal, dass die vom Kommunismus bedrängten Christen sich geistig nicht abkapselten, sondern ganz bewusst die Entwicklungen in Wissenschaft, Gesellschaft und Kultur verfolgten und studieren. Nur so, sagte ihr Bischof Felix Maria Davidek, kann die Kirche bestehen: wenn sie den Diskurs mit der Welt führt.
Das dritte prophetische Merkmal ist der Lokalbezug. Die Untergrundkirche wusste, dass sie jene Lösungen suchen muss, die ihr am konkreten Ort ein Überleben sichern. Sie konnte nicht auf das allgemeine Regelwerk der Kirche abstellen, sondern wusste, dass eine Ortskirche ihren eigenen Weg suchen muss. Dazu hatte Papst Pius XII. die Kirchen unter kommunistischer Herrschaft auch ausdrücklich ermächtigt.
Zu diesen konkreten Erfordernissen der tschechoslowakischen Ortskirche gehörte, als viertes prophetisches Moment, auch der Entscheid, verheiratete Männer zu Priestern und Frauen zu Priesterinnen zu weihen.
Geschichts- und Lehrbuch
Dies alles wird im Buch nicht in trockenen Abhandlungen erläutert, sondern in konkreten Bildern vorgestellt. So berichtet eine Frau, wie sie als Mädchen entdeckt hatte, dass ihr Vater Priester der Untergrundkirche ist; ein verheirateter Priester erzählt von seinen persönlichen Erfahrungen; ein weiterer Priester erläutert, warum er sich nach der Wende dem Vatikan unterzogen hat und sich nochmals weihen liess.
Hinzu kommen theologische Vertiefungen zum Leitungsdienst (Hans Küng), zur Frauenordination (Hermann Häring), zum Kirchenbild (Walter Kirchschläger).
Besonders ergreifend das Interview mit Ludmila Javorova, die 1970 zur Priesterin geweiht wurde und als Generalvikarin in der Untergrunddiözese wirkte. In ihren Antworten scheint die tiefe Spiritualität auf, die diese Frau zum Priestertum geführt hat und die überlegene Art, wie sie auf das Berufsverbot des Vatikans reagiert hat: durch einen so souverän wirkenden Gehorsam, wie er die kirchliche Obrigkeit nur beschämen kann.
Ruf nach Rehabilitation
Das Buch "Die verratene Prophetie" ist ein Buch zur Kirchengeschichte, zur Ekklesiologie und zur praktischen Theologie. Vor allem ist es auch ein Weckruf, fast im Sinne des berühmten "j’accuse!" von Emil Zola.
Professor Hans Jorissen, einer der "Entdecker" der verborgenen Kirche, schliesst seinen Aufsatz mit der dezidierten Forderung nach einer Rehabilitation: "Die Kirche unserer Zeit hat (wenn auch nur mühsam) gelernt, Schuld einzugestehen und um Entschuldigung zu bitten. Es darf ihn nicht auf Dauer der Makel anhaften, sie habe ihre treuesten Zeugen verraten. Darum ist die Rehabilitation Felix Maria Davideks, ihres mutigen Bischofs in einer Zeit härtester Verfolgung, sowie seiner ganzen Gemeinschaft eine Forderung der Gerechtigkeit. Sie darf nicht Jahrhunderte auf sich warten lassen."
Hinweis: Erwin Koller, Hans Küng, Peter Krizan (Hrsg.): Die verratene Prophetie. Die tschechoslowakische Untergrundkirche zwischen Vatikan und Kommunismus. Edition Exodus, Luzern.
(kipa/J.O./job)
http://www.kipa-apic.ch/index.php?&pw=&na=0,0,0,0,d&ki=218902
Zuletzt geändert am 11.04.2011