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Veröffentlicht am 20­.06.2012

20.6.2012 - Die Welt

Die standhaften Priester von Freiburg - MIT LESERBRIEF DES NUNTIUS

200 Kleriker empören die Traditionalisten. Nun soll ein Gespräch Schlichtung bringen. Von Gernot Facius

Bis zum 12. Februar 2008 war Robert Zollitsch der weithin unbekannte Oberhirte eines eher unauffälligen Erzbistums im deutschen Südwesten. "Robert wer?" So fragten Journalisten, als der Freiburger Erzbischof Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz wurde. Zollitsch hoffte auf einen Nebeneffekt dieser Überraschungswahl: Er wünschte sich, dass Freiburg "ein bisschen aus dem Windschatten herauskommt".

Das ist geschehen. Zum ersten Mal in der Geschichte besuchte im September 2011 ein Papst die Universitätsstadt im Breisgau. Benedikt XVI. hielt in Freiburg seine viel beachtete "Entweltlichungs"-Rede. Aus der mit rund 2,1 Millionen Katholiken zweitgrößten der 27 deutschen Diözesen kamen immer wieder Impulse für eine lebensnahe Seelsorge. Allein Zollitschs Hinweis, der Zölibat sei "nicht theologisch notwendig", stieß bei einigen seiner Amtsbrüder auf Unverständnis. "Freiburg" wurde zum Synonym für einen "Aufbruch im Umbruch"; in Freiburg nahm der Dialogprozess, mit dem sich längst nicht alle Hierarchen angefreundet haben, seinen Ausgang. Auf Kritik antwortete der Erzbischof mit dem chinesischen Sprichwort: "Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern, die anderen Windmühlen."

Die Reformvorstöße aus Freiburg gipfelten jetzt in einem von rund 200 Priestern und Diakonen unterstützten Internet-Memorandum. Die Unterzeichner bekennen offen: "In unseren Gemeinden gehen wiederverheiratete Geschiedene mit unserem Einverständnis zur Kommunion. Sie sind tätig im Pfarrgemeinderat und in anderen Diensten." Die Kirchenleitung wird aufgefordert, Lösungen zu finden, die dem sakramentalen Verständnis des Christseins und der Sehnsucht der Betroffenen gerecht werden.

Die Memorandums-Kleriker geben zu, dass sie gegen geltende kirchenrechtliche Vorschriften verstoßen, sie ließen sich, betonen sie, von "Barmherzigkeit" leiten. Seit vielen Jahren ist Praxis, dass wiederverheiratete Geschiedene trotz des Verbots nach einem Gespräch mit ihrem Pfarrer die Kommunion empfangen können. Ein Spagat zwischen offizieller Lehre und pastoralem Handeln. Die aufmüpfigen Freiburger Priester und Diakone wollen ihn nicht länger mitmachen. Streng genommen ist das Papier ein öffentliches Bekenntnis zum Ungehorsam.

Das Stichwort "Barmherzigkeit" hatte Erzbischof Zollitsch just vor dem Papstbesuch geliefert. Prompt bekam er vom Apostolischen Nuntius in Berlin, Erzbischof Jean-Claude Perisset, zu hören: Die Lehre der Kirche in der Geschiedenen-Frage sei klar, Änderungen seien nicht zu erwarten. Papst Benedikt hat dies während des katholischen Weltfamilientreffens am 4. Juni in Mailand bestätigt. Verständlich, dass Zollitsch unter diesen Umständen den Memorandums-Appell mit Unbehagen registrierte. In seinem Namen bat Generealvikar Fridolin Keck die Geistlichen, den Text nicht zu unterschreiben oder die Unterschrift zurückzunehmen. Der Vorgang sei für den Dialogprozess nicht hilfreich, die Unterzeichner setzten sich undifferenziert über das Kirchenrecht hinweg. Zwei der Unterstützer folgten dem Wink, die anderen blieben standhaft.

Am Donnerstag sind sie zu einem Gespräch eingeladen, an dem auch Zollitsch teilnimmt. Der Fall ist exemplarisch für die Situation des deutschen Klerus. Viele der Unterzeichner sind bereits aus dem Dienst ausgeschieden. Es sind Geistliche der Generation Zweites Vatikanisches Konzil, die sich am vehementesten für Reformen einsetzen. Bei den Jüngeren ist eher eine traditionelle Haltung zu beobachten; das Konzil, vor 50 Jahren eröffnet, ist für sie weit weg.

Das traditionalistisch orientierte "Netzwerk katholischer Priester" tritt dann auch am heftigsten gegen die Freiburger Amtsbrüder auf. Deren Vorgehen verdunkele das Eintreten der Kirche für die unauflösliche Ehe, es trage Verwirrung und Spaltung in die Pfarreien und sei ein schwerwiegender Angriff gegen jene Ehegatten, die sich nach einer schmerzlichen Trennungserfahrung um ein Leben nach den Weisungen der Kirche bemühten, erklärte das Netzwerk in einem Aufruf an die Bischöfe, der der "Welt" vorliegt. Als "perfide" wird der Hinweis auf das Gebot der Barmherzigkeit bezeichnet.

Und dann nimmt die Priestergemeinschaft den Freiburger Erzbischof ins Visier. Es stelle sich die Frage, welche Rolle Zollitsch spiele. So habe doch einer der Memorandums-Initiatoren, Pfarrer Konrad Irslinger, gesagt: "Es ist uns allen bewusst, dass Zollitsch innerlich auf unserer Seite steht." Offen wird von dem Netzwerk die Glaubwürdigkeit des Erzbischofs angezweifelt. Er habe erst durch missverständliche Äußerungen dem "Vorpreschen" eines Teils seines Klerus Vorschub geleistet, nun zeige er sich empört, indem verlauten lasse, dass eine solche Positionierung "zum jetzigen Zeitpunkt kontraproduktiv" sei. "Was muss noch geschehen, damit man in Freiburg und anderswo erkennt, dass die Stunde eines Schismas geschlagen hat?"

Der in der Erzdiözese Freiburg lebende Theologieprofessor Norbert Scholl verteidigt die Initiatoren des Memorandums. "Aus ihnen spricht seelische Not. Das sind keine reformwütigen Eiferer. Ihr Aufbegehren ist ein Schrei nach Barmherzigkeit", sagte Scholl dieser Zeitung. Er erinnert daran, dass Papst Benedikt als Professor Joseph Ratzinger 1972 in einem Aufsatz die Frage nach der "Pflicht zur Barmherzigkeit" gestellt habe: "Wo eine erste Ehe seit Langem und in einer für beide Seiten irreparablen Weise zerbrochen ist; wo umgekehrt eine zweite Ehe sich über einen längeren Zeitraum hin als sittliche Realität bewährt hat ... da sollte auf einem außergerichtlichen Weg auf das Zeugnis des Pfarrers und von Gemeindemitgliedern hin die Zulassung der in einer solchen zweiten Ehe Lebenden zur Kommunion gewährt werden." Der Theologe Scholl zur "Welt": "Hat Benedikt vergessen, was Ratzinger vor 40 Jahren geschrieben hat? Leidet der Papst an Amnesie?"

http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article106634108/Die-standhaften-Priester-von-Freiburg.html


Leserbrief zu: "Die standhaften Priester von Freiburg" vom 20. Juni
"Leidet der Papst an Amnesie?", fragt sich Professor Norbert Scholl in dem Artikel von Gernot Facius in seiner dort zitierten Stellungnahme zu der Haltung einer Gruppe von Priestern im Hinblick auf die Frage der Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zur Eucharistie. Professor Scholl sollte die Instruktion "Donum veritatis" der Glaubenskongregation über die kirchliche Berufung des Theologen (14. Mai 1990) lesen, wo es in der Nr. 37 um den Unterschied zwischen der Funktion des Lehramtes der Kirche und der Lehre der Theologie geht. 1972 war Prof. Joseph Ratzinger Prof. für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Universität in Regensburg. Was der Professor als Forschungsthema über die Theologie der Ehe vorschlagen konnte, was sich aber mit dem Lehramt nicht vereinbaren lässt, ist heute im Lehramt des Papstes als "Integrität (des Lehramtes) und dadurch im Schutz des Glaubens des Volkes Gottes" (Donum veritatis) zu verstehen. Also keine Amnesie, sondern Treue zur Lehre Christi in der Kirche.

Jean-Claude Périsset, Apostolischer Nuntius, Berlin

Zuletzt geändert am 25­.06.2012