| |
Veröffentlicht am 20­.01.2014

20.1.2014 - KIPA

Erzbischof Albert Rouet: «Die Kirche neu und anders erfinden»

Erzbischof Albert Rouet sprach in Saint-Maurice vor Vertretern des Laien-Apostolates

Von Jacques Berset / Kipa

Saint-Maurice VS, 20.1.14 (Kipa) Erzbischof Albert Rouet (77), bis 2011 Bischof von Poitiers, gehört zu den bekanntesten und profiliertesten Oberhirten Frankreichs. Vor Vertretern des Westschweizer Laien-Apostolates (»Communauté Romande de l'Apostolat des Laïcs» – Cral) rief er am Wochenende in Saint-Maurice dazu auf, «die Kirche neu und anders zu erfinden». Rouet tritt für übersichtliche christliche Gemeinschaften ein, die in der unmittelbaren Nachbarschaft verankert sind und auch dort ihr Wirken entfalten. Er erhält am 16. März in Luzern den Herbert-Haag-Preis 2014.

Albert Rouet, geboren 1936 in einem bäuerlichen Milieu, war von 1994 bis 2011 Bischof von Poitiers (Frankreich). Zuvor wirkte er während zwei Jahrzehnten als Jugendseelsorger und Katechet, später dann als Generalvikar und Weihbischof von Kardinal Jean-Marie Lustiger in Paris.

Öffnungen des Konzils mancherorts gefährdet

Aufgrund seiner grossen Seelsorgeerfahrung ist er weltweit ein gefragter Vortragsredner. In Poitiers versuchte er im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 bis 1965) eine Kirche zu leben, welche die Zentralisierung vermeidet und neue Modalitäten der priesterlichen Dienste erfindet. «Ich reise viel», sagte er gegenüber der Pressseagentur Kipa, «und ich sehe, dass die Frage der Rolle und des Platzes der Laien in der Kirche sich überall stellt – auf allen Kontinenten. Mancherorts wird die Stimme der Laien erstickt. Allmählich sind die Öffnungen des Konzils hinsichtlich der Laien kanalisiert oder sogar wieder verengt worden.»

In dieser säkularisierten Welt, «in der wir bedeutungslos geworden sind», sei es dringend, die Kirche «anders» zu denken, betont Rouet. Die Macht der Hierarchie dürfe nicht sakralisiert werden. Vielmehr müssten kleine brüderliche Gemeinschaften von überschaubarer Grösse gebildet werden, in denen man sich gegenseitig kenne.

Rouet: «Wie kann man unsere Kirche brüderlich nennen angesichts dessen, dass man weiterhin in grossem Umfang zentralisiert? Die Zusammenführung von Pfarreien konzentriert die Überzeugten an einem bestimmten geografischen Ort, zieht aber die aktiven Kräfte aus anderen Ortschaften ab, die vielleicht dieser Kräfte bedürften, um weiterhin existieren zu können. Will man in dieser Welt Bedeutung haben, muss man jedoch im Gegenteil dezentralisieren! So kann man als Brüder, die einander kennen, miteinander sprechen. Es gibt eine Grösse, die nicht überschritten werden darf, soll die Brüderlichkeit existieren können!»

Sakralisierte Macht

Erzbischof Rouet ist überzeugt, dass sich die Kirche stärker auf die Getauften stützen muss. Man müsse Vertrauen in die Laien haben und «aufhören, nach einem mittelalterlichen Muster zu funktionieren.»

Unter Bezugnahme auf die Evangelien und mit Zitaten des Apostels Paulus unterstreicht er, dass der Priester nicht in einer vertikalen, hierarchischen Beziehung gesehen werden soll, sondern im Gegenteil die Verbindung zwischen den Gläubigen schaffen und gemeinschaftsbildend wirken muss. «Die Pfarrei-Strukturen sind zentripetal, alles dreht sich um den Priester. Der Priester wird wie ein Chef gesehen. Da wurde die zivile Organisation kopiert. Fügen Sie da einen Laien hinzu, so ist es wie mit zwei Krokodilen in einem Flussarm: Der Konflikt ist vorprogrammiert, denn es ist eine Frage der Macht. Die ist sakralisiert worden, deshalb gibt es den Krieg um die Macht zwischen Klerikern und Laien!»

Laien im Zentrum

Bleiben die Laien Unmündige, ist die Kirche nicht glaubwürdig, unterstreicht Rouet. Es brauche eine andere Logik, die aus diesem Macht-Schema ausbreche, welches Laien bloss als Priesterhelfer sehe. Laien müssten im Zentrum stehen, es brauche verantwortliche Ortsgemeinschaften, gebildet von einem animierenden Kernteam und mit einem Priester, der im Dienst der Beziehungen zwischen den Gläubigen stehe. Der Priester sei Diener der Kommunion, insbesondere, indem er der Eucharistie und den Sakramenten vorstehe. «Die Kommunion verlangt indessen nicht, dass der Priester für alles zuständig ist. Sie stellt ihn dorthin, wo Begegnung stattfindet. Damit dies möglich wird, müssen sich jedoch die Strukturen ändern.»

In seinen Augen kommt das Problem von den geschichtlich vererbten Strukturen. In der Vergangenheit wurde die Pfarrei wie ein Territorium, eine Hochburg, angesehen, und der Pfarrer blieb bis zu seinem Tod in seiner Pfarrei.

Einst war die Anzahl der Priester in Europa und in Kanada sehr gross, während es in anderen Teilen der Welt an Priestern fehlte. «Heute fehlt es hier bei uns an Priestern, und die Kirche möchte dieselben Strukturen beibehalten. Deshalb appelliert man an Priester in Ländern, die genügend arm sind, um genügend Priesterberufungen zu haben – und das alles, um die Sakralisierung der Macht nicht anzutasten!»

Eine «brüderlich konstituierte Kirche»

Ist es das, was Christus gewollt hat, und was uns von den Evangelien gesagt wird, fragt Rouet. Er zitiert die Kirchenkonstitution «Lumen Gentium» (»Christus ist das Licht der Völker» – 1964), die vom Zweiten Vatikanischen Konzil verkündet wurde und die besagt, dass es in der Kirche «keinerlei Ungleichheit gibt, die aus der Rasse oder aus der Nation, der sozialen Zugehörigkeit oder des Geschlechts stammt», denn es gebe, wie der Apostel Paulus sage, «weder Juden noch Griechen, weder Sklaven noch Freie, weder Mann noch Weib, denn alle seien eins in Jesus Christus». Rouet plädiert deshalb für eine «brüderlich konstituierte Kirche».

Die 2.500 Bischöfe, die zum Konzil zusammengekommen seien mit der Vorstellung einer «heiligen hierarchischen Gesellschaft», hätten das Konzil «bekehrt» verlassen mit der Idee einer «Kirche, die Sakrament des Gottesreiches» ist, sagt Rouet. «Diese Bekehrung müsste heute ihren Niederschlag vor Ort finden, doch davon ist man noch weit entfernt! Ist man wirklich bereit, die Intuitionen des Konzils in die Tat umzusetzen?» Solange man noch die Mittel habe, werde es keine Änderungen geben, bedauert Rouet. Es gebe die Macht der Gewohnheit, die Unfähigkeit anderes zu denken als das, was man bereits kenne.

Separat: Haag-Preis-Träger Albert Rouet

Albert Rouet wird am 16. März in Luzern mit dem diesjährigen Herbert-Haag-Preis «für Freiheit in der Kirche» ausgezeichnet. Er habe es als Bischof von Poitiers bewusst vermieden, die Seelsorgestrukturen so anzupassen, dass die verbliebenen Priester ausreichten, teilte die Haag-Stiftung im Oktober 2013 bei der Bekanntgabe der Preisvergabe mit. Den Begriff «Pfarrei» habe Rouet praktisch abgeschafft, um nicht in alte Muster zurückzufallen, und von Grosspfarreien halte er nichts. Stattdessen habe er übersichtliche christliche Gemeinschaften gedeihen lassen, die in der unmittelbaren Nachbarschaft verankert seien und dort ihr Wirken entfalteten.

Der Preis für Freiheit in der Kirche wurde gestiftet von Herbert Haag (1915-2001), Professor für Altes Testament an der Universität Tübingen. Mit dem Preis werden Personen und Institutionen ausgezeichnet, die sich für Freiheit in der Kirche einsetzen.

Buchhinweis: Albert Rouet: Aufbruch zum Miteinander. Wie Kirche wieder dialogfähig wird. Herder-Verlag 2012, 220 Seiten.

http://www.kipa-apic.ch/index.php?&pw=&na=0,0,0,0,d&ki=250897

Zuletzt geändert am 19­.06.2014