10.10.2012 - Frankfurter Rundschau
Die Kirche ist kein Hort der Demokratie
Herr Bischof, was bedeutete das Konzil Anfang der 60er Jahre für die Kirche damals?
Zwei Jahrzehnte nach dem Krieg war zwar der Wiederaufbau abgeschlossen. Umso lebendiger aber war das Bedürfnis nach etwas Neuem. Auch die Katholiken hatten nach dem langen Pontifikat Pius XII. das Gefühl, in ihrer Kirche müsse sich etwas ändern. Und Papst Johannes XXIII. wollte die Sprachlosigkeit der Kirche gegenüber der modernen Welt überwinden. Ein Konzil schien ihm dafür die beste Möglichkeit zu sein.
Die Ankündigung des Konzils kam trotzdem überraschend?
Ja, zumal Johannes XXIII. ausdrücklich ein „pastorales Konzil“ wollte. Nach dem Ersten Vatikanischen Konzil mit seiner Lehre von der Unfehlbarkeit hatte man gedacht, es sei Sache des Papstes, Wahrheiten zu verkünden. Und jetzt kam der Papst mit der Idee eines Konzils als eine Art Kirchenparlament. Das gefiel dem römischen Regierungsapparat, der Kurie, nicht so besonders.
Gilt Willy Brandts Motto „Demokratie wagen!“ auch für die Kirche?
Die Kirche ist keine Demokratie, sondern Gemeinschaft. Ich pflege zu sagen, in dieser „Communio“ gebührt der Hierarchie das letzte Wort. Aber vor dem letzten gibt es eben die vielen vorletzten Worte. Da hat die Hierarchie nicht als einzige etwas zu sagen. Das Besondere des Konzils bestand ja darin, dass die vielen Stimmen, die intensiven Diskussionen am Ende zu Ergebnissen führten, an die am Anfang kaum einer gedacht hätte. Miteinander zu kommunizieren, bedeutet, gemeinsam zu reifen. Das ist auch eine Erfahrung des Konzils.
Wie war die Atmosphäre in Rom zur Zeit des Konzils?
Zum ersten Mal waren wirklich Bischöfe aus allen Kontinenten versammelt. Zuvor hatte der Episkopat in Afrika, Lateinamerika und Asien vor allem aus europäischen Missionsbischöfen bestanden. Jetzt aber konnte man in der Konzilsaula wirklich erfahren, was Weltkirche bedeutet. Außerhalb der Aula – in der Stadt Rom, ja eigentlich in der ganzen katholischen Welt und sogar darüber hinaus – waren die Spannung, die Erwartungen, die Begeisterung ungeheuer groß: Was mag da aus Rom wohl Neues kommen? Man dachte: Wenn sich die Kirche ändert, dann kann sich alles ändern.
Bis heute ist viel vom „Geist des Konzils“ die Rede. Was haben Sie davon gespürt?
Plötzlich wurden Dinge wichtig, von denen in der Kirche zuvor kaum einer gesprochen hatte: Die Bibel zum Beispiel, über deren Lektüre es offiziell immer geheißen hatte, das sei bloß was für die Protestanten. Oder die Liturgie, mit der sich bis dahin allenfalls ein paar Benediktiner-Mönche beschäftigt hatten. Oder man sprach über die Ökumene, was bislang verboten gewesen war. Also, es gab ganz neue Themen, über die in aller Offenheit diskutiert und gerungen wurde. Und der Papst erlaubte das alles und hörte aufmerksam zu.
Haben Sie auch selbst mal in der Aula gesprochen?
Einmal durfte ich eine wichtige Intervention anstelle von Kardinal Giacomo Lercaro halten, dem Erzbischof von Bologna. Er war einer der wichtigsten Gestalten des Konzils. Weil er auch Moderator der Plenarsitzungen war, konnte er nicht immer selbst in die Debatten eingreifen. Also übergab mir Lercaro sein Material. Es ging um den zentralen Begriff der bischöflichen „Kollegialität“. Die Konzilsminderheit befürchtete, mit der Betonung der „Kollegialität“ solle der Primat des Papstes außer Kraft gesetzt werden, weil „collegium“ im Alten Rom eine Versammlung von Gleichen bedeutete. Dagegen habe dann darauf hingewiesen, dass schon in uralten Gebeten der Kirche vom „Kollegium der Apostel“ die Rede ist. So falsch konnte dieser Begriff also nicht sein. Dafür gab es Applaus in der Aula.
Was hat Sie als Konzilsteilnehmer am meisten beeindruckt?
Die Ernsthaftigkeit, der Freimut der Debatten, das aufrichtige Bemühen, aus dem Gesamt der kirchlichen Tradition heraus neue Antworten für die Herausforderungen der Gegenwart zu finden. Und das Vertrauen in die Kraft des Heiligen Geistes. Selbst Kardinal Alfredo Ottaviani - Präfekt der Glaubenskongregation, gefürchteter „Gendarm der Kirche“ und wortgewaltiger Anführer der Konzilsminderheit – bekräftigte, er wolle dem Wirken des Geistes nicht im Weg stehen. Was verlangt Gottes Geist von uns? Diese gemeinsame Frage ließ – trotz aller Differenzen auf der Suche nach adäquaten Antworten - einen Geist der Brüderlichkeit und des Vertrauens wachsen.
Interview: Joachim Frank
Luigi Bettazzi, geb. 1923, nahm als einer der jüngsten Bischöfe am Zweiten Vatikanischen Konzil teil und ist einer der letzten noch lebenden Konzilsväter. Sein Buch „Das zweite Vatikanum“ ist im Echter-Verlag Würzburg erschienen (12,80 Euro).
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Zuletzt geändert am 12.10.2012