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Veröffentlicht am 08­.05.2012

8.5.2012 - Kipa

Der Soziologe Franz-Xaver Kaufmann zur Zukunft der katholischen Kirche: "Das Wachsen einer neuen `Haut` braucht Generationen"

Von Josef Bossart / Kipa

Zürich, 8.5.12 (Kipa) Die "Haut" eines alle Lebensbereiche umfassenden Katholizismus, wie sie im 19. Jahrhundert entstanden ist, sei mittlerweile "alt und brüchig", stellt der Schweizer Soziologe Franz-Xaver Kaufmann (79) im Interview mit der Presseagentur Kipa fest. Das Wachsen einer neuen "Haut", wie sie das Konzil vorgedacht habe, brauche jedoch Generationen. Der seit 1963 in Deutschland lebende Wissenschaftler hat zahlreiche Beiträge zur Soziologie des Katholizismus verfasst. - Am Samstag, 12. Mai, spricht Kaufmann in Zürich an einer Veranstaltung der Reformbewegung Tagsatzung.ch zum Thema "Wohin führt der Weg der Kirche?"

Frage: Was wäre, wenn die römisch-katholische Kirche ein bisschen oder sehr viel weniger… römisch würde?

Franz-Xaver Kaufmann: Der Grundsatz müsste das von der katholischen Kirche selbst für die weltlichen Belange vertretene Subsidiaritätsprinzip sein: Alles, was in den menschennächsten Bereichen entschieden werden kann, soll auch dort entschieden werden. Die jeweils umfassenderen Ebenen - hier: Diözesen, nationale Bischofskonferenzen, schliesslich der Vatikan - sollen nur insoweit eingreifen, als die Probleme auf den "unteren" Ebenen nicht oder in offenkundiger Weise glaubens- oder kirchenwidrig entschieden werden.

Die Folge wäre eine grössere Vielfalt der Problemlösungen innerhalb der Kirche: Grössere Nähe zu den jeweiligen kulturellen Überzeugungen, grössere Chancen zum Lernen, aber auch ein grösseres Mass an Auseinandersetzungen, für die geeignete Organe geschaffen werden müssten - zum Beispiel synodale und eventuell gerichtliche Organe.

Frage: In Ihrem demnächst erscheinenden neuen Buch "Kirche in der ambivalenten Moderne" beleuchten Sie auch die Rolle der päpstlichen Kurie. Sie kommen dabei zum überraschenden Schluss, dass deren Macht durch die Umsetzung des Konzils nicht reduziert, sondern im Gegenteil zementiert worden ist. Woran lässt sich das konkret feststellen?

Kaufmann: Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) vollzog sich in der Tat als Aufstand vor allem der mitteleuropäischen Bischöfe gegen die Gängelung durch die Kurie, und ein Grossteil des Weltepiskopats ist ihnen gefolgt. Aber die auf das Konzil folgende Revision des Kirchlichen Gesetzbuches ("Codex Iuris Canonici" - CIC) von 1983 hat die zentralen Kompetenzen in noch weitergehender Weise festgeschrieben als der alte CIC von 1917.

Ferner betonen die letzten Päpste, dass die Theologen nicht nur die Dogmen, sondern auch die Lehren des sogenannten ordentlichen Lehramtes ohne Widerspruch zu übernehmen haben.

Hinzu kommen die Beschleunigung der Kommunikation und die handlichere Informationsspeicherung durch neue Medien, wodurch die zentralen Kontrollkapazitäten gewachsen sind. Die residierenden Bischöfe, die theologisch als Nachfolger der Apostel verstanden werden, erfahren sich als Bittsteller gegenüber einer schlecht koordinierten und intransparenten päpstlichen Kurie, deren Mitglieder nicht selten informellen Anzeigen und Verdächtigungen zugänglich sind.

Frage: Wenn Sie die (katholische) Kirche mit dem nüchternen Blick des Soziologen betrachten: Wie zukunftsfähig ist sie heute?

Kaufmann: Die katholische Kirche ist die weltweit grösste und trotz allem immer noch bestorganisierte Religionsgemeinschaft der Welt. Auch wenn vor allem die verbreiteten Missbrauchsskandale und die Aufdeckung ihrer langjährigen Vertuschung die moralische Autorität der Kirche beeinträchtigt haben, so sind derartige Skandale in der Kirchengeschichte – und nicht zuletzt derjenigen der römischen Kurie – nichts Neues.

Das Erstaunliche ist, dass stets neue Reformbewegungen entstanden sind, die teils der Kirche inkorporiert, teils von ihr ausgeschlossen wurden und gelegentlich, wie die reformatorischen Kirchen zeigen, auch eigenständig als neue Sozialformen des Christentums überlebt haben.

Diese Spannungen entsprechen in etwa denjenigen, die uns aus dem Alten Testament zwischen Propheten und dem etablierten Priestertum berichtet werden. Das gibt es in keiner anderen Religion und hält das Christentum auch in der Geschichte anpassungsfähig. Die Ökumene ist die grösste Herausforderung und wahrscheinlich das wirksamste Heilmittel gegen die fortdauernde Herrschaft der römischen Mandarine.

Frage: Im Zug der neuzeitlichen Säkularisierung und dem Aufbrechen der katholischen Milieus sei uns nicht das Lebendige des christlichen Glaubens, sondern eine bestimmte "historische Haut des Christentums" abhanden gekommen, schreiben Sie. Welche "historische Haut" war denn das?

Kaufmann: Es ist schon sehr beachtlich, wie sich die christliche Botschaft durch 2.000 Jahre unter den verschiedensten geschichtlichen Umständen lebendig gehalten hat, auch wenn es ihr nicht gelungen ist, auf Dauer im Bereich anderer Hochreligionen wirklich Fuss zu fassen. Christliche Kirchen sind nur dort untergegangen, wo sie gewaltsam über lange Zeit unterdrückt worden sind. Auch heute ist das Christentum die am stärksten verfolgte Religion weltweit.

Aber das Christentum hat sich nicht wegen seiner Unwandelbarkeit, sondern wegen seiner Anpassungsfähigkeit erhalten. Die Anpassung der römisch-katholischen Kirche an die Herausforderungen der Aufklärung, die politische Entmachtung und die Enteignung ihrer immensen Güter im Rahmen der europäischen Politik von Napoleon I. bestand in einer Modernisierung der Organisation, der Professionalisierung der Priesterausbildung, der Förderung neuer Frömmigkeitsformen und der Entstehung religiös-sozialer Bewegungen und mancherorts auch politischer Parteien der Katholiken.

Erst im 19. Jahrhundert entstand der "Katholizismus" als eine gesellschaftsweite Lebensform der Katholiken, welche durch ihr enges Zusammenrücken, ihre Distanzierung von der protestantischen oder säkularen Umwelt und eine transnationale, romzentrierte Papstfrömmigkeit stabilisiert wurde. Diese "Haut" des alle Lebensbereiche umfassenden Katholizismus ist mittlerweile alt und brüchig geworden.

Frage: Die kirchlichen Protestbewegungen sind in die Jahre gekommen. Ihre Erfolgsbilanz ist eher bescheiden, weil sie gegen die immer gleichen kirchlichen Mauern mit den immer gleichen Reformpostulaten mit kaum messbarer Wirkung anrennen. Was wünschen Sie dem Verein Tagsatzung.ch vor diesem Hintergrund?

Kaufmann: Protest ist zu wenig, es geht um Kirchenreform. Und da heisst es, dicke Bretter zu bohren. Vor allem scheint mir wichtig, dass es dem Verein Tagsatzung.ch gelingt, eine Vereinigung von Laien und Klerikern zu werden, dass also die von Rom immer wieder betonte Grenze zwischen Klerikern (die allein irgendwelche Befugnisse in der Kirche haben) und Laien (die sich um die Gesellschaft, aber nicht um die Kirche kümmern sollen) unterlaufen wird.

Mit dem zunehmenden Priestermangel schlägt in der Kirche die "Stunde der Laien", aber nicht, wie Papst Benedikt XVI. abwertend sagt, des "Laienkatholizismus". Im Übrigen wünsche ich dem Verein Tagsatzung.ch einen langen Atem – das Wachsen einer neuen "Haut", wie sie ja vom Zweiten Vatikanischen Konzil vorgedacht wurde, braucht Generationen.

Wichtig erscheint mir ferner, dass sich die Vereinigung nicht nur kirchenpolitisch, sondern auch in Gebet und Gottesdienst der Botschaft Jesu Christi verpflichtet erfährt. Und nicht zuletzt wünsche ich dem Verein Tagsatzung.ch verständnisvolle, gesprächsfähige und auch gegenüber Rom mutige Bischöfe.

Hinweis: Dieses Interview wurde schriftlich geführt.

Franz-Xaver Kaufmann

Franz-Xaver Kaufmann, geboren am 22. August 1932 in Zürich, studierte Jura, Wirtschaftswissenschaften und Soziologie. Er gehört zu den Mitgründern der Fakultät für Soziologie an der Universität Bielefeld (Deutschland) und wirkte dort ab 1969 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1997 als Professor für Sozialpolitik und Soziologie. Zu seinen Hauptarbeitsgebieten gehört auch die Religionssoziologie. - Beim Herder-Verlag erscheint demnächst das Buch "Kirche in der ambivalenten Moderne". Von ihm ist zuletzt erschienen: "Kirchenkrise. Wie überlebt das Christentum?" (Herder-Verlag,2011).

Tagsatzung.ch
Der Verein "Tagsatzung im Bistum Basel" weitet seine Aktivitäten auf die ganze Schweiz aus und wird zum Verein "Tagsatzung.ch". Am 12. Mai wird diese Öffnung offiziell gefeiert. Auf dem Programm steht unter anderem der Vortrag von Franz-Xaver Kaufmann zum Thema "Wohin führt der Weg der Kirche?"

(kipa/job)

http://www.kipa-apic.ch/index.php?&pw=&na=3,1,0,0,d&ki=231469

Zuletzt geändert am 24­.05.2012