9.11.2013 - Süddeutsche Zeitung (Seite 2)
Radikale Schritte sind nötig
Die Ereignisse rund um das Bistum Limburg und den dortigen Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst werden langfristig die katholische Kirche stärker verändern als das Bekanntwerden des Missbrauchsskandals 2010. Nicht nur die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche liegt am Boden, auch ihr finanzielles Fundament und ihre Finanzierung stehen auf dem öffentlichen Prüfstand. Das Grundvertrauen in die Institution Kirche ist in ein Grundmisstrauen umgeschlagen.
Wie reich ist die katholische Kirche in Deutschland? Die Diskussion wird sehr heftig und nicht immer sachlich geführt. Die Kirche erscheint dabei als Getriebene. Nur zögerlich veröffentlichen die Bistümer Zahlen, zum Beispiel zum Vermögen des Bischöflichen Stuhls; einige verweigern sich mit dem fast zynischen Argument, dass auch ein Unternehmer nicht sein Privatvermögen veröffentliche. Wenn aber die Kirche zu Recht betont, sie sei anders als ein Unternehmer, darf sie dieses Argument nicht für sich in Anspruch nehmen.
Zunehmend scheint es auch mit der innerkirchlichen Geheimnistuerei vorbei zu sein. Unter dem Eindruck der Debatte sprach sich jüngst eine Konferenz der Finanzdirektoren und Generalvikare mehrheitlich für eine zügige Offenlegung aus. Eine Kommission soll Vorschläge für das Vorgehen und für einheitliche Standards erarbeiten. Aber warum braucht es dazu erst den Skandal und den öffentlichen Druck? Es sollte gerade die katholische Kirche ihre Werte von sich aus glaubhaft vorleben.
Immerhin: Das kirchliche Finanzmanagement ist professioneller geworden. Die Bistumshaushalte werden von Fachleuten sorgfältig und eher konservativ erstellt, durch einen gewählten Kirchensteuerrat kontrolliert und veröffentlicht. In der Summe aller deutschen Diözesen addieren sie sich zu sechs bis sieben Milliarden Euro Gesamtvolumen. Was die Kirchen mit dem Geld tun ist redlich, gesellschaftlich notwendig und kann sich sehen lassen. Das Gesamtvolumen der Haushalte der 27 (Erz-) Bistümer in Deutschland ist etwas höher als der Haushalt des Bundeslandes Bremen – nur dass diese Haushalte grundsolide finanziert sind. Weitgehend im Dunkeln jedoch liegen die sonstigen Haushalte und Vermögenswerte des Bistums und der ungefähr 37 000 nachgelagerten Körperschaften und Pfarreien. Man müsste, um Licht in dieses Dunkel zu bringen, wie bei einem Konzern nicht nur die Hauptaktivitäten erfassen, sondern alle, auch wenn dies nur schrittweise zu erreichen ist. Doch um Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, braucht es lückenlose Transparenz bei den Finanzen. Gerade als wertebasierte Institution hat die katholische Kirche nichts zu verbergen. Sie sollte die Diskussion offensiv führen. Sie hat starke Argumente für das, was sie mit den Mitteln macht.
Natürlich ist es schwierig, alle Vermögenswerte und Verbindlichkeiten zu erfassen. Dies darf aber keine Ausrede dafür sein, es nicht zügig voranzutreiben. Es geht auch nicht darum, Kirchen, Pfarrzentren und Kunstschätze zu bewerten. Es geht um Kapitalanlagen, Immobilien, Grundbesitz, Beteiligungen an Wohnungsbaugesellschaften, Unternehmen, Banken und sonstige wirtschaftliche Aktivitäten; auch um Verbindlichkeiten wie zum Beispiel Pensionsverpflichtungen. Wenn man selber keine Fakten auf den Tisch legt, überlässt man die Diskussion und die Spekulationen den anderen. Das ist ärgerlich und unklug. Die Bistümer Essen und Hildesheim veröffentlichen mittlerweile aussagekräftige Bilanzen und zeigen, dass es auch anders geht – ebenso inzwischen eine Reihe evangelischer Landeskirchen.
Neben der schonungslosen Transparenz geht es auch um die Kontrolle, was gerade der Fall Limburg gezeigt hat. Es gibt in den Bistümern Kontrollgremien, doch sie sind nicht immer mit Leuten besetzt, die sich trauen, einem Bischof auch mal zu widersprechen. Da gibt es viel falsche Ehrfurcht und falsch verstandenen Gehorsam. Mancher fühlt sich geschmeichelt, zum Beraterstab des Bischofs zu gehören, und nickt ab, was er da vorgesetzt bekommt. Wir Katholiken müssen den aufrechten Gang lernen. Und auch mit einem Kardinal auf Augenhöhe diskutieren.
Die katholische Kirche muss also radikale Schritte tun, um aus der Glaubwürdigkeitskrise herauszukommen. Einer wäre, auf die Staatsleistungen zu verzichten, die die Bundesländer der evangelischen und der katholischen Kirche zahlen. Diese Ansprüche gehen weitgehend zurück auf den Verlust des Kirchenbesitzes, der 1803 im Rahmen der Säkularisation enteignet wurde. Die Kirchen haben einen klaren Rechtsanspruch auf diese Leistungen, die sich allein für die katholische Kirche auf mehr als 200 Millionen Euro im Jahr summieren werden. Doch bereits die Weimarer Verfassung forderte, dass diese Dotationen durch Einmalzahlungen abzulösen sind. Die wäre nach der Auffassung der meisten Staatskirchenrechtler allein für die katholische Kirche eine Summe von vier bis fünf Milliarden Euro, die die Länder zu leisten hätten. Kirchliche Vertreter sind hier gesprächsbereit, bestehen aber ganz weltlich auf ihrer Rechtsposition.
Hier bin ich jedoch für eine radikale Entweltlichung. Finanziell wäre dieser Verlust durchaus verkraftbar. In den vergangenen zweihundert Jahren sind den Kirchen neue, beträchtliche Vermögenswerte zugewachsen; die Kirchensteuer ist als Hauptfinanzierungsquelle hinzugekommen. Allein im Jahr 2012 waren es 5,2 Milliarden Euro, eine Rekordsumme, das 26-Fache der Staatsleistungen. Die Kirche sollte jedoch ihren Verzicht mit einer Bedingung verknüpfen. Diese 200 Millionen Euro katholischerseits (oder mehr als 480 Millionen für beide Kirchen zusammen) dürfen nicht in den allgemeinen Haushalten verschwinden. Vielmehr sollte man auf Länderebene Fonds gründen, die jährlich mit dem Geld gespeist werden. Diese Fonds sollten schnell und unbürokratisch Menschen in Not helfen, zum Beispiel Flüchtlingen, Asylbewerbern, Familien in Armut. Sie sollten der Inklusion von Behinderten dienen, Eltern- und Alteninitiativen und vielem mehr. Über die Verwendung sollten paritätisch besetzte Gremien entscheiden, in denen Vertreter des Staates, der kirchlichen Sozialverbände und anderer zivilgesellschaftlicher Gruppen sitzen.
Die Kirche würde damit argumentativen Ballast abwerfen und die Meinungsführerschaft bei diesem Thema übernehmen. Sie würde verlorene Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, unabhängiger werden und einen Beitrag zur Entflechtung von Kirche und Staat leisten. So müsste eine Institution agieren, die sich anders verhalten will als ein Unternehmen. Sie würde so der Forderung von Papst Franziskus näherkommen: Eine wohlhabende Kirche wird etwas ärmer zugunsten der Armen.
Der Unternehmensberater Thomas von Mitschke-Collande , 63, war Senior Director bei McKinsey und beriet mehrere katholische Bistümer sowie die deutsche Bischofskonferenz bei ihren Umstrukturierungen.
Zuletzt geändert am 20.11.2013