3.11.2011 - Der Pilger
„Die Kirche ist vielen Menschen fremd geworden“
Eine pastorale Nähe, eine Liturgie des Lebens und eine Beteiligung der Laien auf Augenhöhe mit dem Klerus sind nach Ansicht von Friedhelm Hengsbach entscheidend für eine Erneuerung der katholischen Kirche. Statt Großpfarreien favorisiert Hengsbach überschaubare „Pastorale Räume“ nach dem Modell des Bistums Poitiers in Frankreich, wo Laien kleine Gemeinden leiten.
Auf Einladung der Katholischen Erwachsenenbildung der Diözese Speyer gab der Jesuit, einer der bekanntesten Sozialethiker Deutschlands, im Pfarrsaal der Pfarrei St. Martin in Kaiserslautern Anstöße zu einer Kirchenreform. Grundlage dazu war sein neu erschienenes Buch „Gottes Volk im Exil“. Zwischen großer Zustimmung und der Meinung, er habe mit seinen Ausführungen die „Kirche genüsslich platt gemacht“, bewegte sich die Diskussion, zu der der 74-jährige emeritierte Professor für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften eingangs reichlich Zündstoff lieferte.
Die katholische Kirche sei vielen Menschen fremd geworden, sagte Hengsbach. Neben über 180000 Kirchenaustritten in 2010, die unter anderem auf die sexuellen Missbrauchsskandale von Priestern und auf die Vertuschung der Vorfälle durch Kirchenobere zurückzuführen seien, hätten sich viele Menschen von der Kirche innerlich distanziert.
Als brillanter Rhetoriker fiel es dem Jesuiten nicht schwer, Finger in die offenen Wunden der katholischen Kirche zu legen. Amtsträger gäben keine Antworten mehr auf die Fragen der Menschen, der Umbau von Gemeinden zu Megapfarreien, eine erstarrte Männerkirche, die Verweigerung des Priesteramts für Frauen und zu wenig kirchliche Innovationen entfremdeten immer mehr Christen von ihrer Kirche.
„Wo bleibt die Botschaft Jesu? Sie taucht in der Kirche nicht auf.“ Bezugspunkt des Glaubens sei das Reich Gottes, die Praxis im Alltag. Dort geschehe die erste Liturgie. Weder habe Jesu den Zölibat für Priester eingeführt, noch Frauen vom Priesteramt ausgeschlossen. Kirche bestehe aus Fleisch und Blut. Dazu gehöre auch die Sexualität, betonte Hengsbach.
An der Pastoralreform monierte der im Heinrich Pesch Haus in Ludwigshafen lebende Jesuit, die Reform der Gemeindestrukturen folge reinen Marktparadigmen: „Im Schlepptau von Unternehmensberatungen werden Kosten gesenkt, Personal eingespart.“ Es sei kein Konzept vorhanden, außer dass der Priester im Mittelpunkt stehe, kritisierte Hengsbach den Umbau der Pfarreien.
Als 84-jähriger Professor verändere man nicht mehr die Welt, sagte er mit Blick auf Papst Benedikt VI. „Veränderungen kommen von unten!“ Leider blieben alle Fragen zu Veränderungen in der Kirche in den Schubladen der Bischöfe liegen. „Ein Dialog findet nicht statt. Bei Vollversammlungen herrscht Kaffeehausstimmung.“
Nach Auffassung von Friedhelm Hengsbach sind Veränderungen nur denkbar, wenn die Hierarchie des Kirchensystems aufgebrochen wird. Die Bischöfe seien nicht solidarisch mit ihrer Herde. „Sie sind solidarisch mit dem Papst“, konstatierte er. Ziviler Ungehorsam sei dann angebracht, wenn Bischöfe sich weigerten, die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen. Hengsbach: „Nicht warten, was von oben zugestanden wird. Tun, was man für richtig hält. Dazu braucht es Menschen mit Zivilcourage, die öffentlich protestieren.“ (jsw)
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Zuletzt geändert am 06.11.2011