5.10.2012 - Süddeutsche Zeitung
Priester rufen Marx zu mehr Dialog auf
München – Erstmals haben sich Pfarrer im Erzbistum München und Freising zusammengetan, um Kritik an Kardinal Reinhard Marx und der Bistumsleitung zu üben. 24 Seelsorger schlossen sich dafür in einem „Münchner Kreis“ zusammen. „Wir machen uns Sorgen um die Situation in unserer Kirche, insbesondere auch in der Erzdiözese“, heißt es in einer Erklärung, die am Donnerstag veröffentlicht wurde. Darin fordern die Unterzeichner einen offeneren Dialog und die Weiterarbeit an Empfehlungen des Diözesanrats für eine zukunftsfähige Kirche.
Zu den Mitgliedern des „Münchner Kreises“ gehören mehrere Pfarrer im Ruhestand und Diakone, aber auch prominente Geistliche aus der ganzen Region. Unter anderem unterschrieben Rainer Schiessler, Pfarrer von St. Maximilian und Heilig Geist, und der Fürstenfeldbrucker Dekan Albert Bauernfeind. Als Kontaktmann fungiert Christoph Nobs, Leiter des Pfarrverbands „Vier Brunnen“ mit Sitz in Ottobrunn. Nach Informationen der SZ arbeiteten die Geistlichen bereits seit mehreren Wochen an der Erklärung, die jetzt bewusst eine Woche vor dem 50. Jahrestag der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils veröffentlicht wurde. „Angesichts eines nicht zu übersehenden wachsenden Klerikalismus“ sei es notwendig, dass die Gläubigen als „Volk Gottes weiterhin in die Überlegungen um eine menschennahe seelsorgerliche Praxis einbezogen“ werden, heißt es in der Erklärung. Konkret fordern sie, dass die Bistumsleitung die 61 Empfehlungen weiter verfolge, die ein Zukunftsforum des Diözesanrats erarbeitet hat. Darunter waren auch Forderungen nach einer stärkeren Rolle von Frauen in der Kirche und mehr Rechte für Laien. Kardinal Marx und seine Bischöfe hatten im vergangenen Jahr angekündigt, dass zunächst nur drei Themen aufgegriffen werden sollten, darunter der Umgang mit Wiederverheirateten und Geschiedenen. „Wir sind der Meinung, dass viele dieser Empfehlungen nicht nur durch die Antwort des Herrn Kardinal Bedeutung bekommen sollen“, schreiben die 24 Geistlichen.
Christoph Nobs sieht den „Münchner Kreis“ auch als Reaktion auf die Reforminitiativen von Geistlichen in ganz Deutschland und Österreich. „Uns stellte sich die Frage, ob München-Freising da einfach schweigen kann“, sagte er der SZ. Hauptanliegen sei, „dass die Ergebnisse des Dialogprozesses nicht einfach in der Schublade verschwinden“, sagt Dekan Albert Bauernfeind. Aus den Ergebnissen seien viel zu wenig Konsequenzen gezogen worden. Zudem treibe den „Münchner Kreis“ die Situation der Priester um. „Viele sind angeschlagen, frustriert und haben resigniert, weil das nicht mehr die Kirche des Konzils ist“, so Christoph Nobs. Der Verweis auf das Kirchenrecht ersetze oft den echten Dialog. Dekan Bauernfeind betont, dass die Erklärung „kein Aufruf zum Ungehorsam“ sei: „Wir wollen den Diözesanrat und andere Gruppen dazu aufrufen, den beschrittenen Weg mutig fortzusetzen.“
Das Erzbischöfliche Ordinariat reagierte zurückhaltend auf die Erklärung. Pressesprecher Bernhard Kellner verwies darauf, dass der Kardinal drei Themen des Zukunftsforums aufgegriffen habe, die nun in Arbeitskreisen weiterentwickelt würden. Außerdem gebe es zahlreiche Gesprächsangebote bei Priestertagen und Dekankonferenzen. „Die Türen sind weit offen, wir sind bereit zu jedem Gespräch“, sagte Kellner der SZ. Disziplinarische Konsequenzen für die Unterzeichner der Erklärung erwartet er nicht: „Ich wüsste nicht, was man ihnen zur Last legen sollte.“ Dekan Bauernfeind warnt vor Sanktionen: „Dann wäre der Dialog in der Diözese tot.“
CHRISTIAN KRÜGEL
„Viele Seelsorger haben resigniert, weil das nicht mehr die Kirche des Konzils ist“
Kommentar: PROTEST DER PFARRER
Kardinal Reinhard Marx liebt den großen Auftritt, bei dem er – wie am Einheitstag in Sankt Michael – den Spitzenpolitikern die Leviten lesen kann. Das Kleinklein der pastoralen Niederungen ist nicht unbedingt seine Sache, und so kann es gut sein, dass er die Erklärung der 24 Geistlichen als unqualifiziertes Genörgel abtut. Doch die Unzufriedenheit vieler Münchner Katholiken ist groß, aus dem leisen Gegrummel über Marxsche Management-Methoden wird eine anschwellende Kritik über die Führung des Erzbistums.
Den Katholiken wurde ja auch einiges zugemutet: eine Seelsorgereform etwa, die alte Pfarreien zerschlägt und neue Pfarrverbände schafft. Oder eine Restrukturierung des Ordinariats, bei der Empfehlungen von Unternehmensberatern mindestens so wichtig sind wie das Evangelium. Beides mussten Marx und sein Generalvikar Peter Beer anpacken, um dem Priestermangel und dem Missmanagement früherer Jahre Herr zu werden. In ihrem Umbaueifer haben sie aber offenbar vergessen, mit den Betroffenen intensiv darüber zu reden. Viele Pfarrer fühlen sich allein gelassen und gegängelt, aber nicht mitgenommen in diesem Prozess.
Und Marx hat Erwartungen enttäuscht, die er selbst geweckt hatte. Im Zukunftsforum des Diözesanrats sahen viele den überfälligen Anfang eines konstruktiven Dialogs des Klerus mit den Gläubigen. Viele Pfarrgemeinde- und Diözesanräte steckten ihr Herzblut in die Arbeit für 61 Empfehlungen, wie die katholische Kirche zukunftsfähiger werden könnte. Marx sagte dazu lange nichts, gerade mal drei Themen sollen jetzt weiterentwickelt werden. So frustriert man engagierte Gläubige.
Die Erklärung der Priester ist keine Revolution, aber sie ist das bisher deutlichste Signal der Münchner Katholiken an ihren Kardinal: „Höre uns zu!“
Zuletzt geändert am 05.10.2012