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Veröffentlicht am 28­.11.2013

28.11.2013 - Noi siamo chiesa (Wir sind Kirche-Italien)

“Evangelii Gaudium”, das Programm des Pontifikats von Papst Franziskus

"Evangelii Gaudium": Papst Franziskus stellt sein Programm vor, das weitgehend in Diskontinuität mit dem bisherigen Lehramt steht

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"Evangelii Gaudium" von Papst Franziskus ist ein Apostolisches Schreiben , das die Wegweisungen der Bischofssynode von Oktober 2012 über die neue Evangelisierung zusammenstellen sollte. Tatsächlich aber war es die Gelegenheit für den Bischof von Rom, die programmatischen Richtungsweisungen seines Pontifikats recht zusammenhängend, aber zu wortreich (288 Punkte!), zu präsentieren. Daher ihre große Bedeutung, weit größer als die erste Enzyklika, die von Papst Ratzinger geschrieben wurde. Wir müssen es in der dazu nötigen Zeit lesen. Allerdings sollten Texte dieser Art den „normalen“ Gläubigen zugänglicher sein; dieser Text ist es jedenfalls nicht, auch wenn er in schlichtem Stil geschrieben ist. Es handelt sich zum Großteil um Analysen , Ermahnungen und Vorschläge, die bereits bei unterschiedlichen Gelegenheiten in den letzten Monaten gemacht worden waren. Der Text beginnt in einer ungewöhnlichen Art und Weise, mit der Aufforderung zur Freude am Evangelium, die in jedem Gläubigen stecken muss und die viel Kreativität in der Arbeit der Evangelisierung ermöglichen soll. Das sind in dieser Hinsicht sehr schöne Worte.

Dann geht es um die Reform der Kirche. Der interessanteste Punkt ist der, wo Franziskus sich in Frage stellt ( wie es ja alle Gläubigen tun sollten ), und die Notwendigkeit der Reform des Papsttums erkennt, von der Papst Wojtyla (ohne sie anzupacken), und die , mit Papst Ratzinger, als eine absolute Notwendigkeit wahrgenommen werden konnte. Im Wesentlichen ist es die Herabstufung der Mitte der Kirche zugunsten der Bischofskonferenzen, insbesondere auch von regionalen und nicht nur nationalen. Diesen sollten konkrete Kompetenzen zugeordnet werden und auch eine gewissen Lehrautorität, entsprechend der Notwendigkeit eines stärkeren Engagements für die Inkulturation und damit implizit der Anerkennung der Grenzen einer monolithischen Lehre. Dieser Schritt der Ermahnung zeigt einen Wendepunkt, der recht glaubwürdig wirkt, zumindest bezüglich der Absicht, dass Papst Franziskus konkrete Entscheidungen zu treffen beabsichtigt.

Der Text schlägt dann ausdrücklich eine lange Liste von innerkirchlichen Zuständen vor, die überwunden werden sollen, und wiederholt damit die Grundideen von Franziskus, eine neue Art der Kommunikation des Evangeliums seitens der kirchlichen Strukturen betreffend: Die Barmherzigkeit muss über die moralischen Verurteilungen obsiegen; es ist Gott, der evangelisiert und der Christ ist nur ein Werkzeug; Eucharistie und Taufe müssen die Gnade ermöglichen, nicht kontrollieren; die Kirche muss offen sein, auch wenn sie sich gerade als Problemfall darstellt; die wichtigste Botschaft muss über zweitrangige Fragen dominieren, über dogmatische Lehren; wir müssen die Zeichen der Zeit verstehen lernen; auch die "Basisgemeinden und kleinen Gemeinden" sind ein Reichtum der Kirche und so weiter und so fort. Stattdessen gibt es zu viel Faulheit, zu oft heißt es, "das haben wir immer schon so gemacht", der Beichtstuhl darf keine Folter sein, es gibt allzu viele Bräuche, die nicht aus dem Evangelium abgeleitet sind, zu viele Pfarreien haben sich nicht genügend erneuert und igeln sich ein, es gibt Propheten der Katastrophe, es gibt Erscheinungen spiritueller Wüstenbildung, ganz zu schweigen von dem Neid und den Kleinkriegen in kirchlichen Kreisen.

Im zweiten Kapitel werden einige Dinge weniger explizit angesprochen, auch wenn sie nicht neu sind. Sie geben eine Richtung ganz klar vor: Nein zu einer Ökonomie der Ausgrenzung, Nein zur absoluten Autonomie der Märkte und der Finanzspekulation, Nein zu einer neuen Vergötzung des Geldes und zu Ungerechtigkeit, die Gewalt erzeugt, den Menschen im Süden der Welt wird Gewalt angetan, Waffen und gewaltsame Unterdrückung statt des Suchens nach Lösungen schaffen neue und schlimmere Konflikte, es gibt eine Tyrannei der Massenmedien. Schließlich hält Franziskus das Engagement gegen Ungerechtigkeit und für den Gläubigen für unmittelbar einander ergänzend und die Option für die Armen für „eine theologische Kategorie. "

Die interessanteste Sache, im dritten Kapitel über "Die Verkündigung des Evangeliums" ist irgendwie eine kleine Abhandlung über die Predigt. Eine recht ungewöhnliche Thematik, obwohl von großer Bedeutung für den konziliaren Teil der Kirche, der sich fast im Alleingang damit beschäftigen musste. Franziskus geht von einer Situation aus, die er grundsätzlich zu ändern vor hat. Die Predigt sollte kurz sein und nicht langweilen! Sie sollte nicht moralisch sein oder indoktrinieren, die soll vielmehr den Dialog zwischen Gott und seinem Volk zum Ausdruck bringen, sie ist nicht Meditation oder Katechese. Die Predigt muss mit großer Sorgfalt bezogen auf die Texte vorbereitet werden, in dem der Versuch unternommen werden muss, deren Hauptbotschaft zu erfassen, der Prediger muss den Zustand der Menschen, die er ansprechen will, kennen, und so geht es weiter. Dies ist der neueste Teil der Ermahnung und ist besonders wirksam. Es gibt einige interessante Zitate: unter den vielen aus den Evangelien, der Päpste und Kirchenväter nach dem üblichen Stil dieser Dokumente gibt es auch Zitate aus Texten von Bischöfen aus dem Kongo, aus Indien, den Philippinen, aus Brasilien.

Ich habe das aufgelistet, was mir die wichtigsten Punkte des Dokuments zu sein scheinen. Es gibt auch eine ziemlich offensichtliche Wiederholung der Position zur Abtreibung und des Verbots des Priesteramts für Frauen. Insgesamt stellt der Text einen offenkundigen Bruch zur früheren Lehre dar. Er ist bestimmt, die allgemeine Zustimmung, die Franziskus derzeit an der Basis der Gläubigen und ganz allgemein, in der öffentlichen Meinung, die an Fragen der Spiritualität interessiert ist, erfährt, zu festigen. Es werden nicht wenige Feindseligkeiten sein, die die fundamentalistischen und rechten Teile der Kurie wahrscheinlich organisieren werden. Seitens des „konziliaren“ Flügels der Kirche wird es an Einverständnis nicht fehlen, auch wenn immer wachsam und unabhängig.

27. November 2013
Vittorio Bellavite, Koordinator von “Noi Siamo Chiesa”

Übersetzung aus dem Italienischen von Jens-E. Jahn

Zuletzt geändert am 29­.11.2013